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sofort durch Druck- oder Saugpumpen weiter befördert werden, die sog. pneumatischen Systeme von Liernur und Shone. Bei letzterm kann der gesamte flüssige Unrat einer Stadt einschließlich der Fäkalien in einer Rohrleitung abgeführt werden, bei ersterm System ist eine getrennte Ableitung von Haus- und Regenwasser einerseits und der Fäkalien andererseits vorgesehen. Fast überall, wo das Liernursche Differenziersystem zur Anwendung gekommen ist (Amsterdam, [* 2] Leiden, [* 3] Prag, [* 4] Hanau, [* 5] Dordrecht), [* 6] ist nur der zweite Teil, die Entfernung der Fäkalien, zur Durchführung gelangt.
Das dabei verfolgte Princip ist: Absauguug der Fäkalien aus den
Abtritten eines größern Häuserkomplexes in auf Rädern
bewegliche Behälter aus
Blech (sog.
Tender) oder größere Reservoirs. Dies geschieht mittels eines luftdichten
eisernen Röhrennetzes, indem die Luft in diesem
Netz durch bewegliche
Luftpumpen
[* 7] oder Centralpumpstationen verdünnt wird.
System Shone ist nur da einzurichten, wo Druckluftanlagen bestehen. Bei demselben werden die
Abwässer einschließlich der
Fäkalien zunächst in Reservoirs (Ejektoren) gesammelt; bei einer gewissen Füllung dieser wird durch
Vermittelung eines Schwimmers auf automatischem Wege Druckluft eingeleitet und dadurch der
Inhalt in die eisernen Rohrleitungen
gedrückt, von wo er weiter befördert werden kann. Das
System ist angewendet in Rangun.
[* 8]
Soll in einer Stadt eine Kanal
isation eingerichtet
werden, so muß die Menge
Regen- und Brauchwasser genau festgestellt werden, um hiernach die Querschnitte
der
Kanäle bemessen zu können.
Annahmen über Brauchwassermengen:
_
Einwohner auf | ||||
---|---|---|---|---|
Stadt | 1 ha | Liter | ||
Liter | Hektar | |||
pro Kopf | und | |||
u. Tag | jetzt | künftig | Sekunde | |
Berlin | 127 | 200–500 | 800 | 1,54 |
Danzig | 90 | 480 | 530 | 0,83 |
Dortmund | 135 | 70 | 95 | 0,22 |
Königsberg | 150 | 550 | 760 | 2,00 |
Mannheim | 160 | 300 | 400 | 1,00 |
München | 150 | 55–470 | 80–700 | 0,2–1,8 |
Wiesbaden | 100 | – | 400 | 0,65 |
Wien | – | – | – | 0,70 |
Die oft bedeutenden Unterschiede haben ihren Grund in den besondern, namentlich den gewerblichen Verhältnissen der Städte.
Annahmen über Regenwassermengen
(Liter pro Hektar und Sekunde):
_
Stadt | Regenmenge | Abflußmenge |
Berlin | 64 | 21,2 |
Braunschweig | 58 | 29 |
Chemnitz | 70 | 17–50 |
Danzig | 36 | 18 |
In England | 70 | 35 |
Karlsruhe | 36 | 18 |
München | 45 | 9–22 |
Paris | 125 | 42 |
Wien | 70 | 27 |
Die Kanäle müssen für das Maximum des Brauchwassers berechnet werden. Am Tage des stärksten Verbrauchs hebt sich natürlich der Tagesdurchschnitt, ebenso während der 24 Stunden des Tages der Stundendurchschnitt. Amerik. Ingenieure nehmen als Höchstwerte den 1 ½ fachen Tages- und den 1 ⅓ fachen Stundendurchschnitt an. In der Tabelle für die Regenwassermenge ist der Unterschied zwischen Regenmenge und Abflußmenge angegeben; einerseits wird ein Teil des Regens durch Verdunstung und Versickerung beseitigt, andererseits braucht auch das Maximalwasser, welches ein Wolkenbruck liefert, nicht sofort abgeführt zu werden, da die Kanäle meist nicht voll laufen und auf kurze Zeit als Reservoire dienen können.
In Anbetracht der gegenwärtigen Neigung in technischen und hygieinischen
Kreisen, alle Kanal
isationsanlagen so zu bauen,
daß jederzeit das Schwemmsystem eingeführt werden kann, haben in konstruktiver
Beziehung nur die
Details der Schwemmkanal
isation
allgemeineres Interesse, die in Folgendem erläutert sind. Für die Entwässerung eines Grundstückes (s.
Fig. 11
u. 12) sind folgende
Anlagen erforderlich: Das Abfallrohr der
Hausleitung nimmt die
Abgänge aus
den
Koch- und Waschküchen,
Klosetts, Badeeinrichtungen u. s. w. auf.
Alle diese Anlagen müssen mit Wasserverschlüssen (s. d.) und nötigenfalls mit Fetttöpfen versehen sein, damit einerseits die übelriechende Luft im Rohr nicht in die Wohnräume, andererseits Fettabgänge nicht in die Leitungen gelangen können. Die Fetttöpfe sind gewöhnlich in die Leitung eingeschaltete größere Behälter aus Gußeisen (s. Fig. 13) oder Steingut (s. Fig. 14, amerik. Fetttopf), welche mittels Ruhe und Abkühlung das Fett absondern. Eingehängte Eimer (s. Fig. 13) erleichtern das Herausnehmen des Fettes und der übrigen sich dort sammelnden Stoffe.
Die Fetttöpfe sind gleichzeitig Schlammfänge für schwerere Stoffe. Um der in das Rohr eintretenden Luft das Entweichen zu gestatten, muß das Abfallrohr bis über das Dach [* 9] geführt werden. Für die Abwässer aus Hof [* 10] und Garten [* 11] ist ein besonderer Schlammfang oder Gully [* 12] (s. d.) anzulegen. Die Regenrohre sind an ihren Enden mit Siphons (s. d.) zu versehen, welche Unreinigkeiten, wie Sand, von dem Eintritt in die Leitung abhalten. Alle diese Anlagen münden in die Hausleitung von 10 bis 16 cm Durchmesser, welche in die Inspektionsgrube führt; in dieser befindet sich der Rückstaukasten [* 13] (s. d.) zur Verhütung eines Rückstaues des Leitungswassers in die Hausleitungen. Sobald das Hauswasser die Inspektionsgrube verlassen hat, tritt es in die Straßenleitung. Entweder liegt ein einziger Kanal [* 14] in der Mitte der Straße (Hamburg, [* 15] s. Fig. 18 u. 19) oder zwei zu beiden Seiten (Berlin [* 16] [s. [* 1] Fig. 20 u. 21], Düsseldorf, [* 17] Mannheim, [* 18] Pest, Innsbruck, [* 19] Paris). [* 20]
Ein einziger Kanal hat den Vorzug geringerer Kosten und leichterer Reinhaltung des größern Profils, zwei Kanäle gewähren die Möglichkeit geringerer Längen und günstigerer Gefälle für die Hausanschlüsse und Straßeneinläufe, sind jedoch erst bei Straßen von über 30 m Breite [* 21] anzuwenden. Das Regenwasser der Straßen, welche dementsprechend mit Quer- und Längsgefälle versehen sein müssen, wird durch Einläufe (s. Gully) aufgenommen und in die Leitungen geführt. Für die kleinern Leitungen von 21 bis 48 cm Durchmesser werden kreisrunde, gebrannte und glasierte Thonröbren (s. Fig. 15: gerades Rohr, [* 1] Fig. 16: Gabelrohr, [* 1] Fig. 17: Krümmling) [* 22] angewendet, für ¶
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die großem gemauerte Kanäle oder solche von Beton mit Querschnitten verschiedener Form. Die Form der Kanäle ist abhängig von dem Unterschied des abzuführenden Minimal- und Maximalwasserquantums und der zur Verfügung stehenden Höhe und vom Gefälle. Ist ersterer Unterschied nicht sehr groß, so werden gewöhnlich ei-, kreis-, maul- oder tunnelförmige Profile gewählt (s. Fig. 5–8); ist er bedeutend, so wird die Sohle mit einer besondern Vertiefung versehen für den Abfluß des Minimalwassers, wodurch verhindert wird, daß das Minimalwasser die ganze Sohle verschlammt (s. Fig. 9). Die [* 23] Fig. 10 zeigt eine für das Trennungssystem bestimmte, in Budapest [* 24] ausgeführte Anordnung, bei welcher im obern Kanal das Regenwasser läuft.
Maßgebend für die Berechnung des Querschnitts sind das Wasserquantum, das Gefälle und der benetzte Umfang. Bei der Berechnung eines Leitungsnetzes beginnt man bei den sog. Schwanzenden, ermittelt nach den gemachten Annahmen die Wassermengen und berechnet den Querschnitt, indem man von den Schwanzenden bis zur Stelle, an welcher das Wasser ausgelassen wird, fortfährt und die Zuflüsse aus den Grundstücken und den übrigen einmündenden Kanälen mit in Rechnung zieht. Es wird also begonnen mit Thonröhren kleinster Dimensionen, die in gemauerte Profile immer größerer Höhe und schließlich in die meist in Tunnel- oder Kreisform hergestellten Hauptsammler übergehen.
Für die Revision und Reinigung der Leitungen dienen Einsteigschächte [* 25] (s. d.) und Lampenschächte [* 26] (s. d.). Die Lüftung der Leitungen erfolgt entweder durch Anschluß der Abfallrohre oder der Regenrohre der Hausleitungen an dieselben oder durch Öffnungen, welche in den Deckeln der Einsteigschächte vorgesehen sind. Wo es angeht, also bei Lage der Stadt an einem natürlichen Wasserrecipienten, bilden die sog. Notauslässe [* 27] (s. d.) ein wichtiges Entlastungsmittel der Kanäle bei plötzlichen Regenfällen.
Für die Reinigung der Leitungen ist die Anlage von Spülvorrichtungen (s. d.) erforderlich. Überhaupt muß bei Anlage einer
auf die Möglichkeit einer bequemen und sichern Reinigung im Betrieb in ausreichender Weise gesorgt werden. In Berlin
erfolgt die Spülung jeder einzelnen Thonrohrleitung etwa alle 12 Tage, das Begehen jedes einzelnen Kanal
stranges etwa alle 20 Tage,
das Durchziehen einer Bürste durch jede einzelne Leitung, je nach Beschaffenheit der in dieselben gelangenden Abwässer, etwa
alle 2-6 Jahre.
Besondere Konstruktionen erfordern die Stellen, an denen Kanäle verschiedenen Querschnitts zusammengeführt werden. Besonders große Abmessungen (dann Brunnenstuben genannt) erhalten diese Bauwerke, wenn sie große Kanäle vereinigen und Einsteigschächte haben. Ziemlich verwickelte Bauwerke sind bei Kreuzungen mit Wasserläufen, Gas- und Wasserleitungen und ältern vorhandenen Kanälen nötig. [* 23] Fig. 22 u. 23 stellt eine Kreuzung eines Notauslasses N mit einem Kanal K und einem Gasrohr G dar; N geht unter dem Kanal K und dem Gasrohr hinweg: E sind Einsteigschächte.
Hat das Kanalwasser das Ende der Kanäle erreicht, so kann es entweder direkt in den nächsten großen Wasserlauf eingelassen werden oder muß gesammelt und mittels Pumpen [* 28] in sog. Pumpstationen (s. d.) weiter befördert werden. Das erstere Verfahren ist aber nur da anwendbar, wo der Fluß entsprechend wasserreich ist und genügendes Gefälle besitzt. Andernfalls muß zur Vermeidung einer fühlbaren Flußverunreinigung (s. d.) der Kanal einer vorgängigen Reinigung entweder durch Kläranlage (s. Wasserreinigung) oder durch Rieselfelder (s. d.) unterzogen werden. Letztere sind vorzuziehen, weil sie eine ausgiebigere landwirtschaftliche Verwertung des Kanalwassers gestatten. Wo aber Areal für die Berieselung fehlt, sind die kostspieligen Kläranlagen nötig. Häufig werden am Ende der Kanalleitung sog. Fangbecken angelegt, in welchen die gröbern und schwimmenden Teile des Kanalinhalts abgefangen werden.
Kanalisationsanlagen gehören zu den kostspieligsten sanitären Einrichtungen der Neuzeit, weshalb viele kleinere Städte mit der Einrichtung derselben zögern. Die Statistik zeigt, daß der Gesundheitszustand und die mittlere Lebensdauer der Bevölkerung [* 29] einer Stadt sich um so günstiger gestaltet, je besser die Stadt kanalisiert wird und je mehr die Kanalisationsarbeiten fortschreiten. Fast alle größern Städte, namentlich Englands, können hier als Beweismaterial dienen. Um nur ein Beispiel anzuführen, so verminderte sich nach Buchanan infolge der sanitären Einrichtungen in 24 Städten Englands die Sterblichkeit von 24,7 auf 21,9 Promille; in London [* 30] sank sie von (1840–49) 25,1 Promille auf (1870–79) 23,0 Promille; in Danzig [* 31] von (1863–69) 36,85 auf (1872–76) 28,54. Manche Krankheiten, namentlich der Abdominaltyphus, haben mit den Fortschritten der Kanalisierung der Städte überhaupt aufgehört, so in München, [* 32] Danzig u. s. w.
Einen Begriff von den beträchtlichen Kosten einer Kanalisation giebt die Thatsache, daß die Baukosten der bis 1883 fertig gestellten fünf Kanalsysteme in Berlin, einschließlich der Druckrohrleitungen und Pumpstationen, aber ohne Rieselfelder, 35,62 Mill. M. betrugen. Für die Kanalisation Münchens sind bis Ende 1890 rund 7,3 Mill. M. verausgabt worden.
Folgende Tabelle, von Professor Baumeister zusammengestellt, giebt vergleichende Kosten ganzer Kanalisation ausschließlich der etwaigen Reinigungsanlagen und der privaten Hausanschlüsse.
Länge | Baukosten | Jahreskosten | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
der Kanäle | in | auf 1 Kopf | |||||
Stadt | in Meter | Mark | in Mark | ||||
Für | Für | Für | Für | Für | Kanal- | Pumpen- | |
1 Kopf | 1 ha | 1 Kopf | 1 m | 1 qm | betrieb | anlage | |
Augsburg | 0,70 | 180 | 35 | 50 | 0,9 | – | – |
Berlin | 0,70 | 210 | 48 | 68 | 1,4 | 0,26 | 0,41 |
Breslau | 0,40 | 130 | 20 | 50 | 0,7 | 0,14 | 0,13 |
Danzig | 0,50 | 80 | 25 | 50 | 0,4 | – | – |
Frankfurt | 0,90 | 160 | 63 | 70 | 1,1 | 0,18 | – |
Hamburg | 0,50 | 67 | 38 | 75 | 0,5 | 0,30 | – |
München | 0,75 | 150 | 50 | 67 | 1,0 | 0,70 | – |
London | 0,85 | 140 | 68 | 80 | 1,1 | 0,70 | 0,30 |
Liverpool | 0,75 | 190 | 67 | 90 | 1,7 | 0,40 | – |
Paris | 0,30 | 90 | 40 | 134 | 1,2 | 0,60 | 0,30 |
Litteratur. Wiebe, Die Reinigung und Entwässerung von Danzig (Berl. 1865);
Bericht der Kommission für Wasserversorgung, und Abfuhr in München (von 1874 an);
Lindley, Das Schwemmsielsystem in Frankfurt [* 33] a. M. (Frankf. 1878);
Kaftan, Die systematische Reinigung und Entwässerung der Städte (Wien [* 34] 1880);
Pettenkofer, Vorträge über und Abfuhr (Münch. 1880);
Gerhard, Anlagen von ¶