Eine viel weniger befriedigende Organisation hat bisher der Mobiliar- und
Personalkredit gesunden. Der Mobiliar- oder Lombardkredit
leidet unter der Schwierigkeit, die landwirtschaftlichen Produkte aufzubewahren und zu transportieren. Die erforderlichen
öffentlichen Lagerhäuser sind in
Deutschland
[* 2] erst vereinzelt errichtet worden. Der
Personalkredit ist den Landwirten im ganzen
deshalb weniger leicht zugänglich als andern Berufsklassen, weil ihr Vermögen hauptsächlich aus Immobilien
besteht, deren Realisierung, d. h. freiwilliger oder zwangsweiser Verkauf, meist längere Zeit
erfordert.
Bankinstitute befinden sich in
Deutschland nur in den größern
Städten, sie haben thatsächlich allein für den Großgrundbesitz
Bedeutung und gewähren auch meist auf zu kurze
Termine Kredit. Von den bestehenden Realkreditinstituten
haben nur wenige zugleich Einrichtungen für den
Personalkredit geschaffen. Hauptsächlich kommen hier nur die landschaftlichen
Darlehnskassen zu
Berlin,
[* 3] Königsberg,
[* 4]
Danzig
[* 5] und
Breslau
[* 6] und einige
Sparkassen in Betracht. Die Lückenhaftigkeit der Kreditorganisation
hat daher bewirkt, daß die Landwirte, namentlich die
Bauern, in vielen Gegenden durch Kapitalisten der niedrigsten Sorte
ausgebeutet werden. (S. Wucher.) Aus dem Kampf gegen den Wucher sind andererseits in neuerer Zeit örtliche
Genossenschaften hervorgegangen, die vornehmlich dem
Personalkredit ihrer Mitglieder dienen und sich als die wirksamsten Heilmittel
gegen die Bewucherung erwiesen haben. Es sind dies die nach ihren geistigen Schöpfern benannten
Raiffeisenschen Darlehnskassenvereine
(s. d.) und dieSchulze-DelitzschschenVorschuß- und Kreditvereine (s. d.).
Da die Ausbreitung dieser
Verbände nicht selten, namentlich in solchen Gegenden, welche einen wenig zahlreichen und räumlich
zerstreuten
Bauernstand haben, große Schwierigkeiten findet, sind neuerdings mannigfache Reformvorschläge für den anderweitigen
Ausbau der ländlichen Kreditorganisation aufgetaucht. Man denkt namentlich an die stärkere Decentralisierung der bestehenden
landschaftlichen, staatlichen und kommunalen Kreditinstitute, unter gleichzeitiger Schaffung von lokalen
Filialen für den
Personalkredit, die jedoch da wegfallen können, wo schon örtliche Kreditvereine bestehen. Es ist indessen
wahrscheinlich, daß das Problem der bessern Kreditorganisation nicht anders als im Zusammenhang mit der andern Frage eine
Lösung finden wird, wie der zunehmenden Verschuldung der Landwirte zu steuern sei.
Seitdem Rodbertus 1868 zuerst darauf hingewiesen hat, ist es durch alle neuern Untersuchungen bestätigt worden, daß die
große Menge aller
Hypothekenschulden der Landwirte nicht produktiv wirkenden Kreditgeschäften, sondern dem Besitzkredit
entstammt, d. h. aus rückständigen Kaufgeldern oder eingetragenen Erbteilen besteht. Die
eingetragenen Kapitalien sind also derLandwirtschaft als solcher niemals zugeflossen; ihre Verzinsung
ist ein bloßer
Abzug vom
Reinertrag, ohne daß dieser Verzinsung ein mit Hilfe der Schuldaufnahme erhöhter Ertrag gegenüber
stände.
Nach den
Erhebungen im Königreich
Preußen
[* 7] kann man annehmen, daß der bäuerliche Grundbesitz im Durchschnitt bereits die
Verschuldung des ersten und besten Wertdrittels seines Grundbesitzes vollendet hat und anfängt, das
zweite Drittel fortzugeben, daß hingegen der größere Grundbesitz schon über die Hälfte seines Wertes hinaus verschuldet
ist. Dabei steigt die Verschuldung trotz rückgängiger Preiskonjunkturen unaufhörlich (s.
Hypothekenschulden), und es ist
zu fürchten, daß die
Landwirtschaft einem Zustande entgegengeht, bei welchem die Mehrheit ihrer
Angehörigen als
überschuldet gelten muß.
Das aus der internationalen Konkurrenz hervorgegangene Sinken der
Getreidepreise
[* 8] hat, eben wegen der bestehenden hohen Belastung
der Landwirte die schwere Krisis zur Folge gehabt, welche in allen vorwiegend Getreide
[* 9] bauenden Gegenden ausgebrochen ist.
Unter dem Eindruck jener Krisis sind verschiedene Pläne vor die Öffentlichkeit getreten, welche das
bestehende Agrarrecht durch Einführung von Verschuldungsbeschränkungen reformieren wollen. Zu den meistbesprochenen gehört
der
Vorschlag eines Heimstättenrechts (s. Heimstättengesetze) und die Schäfflesche Idee einer
Inkorporation des Hypothekenkredits, d. h. der Gründung von landwirtschaftlichen Zwangsgenossenschaften,
die nicht nur Kredit vermitteln, sondern auch die ganze Kreditgebarung ihrer Mitglieder unter
Ausschluß alles Besitzkredits
überwachen und unter Umständen die Grundstücke der Schuldner übernehmen und verpachten sollen.
Soll
die Festsetzung von Verschuldungsgrenzen praktisch große Bedeutung erlangen, so muß unbedingt eine Schuldentlastung vorausgehen.
Dieser
Gedanke ist zuerst zu ernstlicher legislatorischer Behandlung gekommen in
Österreich,
[* 10] dessen Regierung 1893 einen entsprechenden
Entwurf dem Reichsrat unterbreitet hat.
Litteratur.Rodbertus-Jagetzow, Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot. I
u. II
(Jena
[* 11] 1868-69);
Schäffle, Inkorporation des Hypothekarkredits (Tüb. 1883);
Vereine,Vereinigungen von Landwirten behufs Erörterung und Förderung der gemeinsamen Berufsaufgaben
und Standesinteressen. Die Anfänge des landwirtschaftlichen
Vereinswesens fallen in
die erste Hälfte des 18. Jahrh.; doch
ging die
Entwicklung zunächst langsam von statten, erst seit den sechziger Jahren erlangten die «Ökonomischen
Gesellschaften» allgemeinere
Verbreitung. Wie in derEntwicklung der
Landwirtschaft selbst, so ging auch
in der des
Vereinswesens England voran.
Die ersten rein landwirtschaftliche Vereine
Großbritanniens waren die 1715 in
Schottland gestiftete
HighlandSociety und die 1723 gegründete
Society
of Improvers in the knowledge of agriculture. Das von
Schottland gegebene
Beispiel zog sehr bald die Gründung ähnlicherVereine
in England und
Irland nach sich. Durch die zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrh. überall gebildeten
Lokalvereine fand die Thätigkeit der bereits vorhandenen größeren und umfassendern
Vereine die wirksamste Unterstützung.
In
Frankreich erstand
¶
mehr
der erste Verein 1750 in der Bretagne. Bedeutungsvoll für das Vereinswesen wurde hier die Anregung, welche die Förderung der
landwirtschaftlichen Interessen durch die physiokratische Theorie erhielt; doch gingen die bestehenden Vereine größtenteils
in den Stürmen der Revolution unter. Zu Beginn des 19. Jahrh. war die Zahl der Vereine und Gesellschaften
jedoch wieder zu einer beträchtlichen Höhe angewachsen; man schätzte ihre Zahl auf vierzig. Wie in England und Frankreich,
so bestanden um diese Zeit in allen übrigen europ. Staaten (die Türkei
[* 14] ausgenommen) derartige Vereine.
Die Gesellschaft war damals vorzugsweise bemüht, auf die Beseitigung der Schranken, die das überlieferte Agrarrecht für
den Landbau enthielt, hinzuarbeiten und den Landwirt anzuleiten, wie er dem der alten Fesseln ledigen Boden höhere Erträge
abzugewinnen vermöchte. Die bahnbrechende Thätigkeit dieses Vereins wurde später der Ausgangspunkt für
die epochemachende Wirksamkeit Thaers (s. d.). Unter den süddeutschen Gesellschaften wirkte die 1769 errichtete
Physikalisch-Ökonomische Societät zu Lautern in der Rheinpfalz besonders segensreich auf die Gesetzgebung.
Etwas früher schon, 1765, war inBayern
[* 18] die «Kurbayrische Landes-Ökonomie-Gesellschaft in Oberbayern», die zuerst bis 1802 zu
Altötting, später in Burghausen bestand, mit landesherrlicher Unterstützung ins Leben gerufen. Gleichzeitig
entstand die Ökonomische Hessencasselische Gesellschaft des Landbaues. Unter den ältern Gesellschaften des damaligen Preußen
ragten die zu Anfang der siebziger Jahre errichtete Patriotische Gesellschaft in Schlesien
[* 19] zu Breslau sowie die aus den neunziger
Jahren stammende Ökonomische Societät zu Potsdam
[* 20] hervor.
Dem 19. Jahrh. war es jedoch vorbehalten, das Vereinswesen auf breitester Grundlage sich entwickeln zu
sehen, namentlich infolge stärkerer Beteiligung der praktischen Landwirte selbst. Von 1820 bis 1840 betrug die Zahl der
im preuß. Gebiete neu errichteten Vereine über 100, von 1840 bis 1860 belief sich der Zuwachs derselben sogar auf 400, um
in dem folgenden Zeitraum noch höher anzuschwellen. 1810 wurde außerhalb Preußens
[* 21] der LandwirtschaftlicheVerein in Bayern ins Leben gerufen, der heute mehr denn je ein Hauptträger des landwirtschaftlichen Kulturfortschritts in
diesem Lande ist, unterstützt in seinem Wirken durch die Wanderversammlung bayr. Landwirte. Gegenwärtig
erfreut sich das landwirtschaftliche Vereinswesen in allen wichtigern Kulturländern einer hohen Blüte.
[* 22]
Was Ausbreitung und Organisation betrifft, steht zur Zeit Deutschland im Vordergrunde. Man unterscheidet hier centralisierte
Vereine, d. h. solche, die ihrerseits wieder zu größern Gesamtverbänden zusammengefaßt
sind, und nicht centralisierte Vereine oder solche, die sich dieser Gesamtorganisation nicht angeschlossen haben. Die
centralisierten
Vereine schließen sich in ganz Deutschland im allgemeinen an die polit. Einteilung an. In Preußen gab es 1890 15 Provinzial-
und Centralvereine mit 1201 Zweigverbänden und 158000 Mitgliedern.
Die Zahl der nicht centralisierten Vereine ist ebenfalls sehr erheblich. In der Regel besteht für eine Provinz ein Centralverein,
einige Provinzen besitzen indessen deren zwei. In einzelnen Landesteilen wird die Gliederung dadurch bereichert,
daß zwischen die Centralvereine und die Lokalvereine sich Haupt- und Kreisvereine als besondere Zwischenverbände einschieben.
Zu diesen, allgemeine landwirtschaftliche Zwecke verfolgenden Vereinen gesellen sich Vereinigungen, die besondere Einzelziele
verfolgen: Garten-, Obst-, Hopfenbauvereine, Pferde-, Rindvieh-, Geflügel-, Bienenzuchtvereine u. s. w. Diese Sondervereine
gehören teils der allgemeinen centralisierten Organisation an, teils bilden sie unter sich besondere
Gesamtverbände, teils endlich sind sie überhaupt keinem größern Verbände angeschlossen. Im Gegensatz zu Preußen bildet
in den übrigen Staaten (Sachsen ausgenommen) das ganze Staatsgebiet den Bezirk eines Centralvereins.
Einzelne kleine Staaten, wie Gotha
[* 23] und Sondershausen,
[* 24] sind einem fremden Centralverbande beigetreten. Im übrigen ist die
Organisation der preußischen ähnlich. In Bayern gliedert sich der LandwirtschaftlicheVerein in ein Generalkomitee zu München,
[* 25] in 8 Kreiskomitees - je eins für jeden Regierungsbezirk - und (1888) 226 Bezirkskomitees. Die
Gesamtzahl der Mitglieder belief sich (1888) auf 56467. Die nicht centralisierten Vereine sind fast ausschließlich Sondervereine.
In Sachsen wird die Verbindung der Lokalvereine untereinander und mit dem Ministerium des Innern durch 5 Kreisvereine
vermittelt, deren Ausschüsse durch die Vorstände aller zugehörigen Lokalvereine gebildet werden.
Ein gemeinschaftliches Zusammenwirken und Handeln der Kreisvereine wird durch das Institut der Direktorialkonferenzen ermöglicht,
das sich aus den Kreisvereinsvorständen sowie dem Vorsitzenden und Generalsekretär des Landeskulturrats
zusammensetzt. Der LandwirtschaftlicheVerein von Württemberg
[* 26] gliedert sich in 12 Gauverbände mit 64 Bezirksvereinen. Jeder
Gau entsendet einen Vertreter in die Centralstelle für die Landwirtschaft. Der 1819 gegründete badische LandwirtschaftlicheVerein zerfällt in 67 Bezirksvereine, von denen je 4-10 zu einem Gauverbande gruppiert sind.
Das Präsidium und der Centralausschuß bilden die Centralstelle. In Hessen
[* 27] stehen über dem Bezirksverein 3 Provinzialvereine.
In Oldenburg,
[* 28] Braunschweig
[* 29] und Mecklenburg
[* 30] sind hingegen sämtliche Lokalvereine zu einem einzigen Centralverein verbunden,
während in Sachsen-Weimar wiederum die 5 den Verwaltungsbezirken entsprechenden Hauptvereine die Verbindung vermitteln zwischen
den Lokalvereinen, aus deren Vorständen sie sich zusammensetzen, und der aus den Vorständen der Hauptvereine
bestehenden Centralstelle.
Die Gesamtzahl der Mitglieder aller landwirtschaftliche Vereine in Deutschland wird mit 300000 wohl noch unterschätzt. Die innere Verfassung der
Centralvereine zeigt bei aller sonstigen Verschiedenheit gewisse gemeinsame Grundzüge. Dem verschiedenartig gebildeten Vorstande
ist überall ein Generalsekretär als ständiger Geschäftsführer beigegeben. Die eigentliche Vereinsversammlung stellt
ein Ausschuß von Delegierten der Sondervereine dar. Nur diese Delegierten haben Stimmrecht in
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