Der König, der nun mit diplomat.
Agenten vom
Schlage des Chevalier d'Eon (s.
Eon de Beaumont) ein inhaltsloses
Spiel hinter
dem Rücken seiner Minister trieb, blieb bei alledem in
Trägheit versunken. Selbst ein
Mordversuch, den 1757 ein
Fanatiker,
Damiens, auf ihn machte, konnte ihn nicht emporreißen. Mehr bewegte ihn der Kampf der von jansenistischen
Sympathien erfüllten Parlamente gegen die
Jesuiten.
Choiseul, der seit Aug. 1758 erster Minister war und im
Sinne der
Aufklärung
vergebliche allgemeinere Reformanläufe vornahm, hielt sich anfangs neutral; das starre Verhalten des Ordensgenerals Ricci
veranlaßte ihn jedoch Nov. 1764, den
Orden
[* 3] für
Frankreich aufzuheben. (S.
Jesuiten, Bd. 9, S. 907 b.)
Es war ein
Sieg der Parlamente, mit denen gleichzeitig, in
Finanz- und Verfassungsfragen, die Regierung unablässigen Streit
führte.
Unter
Choiseul trat dieser Gegensatz zurück; unter dessen schroff absolutistischen Nachfolgern, die 1770 mit Hilfe der bigotten
Gruppen und der Dubarry (s. d.) den Minister gestürzt hatten,
unter
Aiguillon (s. d.) und Maupeou (s. d.)
ward er wieder brennend. Ein halber
Staatsbankrott wurde 1770 erklärt; Maupeou eröffnete gleichzeitig gegen die parlamentarischen
Ansprüche einen erbitterten
Krieg, löste das
Pariser Parlament auf, verbannte die
Räte und setzte ein Interimsparlament und
sechs Obergerichte ein.
Diese Gewaltstreiche brachten die Nation in die heftigste
Bewegung und steigerten den Zorn und die Verachtung gegen den
Hof.
[* 4] Ludwig hingegen, anstatt aus den
Eingriffen Maupeous wenigstens die
Früchte zu ziehen, widmete sich in der letzten Zeit gänzlich
der Jagd und seinen Maitressen.
Da er ernste Beschäftigungen scheute, griff er oft aus Langerweile zu
den seltsamsten Zerstreuungen. Er druckte nicht nur
Bücher, sondern wollte auch als der beste
Koch in seinem
Reiche gelten.
Schon lange war er zufolge seiner Ausschweifungen mit einer geheimen
Krankheit behaftet. In diesem Zustande bekam er durch
ein junges Mädchen die Kinderblattern, an denen er starb. Die Nation freute sich über die
Erlösung von einem durch
Gemeinheit entehrten
Despoten, und der Pöbel feierte sein
Begräbnis durch Pasquille und Gassenlieder.
Sein einziger Sohn war seine Gemahlin gestorben. Ihm folgte sein Enkel Ludwig XVI. auf dem
Throne.
Vgl. Lemontey, Histoire de la régence et de la minorité de Louis XV (2 Bde.,
Par. 1832);
Tocqueville, Histoire philosophique du règne de Louis XV (2 Bde., 2. Aufl.,
ebd. 1847);
Jobez, La
France sous Louis XV (6 Bde., ebd. 1864-73);
Barbier,
Chronique de la régence et du règne de Louis XV
(zuletzt, 8 Bde., ebd. 1866);
Boutaric, Correspondance inédite de Louis XV sur la politique étrangère (2 Bde.,
ebd. 1866);
August, König von
Frankreich (1774-92), geb. zu Versailles
[* 6] als der dritte Sohn des Dauphin
Ludwig aus der
Ehe mit Marie
Josephe von
Sachsen,
[* 7] führte anfangs den
Titel eines
Herzogs von
Berry, wurde
aber nach dem
Tode seiner ältern
Brüder
und seines
Vaters (1765) Dauphin. Obschon in der
Atmosphäre des verdorbenen
Hofs erzogen,
bewahrte er einfache, reine
Sitten, zeigte
Rechts- und Pflichtgefühl, haßte den Luxus und hatte ein warmes
Herz für die arbeitenden
Klassen. Am vermählte er sich mit Marie Antoinette, der Tochter der Kaiserin Maria
Theresia.
Bei einem
Feuerwerk, das die Stadt
Paris
[* 8] zur Feier dieses Ereignisses veranstaltete, entstand ein Gedränge, in dem Tausende
beschädigt, 300 getötet wurden. Der Prinz that alles nur Mögliche und wies viele
Monate seine
Apanage an, um die Verunglückten
zu unterstützen. Nach dem erfolgten
Tode seines Großvaters
Ludwigs XV. trat Ludwig unter den größten
Hoffnungen die Regierung an, doch noch
vor der Krönung zu Reims,
[* 9] sah er schon die Schwierigkeiten seiner
Stellung
wachsen.
Die unheilvolle
Lage des
Staates (s.
Frankreich, Bd. 7, S. 89 fg.) und die
zerrütteten
Finanzen forderten dringend durchgreifende
Reformen, die
Turgot, der zum Contrôleur général des finances
berufen war, energisch in
Angriff nahm. Ludwig war schwach genug, ihn den
Angriffen seiner Gegner, zu denen auch die Königin gehörte,
zu opfern und zu entlassen. Auch Neckers,
Calonnes und Loménies Versuche,
die Finanzen zu ordnen,
scheiterten, und Ludwig sah sich endlich veranlaßt, durch ein
Edikt vom die Generalstände auf 1. Mai des nächsten Jahres
zu berufen. Wenige Wochen darauf, 26. Aug., dankte Loménie de
Brienne ab, und Necker trat sein zweites Ministerium an.
Am wurden die Generalstände in Versailles eröffnet; der dritte
Stand erklärte sich als Vertretung der Nation
und erzwang die
Anerkennung einer konstituierenden Nationalversammlung. Der König, beständig schwankend, war dabei ein willenloses
Werkzeug der Parteien. Necker wurde 11. Juli entlassen, es folgte der Bastillensturm 14. Juli, worauf Ludwig sich 17. Juli nach
Paris begab und die Errichtung der revolutionären
Autoritäten und der Nationalgarde bestätigte.
Necker wurde zurückgerufen und eine
Verfassung entworfen.
Über den
Artikel des suspensiven oder absoluten Vetos geriet die
Krone mit der Nationalversammlung im September in
Konflikt. Bei einem Fest der Gardes du Corps, das1. Okt. in
Versailles stattfand und an dem der König teilnahm, kam es zu royalistischen Kundgebungen. Auf die
Kunde hiervon rotteten
sich am Morgen des 5. Okt. in der Hauptstadt wütende Haufen zusammen und zwangen den König, am folgenden
Tage nach
Paris überzusiedeln;
die Nationalversammlung nahm seit dem 19. Okt. ebenfalls ihren Sitz in
Paris.
Ludwig schien alle Willenskraft verloren zu haben; er bestätigte alle
Beschlüsse der Nationalversammlung und nahm an
dem Föderativfeste teil. Eine Rettung schien sich ihm in der
Verbindung mit
Mirabeau zu bieten; doch vereitelte dessen
Tod auch diese Hoffnung, und Ludwig suchte nun mit Hilfe des Marquis von
Bouillé und des
Grafen von
Fersen in der Nacht vom 20. zum mit seiner Familie aus
Paris zu entfliehen. Er war bereits bis nach Varennes gelangt,
als der Postmeister
Drouet (s. d.) ihn erkannte und festhalten ließ. In der
Begleitung einer aufgeregten,
nach Tausenden zählenden Menge trat Ludwig die Rückreise nach
Paris an. Nachdem ihm hier die Nationalversammlung die
Krone, die
sie ihm 24. Juni abgesprochen,
¶
mehr
4. Sept. wieder zuerkannt hatte, beschwor er die inzwischen vollendete Verfassung. Über das Gesetz betreffs der eidweigernden
Priester, dem er sein Veto entgegenstellte, kam er mit der neuen Gesetzgebenden Versammlung in Konflikt, deren republikanische
Elemente, darunter auch die Girondisten, seitdem auf seinen Sturz sannen. Es half ihm nichts, daß er aus
dieser Partei seine Minister nahm, in die Maßregeln gegen seine emigrierten Brüder willigte und sogar an Österreich
[* 11] den
Krieg erklärte.
Zwar gelang es den Gegnern der Gironde, vom König und der Königin unterstützt, die Girondisten noch einmal aus
dem Ministerium zu verdrängen; aber das war nur das Signal zu neuer Anspannung der revolutionären Kräfte,
die sich in dem Aufstand vom 20. Juni offenbarten. Als der Pöbel in die Tuilerien eindrang, ließ Ludwig, nur von einigen Dienern
umgeben, die Thüren öffnen und ertrug mit Würde ein paar Stunden lang die Beschimpfungen der Menge. Der von
den Jakobinern sodann förmlich organisierte Aufstand vom 10. Aug. traf Hof und König nicht ohne Vorbereitung.
Das Schloß war mit Linientruppen und Nationalgarden umgeben; das Innere verteidigten 1600 Schweizer. Doch war auf die Truppen
der Nationalgarden kein Verlaß, so daß der König mit seiner Familie Schutz in dem Schoße der Nationalversammlung
suchte. Am folgenden Tage brachte man endlich den König als Gefangenen mit seiner Familie nach dem Palast Luxembourg und von
hier 18. Aug. in den festen Turm
[* 12] des Temple. Die eigentliche Absetzung und das Gericht über den Unglücklichen überließ die
Versammlung dem 21. Sept. zusammentretenden Nationalkonvent.
Nachdem der KonventFrankreich zur Republik umgewandelt, begannen die Verhandlungen über das Schicksal
des Königs. Am 11. Dez. erschien Ludwig vor den Schranken der Versammlung. Er verteidigte sich in würdiger Haltung
mit dem Hinweis auf sein konstitutionelles Recht. Am 26. Dez. erschien er zum zweitenmal vor der Versammlung und nahm selbst das
Wort, um seine Unschuld zu beteuern. Der Konvent erklärte zunächst Ludwig Capet, wie man den König hieß, der Verschwörung
gegen den Staat und die Sicherheit der Nation schuldig.
Seit dem 16. Jan. wurde unter dem Zudrange wütender Pöbelmassen über die Strafe selbst entschieden und am 17. das Todesurteil
mit 361 Stimmen gefällt; am 19. wurde beschlossen, das Urteil ohne Aufschub zu vollstrecken. Am fiel
sein Haupt auf dem Revolutionsplatz unter der Guillotine. Sein Leichnam wurde auf dem Kirchhofe Ste. Madeleine bestattet, nach
der Restauration 1815 aber nach St. Denis in die Königsgruft gebracht. Ludwig hinterließ zwei Kinder: den
Dauphin (s. Ludwig XVII.) und die spätere Herzogin von Angoulême (s. d.).
Vgl. Bertrand de Molleville, Histoire de la révolution
de France (14 Bde., Par. 1801-3);
Soulavie, Mémoires historiques et politiques du règne de Louis XVI (6 Bde.,
ebd. 1802);
Bournisseaux, Histoire de Louis XVI (2 Bde., ebd. 1829);
Droz, Histoire du règne de Louis
XVI (3 Bde., ebd. 1838-42);
Falloux, Louis XVI (ebd. 1840; 4. Aufl. 1860);
Nicolardot, Journal de Louis XVI (ebd. 1873);
Taine, Les origines de la France contemporaine (5 Bde., ebd. 1876 fg.; deutsch, 3 Bde.,
Lpz. 1877-91);
Jobez, La France sous Louis XVI (Bd. 1-3, Par.
1877-93; 2. Aufl. 1893 fg.);
Chérest, La chute de l'ancien régime (2 Bde., ebd. 1884);
DeBeaucourt, Captivité et derniers
moments de Louis XVI (ebd. 1892-93);
Karl, zweiter Sohn Ludwigs XVI. von Frankreich und der Königin Marie Antoinette, wurde zu
Versailles geboren und erhielt den Titel eines Herzogs der Normandie, nach dem Tode seines Bruders aber, die Würde
des Dauphin. Infolge der Katastrophe vom kam auch er mit seinen Eltern in den Tempelturm. Nach der Hinrichtung
Ludwigs XVI. wurde er von seinem Oheim, dem spätern Ludwig XVIII., zum König von Frankreich
erklärt. Er teilte noch mehrere Monate die Gefangenschaft mit seiner Mutter. Im Juni jedoch wurde der Prinz im Temple einem
rohen Jakobiner, dem Schuster Simon, übergeben, der mit seiner Frau darauf ausging, ihn physisch und geistig zu
Grunde zu richten.
Seit Jan. 1794 ließen ihn die Schreckensmänner in einsamer Zelle
[* 13] verkommen. Zwar setzten die Wärter seit Febr. 1795 den
Gemeinderat wiederholt von dem Siechtum des Prinzen in Kenntnis; doch wurde ihm noch monatelang jeder ärztliche Beistand
versagt. Erst im Mai, nachdem sich Geschwülste am Knie und Handgelenk eingestellt, erhielt der Arzt Desault
Zutritt. Nach Desaults plötzlichem Tode behandelten ihn die Ärzte Pelletan und Dumangin. Allein der Zustand des Prinzen verschlimmerte
sich von Tag zu Tag, so daß er starb. Der Leichnam wurde auf dem Kirchhofe Ste. Marguerite in die gemeinschaftliche
Grube versenkt und mit Kalk bedeckt, so daß 1815 die Reste nicht mehr aufgefunden werden konnten. -
Vgl. Eckard, Mémoires historiques sur Louis XVII (Par. 1817);
Beauchesne, Louis XVII, sa vie, son agonie, sa mort (2 Bde.,
ebd. 1852; 9. Aufl. 1876);
Nettement, Histoire populaire de Louis XVII (ebd. 1864);
Ad. Schmidt, Pariser Zustände
während der Revolutionszeit 1789-1800 (3 Bde., Jena
[* 14] 1874-75);
Chantelauze, Louis XVII, son enfance, sa prison et sa mort au
Temple (Par. 1883; Nachtrag 1887; neue Ausg. 1895);
Étude historique sur Louis XVII (Brüss.
1884); Provins, Le dernier roi légitime de France (ebd. 1889); Evans, The story of Louis XVII. of France
(Lond. 1893).
Ungeachtet der damalige Tod des Prinzen eine unzweifelhafte Thatsache ist, verbreitete sich dennoch der Glaube, daß er aus
dem Gefängnis errettet worden sei. Bald tauchte eine ganze Reihe von Abenteurern auf, welche die Rolle L.s XVII. übernahmen.
Der erste war Jean Marie Hervagault, der Sohn eines Schneiders zu St. Lô, der 1812 als Landstreicher
im Gefängnis starb. Ein anderer, Mathurin Bruneau, geb. 1784 zu Vezins bei Cholet in Anjou, erlitt während der Restauration
mehrfache Bestrafungen und verscholl nach der Julirevolution.
Größeres Aufsehen erregte 1833 und 1834 der sog. Herzog von Richmont, der sich auch Ludwig Hector Alfred,
Baron von Richmont, Herzog von der Normandie, nannte. Dieser Abenteurer hieß Henri Hébert, war aus der Gegend von Rouen
[* 15] gebürtig,
forderte seit 1828 seine angeblichen Rechte zurück, wurde 1834 zu zwölfjähriger Einsperrung verurteilt, floh aber aus dem
Gefängnis Ste. Pélagie in Paris nach London,
[* 16] wo er 1845 starb. Während Hébert vor den Assisen stand,
trat ein gewisserMorel de Saint-Didier auf, der im Namen des «wahren, echten Ludwig XVII.» gegen
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