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Gefahren schützen und andererseits die Entwicklung einer größern gesunden Kraft [* 2] in der Bevölkerung [* 3] fördern können. Die Gesamtheit der hierauf bezüglichen Bestimmungen, Maßregeln und Anstalten der Verwaltung bilden das öffentliche Gesundheitswesen.
Die Wahrnehmung der Interessen und Aufgaben, welche die öffentliche Hygieine verfolgt, liegt indes nicht allein in den Händen der Behörden, als Organen der Verwaltung, zunächst in denjenigen der Gesundheits- oder Sanitätsbeamten; vielmehr wird nur dort das öffentliche Gesundheitswesen erfolgreich gefördert, wo sich größere Kreise [* 4] der Bevölkerung selbst der Sache annehmen und mit Rat und That den gemeingefährlichen Zuständen entgegentreten. Schon seit mehrern Jahrzehnten geht in dieser Beziehung das engl. Volk andern als nachahmungswertes Beispiel voran. In neuerer Zeit begann auch in Deutschland [* 5] eine Bewegung in gleichem Sinne.
Obgleich man nun für die praktische Pflege des öffentlichen Gesundheitswesens die Beteiligung größerer Bevölkerungskreise fördern muß, so wird doch die Wissenschaft der öffentlichen Hygieine immerhin als ein Teil der wissenschaftlichen Heilkunde zu betrachten sein. Denn schon die Erörterung über die Entstehung, Wirkung und Vorbeugung der Krankheitsursachen, welche die Aufgabe der medizinischen Ätiologie ist und auf deren Ergebnissen die öffentliche Hygieine fußt, kennzeichnet letztere als Teil der Medizin.
Auch ist die medizinische Statistik, mit deren Hilfe man solche Erörterungen im großen anstellt, zugleich Vorbedingung und Kontrolle für das praktische Sanitätswesen. Dagegen wird sich immer in der Praxis der öffentlichen Hygieine mehrfach die Beihilfe der Technik, wie der Chemie, Baukunst [* 6] u. s. w., nötig machen. Dieser Gesichtspunkt kam insbesondere auf der 1876 zu Brüssel [* 7] veranstalteten internationalen Ausstellung und Zusammenkunft (Kongreß) für Hygieine, in noch höherm Grade auf der Hygieineausstellung zu Berlin [* 8] (1883) sowie in den Verhandlungen des alljährlich zusammentretenden Deutschen Vereins für Hygieine zur Geltung.
Den Anfang einer selbständigen Organisation des öffentlichen Gesundheitswesens bezeichnet die Einführung der amtlich bestellten Ortsärzte, die man auch Physici nennt. Dann wurde in Deutschland die Verwaltung der Hygieine mit Beginn des 18. Jahrh. einem eigenen, aus wissenschaftlich gebildeten Ärzten zusammengesetzten Körper, dem Collegium medicinum oder Collegium sanitatis, übergeben. Im 19. Jahrh. nahm diesen Organismus das Ministerialsystem in sich auf, wobei die Kollegien die Stellung als beratende und Oberaufsicht führende Organe des Ministeriums des Innern erhielten.
Durch Berufung von Fachmännern für die höchsten Stellen wurden gleichzeitig die Anforderungen der Wissenschaft gesichert. Erst in neuer Zeit gestattete man dem Heilpersonal in einigen Staaten Deutschlands [* 9] (Sachsen, [* 10] Braunschweig, [* 11] Bayern [* 12] und Baden) [* 13] eine mitberatende Beteiligung. In Preußen [* 14] ist dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten eine «wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen» nach der Instruktion von 1817 beigegeben, während als Mittelbehörden unter dem Oberpräsidenten jeder Provinz Medizinalkollegien, bei jeder Regierung Medizinalräte fungieren; die örtliche Verwaltung des Sanitätswesens ist dem Landrate zugeordnet in Kreismedizinalbeamten: Kreisphysikus, Kreiswundarzt, Kreistierarzt.
Auch sind neuerdings die gewählten Ärztekammern befugt, im Interesse der öffentlichen Hygieine Vorstellungen und Anträge an die Staatsbehörden zu richten. Im Deutschen Reich erhielt 1876 durch Einsetzung eines «Kaiserlich Deutschen Gesundheitsamtes» das öffentliche Gesundheitswesen die bis dahin fehlende Spitze. (S. Gesundheitsamt.) In neuerer Zeit wurden auch von vielen Stadtgemeinden Deutschlands Gesundheitsämter errichtet mit der Aufgabe, den Behörden Maßregeln zu hygieinischen Verbesserungen vorzuschlagen. Ein Hygieinemuseum besteht seit 1886 in Berlin.
In Österreich [* 15] wurde erst 1870 ein Gesetz über die Organisation des Sanitätswesens erlassen, das die Oberaufsicht der Staatsverwaltung über das letztere und den Wirkungskreis der Gemeinden im Gesundheitswesen genau regelt; landesfürstl. Bezirksärzte sind den Bezirkshauptleuten als staatliche Sanitätsbeamte beigegeben; bei jeder polit. Landesbehörde ist ein Medizinalkollegium als beratendes und begutachtendes Organ für die Sanitätsangelegenheiten eingesetzt, und beim Ministerium des Innern funktioniert ein Obermedizinalkollegium sowie außerdem ein Arzt als Sanitätsreferent. - In Italien [* 16] existieren nach Gesetz von 1865 ein Obersanitätsrat unter dem Ministerium des Innern, in jeder Provinz ein Sanitätsrat, in jedem Kreise ein solcher und in den Gemeinden Sanitätskommissionen.
Diese Organisation schließt sich in vieler Beziehung der in Frankreich an, wo ein Comité consultatif d'hygiène publique aus Ärzten, Technikern und Beamten dem Ministerium beratend ohne alle Initiative beisteht, während als Mittelbehörden in den Departements Conseils et comitès d'hygiène publique auf Verlangen der Präfekten Gutachten abgeben und jede Gemeinde das Recht hat, eine Commission des logements insalubres einzurichten, was freilich noch wenig geschehen ist. Über die Hygieine in England s. Health-Acts. - In den Vereinigten Staaten [* 17] von Amerika [* 18] giebt es keine gemeinsame Organisation des Gesundheitswesens; vielmehr ist es jedem Staate überlassen, sich eine solche zu schaffen. So versah sich denn erst 1866 Neuyork [* 19] mit einer Gesundheitsakte.
Bei den namentlich in neuerer Zeit gemachten mannigfachen Versuchen, äußerlich eine Scheidung der Sanitätspolizei (Schutzsystem) von der Hygieine (System der Förderung) ins Werk zu setzen, sah man bald, wie wenig praktisch solches Unternehmen ist. Beide Principien durchdringen sich in jedem Punkte. Die Aufgaben, mit welchen sich beide gemeinschaftlich beschäftigen, sind etwa folgende: Das Seuchenwesen umfaßt die Bestimmungen zum Schutze der allgemeinen Gesundheit gegen ansteckende Krankheiten, gegen Epidemien und Endemien.
Gegen die Verbreitung der Ansteckungsstoffe (Kontagien) ging man zuerst nur durch Absperrung vor und traf hierzu Maßregeln, wie Häuser- und Zimmersperre, Quarantäne und Cordon. Allein diese vorkehrenden Maßregeln rein polizeilicher Natur wurden bald von den höhern Aufgaben der öffentlichen Hygieine in den Hintergrund gedrängt, die darin bestehen, daß man die ansteckenden Krankheiten in ihren Ursachen und Wirkungen bekämpft und somit ihr Entstehen überhaupt möglichst zu verhüten sucht. Jetzt haben die neuesten Choleraepidemien in Europa [* 20] die Maßregeln zur Verhütung der Verschleppung der Krankheitskeime, insbesondere durch Beschränkung des Verkehrs, wieder mehr in den Vordergrund gedrängt und dadurch vielfach schwere wirtschaftliche ¶
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Schädigungen verursacht. Bei der Bedeutung derartiger Maßregeln strebt man nach einer internationalen Regelung. Eine solche wurde für die Cholera bereits angebahnt auf den Kongressen zu Paris [* 22] 1851, Konstantinopel [* 23] 1866, Wien [* 24] 1874, Washington [* 25] 1881, Rom [* 26] 1885, Venedig [* 27] 1892; im Frühjahr 1893 wurde neuerdings, und wie es scheint mit Erfolg, durch den internationalen Kongreß in Dresden [* 28] die Bekämpfung der Cholera mittelst einheitlicher Maßregeln beraten; namentlich wurden die Normen für die Überwachung des Verkehrs festgestellt.
Für andere Krankheitsformen werden in der Zukunft wohl die gleichen Schritte zu thun sein. Sie werden zum Teil schon vorbereitet auf den alle vier Jahre stattfindenden internationalen Kongressen für und Demographie, deren letzter 1891 in London [* 29] tagte. Je nach der eigentümlichen Natur des Ansteckungsstoffs bei den verschiedenen kontagiösen Krankheiten (Cholera, Typhus, Pest, Gelbes Fieber, Pocken u. s. w.) kommen teils vorbereitende, teils beim Ausbruche der Krankheit im Orte zu treffende Maßregeln in Betracht: Anordnungen über sofortige Anzeige jedes Erkrankungsfalls, Beseitigung der die Luft und den Boden verunreinigenden Ausdünstungen und Abflüsse, des Inhalts fauler Gruben und Gräben, zweckmäßige Anlage der Begräbnisplätze, Reinigung, eventuell Räumung unreiner Lokalitäten in Armenhäusern, Gefängnissen, Schulen und Wohnungen, allgemeine Desinfektion [* 30] (s. d.) der Abtritte, Kanäle und Schlachthäuser, Beschaffung guten Trinkwassers, Absperrung verunreinigter Brunnen [* 31] u. s. w. Ausführlich handelt hierüber das im Stadium der Vorbereitung befindliche Seuchengesetz für das Deutsche Reich. [* 32]
Auch ist es Sache der öffentlichen Hygieine, das Publikum beim Ausbruch einer Epidemie in geeigneter Weise darüber zu belehren, durch welche Verhaltungsmaßregeln sich der Einzelne vor der drohenden Gefahr der Ansteckung schützen kann. Gegen gewisse Krankheiten giebt es ganz besondere Vorkehrungen, z. B. gegen die Blattern die Impfung [* 33] der Kuhpocken (Vaccination). Hierbei entstand denn die Frage, ob die Regierung den in der polizeilichen Impfung (Impfzwang) liegenden Eingriff in die individuelle Freiheit zu machen berechtigt sei, oder ob sie bei der bloßen Empfehlung der Impfung stehen bleiben soll.
Mit dem wurde für das Deutsche Reich diese Frage endgültig entschieden und der Impfzwang gesetzlich eingeführt. Eine Reihe umfänglicher Maßregeln werden gegen die Verbreitung einer andern ansteckenden Krankheit, der Syphilis, getroffen, namentlich durch die sanitätspolizeiliche Beaufsichtigung der Prostitution in den großen Städten als Hauptherd der Infektion. Die Übertragbarkeit von Tierkrankheiten auf den Menschen (Milzbrand, Rotz, Wut) erfordert schnelle Beseitigung der erkrankten Tiere, Anordnung, daß alle Hunde [* 34] Maulkörbe tragen müssen u. dgl.
Mit dem Bauwesen hat es die Hygieine insofern zu thun, als sie die öffentliche Gesundheit gegen die in Bau und Anlage der Wohnungen liegende Gefahr zu schützen und namentlich die Wohnungsverhältnisse der niedern Klasse als die Herde der Krankheiten zu verbessern hat. (S. Baupolizei, Bauordnung, Baurecht.) Seit 1830 zeigte sich in Europa eine regere Bewegung für diese Aufgabe. Für England liegt sogar der Schwerpunkt [* 35] aller Gesundheitspolizei in der strengern Baupolizei, in der Städtereinigung, Kanalisation u. dgl., durch welche viele engl. Städte ihre Mortalitätsziffer bedeutend verringert haben.
Vor allem muß die Bauordnung ihr Augenmerk in hygieinischer Hinsicht auf Bauplan und Einrichtung der Privatwohnungen, auf die Latrinen, Kloaken, Abzugskanäle und Dungbehälter richten. In neuerer Zeit steht denn auch die brennende Frage auf der Tagesordnung, ob die Städte mittels der nach engl. System zu bauenden Schwemmkanäle (in Verbindung mit Wasserleitung [* 36] und Wasserklosetts) oder mittels eines der mannigfachen Abfuhrsysteme gereinigt werden sollen. (S. Städtereinigung.) Kellerräume dürften als Wohn- oder Schlafräume für Menschen schlechterdings nicht benutzt werden; in Mietwohnungen und Schlafstellen, in denen sich eine bestimmte Anzahl von Menschen aufhält, soll einem jeden Individuum ein bestimmtes ausreichendes Volumen von Luft (mindestens 20 cbm für den Erwachsenen) gewährt werden, wenn nicht die Luftverschlechterung durch die Atmung die Gesundheit schädigen soll.
Nächstdem sind speciell die gesundheitlichen Verhältnisse der Fabriken, Kasernen, Gefängnisse und anderer öffentlicher Gebäude, vor allem aber die der Schulen (s. Schulhygiene) zu beaufsichtigen. Hier fällt vor allem die Frage nach der zweckmäßigsten Art der Ventilation (s. d.) und der Heizung [* 37] (s. d.) in das Gewicht. Die Sorge für gesunde Speisen und Getränke legt dem Sanitätswesen die Pflicht auf, eine vorsichtige Nahrungspolizei herzustellen, die nicht bloß als hygieinische Marktpolizei Brot, [* 38] Fleisch, Milch und andere Getränke, Gewürze u. s. w. beaufsichtigt und beispielsweise auf mutterkornhaltiges Brot, auf finniges, trichinöses oder verdorbenes Fleisch (Fleischbeschau), auf saures oder mit schädlichen Stoffen versetztes Bier fahndet, sondern die auch die Brunnenwässer und ihre sanitäre Beschaffenheit im Auge [* 39] behält.
Namentlich bei ausbrechenden Epidemien ist auf diese Untersuchungen im Interesse der ärmern Bevölkerungsklassen ganz besondere Sorgfalt zu verwenden. (S. Nahrungsmittel [* 40] und Verfälschungen.) Hieran reiht sich der Schutz gegen den gefährlichen Verkehr mit Giften, die Beaufsichtigung des Gifthandels (s. Giftverkehr), die Verwendung giftiger Farben, die Benutzung schädlicher Gerätschaften, indem je nach Umständen solche aus Eisen, [* 41] Kupfer, [* 42] Zinn, Neusilber, Blei [* 43] u. s. w. der Gesundheit nachteilig sein können; Kleiderstoffe, Spielwaren, Tapeten, Konditoreiwaren, Schnupf- und Rauchtabak u. s. w. können ferner mit mannigfachen metallischen oder vegetabilischen Giften versetzt sein. In Deutschland ist im Strafgesetzbuch die Gefährdung anderer durch giftige Gegenstände sowie der Handel mit Giften gesetzlich vorgesehen und beschränkt und überdies durch ein eigenes Gesetz die Verfälschung der Nahrungs- und Genußmittel mit erheblichen Strafen bedroht.
Bei vielen Gewerben sind die Arbeiter gesundheitswidrigen Einflüssen ausgesetzt; die Fabrik- und Gewerbehygieine muß deshalb für einen die Gesundheit möglichst wenig schädigenden Betrieb sorgen. Zunächst kommen beim Gewerbebetrieb chem. Schädlichkeiten vor: durch Blei, Quecksilber, Arsenik, Kupfer, Phosphor, irrespirable und giftige Gase [* 44] u. s. w. (S. Gewerbekrankheiten und Gasinhalationskrankheiten.) Hier sind als Vorkehrungsmittel Ventilation, strenge Diät, Isolierung des Arbeiters, Schwämme [* 45] vor Mund und Nase [* 46] in Anwendung. Andererseits giebt es Schädlichkeiten, die bei manchem Kunst- und Gewerbebetrieb auf die ¶