aller dieser Ursachen hat die gesamte Arbeiterbevölkerung des Ostens in Unruhe und Bewegung gesetzt; es fehlt an einheimischem
Arbeiternachwuchs derart, daß die Stellen der Hofgänger schlechterdings vielfach nicht mehr zu besetzen sind; eine unerhört
starke Abwanderung nach den Industriegebieten, den Städten und dem Auslande hat Platz gegriffen, und in die
Lücken rückt eine sehr tief stehende Arbeiterschaft aus Polen und Rußland ein. Von 1885 bis 1890 hat das ostelbische Deutschland
(außer Berlin und dem Reg.-Bez. Potsdam) 639000 Köpfe durch Wanderungen eingebüßt. Die Heilung der schweren Schäden, welche
dadurch für die Landwirtschaft des Ostens erwachsen, und die Abwendung der mit jener Entvölkerung des
Ostens verknüpften kulturellen und polit. Gefahren kann nur in einer tiefgreifenden socialen Reform gefunden werden. Dieselbe
ist in Preußen mit der seit 1891 begonnenen innern Kolonisation (s. d.) bereits in Angriff genommen worden.
Über die reichsgesetzliche Versicherung der s. Arbeiterversicherung.
Litteratur. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland.
Schriften des Vereins für Socialpolitik,
Bd. 53-55 (Lpz. 1892); Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preuß. Staat (Jena 1893).
Bauten, Baulichkeiten, welche zum Betriebe der verschiedenen Zweige der Landwirtschaft nötig sind.
Alle Gebäude eines landwirtschaftlichen Betriebes bilden zusammen den Wirtschaftshof (Guts-, Bauernhof). Die Baulichkeiten
müssen um einen geräumigen Hof mit der Düngerstätte (s. d.) gruppiert werden, die Wohn- und Stallgebäude
an der vor dem Wetter geschützten Seite, die Scheunen in gesonderter Anlage (wegen Feuersgefahr), alle Bauten mit bequemem
Zugang vom Hof, dieser mit guter Verbindung nach außen.
Die niederdeutschen und alamann. Bauerngüter verzichten auf den Hof (s. Bauernhaus) und verlegen die Wirtschaft
zum großen Teil in die im Haus befindliche Diele. Das rhein., fränk., thüring., schles.
Bauerngut zeigt dagegen meist in drei Gruppen die Hauptarten der landwirtschaftliche Bauten um einen Hof vereint: das Bauernhaus, den Stall (s. d.)
und die Scheunen (s. d.). Bei großen Wirtschaftshöfen teilen sich die
Gruppen weiter, die Ställe nach den Vieharten, die Scheunen nach den Produkten; Schmieden, Wasch- und Backhäuser, Brauereien,
Brennereien, Molkereien, Eiskeller kommen außerdem noch dazu. -
Vgl. Bouchard-Huzard, Traité des constructions rurales et
de leur disposition (2. Aufl., Par. 1869);
von Tiedemann, Landwirtschaftliches Bauwesen (2. Aufl., Halle 1891);
Schubert, Taschenbuch
der landwirtschaftlichen Baukunde (Weim. 1893);
Issel und Finter, Der Baumeister auf dem Lande und in kleinen
Städten, 1. Sammlung (Lpz. 1893);
F. Engel, Handbuch des landwirtschaftlichen Bauwesens (7. Aufl., Berl.
1885).
Berufsgenossenschaften, die Berufsgenossenschaften zum Zweck der Unfallversicherung land- und forstwirtschaftlicher
Arbeiter im Deutschen Reiche (s. Berufsgenossenschaft).
Sie sind durch Gesetz vom errichtet und
bestehen zum Teil unter dem Namen landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften, wie in Preußen (außer der pommerschen), Württemberg, Sachsen-Weimar, Braunschweig,
Sachsen-Meiningen und -Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen, im Elsaß und in den Freien und Hansestädten, zum Teil unter dem
Namen Land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaften (s. d.).
Genossenschaften, Vereinigungen von selbständigen Landwirten zur Erreichung gemeinsamer Ziele,
hauptsächlich zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der kleinern und mittlern Besitzer gegenüber dem Großgrundbesitz. In
gewissen Richtungen bedient sich der Staat genossenschaftlicher Organisationen, um durch sie Zwecke von hervorragender gemeinwirtschaftlicher
Bedeutung zu fördern; das gilt von den öffentlichen Wald-, Wasser-, Fischerei- und Deichgenossenschaften.
Die letztern sind uralte Bildungen. Die größere Zahl der landwirtschaftliche Genossenschaften sind jedoch freie Privatgenossenschaften
und jüngern Ursprungs. Dabei sind zu unterscheiden die Produktiv-, die An- und Verkaufs- und die Kreditgenossenschaften.
Produktivgenossenschaften, welche die gesamte Kapital- und Arbeitskraft ihrer Mitglieder zu einem Großbetrieb
vereinigen (General-Produktivgenossenschaften), kommen außerordentlich selten vor. Dagegen sind solche (Special- oder Ergänzungs-)
Produktivgenossenschaften weit verbreitet, welche den Mitgliedern die einzelnen Vorteile zugänglich machen wollen, die der
landwirtschaftliche Groß- vor dem Kleinbetriebe bietet. Dahin gehören z. B. Maschinengenossenschaften, wie die noch nicht
häufig genug vorkommenden Dampfdreschgenossenschaften, die (teilweise staatlich subventionierten) Zuchttier- und
sonstigen Viehzuchtgenossenschaften, mit denen sich hier und da Versicherungseinrichtungen verbinden; dahin gehören ferner
solche Produktivgenossenschaften, welche zugleich Absatzgenossenschaften sind, vor allem die neuerdings zu hoher Entwicklung
gelangten Molkereigenossenschaften, die Mühlen-, Winzer- und Tabakbaugenossenschaften des westl.
Deutschlands, die vereinzelt vorhandenen Brennerei- und Zucker-Produktivgenossenschaften.
Die reinen An- und Verkaufsgenossenschaften wollen die Landwirte unabhängig machen von der vielfach höchst
kostspieligen oder zu wucherischen Zwecken mißbrauchten Vermittelung der Zwischenhändler und ihren Mitgliedern die Vorteile
des Großhandels zuwenden, ein Bestreben, welches durch die Entwicklung des modernen Verkehrswesens wesentlich erleichtert und
gefördert worden ist. Die Verkaufsgenossenschaften bringen die landwirtschaftlichen Produkte ihrer Mitglieder, namentlich
Vieh, möglichst vorteilhaft auf den Markt; sie sind in Süd- und Westdeutschland (Hessen und Oldenburg)
stark verbreitet, fehlen aber fast ganz im Osten.
Die Ankaufsgenossenschaften, soweit sie nicht allgemeine Konsumvereine (s. d.) sind, wollen den Bedarf der Genossen an landwirtschaftlichen
Betriebsmitteln aller Art (Saatgut, künstliche Düngemittel, Geräte u. s. w.) durch wohlfeile Waren von guter Beschaffenheit
befriedigen. Einzelne von diesen Einkaufsgenossenschaften kontrollieren zugleich ihre Mitglieder hinsichtlich der Verwendung
des Saatkorns, der Düngemittel u. s. w. im Betriebe. Teilweise haben die Landwirtschaftlichen Vereine (s. d.) und Bauernvereine
(s. d.) die Funktionen der letzterwähnten Genossenschaften übernommen.
Über landwirtschaftliche Kreditgenossenschaften s. Landwirtschaftlicher Kredit, Darlehnskassenvereine, Landschaften, Vorschuß- und Kreditvereine.
mehr
Die landwirtschaftliche Genossenschaften Deutschlands traten 1884 zu einer Vereinigung landwirtschaftliche Genossenschaften zusammen, die jährlich einen Vereinstag abhält. 1891 gab
es in Deutschland 4374 eingetragene landwirtschaftliche Genossenschaften; darunter befanden sich 2647 Kreditgenossenschaften, 703 Rohstoffgenossenschaften, 869 Molkereigenossenschaften, 150 sonstige
Genossenschaften. Über die gesetzliche Grundlage der Genossenschaften s. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften.
-
Vgl. Verhandlungen des Preußischen Landes-Ökonomiekollegiums vom betreffend die landwirtschaftliche Genossenschaften; Schönberg,
Die Landwirtschaft der Gegenwart und das Genossenschaftsprincip (Bresl. 1869);
Birnbaum, Genossenschaftsprincip in Anwendung
auf die Landwirtschaft (Lpz. 1870);
G. Malstedt, Die landwirtschaftliche Genossenschaften und deren Vereinigung zu Verbänden.
Ein Ratgeber bei Errichtung
landwirtschaftliche Genossenschaften (Oldenb. 1889; 2. Aufl.
1891); Schönberg, Handbuch der polit. Ökonomie, Bd. 2 (Tüb.
1891), S. 110 fg.; Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 4 (Jena 1892).