Seinem
Bruder in Vielem geistesverwandt, mit ihm häuslich und amtlich, durch zärtlichste Liebe und
durch Gemeinschaft der
Arbeiten verbunden, hatte er doch sein eigenes wissenschaftliches Feld und seine eigene Art, durch
die er jenen ergänzte. Er war minder kühn, genial und fruchtbar;
er liebte mehr geduldigstes, rundes
und sauberes Ausfeilen und Abschließen;
er richtete sich auf engerm Gebiete ein, das er zierlich und mit schönem poet.
Sinne ausgestaltete. Gemeinsam mit
Jakob bearbeitete er das «Deutsche
[* 2] Wörterbuch», die
«Deutschen Sagen» und die
«Kinder- und
Hausmärchen»;
daß diese ein wahres
Volks- und Kinderbuch geworden sind, danken sie zumeist dem künstlerischen
Erzähler Wilhelm, der den naiven echten Märchenton wundervoll traf, darin allen Romantikern weit überlegen.
Wilhelms zahlreiche
Ausgaben alt- und mittelhochdeutscher
Dichtungen und Sprachdenkmäler sind mehr durch treffliche litterarhistor. und sprachliche
Untersuchungen und feinsinnige Erläuterungen als durch
Schärfe der Kritik ausgezeichnet;
Seine Untersuchungen
«Über Freidank» (Berl. 1850; 1. und 2. Nachtrag, Gött.
1852-55) laufen freilich auf das unhaltbare Resultat heraus, daß Freidank identisch sei mit
Walther von der Vogelweide, sind
aber voll von wertvollen und weitreichenden
Beobachtungen, ebenso wie die stoffreiche
Schrift «Zur Geschichte des Reims»
[* 4] (Berl.
1852).
Die Grundlage unserer Runenkenntnis legte das
Buch«Über deutsche Runen»
[* 5] (Gött. 1821).
Wilhelm G.s Hauptwerk aber
war «Die deutsche
Heldensage» (ebd. 1829; 2. Aufl., besorgt von Müllenhoff, Berl.
1867; 3. Aufl., von R. Steig, Gütersloh 1890),
der er schon durch seine
Übersetzung «Altdän. Heldenlieder» (Heidelb.
1811) und in den
«Altdeutschen Wäldern» vorgearbeitet hatte: eine fast erschöpfende Sammlung der Zeugnisse
für Leben und Fortleben der deutschen
Heldensage, mit vorsichtiger unbefangener Kritik, die sich von allen mytholog.
Vorurteilen
frei hält.
Die mannigfachen
«KleinernSchriften» Wilhelm G.s sind gesammelt von Gustav Hinrichs (4 Bde.,
Berl.
u. Gütersloh 1881-87);
der erste
Band
[* 6] wird eröffnet durch eine kurze Selbstbiographie. (S.
Grimm,
Jakob und Deutsche
Philologie.)
1)
Amtshauptmannschaft in der sächs. Kreishauptmannschaft
Leipzig,
[* 7] hat 846,54 qkm, (1890) 90918 (45163 männl., 45755 weibl.)
E. in 8
Städten und 177 Landgemeinden. - 2) Hauptstadt der
AmtshauptmannschaftGrimma, 30 km südöstlich von
Leipzig, links an der
Mulde, an den Linien
Leipzig-Döbeln-Dresden und
Glauchau-Wurzen
(Muldenthalbahn) der Sächs. Staatsbahnen
[* 8] (2
Bahnhöfe),
[* 9] in einem Thalkessel reizend gelegen, ist Sitz der
Amtshauptmannschaft, eines Amtsgerichts (Landgericht
Leipzig),
Hauptsteueramtes,
Rentamtes, einer Superintendentur, Bezirksschulinspektion, Bezirkssteuereinnahme,
Straßen- und Wasserbauinspektion,
und
hat (1890) 8957 (4748 männl., 4209 weibl.) E., darunter 237 Katholiken, in Garnison (700
Mann) das 19. Königin-Husarenregiment, Postamt erster
Klasse,
Telegraph,
[* 10] Fernsprechverbindung; 4 luth.
Kirchen, darunter die 1685 erbaute Klosterkirche und die im 13. Jahrh. erbaute Frauenkirche,
eine kath. Kapelle, Rathaus (1442) und königl. Schloß, jetzt
Sitz der
Behörden, ein
Krieger- und ein Lutherdenkmal, ein 1838 gegründetes Schullehrerseminar, seit 1874 in einem ansehnlichen
Neubau, ein zweites Seminar für ältere Schulamtsaspiranten (seit 1855), Realschule mit Progymnasium,
neue
Bürgerschule (1883) im Renaissancestil, Bezirkskorrektions- und Siechenhaus. Am bekanntesten
ist Grimma durch seine
Landes- und Fürstenschule (Illustre Moldanum), welche Kurfürst
Moritz in dem ehemaligen, 1288 gegründeten
Augustiner-Eremitenkloster errichtete.
Sie wurde eingeweiht und besteht seit dem Umbau von 1828 aus einem
Alumnat (126
Schüler) sowie
aus 6 Pensionsstellen (Rektor Dr. Gehlert, 12
Lehrer, 6
Klassen, 161
Schüler) mit 104
Frei- und 22 Koststellen (s. Fürstenschulen).
Die
Bibliothek umfaßt mehr als 10000
Bände. Die Anstalt befindet sich seit 1892 in einem prächtigen Neubau. Die ehemals
blühende Tuchindustrie sowie der Holzhandel haben aufgehört. Wichtig sind die Kunstmühlen, eine Eisengießerei
[* 11] und Maschinenbauanstalt, eine Patentziegelei, Fabrikation von Brennereieinrichtungen,
Glacéleder und Papierdüten, zwei
Wäsche-
und Garnbleichen, Gerberei, Färberei und mehrere Druckereien für leinene und wollene
Stoffe. Grimma besitzt sehr schöne Promenaden
und in unmittelbarer Nähe ausgedehnte und gutgepflegte Waldparkanlagen und wird als
Sommerfrische sehr
besucht. In der Umgegend das der Fürstenschule gehörige Klostergut Nimbschen mit den Ruinen des 1251 gegründeten Cistercienserklosters,
in welchem
Katharina vonBora lebte, das schön gelegene Hohenstädt, das Dorf Döben mit altem Schlosse, bereits 1185 als
Burg Dewin urkundlich, auf welcher
Albrecht der
Stolze seinen
VaterOtto den
Reichen gefangen gehalten haben
soll, und die Golzermühle mit Kunstmehlmühle, Maschinenbauanstalt und Papierfabrik. - Grimma ist sorbischen Ursprungs
und wird schon 1065 als Stadt erwähnt. Seit Erbauung des Schlosses, das schon 1200 stand, hielten die Markgrafen von Meißen
[* 12] und Kurfürsten von
Sachsen
[* 13] hier öfters
Hof.
[* 14] Am kam zu Grimma der sog. Grimmaische Machtspruch
zu stande, der die Streitigkeiten der beiden sächs. Linien über
Lehns-, Münz- und Bergsachen schlichtete. -
Vgl. Lorenz,
Die Stadt in
Sachsen, historisch beschrieben (Lpz. 1856-71);
Führer durch Grimma und Umgegend (4. Aufl., Grimma 1892).
Hans Jak.
Christoffel von, Schriftsteller, wurde um 1625 in Gelnhausen
[* 16] geboren, als zehnjähriger
Knabe
von den Hessen
[* 17] geraubt und lernte nun alle
Abenteuer und Fährnisse des wildesten Soldatenlebens in unmittelbarster Nähe
kennen. In dieser Zeit erwarb er sich auf Kreuz- und Querzügen jene
Landes- undVolkskunde, jenen
Blick
für das
Typische und Charakteristische seiner Zeit, die in seiner spätern schriftstellerischen Thätigkeit so kräftig zur
Geltung kommen sollten. Nach dem Friedensschlusse hat er, so scheint es, mit großer
Energie¶
mehr
durch emsiges Studium der alten und fremden Litteraturen seinen Erkenntniskreis, nicht zum Vorteil für seine litterar. Physiognomie,
zu erweitern sich bemüht. Ursprünglich Protestant, trat er zum Katholicismus über und wirkte lange Jahre in verschiedenen
Stellungen in den Diensten des StraßburgerBischofsEgon von Fürstenberg, seit 1665 als Schultheiß zu Renchen
in Baden,
[* 19] wo er starb. Ein Denkmal ward ihm daselbst errichtet. Als Schriftsteller seit 1659 thätig,
hat sich Grimmelshausen gerade in den Schriften, welche seinen Ruf begründeten, nie seines wahren Namens, sondern stets einer anagrammatischen
Form desselben bedient: Samuel Greifnson von Hirschfeld;
Michael Regulin von Sehmstorff u. a. Erst 1837 ward sein wirklicher Name durch H. Kurz
nachgewiesen.
Sein Hauptwerk, durch das er in der Litteratur fortlebt, «Der abenteuerliche SimplicissimusTeutsch, das ist:
Die Beschreibung des Lebens eines seltzamen Vaganten, genant Melchior Sternfels von Fuchshaim» (Mompelgart
1669), erschien unter dem NamenGermanSchleifheim von Sulsfort. Die Bedeutung dieses Werks, eines Ich-Romans, in den wohl auch
zweifellos autobiogr. Fragmente verflochten sind, beruht einerseits in dem Mut, mit dem der Verfasser dem Moderoman seiner
Zeit zum Trotz, Menschen und Dinge drastisch und derb zu schildern wagte, wie sie wirklich waren und lebten,
andernteils in der gelungenen dichterischen Gestaltung alles Gesehenen und Erlebten.
Aus diesen Gründen ist der Roman auch vom kulturhistor. Standpunkte aus eins der wertvollsten Dokumente aus der Zeit des Dreißigjährigen
Krieges. NeueAusgabenbesorgten O.L. B. Wolff (Lpz. 1848; 5. Aufl. 1876), Tittmann
(Bd. 7 u. 8 von «Deutsche Dichter des 17. Jahrh.», 2. Aufl.,
ebd. 1875),
Weitbrecht (2. Aufl., Lpz. 1890) u. a.
Um diesen Roman gruppieren sich mehrere kleinere, die sog. «simplicianischen»
Schriften, die in dieselben Sphären führen, aber über seltsamen Erfindungen nicht die packende Wahrhaftigkeit des Hauptwerks
erreichen: «Trutz Simplex» oder die «Landstörtzerin Courasche» (1669),
«Der seltzame Springinsfeld» (1670),
«Das Wunderbarliche
Vogelnest» (Tl. 1 u. 2, 1672). AndererArt ist eine Bearbeitung der biblischen Geschichte von «Joseph» (wahrscheinlich
zuerst 1667, dann mit einer Fortsetzung 1670),
die Novelle von «Dietwalt und Amelinde» (Nürnb.
1670),
sodann eine Anzahl satir. Schriften, gegen die Laster und Thorheiten der Zeit. Diese Thätigkeit beginnt mit dem «Fliegenden
Wandersmann nach dem Mond»,
[* 21] nach dem Französischen (1659); es folgen: die «Traumgesichte von mir und
dir» (1660),
«Schwartz und Weiß oder der Satyrische Pilgram» (1666),