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Trotzdem gewann die periodische Presse [* 2] zusehends an Einfluß. 1662 wurde der «Kingdom's Intelligencer» gegründet, dessen Erfolg den Censor L'Estrange 1663 zur Herausgabe des «Intelligencer» veranlaßte, der, seit 1665 in eine zu Oxford [* 3] erscheinende offizielle Zeitung verwandelt, noch jetzt u. d. T. «London [* 4] Gazette» fortdauert. Auch an Oppositionszeitungen gegen den Hof [* 5] fehlte es nicht, unter welchen «The Weekly Packet of Advice from Rome» (1678-83) hervorragte; für die Regierung nahmen unter andern der «Observator» (1680) und «Heraclitus Ridens» (1681-82) Partei. Die meisten Zeitungen erschienen und erscheinen noch in London; die erste Provinzialzeitung kam 1639 zu Newcastle [* 6] heraus. In Schottland ward die erste Zeitung «Mercurius Politicus», eine Reproduktion des gleichnamigen von Marchmont Needham, einem Freunde Miltons, redigierten Londoner Blattes, 1653 im Hauptquartier Cromwells zu Leith [* 7] gedruckt.
Im J. 1709 entstand das erste Tageblatt «Daily Courant». Die Preßfreiheit bestand rechtlich, unterlag aber thatsächlich willkürlichen Beschränkungen von seiten des Parlaments und der Regierung. Ein harter Schlag für das aufblühende Zeitungswesen war die Stempeltaxe (1712). Dieselbe wurde unter Georg I. aufgehoben, 1725 von neuem eingeführt und allmählich von ½ Penny auf 4 Pence gesteigert, bis man sich 1836 durch das Überhandnehmen von ungestempelten Blättern genötigt sah, sie auf 1 Penny herabzusetzen.
Auch dieser Rest verschwand 1855. Die Veröffentlichung der Parlamentsverhandlungen war lange unter harten Strafen verboten; seit 1715 erschien indes eine Skizze der wichtigsten Debatten in «Boyer's Register». Umfassendere, obschon noch magere Berichte gaben das «London Magazine» und das «Gentleman's Magazine». Erst unter Georg III., als die Presse durch den von Wilkes geleiteten «North Briton» und die 1767-71 im «Public Advertiser» eingerückten Juniusbriefe einen mächtigen Aufschwung nahm, wagte ein Verleger, Almon, in der «London Evening Post» vollständige Berichte zu veröffentlichen.
Sein Erfolg ermutigte andere Blätter zur Nachahmung. Die Herausgeber, die das Parlament verhaften ließ, wurden auf richterlichen Befehl wieder in Freiheit gesetzt, und der Kampf endete damit, daß den Zeitungen das Recht blieb, die Parlamentsverhandlungen zu drucken. Das einflußreichste aller Organe der engl. Presse, die «Times» (s. d.),
erschien zuerst Jan. 1788 als Fortsetzung des «Daily Universal Register». Um diese Zeit wurde von Peter Stuart auch das erste tägliche Abendblatt, der «Star», gegründet.
Von den ältesten jetzt noch bestehenden Zeitungen sind zu nennen: die zweimal wöchentlich erscheinende «London Gazette», das 1665 gegründete offizielle Regierungsorgan, und das «Ipswich Journal» seit 1720. Einmal werden ausgegeben «The Lincoln Rutland and Stamford Mercury» seit 1695. Täglich erscheinen der für die Handelswelt wichtige «Public Ledger» seit 1760, «The Edinburgh Gazette» seit 1700 und «The Salisbury and Winchester Journal» seit 1729. In Irland ist die älteste Zeitung die jetzt noch sehr gelesene «Belfast News Letter» seit 1737. Nach dem Fall der Stempeltaxe 1855 (bez. dem Aufhören der Papiertaxe 1861) brach die Zeit der Penny Papers an. Der «Daily Telegraph» [* 8] (s. d.) war das erste in großem Format erscheinende Penny Paper.
Die ursprünglichen 4 Seiten wurden schon nach 2 Jahren auf 8 Seiten erhöht und gegenwärtig ist die Seitenanzahl oft 12-16. Anfänglich war der «Daily Telegraph» von entschieden liberaler Tendenz, doch suchte er sich später der jeweiligen Zeitströmung anzuschmiegen. Seine tägliche Auflage beträgt (1893) 300000 Exemplare. Es ist das erste Annoncenblatt der Hauptstadt. Der nach seinem Beispiel gegründete «Morning Star», das Organ der Manchesterpartei, verwandelte sich nach dem anfänglichen Scheinerfolg in den «Evening Star» und ging 1867 ganz ein. Der konservative, 1827 zuerst herausgegebene «Standard» (s. d.) wurde als Penny Paper 1857 zum neuen Leben erweckt. Seine Auflage beläuft sich (1893) täglich auf 255300 Exemplare. Der «Standard» hat eine Abendausgabe, den «Evening Standard». Er bringt sympathische Berichte über deutsche Verhältnisse.
Die Zahl der polit. Zeitungen ist noch in stetigem Wachstum begriffen. Eine Unmenge wöchentlicher, monatlicher und vierteljährlicher Zeitschriften, Unterhaltungsblätter, kirchlicher und wissenschaftlicher Organe gesellen sich ihnen zu. Nach Ausschluß der jährlichen Adreßbücher, Kalender u. s. w. und der meist vierteljährlichen Veröffentlichungen gelehrter Gesellschaften erscheinen in Großbritannien [* 9] u. I. 4230 Blätter. Davon gelangen 198 täglich (Morgen- und Abendzeitungen), 2312 wöchentlich und 1720 in längern oder kürzern Zwischenräumen zur Ausgabe.
London und seine Vorstädte sind hierunter mit 786 Blättern und Zeitschriften vertreten, nämlich mit 32 täglichen Blättern, 21 2-5mal wöchentlich ausgegebenen Blättern, 20 Vierteljahrsschriften, Revuen und Fachschriften, 213 monatlichen Zeitungen, Unterhaltungsschriften und Magazinen, 480 wöchentlichen Publikationen jeglicher Art. In England (ohne London) erscheinen: 2888 Blätter und Zeitschriften, in Schottland 245, Irland 195, in Wales 95, auf Man 7, auf den Kanalinseln 14.
Von der Presse Londons sind außer der «Times» (s. d.),
der Königin aller Zeitungen, dem «Daily Telegraph» und dem «Standard» noch folgende hervorragend: das große liberale Parteiblatt «Daily News» (s. d.), das Organ der Gladstonianer, wurde unter den Auspicien der Anti-Corn-Law-League 1845 von Charles Dilke und Charles Dickens gegründet. Ursprünglich kostete das Blatt [* 10] 3 Pence, wurde aber 1868 auf 1 Penny heruntergesetzt. Berühmt sind die Kriegsberichte von Archibald Forbes (s. d.). Seine Auflage ist (1893) über 130000 täglich.
Als das Organ der Radikalen gilt die ausgesprochen deutschfeindliche, 1855 begründete «Daily Chronicle». Ein besonderer Vorzug dieses Blattes bildet das täglich erscheinende «Litterar. Supplement» mit Besprechungen aller litterar. Neuigkeiten. Die Auflage ist 145000 täglich. Hochkonservativ ist die 1772 gegründete «Morning Post» (s. d.), das fashionable Organ der Aristokratie. Nach langem Sträuben setzte auch diese Zeitung ihren Preis auf 1 Penny fest. Ihre Glanzperiode fiel in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrh. Der 1793 von einer Gesellschaft Londoner Gast- und Speisewirte begründete «Morning Advertiser» spielte in den fünfziger Jahren eine große Rolle. Für die Handelswelt wichtig sind der seit 1760 bestehende «Public Ledger», die 1726 als «Lloyd's List» begründete und seit 1836 als «Shipping Mercantile Gazette and Lloyd's Lists» erscheinenden Blätter.
Für die Finanzwelt und Börse werden täglich die «Financial News» und die «Financial Times» ¶
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veröffentlicht. Das Experiment einer täglich erscheinenden illustrierten Zeitung wurde 1890 mit dem «Daily Graphic» mit Erfolg gemacht. Der «Daily Graphic» wird hauptsächlich als Familienblatt betrachtet; die polit. Haltung ist streng neutral (s. Graphic).
Zu diesen Morgenzeitungen gesellen sich die meistens 1 Penny kostenden Abendzeitungen. Das älteste Abendblatt ist der konservative «Globe» seit 1803. Die wichtigsten sind der konservative «Evening Standard», die hochkonservative, schlagfertig geschriebene «St. James' Gazette» (seit 1880),
deren litterar. Kritiken besondere Beachtung verdienen; ferner die «Pall Mall Gazette» (seit 1868). Diese, anfangs konservativ, wurde später liberal und russenfreundlich und bevorzugt die chronique scandaleuse. Ende 1892 verwandelte sie sich in ein unionistisch, bez. gemäßigt konservatives Blatt. Die alten Mitarbeiter gründeten 1893 mit Hilfe der extrem liberalen Partei die ultraliberale «Westminster Gazette», die trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens wohl das gelesenste Penny-Abendblatt geworden ist. Die «St. James' Gazette», die «Pall Mall Gazette» und «Westminster Gazette» veröffentlichen auch gut illustrierte Wochenausgaben zu dem Preise von 6 Pence, unter den Titeln «St. James-Budget», «Pall Mall Budget» und «The Westminster Budget».
Das erste ½ Penny kostende Blatt, das liberale «Echo», trat 1868 ins Leben. Es erfreut sich heute noch einer großen Beliebtheit, die tägliche durchschnittliche Auslage ist 150000 Exemplare. «The Evening News and Post» wurde als konservatives Organ 1881 gegründet, fand aber nie rechten Anklang. Am meisten Erfolg hatte das radikale Arbeiterblatt «The Star», 1888 gegründet, das sich einer Auflage von 200000 Exemplaren rühmt. Seit 1893 erscheint «Sun», von T. P. O'Connor herausgegeben, mit ultraradikaler und irisch-nationalistischer Tendenz. 1892 wurden auch zwei ½ Penny Morgenzeitungen: der konservative «Morning» und der radikale «Morning Leader» begründet.
Im Anschluß an die täglichen Zeitungen sind die wöchentlichen Zeitungen und Zeitschriften zu nennen. Die meisten erscheinen zum Preise von 1 Penny. In London erscheinen 10 Sonntagsblätter. Einige haben eine unglaubliche Verbreitung. Das ultraradikale «Lloyd's Weekly Newspaper», seit 1843, hat eine notariell beglaubigte Auslage von 600000 Exemplaren. Sein Rivale ist das demokratische, 1850 zuerst erschienene «Reynold's Newspaper» mit 550000 Exemplaren. Sehr großer Beliebtheit erfreut sich die radikale «Weekly Sun» (1891),
mit guten litterar. Besprechungen. Der konservative «People», die liberale «Weekly Times and Echo», die Weekly Dispatch", die 1843 gegründete «News of the World», alle finden einen großen Leserkreis. Das vornehmste Sonntagsblatt ist jedoch der gemäßigt liberale, alt ehrwürdige, 1791 gegründete «Observer», dessen litterar. Besprechungen großes Gewicht beigelegt wird. Sein Preis ist 4 Pence.
Unter den illustrierten Blättern für Unterhaltung erlangten einen Weltruf die «Illustrated London News» (s. d.) und der «Graphic» (s. d.). 1889 trat «Black and White» ins Leben. Seine Hauptanziehung sind die meisterhaften Holzschnitte. Die 1893 erschienene «Sketch» bringt Originalzeichnungen hervorragender Künstler.
Für Frauen erscheint wöchentlich seit 1886 die fashionable «Queen» mit Erzählungen der besten Autoren, guten Illustrationen und Modekupfern, zum Preise von 6 Pence. Ihre bedeutendsten Rivalen sind «The Gentlewoman» (1890) und «The Lady's Pictorial» (1880).
Eine eigentümliche Erscheinung in Großbritannien sind die etwa 24, meist wöchentlich erscheinenden Society Papers oder Gesellschaftsblätter. Die wichtigsten sind die aristokratische von E. Yates 1874 begründete «World» und die 1870 von Labouchère begründete radikale «Truth».
Eine Menge dem Klatsch und der Frivolität huldigenden Blätter gelangen beständig in Hollywell-Street zur Ausgabe. Die Polizei ist ihnen scharf auf den Fersen, aber ganz zu unterdrücken war diese beständig ihre Verleger und Titel wechselnde Skandalpresse nicht.
Unter den wöchentlichen Zeitschriften nehmen die sog. «Reviews» polit.-litterar. Richtung den ersten Platz ein. Der Preis ist 6 Pence. Sie sind die Nachfolger der von Addison, Steele, Tickell, Hughes u. a. geschriebenen und herausgegebenen Journale, wie der «Tattler» (1709),
«Spectator» (1711) und «Guardian» (1713),
die eine ungemeine Verbreitung und Berühmtheit erlangten und das 18. Jahrh. hindurch unzählige Nachahmungen («Rambler», «Adventurer, »Idler», «World», «Connoisseur», «Lounger», «Mirror») hervorriefen. Die bekanntesten sind jetzt der 1828 gegründete liberale «Spectator», mit sorgfältig geschriebenen Kritiken der polit. und litterar. Tagesneuigkeiten;
die seit 1855 erscheinende konservative «Saturday Review», mit geistvollen Besprechungen der engl., franz. und deutschen Litteratur;
der 1890 gegründete radikale «Speaker»;
der seit 1888 (als «Scot's Observer») erscheinende hochkonservative «National Observer».
Noch zu erwähnen ist «The Tablet» (1840),
die kath. «Review». Ihr Preis ist 5 Pence. Die kommerziellen und finanziellen Interessen werden von dem 1843 begründeten «Economist» wahrgenommen.
Eine andere Art Wochenblätter dient der Unterhaltung, polit., kirchlichen und Sonderinteressen. Die wichtigsten politischen sind unter Sonntagsblätter angeführt. Die meisten dieser Blätter kosten 1 Penny. Die bedeutendsten kirchlichen Wochenzeitungen sind: «The British Weekly», «The Christian World», beide allgemein prot. Richtung. Die einzelnen Kirchen haben ihre besondern Organe. Die ritualistische katholisierende Richtung der Staatskirche ist in der «Church Review» und «The Church Times» vertreten, die prot.-calvinistische in «The English Churchman» und «The Rock», während die «Broad-Church» ihre Interessen im 1846 begründeten «Guardian» wahrnimmt. Ferner erscheinen: «The Baptist», «The Methodist Times», «The Independent and Nonconformist». Die Katholiken haben eine Anzahl Blätter, darunter die «Catholic Times» in Liverpool [* 12] und die «Catholic News» in Preston. Die Juden haben das «Jewish Chronicle» (1841) und die «Jewish World» (1873). Die Freimaurer veröffentlichen «The Freemason» und «The Freemason's Chronicle». Für Atheisten erscheint der 1881 unter Bradlaughs Einfluß gegründete «Freethinker»; für die Spiritisten «The Light», «The Medium» und das Mitte 1893 von Stead gegründete «Borderland», «The Two Worlds», während die «Thesosophical Society» ihre Lehren [* 13] durch den «Lucifer», «Path» und «The Theosophist» zu verbreiten trachtet. «The War Cry» sorgt für die Heilsarmee. ¶