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Aus diesen Gründen wollen die Verwaltungen der Great-Northern-, der North-British- und der North- Eastern-Eisenbahn dem Beispiele der Midlandbahn folgen und die II. Klasse ganz beseitigen, um in Zukunft nur Züge mit I. und III. Klasse zu fahren. Die Anzahl der ausgegebenen Saisonbillcts hat sich nahezu verdreifacht. Über die Eisenbahnen in den Englischen Ko- lonien s. die Emzelartikel. Über die Verwaltung und Beaufsichtigung der Eisenbahnen in Großbritannien [* 2] s. Eisenbahnbchör- ven (Bd. 5, S. 848 d) und Eisenbahnrccht (Bd. 5, S. 879I).
Litteratur. Cohn, Untersuchungen über die engl. Eisenbahnpolitik (2 Bde., Lpz. 1874-75); ders., Die engl. Eisenbahnpolitik der letzten zehn Jahre (in: «Archiv sür Eisenbahnwesen», 18831; Ulrich, Bemer- kungen hierzu (ebd. 1884,1887,1889); Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens, hg. von Roll, Bd. 4 (Wien [* 3] 1892). Großbritannisches Heerwesen. I. Land- hcer. Die Organisation der Armee weicht von der- jenigen der übrigen curop. Großmächte infolge der eigenartigen polit.
Entwicklung des Staates, seines ausgedehnten Kolonialbesitzes, seiner mächtig ent- wickelten Flotte und seiner insularen Lage völlig ab. Seit 1870 hat Großbritannien versucht, sich dem auf dem europ. Festlande herrschenden System zu nähern durch Abkürzung der Dienstzeit und Schaffung von Reserven, aber nur mit mäßigem Erfolge. Die militär. Leitung und die eigentliche Kommando- gewalt hat der Oberbefehlshaber, gegenwärtig Feld- marschall Herzog von Cambridge, den der König ernennt.
Unter ihm steht ein Generaladjutant, augenblicklich Generallieutenant ^ir N. Vuller, als Generalstabschef. lS. auch Großbritannien und Irland S. 415 a.) Zu Offizieren werden jetzt junge Männer von 17 bis 21 Jahren auf Grund einer Ein- nittsprüfung und nach einjährigem Befuch der Mili- lärschule zu Sandhurst ernannt; dieselben erhalten königl. Bestallung ((^0inmi38i0ii) und rücken, wie in andern Heeren, seitdem 1871 der Stellenkauf ab- geschafft worden ist,nach dem Dienstalter oder infolge auf.
Nur wohlhabende Männer können in Großbritannien die Offizierslaufbahn einschlagen, da das Leben in den brit. Osfizierkorps sehr kostspielig ist und durch die in gesellschaftlicher Hinsicht gestellten Anforderungen beträchtliche Mittel während einer langen Reihe von Jahren beansprucht. Seit 1870 hatte die Zahl der Offiziere beträchtlich abgenommen' 1869 waren 10308 bei einer mittlern Heeresstärke von 186 668 Köpfen vorhanden, nur 7441 bei 211105 Köpfen. Am betrug die Zahl der wirklich Eingestellten und Dienstthuenden 10255 Offiziere bei 211827 Köpfen.
Die gefamte Streitmacht Großbritanniens besteht aus dcr regulären Armee nebst Reserve, Miliz, Ueomanry und Volunteers. ^eit 1891 ist die Be- zeichnung ^ixililn-^ I'oi'cLZ für Miliz, Ueomanry und Volunteers aufgehoben. Die Rekrutierung für die Miliz findet nach ähnlichen Grundsätzen wie für das stehende Heer statt. Ueomanry und Volunteers haben ihre eigene Rekrutierung und Verfassung. Ist z. B. die Zieomanry zu ihren jährlichen Übungen ein- berufen, fo untersteht sie der Xrm^ ^et, während die Volunteers dcr Vowuteer ^.ct untergeordnet sind.
Die Rekrutierung der regulären Armee ist ge- regelt durch die ^Vrm)' Diäciplino auä Reflation ^ct vom ergänzt durch spätere Ver- fügungen. Der Eintritt erfolgt durch freiwillige Werbung; seit 1883 ist ein Lebensalter von 18 bis 25 Jahren notwendig, obwohl auch Ausnahmen gelten. So waren von 103093 Unter- offizieren und Mannfchaften im Mutterlande 2519 unter 18Jahren. Die Rekrutierungsgefchäfte werden von 67 Regimentsdistrikten, 12 Artillerie-Hilfs- distrikten und 3 Rekrutierungsdistrikten (London, [* 4] Dublin, [* 5] Liverpool) [* 6] ausgeübt.
Die Zahl der an- geworbenen Freiwilligen ist je nach Jahreszeit, ört- lichen und socialen Verhältnissen verschieden, worin der Hauptnachteil des ganzen Systems liegt. Auch der moralische Zustand der Angeworbenen ist ein sehr ungleicher. Die Dauer der Dienstzeit beträgt 12 Iabre, obwohl der Rekrut zwischen langerund kurzer Dienstzeit wählen kann. Bei jener bleibt er 12 Iabre unter der Aahne, bei dieser 3-7 Jahre, um den Rest der 12 Jahre in der Reserve I. Klasse zu verbringen.
Unteroffiziere und Gemeine können außerdem nach 9 Dienstjahren ein zweites Engage- ment eingehen und erhalten nach 20jährigem Dienst bei der Fahne eine Pension. Grundsätzlich müssen Infanterie, Kavallerie, Artillerie, Genie wenigstens 7 Iah're aktiv dienen, Garde zu Fuß und Hilfsdienste (Kommissariat, Train, Sanitätswesen u. s. w.) nur 3 Jahre; jedoch giebt es auch hier viele Ausnabmen. Am betrug die Zahl der in der Armee- rolle Eingeschriebenen, welche zum Dienst heran- gezogen werden können, 218000 Mann.
Der Ab- gang 1892 betrug bei Unteroffizieren und Mann- fchaften 38 223 Mann, der Zugang 44343 Mann, alfo 6120 Mann mehr als der Abgang, sooaß die Gesamtzahl der Unteroffiziere und Mannschaften von 203103 in 1892 auf 209 283 gestiegen ist. Seit 1870 haben Staatsmänner und Militärs durch- greifende Reformen, fogar Einführung der allge- ^ meinen Wehrpflicht vorgeschlagen - die durch Ge- setz von 1752 für die Miliz bereits besteht, durch eine besondere ^ct aber alljährlich auf ein Jahr ein- geschränkt wird-, allein bisher ohne Erfolg, nach- dem Kriegsminister und Oberbefehlshabersich gegen die allgemeine Wehrpflicht erklärt haben.
Das Gebiet Großbritanniens ist in Militärbezirke eingeteilt, die indessen nichts mit der auf höhern Truppenverbändcn beruhenden Territorialeintei- lung anderer europ. Staaten gemein haben. Von den 10 Militärbezirken Englands umfassen acht 1-15 Regimentsdistrikte, während zwei: Wool- wich und Alderfhot, lediglich auf die nächste Umge- bung beschränkt sind. Die Verteilung von England und Wales auf diese Distrikte ist durch die ^i-m)- 0rä0r vom22.Iuni 1889 geregelt.
Schottland bildet einen einzigen Bezirk mit 10 Negimentsdistrikten, in dem aber nur 2 Infanteriebataillone stationiert find. Die Kanalinseln umfassen 2 Bezirke mit ab- weichender Organisation. Irland nimmt mit 3 Di- strikten militärisch eine Sonderstellung ein; der Generalgouverneur hat zugleich den Titel General- lieutenant; unter seinem Befehl kommandiert ein General die sämtlichen in Irland stehenden Truppen. Die Unregelmäßigkeit der Truppeneinteilung auf brit. Gebiet zeigt sich auch in der Organisation der Infanterie. Die einzelnen Regimenter wechseln m der Zusammensetzung von 1 bis 4 aktiven Batail- lonen; auch werden Miliz- und Volunteersbatail- lone aus dem Distrikt, dessen Namen sie tragen, mit ihnen verbunden. Das Regiment bildet keine Kampf- einheit wie in den andern curop. Armeen. ¶
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Infanterie. Im allgemeinen detachiert ein Regiment von 2 Bataillonen nnr eins anßerhalb Großbritanniens, das andere bleibt at Korne. Grundsätzlich bildet letzteres den Ersatz für ersteres. Am waren von 148 Infanterie- dcttai'llonen (davon 7 Garde-) 63 daheim, 53 in Indien, 20 in den Kolonien, 5 in Ägypten. [* 8] Von den 7 Gardebatailloncn bilden 3 die t^LiiNäier l^uaräZ, je 2 die Olä^i-oam und 8cot8 (^uliräs. Die 141 Linienbataillone bilden 69 Regimenter, davon 66 zn 2, 2 zu 4 und 1 zu 1 Bataillon. Die Regimenter tragen den Namen ihres zugehörigen Territorial- bezirks, einzelne auch noch besondere Namen. Die Bataillone zerfallen in 8 Compagnien und haben infolgedessen starke Ofsiziercadres; besonders zahl- reich sind die höhern Offiziere. Die Sollstärken der 148 Bataillone sind sehr verschieden: Garde 831, Linie at Imme zwischen 801 und )009, Kolonien 892, Indien 1042 Köpfe.
Die wirtlichen stärken bleiben zum Teil weit darunter. Jedes Linienregi- ment hat ein Depot, dessen Stärke [* 9] bei den einzelnen Regimentern auch verschieden ist. Von 68 Infan- teriedepots haben 62-. 50, 2: 240, 3: 300, 1: 450 Unteroffiziere und Mannschaften. Die Garden des Kings-Niflekorps und die Niflebrigade rekrutieren sich aus den: ganzen Königreich; alle übrigen Re- gimenter entnehmen ihre Rekruten aus gewissen, festgesetzten Distrikten, nach denen sie ihre Namen tragen.
Wenn die Regimenter vollzählig sind, so wird die Rekrutierung zu Gunsten anderer Armee- teile fortgesetzt. Die Regimenter können auch in den Gebieten rekrutieren, wo sie garnisonieren. Die Infanteriebewaffnung ist seit 1891 das 7,7 mm-Magazingewehr Lee-Metford, 10 Patro- nen Packladuug und Absperrvorrichtung. Dasselbe wird bald völlig zur Ausgabe gelangt sein. Es wurden 346000 Gewehre angefertigt; 56000 be- finden sich bereits in den Händen der einheimischen Truppen und 70000 in Indien.
Volunteers und Miliz führen das Henry-Martini-und (^nidergewehr. Eine ausschließlich brit. Einrichtung ist die be- rittene Infanterie, von der 3 Compagnien in Natal und Ägypten stehen. Es besteht ein Regiment zu 12 Compagnien. Jede Compagnie zerfällt in 4 Di- visionen ü. 1 Offizier und 32 Mann. Die Übungen haben bis jetzt mit beigegebenen Revolverkanonen im Lager [* 10] von Aldershot ftattgefuuden. (H. Aldcrshot.) Die Kavallerie zählt 31 Regimenter, darunter 9 in Indien. 3 Regimenter gehören zur 14ou3o Iil)1ä-(^vHli')-, nämlich 1. und 2. I^it'e üuai'äs und No^ai Hoi-86 (^uin-ää, von den andern 28 Regimen- tern sind 10 Dragoner, 13 Husaren und 5 Lanciers. Die Einteilung in halbe Eskadrons ist seit 1892 abgeschafft, fodah alle Regimenter jetzt in 4 Eska- drons zerfallen. Die Effektivstärke der Ilouso^oid (^v^ii-)', der Regimenter im Innern und in In- dien beträgt bez.^ 430, 566, 769 Köpfe und 275, 436 Pferde. [* 11]
Eine Hauptfchwäche der brit. Kavallerie ist die beschränkte Zahl von Pferden. Jedes Re- giment hat im Mutterland ein Depot, während die in Indien dienenden Regimenter ein Centraldepot in Canterbury haben. Die Kavallerieregimenter baden keine territorialen Bezeichnuugen und rekru- tieren sich in ihren Stationsbezirken. Die Artillerie hat in der neuesten Zeit eine durchgreifende Reorganisation erfahren, indem seit dem i. Juli 1889 die bisherige Einteilung in Bri- gaden sallen gelassen und nur eine solche in Batte- rien festgehalten worden ist. Die Artillerie besteht aus reitender, Feld- (fahrender), Gebirgs- und Gar- nisonartillerie.
Die reitende zerfällt, in der Stärke von 3718 Köpfen, 3076 Pferden, in 20 Batterien (H. bis ^) und in 2 Depotbatterien in Woolwiä? (^ und L), während es früher 3 Brigaden reitende Artillerie zu 10 Batterien gab. Die reitenden Bat- terien sind von verschiedener Stärke; 9 im Mutter- land befindliche zählen 115 bez. 151 Mannschaften, 11 in Indien 146; die Depotbatterien haben deren 188. Unabhängig von diefen 22 Batterien umfaßt die reitende Artillerie noch einen Stab [* 12] für Groß- britannien und einen solchen für Indien.
Außer- dem befindet sich das Cadre der Reitfchule für die reitende Artillerie zu Woolwich. Die Feldartillerie umfaßt 80 aktive Batterien mit der Nr. 1 bis 80, 4 Depotbatterien zu Woolwich haben diese Batte- rien mit Personal und Material zu versehen. Auch für die Feldartillerie existieren 2 Stäbe für Groß- britannien und Indien; ferner 15 Cadres zu Mu- nitionskolonnen. Die Effektivstärke der Batterien schwankt, je nachdem dieselbe zu den beiden im Mo- bilmachungsfall zu bildenden Armeekorps oder zu den im Innern oder in Indien stehenden gehören.
Und zwar wechseln sie zwischen 115 und 166 Köpfen mit einem Pferdestand von 50 bis 110 Pferden. Die Batterien haben teils 4, teils 6 Geschütze. [* 13] Die frü- her der Garnisonartillerie zugeteilt gewesene Ge- birgsartillerie bildet jetzt eine selbständige Gruppe von 10 Batterien, sämtlich in Indien und Natal bis auf 1 Dcpotbatterie zu Alderfhot. Die Stär- ken wechfcln zwischen 95 und 218 Unteroffizieren und Mannschaften. Die Garnifonartillerie hat feit eine andere Organifation.
Die Ein- teilung in 3 Divisionen (östliche, füdliche, füdwest- liche) mit den zugehörigen Milizabteilungen bleibt bestehen. Die Bezeichnung «Batterie» ist durch «Compagnie» ersetzt. Die Zahl der Compagnien richtet sich nach dem Umfang der Armierungsauf- gaben der Befestigungen jedes Divisionsbezirks. Ablösung der außer Landes befindlichen Compagnien findet durch andere Compagnien desselben Divisions- verbandes statt, sodaß jeder Division bestimmte Gar- nisonen angewiesen sind.
Eine jede Division verfügt außerdem noch über einen Stab von Offizieren, Unteroffizieren und besonders ausgebildeten Mann- schaften, der auf die einzelnen Armierungsbezirke verteilt und dem Commandeur der Artillerie un- mittelbar unterstellt ist. Die Küstenbrigade wurde aufgelöst, Offiziere und Mannschaften wurden auf die einzelnen Stationen verteilt. Die Ostdivision Dover [* 14] besteht aus 22 aktiven Festungsartillerie- Compagnien und 3 Depots, die Süddivisicn Ports- mouth aus 28 aktiven, 4 Depots, die Westdivision Devonport aus 18 attiven, 2 Depots.
Auf diese 3 Divisionen sind die nach Indien und den Kolo- nien detachierten oder in Großbritannien stationier- ten Batterien verteilt. Rekrutenaushebung und -Ausbildung erfolgt in den Depots. Die Effektiv- stärken der Festungsartillerie-Compagnien wechseln zwischen 100 und 181 Köpfen. Die Geschütz- frage ist noch lange nicht völlig gelöst. Ssit 1887 hat man endgültig den 12-Pfund-Stahl- Hinterlader (7,6 cm) mit Schraubenverschluß ange- nommen; 86 Batterien, davon 33 im Inlande, 53 in Indien, sind mit ihm ausgerüstet. Ein leichteres Feldgeschütz ist in Erwägung genommen, sein Mo- dell steht aber noch nicht fest. Augenblicklich ist darum die engl.Feldartillcric weit entfernt, ein ein- heitliches Geschützmaterial zu besitzen. Denn daneben ¶