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Durch die letzten Meister des 16. Jahrh. waren die Grenzen [* 2] und Gesetze der Skulptur schon mehr und mehr, oft über das Gebührliche erweitert worden. Die ital. Bildhauer des 17. Jahrh. überschritten vollends das Maß des rein Plastischen. Bei der in der Zeit liegenden Vorliebe für starke Wirkungen strebten sie einen malerischen Stil an, der fortan sowohl die kirchliche wie die Profanskulptur beherrschte. Derselbe äußert sich in stark manirierter Auffassung, übertriebenen Stellungen, geziertem Ausdruck, schlaffen, aufgedunsenen Formen, bauschigen und knitterigen Gewändern, reichem Zierat, hat aber als Gegengewicht einen hoch gespannten Schwung in der Erfindung, eine prächtige Wirkung des Umrisses und ungewöhnliche Fertigkeit in der Behandlung.
Die Hauptvertreter dieses Stils waren Alessandro Algardi (s. d.) und Lorenzo Bernini (s. d.). Von beiden finden sich in Rom [* 3] berühmte Werke, unter welchen für Algardi das Marmorrelief der Umkehr Attilas in der Peterskirche, für Bernini die Gruppe der heil. Teresa in Sta. Maria della Vittoria am bezeichnendsten sind. Stefano Madernos heil. Cäcilia in der Kirche dieser Heiligen zu Rom und Duquesnoys heil. Andreas in St. Peter ebendaselbst können als Beispiele der bessern Kunstleistungen jener Zeit gelten, während die einst vielbewunderten Marmorstatuen in der kleinen Kirche Sta. Maria della Pietà de' Sangri zu Neapel [* 4] von Sammartino, Conradini und Queirolo ihren Hauptwert in der technischen Virtuosität suchen und den Ausgang der Berninischen Richtung um die Mitte des 18. Jahrh. zeigen. Um dieselbe Zeit lag in Rom wie in Florenz [* 5] die Bildnerei gänzlich danieder. Dann begann eine Reaktion infolge der Einwirkung größern Verständnisses der Antike. Antonio Canova (s. Taf. V, [* 1] Fig. 7) ist der erste, der in seinen Werken einen strengern Ton des Klassicismus anschlug.
Die neuere ital. Skulptur hat zwei Hauptschulen, die Canovasche, die sich von Rom aus über die ganze Halbinsel verbreitete, und die Thorwaldsensche. Zu ersterer gehören, mit größerer oder geringerer Eigentümlichkeit, Baruzzi von Imola, Finelli aus Carrara, die Römer [* 6] Tadolini und Finelli, zu letzterer vor allen der Carrarese Pietro Tenerani (gest. 1869), der Begründer einer zahlreichen Schule. Unabhängiger, obgleich nicht frei von Canovaschem Einfluß, ist der Toscaner Lorenzo Bartolini (gest. 1850), der das ernsteste Naturstudium mit dem der Antike vereinigte.
Der Mailänder Pompeo Marchesi (gest. 1858), ein Schüler Canovas, der viele kolossale Porträt- und Dekorationsstatuen geliefert hat, machte sich durch seine figurenreiche Gruppe der Pietà in San Carlo in Mailand [* 7] am bekanntesten. Zu den talentvollsten Bildhauern neuester Zeit sind zu zählen die Lombarden Tantardini (gest. 1879), Vela (gest. 1891), der Hauptvertreter der romantischen Richtung in der nordital. Kunst, Tabacchi (geb. 1831), der in anmutigen, koketten weiblichen Gestalten arbeitet, Monteverde (geb. 1837), ausgezeichnet durch die realistische Wahrheit seiner Werke, Marochetti (gest. 1868), dessen Hauptwerke die Reiterstatuen Emanuel Philiberts in Turin, [* 8] Richard Löwenherz' in London [* 9] und Wellingtons in Glasgow [* 10] sind, Francesco Barzaghi (gest. 1892), der Sienese Dupré (gest. 1882), berühmt durch seine Pietà und das Cavourdenkmal in Turin (s. Taf. V, [* 1] Fig. 6), die Florentiner [* 11] P. Fedi (gest. 1892), der Schöpfer der prächtigen dramat. Gruppe: Raub der Polyxena (s. Taf. V, [* 1] Fig. 8), Zocchi (geb. 1835) und Salvatore Albano (geb. 1841). In der Porträtbildnerei waren mit Erfolg thätig: Balzico (geb. 1825), Zannoni (geb. 1836), Odoardo Fantacchiotti (s. Taf. V, [* 1] Fig. 9), Ettore Ferrari (geb. 1849), Ercole Rosa (gest. 1893), welch letzterer das großartige Viktor Emanuel-Denkmal für Mailand unvollendet hinterlassen hat.
Der immer stärker eindringende Naturalismus, welchem röm. Bildhauer nur teilweise Widerstand leisteten, brachte in die monumentale Skulptur neue Anregungen, die namentlich bei den zahlreichen großartigen Grabbildwerken, später auch bei den in außerordentlicher Zahl errichteten Denkmälern kräftig hervortraten. Nicht ohne Einfluß blieb hierauf die Genreplastik, welche namentlich in Unteritalien (Marsili, Barbella) in Bronze [* 12] und Terracotta tüchtige Werke voller Leben hervorbrachte. Zur Zeit gehören die ital. Bildhauer zu den fortgeschrittensten Anhängern des Realismus (Verismus).
Vgl. außer den obengenannten Werken insbesondere: Cicognara, Storia della scultura in Italia (3 Bde., Vened. 1813-18);
Lübke, Geschichte der Plastik (3. Aufl., Lpz. 1880);
Grunow, Plastische [* 13] Ornamente [* 14] der ital. Renaissance (Berl. 1883);
Bode, Ital. Bildhauer der Renaissance (ebd. 1887);
Friedr. Bruckmann, Denkmäler der Renaissanceskulptur Toscanas (Text von Bode, Münch. 1892 fg.).
III. Malerei. Die ital. Malerei beginnt, wie die Bildnerei, zu Ende des vorigen Jahrtausends sich aus der altchristlichen zu entwickeln. Noch herrscht eine Starrheit, Leblosigkeit und Härte der Gestalten und des Ausdrucks vor, welche um so auffälliger erscheint, als der früher übliche Prunk und der Putz der Gewandung beibehalten wird. Im 11. Jahrh. ließ der Abt von Montecassino zur Wiederbelebung des vergessenen Kunstzweigs der Mosaikmalerei Künstler aus Byzanz kommen, welche außerdem auch in Venedig, [* 15] Salerno, Palermo [* 16] (Cappella Palatina) und Monreale eine reiche Wirksamkeit entfalteten.
Von Montecassino ging dann wieder ein belebender Einfluß namentlich auf Rom aus, und seitdem kam die Mosaikmalerei abermals in Aufnahme. Die Mosaiken im Baptisterium zu Florenz aus dem 13. Jahrh. von einem Klosterbruder Jacopo und später von Andrea Tafi sind das glänzendste Beispiel dieser Nachblüte der Mosaikmalerei. Den weitern Anfang der Besserung und den zunächst nur leisen Versuch des selbständigen Schaffens trifft man gegen Ende des 13. Jahrh. bei Cimabue (s. d.) und dem Sienesen Duccio (s. d.) di Buoninsegna an. Sie beginnen die einzelnen Gestalten und die Köpfe zu beleben, auch durch hellere Farben ihre Gemälde anmutiger zu schaffen; in der Komposition halten sie noch an dem überlieferten mittelalterlichen Stil fest.
Cimabues angeblicher Schüler, Giotto di Bondone (s. d. und Taf. VI, [* 1] Fig. 1), ging entschieden von dieser Darstellungsweise ab und wurde der Begründer der ital. Malerei. Er erweiterte den vorgeschriebenen Kreis [* 17] der Kunstaufgaben durch viele neue Beziehungen und bediente sich anstatt der herkömmlichen, von der Kirche geheiligten Formen einer eigenen, schon realistischern Ausdrucksweise. Dabei vereinigt sich in seiner Kunst eine reichliche Anwendung der Allegorie mit den Anfängen histor. Darstellung und der Benutzung des Porträts. Zugleich änderte er die Technik: durch die Mischung der Farben mit Eigelb und Pergamentleim (die sog. Tempera-Malerei) bekamen seine Tafelbilder ein ¶
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weit helleres, freundlicheres Ansehen als die ältern, bei welchen man für das Farbenmischen ein zähes Bindemittel gebrauchte, das meist nachgedunkelt ist. Giottos Wirksamkeit erstreckte sich nicht allein auf Florenz, sondern über ganz Italien. [* 19] Sein Einfluß auf seine Zeitgenossen war ein durchgreifender; alle Maler des 14. Jahrh. sind von seinem Stil und seiner Art zu schildern mit fortgerissen. Fortan entwickelte jeder einzelne seine Malweise mit größerer Selbständigkeit.
Zugleich bildete sich an Stelle der bisher allein und allgemein gangbaren, nach ältern Vorbildern arbeitenden Malerei eine solche in verschiedenen Malerschulen. Giottos Hauptschüler war Taddeo Gaddi (s. d.); von den vielen, die in Giottos Weise arbeiteten, sind zu nennen Orcagna, der unbekannte Verfertiger der zwei berühmten Fresken des Campo santo zu Pisa [* 20] (der Triumph des Todes und das Weltgericht), Agnolo Gaddi, Spinello Aretino und Lorenzo Monaco, [* 21] der ins 15. Jahrh. hinüberreicht und als der letzte bedeutende Giottist gelten kann.
Das 15. Jahrh. läßt in der ital. Malerei eine neue Wendung eintreten, in welcher man die Formen naturgemäßer durchzubilden und die Darstellungsmittel geläufiger zu machen suchte. Die ersten Schritte hierzu geschahen in Florenz durch Paolo Uccello. Viel weiter gingen sodann drei höchst begabte Künstler: Masaccio (s. Taf. VI, [* 18] Fig. 4), der durch mehr körperliche Auffassung und stärkere Schattengebung den Gegenständen bessere Rundung erteilte und die Kunst der Gruppierung aufs entschiedenste förderte, Fra Filippo Lippi (s. d.), welcher die Erscheinungen des Lebens bereits mit der Absicht auf Wahrheit darstellte, und Fra Angelico da Fiesole (s. Taf. VI, [* 18] Fig. 2), der hauptsächlich die geistige Bedeutung der menschlichen Gesichtsform zu veranschaulichen strebte.
Das in Fiesoles Werk hervortretende innige religiöse Gefühl findet man auch bei seinen Zeitgenossen Gentile da Fabriano (s. d.), bei dem Sienesen Taddeo di Bartoli und bei den Malern der umbrischen Schule, besonders bei Niccolò Alunno (s. d.) stark ausgeprägt. Außer diesen spiritualistischen Bestrebungen einzelner Künstler geht die allgemeine Richtung der Malerei viel mehr auf genaueres Erfassen der Natur und auf leichteres Handhaben der Kunst, wozu man vorzüglich durch die Bekanntschaft mit flandr.
Bildern und der von Antonello da Messina ausgebildeten, aber wohl nicht, wie man bisher meinte, von ihm aus den Niederlanden nach Italien gebrachten Ölmalerei angetrieben wurde. Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosselli und Alessio Baldovinetti huldigten mehr oder weniger dieser Richtung. Vor allem aber zeigen die Werke von Benozzo Gozzoli und Domenico Ghirlandajo die freieste, reichste und höchste Ausbildung des unbefangenen florentin. Realismus, der mehr und mehr die ideale, kirchliche und histor. Bedeutung des Gegenstandes aus den Augen verlor und das wirkliche Leben seines Landes und seiner Zeit in treuer Schilderung dafür eintauschte.
Während die ebengenannten florentin. Maler vornehmlich durch Porträt- und Kostümfiguren ihre Darstellungen aus der heiligen Geschichte bereicherten, und auch die Landschaft sich bei ihnen geltend machte, richteten andere ihr Hauptaugenmerk auf das Studium des Nackten und der Anatomie, wobei sie freilich zum Teil in Härte und Trockenheit verfielen. Dahin gehören zunächst Andrea del Castagno, Antonio Pollajuolo und Andrea del Verrocchio, sodann Luca Signorelli (s. Taf. VII, [* 18] Fig. 2), der sich auf dieser Bahn am freiesten und glücklichsten bewegte.
Einige Künstler fingen an, auf das klassische Altertum zurückzugehen und sich hier nach Mustern eines strengen und hohen Geschmacks umzusehen. Francesco Squarcione aus Padua [* 22] hatte von seinen Reisen in Griechenland [* 23] und Italien eine große Anzahl Antiken heimgebracht, womit er in seiner Vaterstadt eine Studienanstalt eröffnete, die sich bald eines zahlreichen Besuchs von Schülern erfreute. Der ausgezeichnetste Künstler, welcher aus dieser Schule hervorging, Andrea Mantegna (s. d.), studierte mit größtem Eifer Anatomie, Perspektive, Gewandung, Trachten und Baulichkeiten des Altertums. Seine Werke, in welchen sich ein deutliches Streben nach Wiedergabe des Natureindruckes und histor. Treue kundgiebt, übten weithin einen bedeutenden Einfluß. Giovanni Bellini (s. Taf. VI, [* 18] Fig. 3) von Venedig, Pietro Perugino (s. Taf. VII, [* 18] Fig. 5), der Hauptmeister der umbrischen Schule, und Francesco Francia bilden unter den Quattrocentisten eine eigentümliche Gruppe; sie zeigen sich verwandt durch die schlichte Anmut und Holdseligkeit ihrer Darstellungsweise. Mit diesen Meistern, nebst ihren gleichzeitigen Anhängern Cima da Conegliano, Carpaccio, Pinturicchio, schließt die zweite selbständige Kunstepoche der ital. Malerei.
Wieweit aber auch diese Maler der Schulen von Toscana, Umbrien, Bologna, Ferrara, [* 24] Padua und Venedig die Kunst beim Ablaufe dieses Zeitraums, um den Beginn des 16. Jahrh., gebracht haben, so fehlte ihr doch noch manches zu einer vollkommenen Darstellung. Diese letzte Vollendung bewerkstelligten vorzüglich sechs Meister, welche die größten Namen in der Malerei führen (Cinquecentisten). Voran steht Leonardo da Vinci (s. Taf. VII, [* 18] Fig. 1 und die Tafel: Das heilige Abendmahl, beim Artikel Leonardo da Vinci), der am frühesten zu einer höhern Anmut und Weichheit der Zeichnung gelangte.
Die höchste Freiheit der Bewegung in den Linien erhielt die Malerei durch Michelangelo (s. d. und Taf. VII, [* 18] Fig. 3), der mit dem Bau des menschlichen Körpers innigst vertraut war. Die vielseitigen Naturstudien der Florentiner, welche in Leonardo und Michelangelo ihre höchste Ausbildung erreicht hatten, die naive, innige und fromme Auffassung der kirchlichen Aufgaben, wie sie sich am reinsten in Perugino, Bellini und Francia dargestellt hatten, liefen in Raffael (s. die Tafel: Sixtinische Madonna, beim Artikel Raffael) gleichsam in eine Spitze zusammen und kamen bei diesem zur schönsten und anmutigsten Ausgestaltung.
Die Zeit, in welcher Raffael und Michelangelo wetteifernd in Rom wirkten (1508-20), bezeichnet den Höhepunkt der I. K. Correggio (s. d. und Taf. VII, [* 18] Fig. 9), mit einer seltenen Empfänglichkeit für die Wirkungen des Lichts und der Farben bis in ihre zartesten Abstufungen begabt, steigerte die Behandlung des Helldunkels zu höchster Entwicklung, erreichte in der Malerei des Nackten eine wunderbare Weichheit und im Auftrag der Farben einen manchmal freilich schon von Manier nicht freien Schmelz. In Venedig war es Giorgione (s. d.), welcher zuerst in der Auffassung einen größern, lebendigen Charakter und Ausdruck, in der Behandlung einen breiten, markigen Vortrag und eine leuchtende, harmonische Färbung aufbrachte. Bei dessen frühem Tode blieb es Tizian (s. die Tafel beim Artikel Tizian) vorbehalten, die herbe Glut in Giorgiones Bildern zu ¶