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Minister an der Spitze in London [* 2] errichtet; aber die Regierung lag faktisch in den Handen des hannov. Adels, der ausschließlich die höchsten Amter inne- hatte. Im Kriege gegen Frankreich mußte Hannover [* 3] ein Hilfskorps (1793-95) in den Niederlanden stellen. Als der Krieg zwischen Frankreich und England 180.'! wieder ausbrach, rückten die Franzosen in Hannover ein. Die hannov. Truppen kapitulierten iu Sulingen, und das Land ward gczwuugcu, cin franz. Korps Zu unterhalten und uugeheure Kriegssteuern zu zahlen. (Vgl. über die damaligen Zustände in Hannover Ompteda,Einhannov.-engl.Ofsiziervor100Jahren, Lpz. 1892.) Durch Vertrag vom traten die Franzosen an Preußen [* 4] ab. Nach dem Frie- den von Tilsit, [* 5] in welchem Preußen an Frank- reich abtrat, ward 1807 ein Teil, auch der Rest zum Königreich Westfalen [* 6] geschlagen, in demselben Jahre aber der nördl. Teil durch Na- poleon wieder losgetrennt und mit dem Kaisertum Frankreich vereinigt.
Seit stand das Land wieder unter seinem alten Herrn. Der hannov. Gesandte, Graf von Münster, [* 7] erlangte auf dem Wiener Kongreß eine erhebliche Vergrößerung H.s und dessen Erhebung zum Königreich, nachdem er ihm eine provisorische Etändever- sammlung verschafft hatte. Die hannov. Truppen nahmen 1815 lebhaften Anteil an der Schlacht bei Waterloo. [* 8] Am ernannte der Prinz- Regent GcorgIV. (s. d.) seinen Bruder, den Herzog von Cambridge, zum Generalgouverueur von Hannover; allein der Schwerpunkt [* 9] der ganzen Verwaltuug blieb in den Händen des Grafen Münster in Lon- .don, dessen Restaurationspolitik die ritterschaft- lichen Provinziallandfchaften ein- führte und gegen die Wünsche des Landtags ein Zweikammersystem schuf, in welchem die Erste Kammer jede fortschrittliche Entwicklung dauernd hinderte.
Diese Verfassung trat in Kraft. [* 10] Doch griff die allgemeine Verstim- mung über den Polizei- und Steuerdruck immer weiter um sich und wurde auch durch die Thronbe- steigung Wilhelms IV. (s.d.) nicht gehoben; vielmehr brachen in Osterode, [* 11] am 8. in Göttingen [* 12] Unruhen aus, die freilich harte Verurteilungen der Beteiligten, aber auch den Sturz des Grafen Münster und die Ernennung des Her- zogs von Cambridge zum Vicekönig von Hannover zur Folge hatten. Die Ständeversammlung befchloß ein Staatsgrundgesetz, das nach in London einseitig vorgenommenen Abänderungen von Wilhelm IV. publiziert ward, dessen Rechtsverbind- lichkeit aber der Thronerbe Ernst August, Herzog von Cumberland, obwohl er sich Dez. 1831 mit dessen Entwurf bis auf wenige Punkte einverstan- den erklärt hatte, freilich nicht öffentlich, in Frage stellte, ohne aber einen förmlichen Protest zu erheben.
Als Ernst August (s. d.) auf den hannov. Thron [* 13] berufen und damit Hannover von England wieder getrennt ward, vertagte er 28. Juni die Stände, ernannte den Geheimrat Schele zum Staats- und Kabinettsminister und erließ das Patent, in welchem er erklärte, daß das Staats- grundgesetz von 1833 für ihn nicht rechtlich verbind- lich sei und in mancher Hinsicht den Bedürfnissen des Landes nicht entspreche. Nachdem er darauf das Gutachten einer Kommission unter dem Vorsitz Scheles vernommen, erklärte er 30. Okt. die allge- meine Etändeversammlung sür aufgelöst, 31. Okt. die bisherigen Kabinettsminister für entlassen, aber zugleich zu Departementsministern, und 1. Nov. die Verfassung von 1833 für aufgehobeu.
Doch sollten die seit 1833 erlassenen Gesetze in Kraft bleiben. Eine Folge diefer Aufhebung war die Wiederher- stellung des Staatsgrundgesetzes von 1819. Zugleich aber wurde die Beratung einer neuen Verfassung mit den nach dem Wahlgesetz von 1819 gewälM)? Ständen in Aussicht gestellt. Die Staatsdiener waren ihrer ans die Verfassung geleisteten Eide ent- bunden worden. Als mm die Regierung nicht nur von allen eigentlichen Staatsdienern, sondern auch von Advokaten und Professoren die Einsendung von Dienst- und Huldigungsreversen verlangte, erklär- ten sieben Professoren der Universität Göttingen: Dahlmann, Albrecht, die Gebrüder Grimm, Ger- vinus, Ewald und Wilh.
Ed. Weber, in einer dem Kuratorium übergebcnen Protcstationvom 18. Nov. ibre Überzeugung von der rechtlichen Unmöglichkeit einer Aufbebung der Verfassung u. s. w. Schon unterm 12. Dez. wurden die sieben Professoren ohne Untersuchung und Rechtsspruch ihrer 'Amter entsetzt und Dahlmann, Jak. Grimm und Gervinus des Landes verwiesen. Den übrigcu ward erklärt, daß, wenn sie bis zu einem bestimmten Tage nicht den Huldigungsrevers unterzeichnet haben würden, sie sich als entlassen zu betrachten hätten.
Alle Ver- suche von Korporationen und Einzelnen, die be- schworene Verfassung dem Lande zu erhalten, schei- terten, der Deutsche [* 14] Bund erklärte sich für nicht zu- ständig zur Entscheidung der erhobenen Beschwerden, und so kam endlich unter Anwendung von allerhand Zwangsmahregeln eine unter dem ver- öffentlichte Verfassung zu staude, welche die frühern Rechte der Stande in wesentlichen Punkten be- schränkte. That die Regierung auch in den nächsten Jahren manches für die Hebung des Wohlstandes, den Ban von Eisenbahnen, so blieb doch immer noch Grund zu Klagen genug, uamentlich über Be- vorzugung des Adels und den auf dem Lande lasten- den Polizcidruck.
Daher fielen die Wahlen Nov. 1847 überwiegend auf Männer der alten staats- grundgesetzlichen Opposition. Die Märztage des Jahres 1848 beseitigten auch in Hannover schnell das alte System; 17. März mußte der Köuig Preßfreiheit, 20. März Rückkehr zum Staatsgrundgcsetz bewilligen und den eifrigsten Verteidiger desselben, Dr. Stüve, zum Minister berufen, der mit seinen gleichgesinn- ten Kollegen (Graf Vennigfen, Lehzen, Braun,von Düring) Schwurgerichte, Selbständigkeit der Ge- meinden, Trennung der Verwaltung von der Rechts- pflege,Unterstellung der Domänen unterdas Finanz- ministerium u. s. w. einzuführen versprach.
Auf ver- fassungsmäßigem Wege wurdedieZusammensetzung der beiden Kammern geändert und das Verfassungs- gesetz 5. ^ept. veröffentlicht. Gegen die Beschlüsse des Frankfurter Parlaments verhielt sich das Mini- sterium ablehnend, auch der König wollte von seiner Souveränität uichts aufgeben. Auch dem sog. engern Buude unter Preußens [* 15] Führung widerstrebte man. Zwar trat Hannover 27. Mai 1819' dem Dreikönigs- bündnis (s. d.) bei, iedoch nur mit Vorbehalt, schied aber bereits 20. Okt. mit Sachsen [* 16] aus dem Vcr- waltungsrat des Bundes aus und trat Febr. 1850 definitiv von dem Bündnisse zurück. Durch seine unklare Stellung zur deutschen Frage, durch den wieder erstarkten Einfluß der Adelspartei und österr. Einflüsse war die Stellung des Ministeriums Stüve stark erscküttcrt, 28. Okt. wurde es entlassen. Das darauffolgende Ministerium von Münchhausen, ¶
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Lindemann, Meyer führte in abgeschwächter Weise einen Teil der angebahnten Reformen durch, trat mit Oldenburg, [* 18] mit dem es den fog. Stenerverein gebildet hatte, in den Zollverein, be- schwichtigte aber trotzdem die hannov. Junker nicht, die sich mit Beschwerden wegen vorgeblich verletzter Interessen an den Deutschen Bund wandten. Am starb Ernst August, und an seine Stelle trat sein blinder Sohn als GeorgV. (s. d.). Dieser beauftragte Schele sofort mit der Bildung eines neuen Kabinetts, aus dem die Minister von Borries und von der Decken im April 1852 aus- traten und Windthorst und dem Freiherrn Hammer- stein Platz machen mußten.
Die von diesem Mini- sterium auf gesetzlichem Wege versuchte Abänderung der Verfassung von 1848 scheiterte 1853 an dem Widerspruch der Zweiten Kammer, worauf das Mi- nisterium 21. Nov. desselbenJahres entlassen wurde. An die Spitze des neuen Ministeriums wurde von Lütcken gestellt und der Geh. Regierungsrat Zim- mermann als maßgebender Ratgeber nach Hannover be- rufen, der den König überzeugte, daß die Ein- mischung des Deutschen Bundestags seiner Sou- veränität keinen Eintrag thue, wenn von dorther die Verfassung von 1848 als ungültig entstanden erklärt werde, was auch von Frankfurt [* 19] aus 12. und bereitwillig geschah.
Die Stände wurden 31. Juli aufgelöst und ein äußerst reaktio- näres Ministerium von Vorries, GrafPlaten, Graf Kielmannsegge, von der Decken und von Vothmer gebildet, das die 1848 mit dem König vereinbarte Verfassung aufhob und die von 1840 oktroyierte. Die Beamten wurden angewiesen, die bezügliche Verordnung vom 1. Aug. rasch durchzuführen, frei- sinnige Blätter wurden gemahregelt, ein sog. ^taats- gerichtshof eingefetzt und den Schwurgerichten die Aburteilung polit.
Vergehen entzogen. Bei den Wahlen zur Zweiten Kammer verweigerte man allen Staats-und Gemeindebeamten,von denen man nicht eine unbedingte Hingabe erwartete, den Urlaub, und als damit noch nicht ganz die Opposition gebrochen war, oktroyierte man abermals 7. Sept. das Finanz- tapitel von 1840 und löste 8. Nov. die Stände schließlich auf. 1857 erlangte die Regierung die willfährigste Mehrheit in der Zweiten Kammer, die dem König die Dotation um 100000 Thlr. erhöhte und die berüchtigte Ausscheidung eines Teils der Domänen aus der Staatsverwaltung guthieß.
Diefe Vertretung beseitigte 1858 den Eid auf die Verfassung, verwandelte die Staatsdiener in königl. Diener, verminderte die Gerichte und überwies teil- weife die Polizeigerichtsbarkeit wieder den Ver- waltungsbehörden. Die öffentliche Meinung stand auf feiten des jungen Führers der Minderheit der Zweiten Kammer, Rudolf von Vennigsen, der mit meisterhafter Geschicklichkeit allen reaktionären Schritten der Regierung entgegentrat und den Nationalverein (s. d.) in Frankfurt a. M. gründete, dessen hannov.
Mitglieder den ausge- dehntesten Plackereien der Regierungsbehörden aus- gesetzt wurden. Selbst Borries konnte die immer wachsenden Einmischungen des sich völlig über- schätzenden Königs nicht mehr ertragen; er wurde 1862 ungnädig entlassen, als die Mißstimmung des ganzen Landes über die Aufzwingung eines alten Katechismus aus dem 17. Jahrh, sich laut und in einzelnen Excessen äußerte. Am 10. Dez. entließ der König auch die übrigen Minister, mit Aus- nahme des geschmeidigen Grasen Platcn und des der Politik fern stehenden Kriegsministers von Vran- dis.
Das neue Ministerium von Malortie, Windt- horst, Errleben, von Hammerstein und Dr. Lichten- berg berief eine Vorfynode, mit der eine die kirck- Synodalordnung vereinbart ward. Bei den un- beeinflußten Wahlen von 1863 erhielt die liberale Partei sofort wieder das Übergewicht in der Zweiten Kammer und reformierte manche Auswüchse der Reaktion in gemäßigter Weise; aber die undeutsche Haltung des Grafen Platen in der schlesw.-holstein. Frage, an deren bundesmäßiger Lösung Hannover durch Truppensendung teilnahm, rief neue Mißstimmung hervor.
Anfang 1865 fah sich Hannover zum abermaligen Anschluß an den Zollverein, unter Verzicht auf die Hälfte des bisher bezogenen Präcipuums, genötigt. Im Herbst 1865 b'rachte die Vorliebe des Königs für ein persönliches Regiment ein abermaliges Zer- würfnis mit dem Ministerium. Graf Borries wurde Präsident des Staatsrates, während von Hammer- stein, Errleben, Windthorst und Lichtenberg ihre Entlassung erhielten. Das neue Ministerium Bac- meister, Dieterichs, von Hodenberg und Leonhardt war indes ebenfalls unfähig, dem immer größer werdenden Selbstdünkel des blinden Monarchen Schranken zu setzen.
Die weitere Schärfung der innern Fragen wurde jedoch sehr bald durch die sich immer drohender gestaltenden auswärtigen Ange- legenheiten verhindert, da schon im Frühjahr 1866 ein Konflikt zwischen Österreich [* 20] und Preußen wegen der schlcsw.-Holstein, und der Bundesreformsrage unvermeidlich schien. Der Hof [* 21] und das Kabinett trieben ein doppeltes Spiel; während der Minister des Äußern, Graf von Platen-Hallermund, der preuß. Regierung gegenüber offizielle Freundschafts- versicherungen gab, beriet das Kabinett insgeheim die Eventualitäten eines österr.-preuß. Krieges. In der Bundestagssitzung vom 14. Juni stimmte denn auch Hannover für den österr.
Mobilisierungsantrag. In- folge davon richtete die preuß. Regierung bereits 15. Juni ein Ultimatum an Hannover, in welchem sie ein Bündnis auf Grund unbewaffneter Neutralität und den Beitritt H.s zu dem preuß. Reformvorschlage vom 14. (10.) Juni forderte und dagegen Gewähr- leistung des Besitzstandes nach Maßgabe dieses Reformvorfchlags bot. Da die hannov. Negierung sofort ablehnend antwortete, so überschatten schon in der folgenden Nacht die Preußen von Minden [* 22] her die hannov.
Grenze; in großer Eile wurden die wichtigsten Aktenstücke zusammengepackt, die Wert- papiere nach London geschafft, die wertvolle königl. Silberkammer heimlich im Schloßkeller vermauert und im königl. Residenzschlosse zu Herrenhausen die Vorbereitungen getroffen, der nicht schlagfertigen Armee nach Göttingen zu folgen. Der König und der Kronprinz fuhren gegen 4 Nhr morgens nach Göttingen; die Königin Marie blieb mit ihren beiden Töchtern in Herrenhausen, von wo sie später auf das benachbarte Schloß Marienburg [* 23] übersiedelte. Am 17. Juni rückten die Preußen in der Hauptstadt ein, während eine andere Kolonne, über Harburg [* 24] kommend, unter Manteuffel Etade nahm und dann den hannov. Truppen folgte, die sich über Heiligen- stadt nach Eisenach [* 25] wandten, um sich mit den Bayern [* 26] zu vereinigen. (S. Deutscher Krieg von 1866, Bd. 5, S. 5?.') Auch jetzt noch wurden von seiten Preußens Friedensanträge gemacht, die aber König Georg stolz zurückwies. Durch die von dem General Vogel von Falckonstcin ungenügend ¶