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einmal auf der Anklagebank, um sich mit den übrigen Mitgliedern des Ministeriums Bulgaris wegen Verfassungsverletzung zu rechtfertigen. Der Prozeß zog sich lange hinaus und endigte im Dezember mit der Freisprechung sämtlicher Angeklagten. Der orient. Krisis gegenüber, die durch die Aufstände in der Herzegowina, Bosnien [* 2] und Serbien [* 3] entstanden war, hielt sich das Ministerium Kumunduros zunächst sehr reserviert. Wegen der Aufregung in Thessalien und Epirus wurden an der Nordgrenze einige Truppen aufgestellt und die Organisation einer Nationalgarde beschlossen.
Als aber die Pforte gegen 800 tscherkess. Familien nach Thessalien übersiedelte, Nachrichten von Mißhandlung der dortigen griech. Bevölkerung [* 4] eintrafen und Überschreitungen der Grenze vorkamen, sandte die griech. Regierung einen Protest an die Pforte und ein Memorandum an die Garantiemächte, ließ auch im Dezember den in Konstantinopel [* 5] versammelten Konferenzmitgliedern eine Denkschrift vorlegen. Zahlreiche Volksversammlungen wurden gehalten, und an die Stelle der bisherigen Ruhe trat eine offene Parteinahme für Serbien; in der Presse [* 6] wurde die Vereinigung von Thessalien, Epirus und Kreta mit Geschichte gefordert, und das Ministerium hatte Mühe, die angekündigte Neutralität aufrecht zu halten.
Die Kammer wurde 2. Okt. ohne eine die Orientfrage erwähnende königl. Rede eröffnet. Als das Ministerium 30. Nov. behufs außerordentlicher Maßregeln und zur Erlangung einer Anleihe die Einführung einer neuen Steuer vorschlug, erlitt es eine Niederlage, worauf Kumunduros dimissionierte und Deligeorgis die Bildung eines neuen Kabinetts übernahm. Kaum war dieses im Amt, so wurde es 9. Dez. durch ein Mißtrauensvotum wieder gestürzt, worauf Kumunduros wieder die Präsidentschaft übernahm. Am 18. Dez. bewilligte die Kammer den von ihm verlangten Kredit von 10 Mill. Drachmen zum Zweck einer neuen Militärorganisation, genehmigte gleich darauf die Vorlage bezüglich der Einberufung von 120000 Mann und nahm die seit Nov. 1876 begonnene Beratung des Gesetzentwurfs über Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wieder auf.
Infolge eines Mißtrauensvotums in einer Pensionsfrage nahm Kumunduros 8. März aufs neue seine Entlassung, und Deligeorgis trat 10. März an seine Stelle. Die Kammer nahm 28. März das Gesetz über Aufstellung einer außerordentlichen Reserve von 20000 Mann und das ganze Militärgesetz in dritter Lesung an und vertagte sich darauf. Inzwischen erfolgte die Kriegserklärung Rußlands an die Türkei. [* 7] Die Versuchung lag für Geschichte nahe, seine Armee in Thessalien einmarschieren zu lassen, während die türk. Hauptmacht an der Donau beschäftigt war. Um dies zu verhindern, ließ das engl. Ministerium Beaconsfield in Athen [* 8] die Erklärung abgeben, daß es eine Überschreitung der türk. Grenze durch griech. Regierungstruppen nötigenfalls mit einer Ausschiffung engl. Truppen im Peiraieus beantworten würde.
Die Presse forderte nun entschieden die Umwandlung des Parteiministeriums in ein Koalitionsministerium, in dem die Führer sämtlicher Parteien sich in die Portefeuilles teilen sollten. Am 7. Juni kam ein Kabinett zu stande, in dem der alte Seeheld Kanaris das Präsidium und die Marine, Trikupis das Auswärtige, Kumunduros das Innere, Deligeorgis die Finanzen, Zaimis die Justiz, Delijannis den Kultus, Zimbrakakis das Kriegswesen übernahm. Neue Finanz- und Militäranträge wurden der Kammer vorgelegt und von dieser bereitwillig genehmigt.
Rüstungen [* 9] wurden in ausgedehntem Maße betrieben. Aus allen türk. Provinzen, in denen Griechen wohnten, strömten Freiwillige herbei und wurden sofort in die Armee eingereiht. Diese Vorgänge in Athen erregten die Aufmerksamkeit der türk. Regierung in hohem Grade, sodaß sie drohte, nötigenfalls türk. Truppen nach Athen marschieren zu lassen. Die Einnahme von Plevna (10. Dez.) machte die Ausführung der türk. Drohungen aber sehr unwahrscheinlich, und die Kriegslust ließ sich auf diese Nachricht hin in Geschichte kaum mehr zurückhalten. Kumunduros bildete nach dem 14. Sept. erfolgten Tod von Kanaris ein neues Ministerium, und dieses beschloß den Einmarsch in Thessalien. Aber bevor die hierzu nötigen Vorbereitungen vollendet waren, war 31. Jan. der Waffenstillstand von Adrianopel von Rußland und der Pforte schon unterzeichnet.
Als endlich das 12000 Mann starke griech. Heer unter General Sutzos in Thessalien und Epirus einmarschierte, beschloß die Pforte, die Panzerflotte nach dem Peiraieus zu schicken und Truppen in Thessalien landen zu lassen. Da gleichzeitig auch die Gesandten der Großmächte die griech. Regierung aufforderten, ihre Truppen aus Thessalien zurückzuziehen, erließ das Ministerium schon 7. Febr. den Befehl zum Rückmarsch, worauf die Pforte von Feindseligkeiten abstand. Im Frieden von San Stefano sah Geschichte das von Rußland projektierte Bulgarien ungebührlich vergrößert, sich selbst gar nicht berücksichtigt.
Seine Bitte um Zulassung zum Berliner Kongreß [* 10] fand nur eine beschränkte Erfüllung, sofern seine Vertreter, der Minister des Auswärtigen, Delijannis, und der Gesandte in Berlin, [* 11] Rhangabé, der Kongreßsitzung vom 29. Juni, in der die griech. Frage beraten wurde, beiwohnen und die griech. Ansprüche darlegen durften. Der Kongreß nahm den Vorschlag des franz. Bevollmächtigten Waddington an, wonach die beiden Flüsse [* 12] Salamvria (Peneios) und Kalamas künftig die nördl. Grenze G.s bilden und die Städte Larissa und Jannina mit Geschichte vereinigt werden sollten, jedoch sollte dieser Beschluß vom Kongreß der Pforte nicht als Friedensbedingung diktiert, sondern seine Ausführung ihr nur anempfohlen werden; Geschichte und die Pforte sollten direkt darüber miteinander verhandeln. Da diese Verhandlungen ohne irgend welches Ergebnis verliefen, appellierte Geschichte aufs neue in einem Rundschreiben vom ohne Erfolg an die Großmächte. Die Pforte zog größere Truppenmassen im südl. Thessalien zusammen, während Geschichte im Nordwesten des Landes ein Lager [* 13] errichtete, die Reserven und das zweite Aufgebot der Territorialarmee einberief. Da aber die Kammer das Kriegs- und Marinebudget nicht in der von Kumunduros verlangten Höhe bewilligte, trat dieser zurück, worauf wiederum Trikupis ein neues Ministerium bildete.
Mit dem Rücktritt Beaconsfields und der Konstituierung des Kabinetts Gladstone gestalteten sich die Aussichten G.s günstiger. Die auf Englands Vorschlag einberufene Berliner Konferenz (s. d.) beschloß auf Vorschlag Frankreichs, daß die neue Grenzlinie östlich bei der Mündung des Flusses Mavrolongos beginnen, über die höchsten Höhen des Olympos und Pindos sich hinziehen, ¶
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bei Han-Kalbaki den Lauf des Flusses Kalamas erreichen und diesem bis zur Mündung folgen solle. Dieser Beschluß wurde 16. Juli der griech. und türk. Regierung in einer Kollektivnote mitgeteilt und von jener angenommen, von der Pforte aber abgelehnt. Damit war die ganze Konferenzarbeit wieder beiseite geschoben. Das Ministerium Trikupis trat, da die Kammer den von der Opposition aufgestellten Kandidaten zu ihrem Präsidenten wählte, zurück, und Kumunduros bildete wieder 25. Okt. ein neues Kabinett.
Die europ. Diplomatie entfaltete die äußerste Thätigkeit, um Geschichte von einem offensiven Vorgehen gegen die Türkei abzuhalten und andererseits die Pforte zur Abtretung Thessaliens zu bewegen. Zwar war das engl. Kabinett bereit, auch einen stärkern als bloß diplomat. Druck auf die Pforte auszuüben, und Gambetta versprach, Geschichte durch Absendung von Offizieren, Gewehren u. s. w. zu unterstützen; aber Deutschland [* 15] und Österreich [* 16] widersetzten sich der Anwendung von Zwangsmaßregeln.
Dagegen wurde der von der Pforte gestellte Antrag, wonach die Vertreter der Großmächte und
der Pforte in einer Konferenz zu Konstantinopel aufs neue miteinander verhandeln sollten, von den Großmächten angenommen.
Die 6. März eröffnete Konferenz gelangte 30. März zu einer Einigung, worauf 22. Mai zwischen den Großmächten und der Pforte eine
Konvention abgeschlossen wurde, worin sich letztere verpflichtete, von Thessalien das südlich vom Salamvriafluß
und von Epirus das südlich vom Artafluß gelegene Gebiet an Geschichte abzutreten. Geschichte erklärte sich einverstanden
mit dem Konferenzbeschluß, und im November wurde das abgetretene Gebiet von 13370 qkm mit etwa 300000 E. von den Griechen
besetzt.
Doch war die Bevölkerung mit dem errungenen Gebietszuwachs nicht zufrieden. Die Folge dieser Mißstimmung war der Rücktritt des Ministeriums Kumunduros, dem ein Ministerium Trikupis folgte, das die panhellenische Idee offen in sein Programm aufnahm. Das Ministerium des Auswärtigen, das seither Trikupis neben dem Präsidium und dem Innern geleitet hatte, wurde dem bisherigen Gesandten in London, [* 17] Kondostavlos, übertragen und im Laufe des Sommers wurden noch einige weitere Veränderungen im Kabinett vorgenommen.
Den am einberufenen Kammern legte Trikupis das Budget von 1884 vor, in dem die Ausgaben auf 84 ½ Mill. Drachmen berechnet waren, die Einnahmen einen kleinen Überschuß ergaben. Darauf genehmigte die Kammer die Konvention über eine Anleihe von 170 Mill. zum Zweck der Abschaffung des Zwangskurses, mehrere Steuergesetze und Monopole, das Reservistengesetz, den Gesetzentwurf über Revision des allgemeinen Zolltarifs, das Budget und den mit Deutschland abgeschlossenen Handels- und Schiffahrtsvertrag; da sie aber in einer finanziellen Frage gegen die Regierung entschied, so reichte Trikupis sein Entlassungsgesuch ein, ließ sich aber von dem König bewegen, im Amte zu bleiben, und ordnete die Auflösung der Kammer an. Da aber die Neuwahlen vom 19. April zu Gunsten der Opposition ausfielen, erhielt Delijannis 30. April den Auftrag, ein neues Kabinett zu bilden.
Der Aufstand in Philippopel, der 18. Sept. die Vereinigung Ostrumeliens mit dem Fürstentum Bulgarien zur Folge hatte und auch Macedonien in seinen Bereich zu ziehen schien, erregte in Geschichte große Aufregung. In Athen fanden öffentliche Kundgebungen statt, die den Zweck hatten, die Regierung zur Wahrung der Rechte und Interessen des Hellenismus zu veranlassen. Die Regierung schickte Truppen nach der türk. Grenze, berief drei Jahrgänge der Reserve ein, rüstete die Flotte, einschließlich der Torpedoboote, und nahm bei der Nationalbank eine Anleihe von 24 Mill. Drachmen auf.
Die Gesandten der Großmächte suchten im Sinne des Friedens einzuwirken und übergaben in Athen 9. Okt. eine gemeinsame Erklärung. Im Kabinett entstand Zwiespalt über die Haltung der griech. Politik, infolgedessen die Minister des Kultus Zygomalas, der Marine Romas und der Justiz Antonopulos 23. Okt. zurücktraten. An demselben Tage wurde die Kammer eröffnet, bewilligte alle militär. Forderungen und genehmigte den Gesetzentwurf, wonach von allen Beamtengehalten während der Dauer der Mobilisierung 5–25 Proz. abgezogen werden sollten, und die Aufnahme einer Anleihe von 100 Mill. Drachmen.
Der Stand der Armee wurde auf 72800 Mann gebracht, zwei Panzerschiffe [* 18] gekauft, mehrere Torpedoboote bestellt. Diese Lage, wobei beständig ein blutiger Konflikt zu befürchten war, erfüllte die Großmächte mit Besorgnis, und sie beschlossen, die Forderungen G.s abzuweisen, die militär. Abrüstung zu verlangen und sie nötigenfalls zu erzwingen. Sie teilten Delijannis in einer Note vom das in betreff Ostrumeliens getroffene Übereinkommen mit (s. Bulgarien, Bd. 3, S. 723b) und verlangten Anordnung der Abrüstung. Da Delijannis auf eine besondere Note Frankreichs dem diplomat.
Vertreter desselben, Grafen Mouy, 25. April erwiderte, daß Geschichte der Aufforderung zur Abrüstung entsprechen werde, den andern fünf Mächten aber auf ihre Noten keine direkte Antwort gab, so richteten diese 26. April ein Ultimatum an Geschichte, worin sie Abrüstung binnen acht Tagen verlangten. Zugleich erschien ein aus deutschen, engl., österr. und ital. Schiffen bestehendes Geschwader, das sich in der Sudabai (in Kreta) gesammelt hatte, 27. April in der Phaleronbucht. Da die Antwort Delijannis’ als unannehmbar befunden wurde, so verließen die Gesandten der fünf Mächte 7. Mai Athen, und über die griech. Küsten wurde Blockadezustand verhängt.
Die nächste Folge dieser Maßregel war, daß Delijannis 9. Mai sein Entlassungsgesuch einreichte; wenige Tage früher hatte schon der Kriegsminister Mauromichalis seine Dimission gegeben. Die Bildung eines neuen Kabinetts war schwierig, weil niemand eine Erbschaft übernehmen wollte, bei der es sich zuerst um eine Demütigung G.s handelte. Nach der kurzen Existenz des provisorischen Ministeriums Valvis (9. bis 20. Mai) bildete Trikupis 21. Mai ein neues Kabinett. Sofort wurden die Reserven entlassen und die griech. Truppen von Thessalien zurückgezogen, wo 21. bis 23. Mai bereits ernste Konflikte mit den türk. Truppen stattgefunden hatten. Hiervon machte Trikupis den fünf Mächten Mitteilung, verlangte Aufhebung der Blockade, die 7. Juni erfolgte, und verständigte sich mit der Pforte über die Grenzverhältnisse.
Die Kammer genehmigte 17. Juni den Gesetzentwurf über die Reform des Wahlgesetzes, wodurch die Zahl der Abgeordneten auf 150 vermindert, die Wahlbezirke erweitert und die Wählbarkeit von Militärpersonen erschwert wurde, und wurde 19. Juni ¶