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Deutschen Handelsgesetzbuch sind große alle Schäden, welche dem Schiff [* 2] oder der Ladung oder beiden zum Zweck der Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr von dem Schiffer oder auf dessen Geheiß vorsätzlich zugefügt werden, sowie auch die durch solche Maßregeln ferner verursachten Schäden, ingleichen die Kosten, welche zu demselben Zwecke aufgewendet werden. Als hauptsächliche Beispiele der großen Haverei werden insbesondere aufgezählt:
1) das Überbordwerfen von Waren, Schiffsteilen oder Schiffsgerätschaften, Kappen der Masten, Wegschneiden der Taue oder Segel, Schlippen oder Kappen von Ankern, Ankertauen oder Aukerketten;
2) das Überladen der ganzen Ladung oder eines Teiles derselben in Leichterfahrzeuge behufs Erleichterung des Schiffs;
3) die absichtliche Strandung behufs Abwendung des Untergangs oder der Nehmung, sowie bei nicht beabsichtigter Strandung die Abbringung;
4) das Einlaufen in einen Nothafen;
5) die Verteidigung des Schiffs gegen Feinde oder Seeräuber:
6) Loskauf des Schiffs von Feinden oder Seeräubern;
7) Verluste oder Kosten, welche entstanden sind durch die Beschaffung der zur Deckung der großen Haverei während der Reise erforderlichen Gelder. Ausdrücklich bestimmt ist, daß nicht zur großen, sondern zur besondern Haverei gehören die Verluste und Kosten, welche aus der durch eine besondere Haverei nötig gewordenen Beschaffung von Geldern entstehen, die Reklamekosten, und die durch Prangen, d. i. übermäßig große Segelführung, verursachte Beschädigung des Schiffs und der Ladung.
Die in großer Haverei entstandenen Kosten werden von Schiff, Fracht und Ladung gemeinschaftlich nach Verhältnis ihres Wertes und Betrags getragen; jedoch tritt die Havereiverteilung nur dann ein, wenn sowohl das Schiff wie die Ladung entweder ganz oder wenigstens teilweise wirklich aus der Gefahr gerettet sind. Nachträglicher Untergang eines geretteten Gegenstandes hebt dessen Beitragspflicht auf; nicht dagegen nachträgliche Beschädigung. Die Beitragspflicht des Schiffs und der Ladung wird bestimmt nicht nur durch den Wert des Geretteten, sondern auch durch denjenigen Betrag, welcher für Beschädigung oder Verlust in der großen Haverei vergütet wird.
Die Frachtgelder tragen bei mit zwei Dritteln der verdienten Bruttofracht und desjenigen Betrags, welcher für die aufgeopferten Güter zu bezahlen wäre, wenn dieselben am Bestimmungsort oder demjenigen Ort, an welchem die Reise endet, angekommen wären. Nicht beitragspflichtig sind außer den Bodmereigeldern die Kriegs- und Mundvorräte des Schiffs, die Heuer und Effekten der Schiffsbesatzung und die Reiseeffekten der Passagiere. Wenn jedoch für aufgeopferte oder beschädigte Vorräte oder Effekten in großer Haverei eine Vergütung gewährt wird, so tragen dieselben mit dem Werte bei, welcher als große Haverei in Rechnung kommt.
Die
Rechnung über die große Haverei, welche Dispache genannt wird, wird im Gebiete des
Deutschen
Reichs durch
obrigkeitlich bestellte
Personen, sog. Dispacheure, aufgemacht. (S. Dispache.) Der Schiffer, welcher über die große
und ihre Veranlassung Verklarung (s. d.) abzulegen hat, muß im
Bestimmungsorte oder in dem
Hafen, wo die
Reise endet, die
Aufmachung
der Dispache ohne Verzug veranlassen. Für die Beträge, welche die Vergütungsberecht
igten nach der
Dispache zu fordern haben, haftet
an sich niemand persönlich, sondern nur die geretteten Gegenstände.
Wegen der von Schiff und
Fracht zu entrichtenden Beiträge haben sie die
Rechte von Schiffsgläubigern und gegenüber den
beitragspflichtigen
Gütern ein Pfandrecht.
Letzteres wird für die Vergütungsberechtigten durch den
Verfrachter ausgeübt.
Aber es kann durch hinzutretendes Verschulden eine persönliche
Verbindlichkeit zu gänzlicher oder teilweiser
Zahlung der Beträge entstehen. So haftet der Schiffer persönlich, wenn er
Güter, auf welchen Havereibeiträge haften, vor
Befriedigung oder Sicherstellung der letztern ausliefert.
Hatte der
Reeder die
Auslieferung angeordnet, so haftet er neben dem Schiffer. Auch der Empfänger der
Güter, welcher bei
Annahme derselben weiß, daß auf ihnen Havereibeiträge haften, wird den Vergütungsberecht
igten bis zum
Wert der
Güter persönlich verpflichtet
(Deutsches Handelsgesetzbuch Art. 702–735). Die auswärtigen Seerechte
haben zwar
den Grundgedanken des
Havarie-grosse-Rechts mit dem deutschen
Recht gemeinsam, weichen aber in den Einzelheiten von letzterm
und untereinander in mannigfaltigster
Weise ab. Die Verschiedenartigteit der recht
lichen Bestimmungen
macht sich im praktischen Leben um so störender fühlbar, als regelmäßig der
Ort der
Aufmachung der Dispache für das bei
der großen Haverei anzuwendende
Recht entscheidend ist. Es haben sich deshalb lebhafte Bestrebungen, namentlich unter Leitung
der Gesellschaft für
Reform und Kodifikation des
Völkerrechts (National
Association for the reform and
codification of the law of nations), geltend gemacht, um in dem
Havarie-grosse-Recht der schiffahrttreibenden
Völker eine
Gleichförmigkeit zu erreichen.
Nachdem 1860 in Glasgow [* 3] und 1862 in London [* 4] Versammlungen Sachkundiger zu diesem Zwecke stattgefunden hatten, wurden auf einem fernern Kongreß in York 1864 gewisse Grundsätze als zur allgemeinen Einführung empfehlenswert aufgestellt. Eine Revision dieser York Rules auf einem Kongreß in Antwerpen [* 5] 1877 hatte das Ergebnis, daß man sich über zwölf, unter der Benennung «York and Antwerp Rules» bekannt gemachte und zur Befolgung empfohlene Sätze einigte. Diese Regeln stimmen in den meisten Punkten mit den Bestimmungen des deutschen Rechts überein.
Eine praktische Bedeutung gewinnen sie dadurch, daß die Beteiligten, wie auch vielfach geschieht, für den Fall der großen Haverei sich ihnen vertragsmäßig unterwerfen können. Die Bestrebungen haben übrigens in den York and Antwerp Rules keineswegs ihren Abschluß erreicht. Vielmehr hat sich auch der 1888 zu Brüssel [* 6] abgehaltene internationale Kongreß eingehend mit dem Rechte der großen Haverei beschäftigt. (Vgl. Actes du Congrès international de droit commercial de Bruxelles [1888], Brüss. und Par. 1889.) Auch der 1890 in Liverpool [* 7] abgehaltene Kongreß hatte die große Haverei auf sein Programm gestellt.
Letzterer hat eine Reihe von Abänderungen der York and Antwerp Rules beschlossen und den Regeln in ihrer nunmehr festgestellten Form den Namen York-Antwerp Rules 1890 gegeben. (Vgl. Ahlers, York-Antwerp Rules 1890. Erläuternde Bemerkungen zu den Liverpooler Beschlüssen vom Sept. 1890, Hamb. 1890.) Eine Zusammenstellung der wichtigsten Rechte über große Haverei ist gegeben von R. Ulrich, Große Haverei; die Gesetze und Ordnungen der wichtigsten Staaten über Havarie-Grosse (Berl. 1884). –
Vgl. Heck, Das Recht der großen Haverei (Berl. 1889).