mehr
Stephans Tod den Thron [* 2] frei, den Heinrich nun bestieg. Durch weibliche Erbfolge war die Königswürde damit vom Hause des Eroberers auf die Grafen von Anjou übergegangen, die sämtlich den Beinamen von Mathildens Gemahl, Plantagenet (s. d.), erhielten. Heinrich II. (1154-89) beherrschte ein mächtiges, außer England das halbe Frankreich umfassendes Reich, das durch das Erbe seines Hauses, Anjou, Maine und Touraine, durch die Lande seiner Gattin Eleonore (s. d.), Poitou, Guyenne und Gascogne, und durch die Lande der engl. Krone, England und die Normandie gebildet wurde. (S. Historische Karten von Frankreich 1.) Fast alle die Kämpfe seiner Regierungszeit galten dem Ausbau und der Befestigung dieses Reichsganzen, ohne daß er dieser künstlichen Schöpfung nennenswerte Dauer verleihen konnte.
Was er geschichtlich geleistet hat, beschränkt sich auf England, wo er grundlegend gewirkt hat in Gesetzgebung, Gerichts- und Verwaltungsordnung. Ein Kampf, in den er mit seinem frühern Kanzler, dem Erzbischof Thomas Becket von Canterbury, geriet, war begründet in den widerstreitenden Forderungen staatlicher und kirchlicher Oberhoheit und zwang ihn, eine Stütze in seinen weltlichen Großen zu suchen; damit verlieh er aber diesen zuerst selbständigen Anteil an der bisher autokratischen Reichsregierung.
Der Streit endete mit Beckets Ermordung (1170), und mit formellem Nachgeben des Königs in den Grundsätzen, die schon seine «Konstitutionen von Clarendon» (1164) aussprachen, aber mit thatsächlicher Behauptung seines Standpunktes. Innere Unruhen in Irland benutzte Heinrich zum Beginn einer Eroberung dieses Landes (1171), als dessen rechtmäßige Herren die Könige von England sich seitdem betrachteten, und auch in Schottland wußte er seinen Einfluß geltend zu machen.
Trotz dieser äußern Erfolge wurde ihm sein Leben verbittert durch Familienzwist, bei dem seine oftmals rebellischen Söhne mit ihrer Mutter und auswärtigen Gegnern gegen den Vater standen, und als wieder einmal sein Thronfolger Richard die Waffen [* 3] gegen ihn erhoben hatte, starb Heinrich Der in Sage und Dichtung hochgefeierte Richard I. Löwenherz (1189-99) war eine ritterlich-romantische, zugleich etwas rohe Natur, persönlich tapfer, auch ein geschickter Feldherr, aber mehr Abenteurer als Staatsmann.
Dem entsprach seine Regierung, deren erste Jahre er auf dem Kreuzzug ins Gelobte Land und mit langer Gefangenschaft in Deutschland, [* 4] und deren letzte Zeit er mit dem aussichtslosen Bemühen vergeudete, die Erhaltung des festländischen Teils seines Reichs zu erkämpfen. In diesen Kriegen kam er selbst ums Leben. Sein Bruder Johann (1199-1216), der schon während Richards Abwesenheit im Bunde mit Philipp August von Frankreich Anschläge auf des Bruders Krone geschmiedet hatte, verdrängte jetzt Arthur, den Sohn eines ältern verstorbenen Bruders, und beseitigte ihn schließlich durch Mord. Er selbst aber verlor an Frankreich seinen ganzen Festlandsbesitz bis auf einen Rest im Süden, zugleich erregte die feige Treulosigkeit und tyrannische Grausamkeit des sonst politisch gut beanlagten Königs die Empörung seiner engl. Vasallen.
Diese kam zum Ausbruch, als er nach dem Verlust seiner franz. Provinzen in einem Streit über die Besetzung des Erzbistums Canterbury von Innocenz III. gebannt und für abgesetzt erklärt, sich so weit demütigte, sein Königreich aus dessen Hand [* 5] als Lehen zu nehmen (1213) und bald darauf eine Niederlage durch die franz. Waffen bei Bouvines erlitt (1214). Der vereinte geistliche und weltliche Adel entrang ihm in dem großen Freibrief der «Magna Charta» (s. d.) die urkundliche Zusicherung gesetzlichen Regiments und die klare Darlegung der Freiheiten des einzelnen. In diesem auf der Charte Heinrichs I. von 1100 beruhenden und sie erweiternden Freibrief hat man, nicht immer ohne Übertreibung, den Grundstock verfassungsmäßiger Freiheit in England gesehen.
Johann, der zur Nichterfüllung seines Versprechens sofort entschlossen war, ließ sich von seinem päpstl. Lehnsherrn seines geschworenen Eides entbinden, ein Bürgerkrieg entbrannte, in dem seine Gegner so weit gingen, dem franz. Dauphin, dem spätern Ludwig VIII., die Krone anzubieten. Dieser stand in England, als Johann (1216) starb, wurde jedoch durch den Regenten für Johanns unmündigen Sohn Heinrich III. (1216-72), den Grafen von Pembroke, zum Abzug bewogen.
Heinrich III. blieb Zeit seines Lebens ein haltloser wetterwendischer Schwächling, dabei erfüllt von starken Herrschaftsgelüsten. Die Begünstigung von Ausländern, die vom König geduldeten päpstl. Erpressungen, dabei Heinrichs eigene sinnlose Verschwendung erregten steigende Unzufriedenheit bei den Großen. Sie brachten es zur Unterordnung des Königs unter einen Magnatenausschuß, endlich in offenem Krieg, dem sog. Baronenkrieg, unter Simon von Montforts Führung nach des Königs Niederlage bei Lewes (1264) zu seiner Absetzung.
Nur der Spaltung unter den Gegnern und der Kraft [* 6] seines Hohnes Eduard hatte Heinrich es zu danken, daß bei Evesham (1265) Montforts Macht gebrochen und die Herrschaft des Königs wiederhergestellt wurde, die nun ruhig verlief bis zu seinem Tode, So jämmerlich die Regierung des Vaters gewesen, so bedeutend wurde die des Sohnes, Eduards I. (1272-1307), vor allem durch seine Neuschöpfungen auf, dem Gebiet der Gesetzgebung, der Rechtspflege, der Verwaltung, besonders der Polizei und des Lehnswesens.
Gegenüber Frankreich beschränkte er sich auf die Verteidigung des ihm gebliebenen Besitzes, erobernd ging er (1272 und 1282) gegen Wales vor, das noch immer eine gewisse Selbständigkeit behauptet hatte. Der dort 1284 geborene Thronerbe Eduard erhielt zuerst den von nun an gebräuchlichen Titel eines Prinzen von Wales: in die Thronstreitigkeiten, die in Schottland nach dem Aussterben des dortigen Königshauses ausgebrochen waren, griff er entscheidend ein, erzwang von dem neuen König John Baliol die Anerkennung seiner Lehnshoheit und setzte ihn ab, als er sich gegen ihn erhob.
Aber wie gegen Wales so hatte Eduard gegen Schottland fast ununterbrochen Krieg zu führen, und die Anforderungen, die er dafür an sein Land stellen mußte, bewirkten eine grundlegende Neugestaltung des Verfassungswesens. Die alten Einkünfte der Krone aus ihrem Grundbesitz, aus Bußen und Gefällen ^[Einkünfte, die von einem Grundstück anfallen - Sanders, Handwörterbuch], so reichlich sie für ihre Zeit gewesen, genügten längst nicht mehr. Schon Heinrich II. hatte für die Lehendienstleistungen der Kronvasallen eine Ablösung durch eine Geldsteuer neben der üblichen Steuer (tallagium) der nicht Lehendienstpflichtigen eingeführt. Auf diese Steuern verlegte sich mehr und mehr der Schwerpunkt [* 7] der staatlichen Anforderungen, und diese wurden immer drückender. Da benutzten die ¶
mehr
Barone die Notlage Eduards, um die denkwürdige Charte von 1297 zu erzwingen, in der der König sich neben einer Neubestätigung der Magna Charta für alle Steuerforderungen an die Bewilligung des Parlaments band. Dies aber war nicht mehr allein ein Parlament der Prälaten, Earls und Barone, sondern wie zuerst Simon von Montfort 1265 neben ihnen zwei Ritter aus jeder Grafschaft und zwei Bürger aus einer Reihe von Städten mit zum Parlament berufen, und wie Eduard diesen Vorgang mehrfach wiederholt hatte, so wurden jene Vertreter der ländlichen und städtischen Kommunen jetzt gesetzlich mit in das Parlament einbegriffen. (S. Commons, House of.) Dieses war damit in seiner wesentlichen Gestaltung und seinen wichtigsten Rechten für eine Zukunft von fünf Jahrhunderten begründet. Wie das Königtum der Anjou-Plantagenet von seinen imperialistischen Zielen abgedrängt, allmählich ein englisch-nationales wurde, so war in derselben Zeit, nicht zum wenigsten durch den gemeinsamen Widerstand gegen die Ausschreitungen der Monarchie und durch die ständische Verfassung, ein Zusammenschluß und die Verschmelzung der zuerst feindlich sich abstoßenden Normannen und Angelsachsen zu der einen engl. Nation geschehen.
3) Die Zeit des Aufschwungs von Eduard III. bis auf Heinrich V. und der Verfall im Zeitalter der Rosenkriege (1307-1485). Die Auflösung alles dessen, was Eduard I. geschaffen, schien die Regierung seines Sohnes zubringen, des Schwächlings Eduard II. (1307-27), die ganz erfüllt ist von ununterbrochenem Kampf mit den Baronen. Die Wirren infolge der absolutistischen Bestrebungen des unfähigen Monarchen, der Widerstand der Magnatenschaft, der persönliche Ehrgeiz ihrer Führer bewirkten nach außen hin den Verlust der Hoheit über Schottland.
Eine Verschwörung unter der Führung von Eduards Gemahlin Isabella und ihrem Günstling Mortimer brachte schließlich den König um Thron und Leben. Nach dem Sturz der Königin und ihrer Partei, die die Regentschaft an sich gerissen hatte, eröffnete sich unter Eduard III. (1327-77) eine Zeit größter Erfolge in der auswärtigen Eroberungspolitik und zugleich eine Periode weitern Ausbaues der Parlamentsverfassung, eines neuen Aufschwungs auch im Handel und geistigen Leben.
Eduard III. griff wieder entscheidend in die schott. Verhältnisse ein, und Kriege und Intriguen mit diesem nördl. Nachbar durchzogen seine Regierung, denn die für England so gefährliche Verbindung schott. und franz. Politik, die unter Eduard I. begonnen hatte, befestigte sich unter Eduard III. Den Bruch mit Frankreich führte Eduard selbst herbei durch seine Ansprüche auf die franz. Krone als Schwestersohn der letzten ohne männliche Erben verstorbenen kapetingischen Könige. (S. Frankreich, Bd. 7, S. 86.) Hoher Ruhm umkleidet die ersten Jahrzehnte des 1340 beginnenden und mit wenigen Unterbrechungen hundert Jahre dauernden Krieges.
Die Siege bei Sluys (1340), Crecy (1346), Maupertuis (1350) und die heldenhafte Gestalt des Schwarzen Prinzen von Wales, machen diese Epoche zu einer der glänzendsten in der engl. Geschichte. Aber noch vor Eduard sank sein kriegerischer Sohn ins Grab, und er selbst sah den ganzen Siegesgewinn, das südwestl. Frankreich bis nahe der Loire, wieder verloren gehen, und gerade mit Benutzung der Kriegsnöte des Königs erkämpfte das Parlament sich neue Rechte; schon jetzt beginnen als seine Wortführer die gesondert von den Lords tagenden Gemeinen (s. Commons, House of) in den Vordergrund zu treten, und mit Erfolg erhoben die Grafschaftsritter und Städtebürger Einspruch gegen die Umtriebe höfischer Parteien am Hofe des altersschwachen Monarchen. In unruhiger Zeit gelangte Eduards elfjähriger Enkel und Nachfolger Richard II. (1377-99), der Sohn des Schwarzen Prinzen, auf den Thron.
Eine unglückliche Kriegführung gegen Frankreich und Schottland und der dadurch vermehrte Steuerdruck entfesselten eine große sociale Empörung unter Wat Tyler, die nur mit Mühe unterdrückt wurde. Wie hier in den untersten Volksschichten, so stieg auch die Unzufriedenheit in den Kreisen der führenden Großen. Als Leiter der parlamentarischen Opposition bemächtigte sich des Königs Oheim Gloucester der Herrschaft, bis sie ihm der mündig gewordene König entriß. Nach der achtjährigen Ruhe einer maßvollen persönlichen Regierung des Monarchen brach der Hader aufs neue aus und endete mit dem Sturz Richards durch den von ihm verbannten Herzog Heinrich von Hereford, seinen Vetter, der als Heinrich IV. (1399-1413) die Königsreihe der jüngern Plantagenetlinie Lancaster eröffnete.
Da Heinrich IV. hauptsächlich durch die Hilfe des Parlaments den Thron bestiegen hatte, so erntete vor allem das Parlament die Früchte dieser Umwälzung. Während Heinrich durch Adelsverschwörungen, besonders der Percys (s. Northumberland), durch Kämpfe gegen Wales und Schottland in Atem gehalten wurde und in diesem Ringen seine reiche Kraft vor der Zeit aufrieb, schritten die Gemeinen von Recht zu Recht fort, sie nötigten dem König geradezu ein fast modern parlamentarisches Regiment auf.
Das eine hat Heinrich IV. nur erreicht, daß sein Sohn Heinrich V. (1413-22) unangefochten sein Erbe antrat, und der Arbeit des Vaters war es zu einem guten Teil zu danken, daß das staatsmännische und kriegerische Talent des Sohnes seine staunenswerten Erfolge erringen konnte. Heinrich V. hielt fest an den Grundsätzen der Regierung Heinrichs IV., gegenüber den Parlamenten wie gegenüber der andern Hauptstütze des Lancasterthrons, der Geistlichkeit; er wie sein Vater mußte dieser die Lollharden (s. d.), die Anhänger Wyclifs, zu blutiger Verfolgung preisgeben.
Dafür schritt er in seinem franz. Kriege, den er mit der glänzenden Waffenthat bei Azincourt (1415) eröffnete, fort bis zu seiner Anerkennung als Erbe des franz. Thrones (1420); aber mitten aus seiner großen Laufbahn wurde er durch eine tödliche Krankheit hinweggerafft (Aug. 1422). Trotz der vielfachen äußern und innern Unruhen war das vergangene Jahrhundert eine Epoche reicher Entwicklung für England gewesen. Das an Volkszahl und Reichtum weit hinter Frankreich stehende Land hatte in zwei siegreichen Eroberungskriegen diesem Gegner eine Reihe seiner Provinzen entrissen und bewährte damit die wachsende Kraft der erstarkten Nation. Auch die innere Entwicklung hatte ihren Fortgang gewahrt; die im Parlament vertretenen Klassen wuchsen an polit. Einsicht und Reife, der Handel nahm frischen Aufschwung, und das engl. Geistesleben hatte seine ersten reichen Blüten getrieben. Und als nun der Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht war, da erfolgte der Umschwung, der bis zur vollen Zerstörung aller Ergebnisse zu führen schien. ¶