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Rücktritt des Gouverneurs von Athen, [* 2] Kalergis, des Haupturhebers der Septemberrevolution. Das neue, ernannte Ministerium war aus Verbindung der franz. und russ. Partei hervorgegangen, indem Kolettis das Präsidium und Metaxas das Ministerium der Finanzen und Marine übernahm. Der Zwiespalt zwischen beiden Ministern führte bald zu offener Entzweiung, und Aug. 1845 mußte Metaxas zurücktreten. Damit war freilich das Ministerium in sich einiger geworden; aber die Feindschaft der russ. und brit. Politik wuchs in dem Verhältnis, wie sich Kolettis immer offener auf Frankreich stützte.
Das J. 1847 brachte endlich die Krisis. In der Nationalversammlung entspann sich ein Kampf über die Herstellung der finanziellen Ordnung. Der Plan der Regierung war gewesen, ein neues Steuersystem einzuführen, das an die Stelle des Verpachtens die direkte Erhebung der Grundsteuer und des Zehnten setzte; aber der Entwurf ging nur mit einer Stimme durch, weshalb man zur Auflösung der Kammer schritt. Während diese innere Agitation das Land bewegte, drohte ein Zerwürfnis mit der Pforte die ganze Existenz des Staates zu erschüttern.
Der türk. Gesandte in Athen, Mussuros, glaubte sich von dem König beleidigt, verlangte ausgedehnte Genugthuung und reiste, als diese verweigert ward, Febr. 1847 ab. Vergebens suchte König Otto durch ein versöhnliches Schreiben an den Sultan das Zerwürfnis beizulegen. Die Pforte blieb bei ihrer Forderung, daß der Minister des Auswärtigen dem nach Athen zurückkehrenden Mussuros sein Bedauern über den Vorfall ausdrücken sollte. Mitten in diesen Wirren starb Kolettis (13. Sept.), und an seiner Stelle ward Tzavellas Ministerpräsident. Nun fand der Zwist mit der Türkei [* 3] (Dez. 1847) dadurch seine Lösung, daß Mussuros nach Athen zurückkehrte und die verlangte Genugthuung erhielt. Aber infolge der Februarrevolution von 1848 wurde die Stellung des Ministeriums Tzavellas, das sich vorwiegend auf Frankreich gestützt hatte, unhaltbar; es trat 19. März ab, um einem Kabinett Kunduriotis Platz zu machen, dem vom Okt. 1848 bis Dez. 1849 ein Ministerium Kanaris, darauf ein Ministerium Kriësis folgte.
Inzwischen war das Verhältnis zu Großbritannien, [* 4] welches das Zunehmen des russ. Einflusses nicht gleichgültig hinnahm, immer schlechter geworden. Endlich griff Palmerston gewaltsam durch. Am überreichte der engl. Viceadmiral Parker, der mit einem Geschwader im Peiraieus erschienen war, mehrere Entschädigungsforderungen für angebliche Verletzungen brit. Unterthanen, namentlich eines Juden Pacifico. Auch sollten die Inseln Elaphonisi und Sapienza abgetreten werden.
Als das Ministerium diese Forderungen als ungerechtfertigt ablehnte, schritt Parker zu Blockademaßregeln und ließ griech. Kauffahrer und Kriegsschiffe aufbringen und fortnehmen; bis gegen Mitte Februar waren ungefähr 200 griech. Schiffe [* 5] in den Hafen von Salamis zusammengeschleppt. Der griech. Regierung blieb nichts übrig, als gegen die Gewaltthat zu protestieren und die Hilfe der Schutzmächte in Paris, [* 6] Wien [* 7] und Petersburg [* 8] anzurufen. Vermittelungsvorschläge des franz. Gesandten, Baron Gros, wurden von England verworfen, und da Geschichte die Folgen der Gewaltmaßregeln nicht länger ertragen konnte, gab es den engl. Forderungen nach.
Für die innern Verhältnisse war es von Wichtigkeit, daß Geschichte endlich die Anerkennung seiner kirchlichen Unabhängigkeit, die thatsächlich schon längst bestanden hatte, erlangte. Die Verfassung von 1844 hatte dies Verhältnis bereits sanktioniert, und nach langen Verhandlungen erkannte nun auch der Patriarch von Konstantinopel [* 9] in einem Vertrag (Tomos) vom Juli 1850 den bestehenden Zustand an. Darauf kam Juni 1852 ein organisches Gesetz zu stande, wonach die Heilige Synode, die in Athen ihren Sitz hat, völlig autonom bleiben sollte. In demselben Jahre ward auch die Thronfolge geregelt. Da König Otto kinderlos geblieben war und sein nächstberechtigter Bruder Luitpold den von der Verfassung geforderten übertritt zur griech. Landeskirche verweigerte, so wurden durch Familienvertrag die Erbfolgerechte auf den dritten Bruder, Prinzen Adalbert, übertragen.
Bei dem Ausbruch des Krimkrieges 1853 kam die alte Feindschaft gegen die Türkei wieder zur Geltung. Seit der Pacifico-Angelegenheit von 1850 hatten die Westmächte in Geschichte fast alle Sympathien eingebüßt; man warf sich ganz in die Arme Rußlands. Man glaubte, daß die letzte Stunde des Osmanischen Reichs geschlagen habe, und hoffte bei dieser Gelegenheit eine wesentliche Territorialvergrößerung, vielleicht gar eine Wiederherstellung des byzant. Kaisertums zu erlangen.
Griech. Agenten, Offiziere und Freischaren gingen Anfang 1854 nach Thessalien, Macedonien und Epirus, um dort den Aufstand zu organisieren. Es folgten Sendungen von Kriegsbedarf und Geld. Als die türk. Gesandtschaft in Athen deshalb reklamierte, gab die griech. Regierung eine abweisende Antwort, worauf der diplomat. Verkehr beiderseits abgebrochen wurde. Da schritten Frankreich und England als Bundesgenossen der Türkei und Schutzmächte G.s ein. Nachdem eine gemeinsame strenge Note vom 20. April wirkungslos geblieben war, erschien eine alliierte Flotte vor dem Peiraieus, und eine franz. Brigade von 2000 Mann unter General Forey bemächtigte sich dieses Hafens sowie der griech. Kriegsschiffe (26. Mai). Den Tag darauf bewilligte König Otto alle Forderungen der Westmächte und versprach unbedingte Neutralität. Das Ministerium Kriësis wurde entlassen, und ein westmächtlich gesinntes Kabinett unter Maurokordatos und Kanaris, in dem auch Kalergis vertreten war, trat an die Stelle, worauf das gute Einverständnis mit der Türkei wiederhergestellt ward. Nur unwillig ertrug man in Geschichte diese erzwungene Neutralität. Das Ministerium Maurokordatos ward Okt. 1855 gestürzt und durch ein anderes unter Bulgaris ersetzt, an dessen Stelle 1859 Miaulis trat. Unterdes gestalteten sich die innern Zustände G.s immer trauriger. Infolge des Krieges stockten Handel und Schiffahrt, die Finanzen waren aufs äußerste zerrüttet, und Räuberbanden trieben im Binnenlande ihr Unwesen. Auf dem Pariser Friedenskongreß kamen denn auch die griech. Verhältnisse zur Sprache, [* 10] und erst nach längern Verhandlungen räumten die Occupationstruppen den Peiraieus Zugleich ward eine Kommission der drei Schutzmächte eingesetzt, um die finanzielle Lage des Königreichs zu untersuchen. Nach langen Beratungen kam die Kommission zu dem Resultat, daß Geschichte sehr wohl im stande sei, jährlich eine Summe von 900000 Drachmen zur Tilgung der von den drei Mächten garantierten Anleihe von 1832 zu bezahlen. Die griech. Regierung erklärte sich damit einverstanden und übernahm im Juni 1860 die entsprechende Verpflichtung. In der ¶
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That konnte Geschichte aber nur einmal (1861) Zahlung leisten, und so war die 60-Millionen-Schuld, einschließlich der Zinsen und Vorschüsse der Schutzmächte, bis 1865 auf mindestens 115 Mill. Drachmen angewachsen, wozu noch 87 Mill. anderweitiger Schulden kamen; also im ganzen eine Staatsschuld von 202 Mill. Drachmen. Während des Italienischen Krieges von 1859 blieb Geschichte auf den übereinstimmenden Rat der drei Schutzmächte neutral und ruhig. Doch zeigte das Volk lebhafte Sympathien für Italien [* 12] und machte den König und seine Regierung dafür verantwortlich, daß es den Italienern erlaubt wurde, einen nationalen Einheitsstaat zu gründen, den Volksstämmen der griech. Nationalität dagegen verwehrt sein solle. Besondere Unzufriedenheit erregte auch die wenig entgegenkommende Haltung der Regierung gegenüber den Agitationen, die auf Einverleibung der Ionischen Inseln (s. d.) in Geschichte hinzielten, und diese kühle Zurückhaltung gegen alle nationalen Vergrößerungspläne war es hauptsächlich, die endlich den Sturz der Dynastie herbeiführte.
Der Hof [* 13] in Athen konnte sich über die allgemeine Verstimmung nicht länger täuschen. So beschloß denn König Otto einzulenken und übertrug im Jan. 1862 dem Admiral Kanaris die Bildung eines neuen Ministeriums; doch erhielt dessen liberales Programm nicht die königl. Zustimmung, daher das Ministerium Miaulis 1. Febr. wieder eintrat. Wenige Tage darauf (13. Febr.) empörte sich die Garnison von Nauplia und setzte eine Provisorische Regierung ein, die in ihrer Proklamation vom 14. Febr. einen liberalen Systemwechsel sowie Einberufung einer Nationalversammlung forderte. Doch gelang es diesem Aufstand nicht, weiter um sich zu greifen. Eine Verschwörung in Athen ward rechtzeitig entdeckt. Das Heer, die Heilige Synode und die Kammern erklärten sich für die Regierung. Nach einer förmlichen Belagerung mußte Nauplia 20. April kapitulieren. Die Rädelsführer entkamen an Bord fremder Kriegsschiffe. Der König benutzte seinen Sieg mit Milde, erließ eine Amnestie, die nur wenige Schuldige ausnahm, und machte verschiedene liberale Konzessionen. Das Kabinett Miaulis wurde entlassen, und das neue Ministerium unter dem Vorsitz von Kolokotronis versprach ein aufrichtiges konstitutionelles Regiment (8. Juni). Dennoch ging die revolutionäre Gärung im stillen vorwärts, und als König Otto mit seiner Gemahlin 13. Okt. Athen verlassen hatte, um eine Rundreise im Peloponnes anzutreten, fand ein zweiter Ausbruch statt. Zuerst erhob 19. Okt. General Theodor Grivas in Vonitsa (Akarnanien) die Fahne des Aufruhrs; 20. Okt. folgte die Stadt Patras (Achaia) unter Anführung des Benizelos Rufos.
Endlich gab am Abend des 22. Okt. in Athen der Offizier Papadiamantopulos das Signal. Das Militär fraternisierte mit dem Volk, und nach wenigen Stunden hatte die Revolution gesiegt. Tags darauf (23. Okt.) konstituierte sich in Athen eine Provisorische Regierung, in der außer zwei hochbejahrten Helden des Freiheitskrieges, Demetrios Bulgaris und Admiral Konstantin Kanaris, auch Rufos von Patras einen Sitz erhielt. Ihr erstes Dekret verfügte die Entsetzung des Königs Otto und die Einberufung einer Konstituierenden Nationalversammlung. Als in der folgenden Nacht das Königspaar an Bord der griech. Dampffregatte Amalia wieder vor dem Peiraieus anlangte, war es zu spät. Die Provisorische Regierung war bereits allgemein anerkannt. So gab der König seine Sache verloren und entschloß sich nach Deutschland [* 14] zurückzukehren. In einer Proklamation vom nahm er Abschied von Geschichte, sprach aber keine förmliche Abdankung aus, vielmehr wahrte die bayr. Dynastie ausdrücklich ihre Ansprüche auf den griech. Thron [* 15] durch wiederholte Proteste (12. April und
Die griech. Revolution erregte in der diplomat. Welt große Unruhe. Zwar die Besorgnis, daß die Bewegung sofort nach den griech. Provinzen der Türkei und den Ionischen Inseln hinübergreifen würde, bewahrheitete sich nicht; dagegen erwachte die Eifersucht der drei Schutzmächte, als es sich nun um die Wiederbesetzung des griech. Throns handelte. Am 1. Dez. hatte ein Dekret der Provisorischen Regierung die sofortige Wahl eines Königs, und zwar unter Anwendung des allgemeinen Stimmrechts, angeordnet.
Bei der Abstimmung 5. bis 12. Dez. erhielt Prinz Alfred von Großbritannien, der zweite Sohn der Königin Victoria, [* 16] 230016 Stimmen, während im ganzen 241202 Stimmen abgegeben wurden. England hatte jedoch schon vorher Unterhandlungen mit Frankreich und Rußland eröffnet und beantragt, daß die Bestimmungen der Verträge von 1830 und 1832, wonach kein Prinz der drei Schutzmächte den griech. Thron besteigen soll, aufrecht erhalten würden. Daher wurde sowohl die Kandidatur des Prinzen Alfred wie die des von Rußland unterstützten Herzogs von Leuchtenberg fallen gelassen. Am überreichte der engl. Gesandte Elliot der griech. Regierung ein Memorandum, wonach für den Fall, daß ein Souverän gewählt würde, gegen den kein wohlbegründeter Einwand zu erheben sei, die Krone England sich bereit erkläre, auf das Protektorat über die Ionischen Inseln zu verzichten und deren Vereinigung mit Geschichte zu bewirken.
Allein es zeigten sich große Schwierigkeiten, einen andern Kandidaten für die griech. Krone ausfindig zu machen, bis endlich die Schutzmächte sich über den Prinzen Georg von Dänemark [* 17] einigten und dessen Wahl befürworteten. Demgemäß wählte ihn die Konstituierende Versammlung, die nach einer stürmischen Wahlbewegung in Athen eröffnet war und die Absetzung des Königs und der Dynastie bestätigt hatte, als Georg I. (s. d.) zum König von Geschichte.
Durch einen zwischen den drei Schutzmächten und Dänemark abgeschlossenen Traktat vom wurde die griech. Krone förmlich auf Georg I. übertragen. Am 30. Okt. landete der junge König, begleitet von seinem Ratgeber, dem dän. Kammerherrn Grafen Sponneck, im Peiraieus, hielt seinen Einzug in Athen und leistete am folgenden Tage vor der Nationalversammlung den Eid auf die Verfassung. Nachdem das ion. Parlament 5. Okt. einstimmig den Anschluß an Geschichte votiert und die fünf Großmächte ihre Einwilligung gegeben hatten, übergab der Lord-Oberkommissar die Ionischen Inseln an den griech. Kommissar Zaimis. Die Inseln wurden als drei neue Nomarchien dem Königreich einverleibt, und Ende Juli 1864 traten die 80 ion. Abgeordneten in die griech. Nationalversammlung ein. Diese Erwerbung war für die neue Dynastie sehr günstig; dennoch war die Stellung des Königs Georg anfangs sehr schwierig. Den Griechen war der beherrschende Einfluß des unverantwortlichen Ratgebers des Königs, des Grafen ¶