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ihre Berührung chemisch umsetzen und unschädlich machen, sei es, daß sie dieselbe einfach neutralisieren, wie dies z. B. die Magnesia gegenüber den ätzenden Säuren, die Essigsäure gegenüber den ätzenden Alkalien thut, sei es, daß sie dieselbe in eine in den Körperflüssigkeiten unlösliche und dadurch unschädliche Verbindung überführen, wodurch z. B. die arsenige Säure durch das offizinelle Antidotum arsenici, ein frisch bereitetes Gemisch von Eisenoxydhydrat mit Magnesiahydrat, völlig unwirksam gemacht werden kann (s. Arsenikvergiftung); in andern Fällen beruht die Wirkung der Gegengifte darauf, daß Gift und Gegengift zwar auf dieselben Organe, aber in entgegengesetzter Richtung wirken (sog. Antagonismus der Gift); auf diese Weise vermag z. B. das Atropin gewisse Vergiftungssymptome des Morphiums wieder aufzuheben.
Die durch Einführung eines in den gesunden Körper hervorgerufenen Veränderungen, insbesondere in den Form- und Mischungsverhältnissen der Organe, nennt man Vergiftung (intoxicatio); hinsichtlich ihrer Entstehungsweise unterscheidet man akute Vergiftungen, wenn diese Veränderungen sofort oder doch sehr rasch nach der Einverleibung des Gift eintreten, wie dies meist bei starken Gift, großen Mengen und direkter Einwirkung der Fall ist, und chronische Vergiftungen, die nur langsam, nach häufig wiederholter Einführung geringerer Giftmengen zu stände kommen.
Deshalb finden sich chronische Vergiftungen häufig bei Leuten, die mit giftigen Substanzen arbeiten, so die Bleivergiftung bei Anstreichern, Schriftschleifern, die Quecksilbervergiftung bei Spiegelfabrikarbeitern, die Phosphorvergiftung in Zündhölzchenfabriken u. dgl. (S. Gewerbekrankheiten.) Die Vergiftungserscheinungen sind je nach der Art und der Menge des angewandten Gift, nach der Stelle, auf die es appliziert wird, und nach manchen andern individuellen Umständen sehr verschieden; ebenso Dauer, Verlauf und Ausgang der Vergiftung.
Häufig erfolgt früher oder später der Tod, entweder durch Lähmung der Nervencentren, wie bei den sog. Nervengiften, dem Opium, Nikotin, Strychnin u. a., oder durch Lähmung der Herzthätigkeit, wie bei den sog. Herzgiften, wie Phosphor, Arsen u. a., die fettige Entartung des Herzfleisches und Herzlähmung herbeiführen, oder durch Blutzersetzung, wie bei den sog. Blutgiften, z. B. dem Kohlenoxydgas, das mit dem Blutfarbstoff eine feste chem. Verbindung eingeht und dadurch die Blutkörperchen [* 2] zur Aufnahme von Sauerstoff unfähig macht, oder durch Lähmung der peripherischen Muskeln, [* 3] insbesondere der Atmungsmuskulatur, wie bei den sog. Muskelgiften, dem amerik.
Pfeilgift (Curare) und ähnlichen. In andern Fällen tritt nach längerer oder kürzerer Zeit vollständige Genesung ein, indem das Gift entweder durch rechtzeitiges Erbrechen, durch die Thätigkeit der Nieren und andere Vorgänge wieder aus dem Körper ausgeschieden oder innerhalb des Körpers durch chem. Prozesse zersetzt und in unschädliche Verbindungen übergeführt wird. Bisweilen bleiben jedoch auch dauernde Ernährungs- und Funktionsstörungen, fehlerhafte Blutmischung, Abmagerung u. dgl. zurück, wie namentlich nach Blei- und Quecksilbervergiftungen.
Bei der Behandlung einer Vergiftung ist vor allem als erste und wichtigste Anfgabe die möglichst frühzeitige Entfernung des Gift aus dem Körper zu bezeichnen. Ist dasselbe durch eine Wunde eingedrungen (Schlangengift, Wutgift, Leichengift u. dgl.), so suche man es durch Ätzmittel (Ätzkali, Salmiakgeist, konzentrierte Carbolsäure und ähnliche) oder durch Glüheisen sofort zu zerstören oder durch länger fortgesetztes Aussaugen der Wunde mit dem Mund oder mittels Schröpftöpfen zu entfernen; auch ist die Wunde sorgfältig mit Salzwasser, Essig oder Seifenwasser auszuwaschen und die eingetretene Blutung durch Einschnitte oder Schröpfköpfe möglichst lange zu unterhalten, da häufig durch das ausfließende Blut das Gift mechanisch mit herausgespült wird. überdies versuche man bis zur Ankunft des Arztes durch festes Zusammenschnüren des betreffenden Gliedes oberhalb der Wunde den übertritt des in den Blutstrom zu verhüten.
Ist hingegen, wie in den meisten Fällen, das Gift durch den Verdauungsapparat eingedrungen, so suche man sofort durch reichliches Darreichen von lauem Wasser oder lauer Milch, durch Kitzeln des Rachens oder durch Brechmittel Erbrechen zu erregen; gelingt dies nicht, so ist, wenn möglich, die Auspumpung des Magens vermittelst der Magenpumpe vorzunehmen und alsbald das betreffende Gegengift (bei der Arsenikvergiftung Eisenoxydhydrat mit Magnesiahydrat, bei der Quecksilbervergiftung flüssiges Eiweiß, bei der Phosphorvergiftung nichtrektifiziertes Terpentinöl, bei Vitriolöl- und andern Säurevergiftungen Kreide, [* 4] Magnesia, Kalkwasser, im Notfall Seifenwasser, bei Vergiftung durch ätzende Alkalien säuerliche Getränke, Essigwasser, Citronensaft, im Notfall saures Eingemachtes u. dgl.) in hinreichend großen Gaben anzuwenden.
Bei Vergiftungen mit narkotischen Gift empfehlen sich Darreichen von starkem schwarzem Kaffee oder Thee, öfteres Bespritzen des Gesichts mit kaltem Wasser, Eisumschläge auf den Kopf, fortwährendes gewaltsames Auf- und Abführen des Vergifteten, bei stockender Respiration die künstliche Unterhaltung der Atmung durch methodisches Zusammendrücken des Brustkastens (s. Scheintod), bei drohender Erschöpfung und Abspannung Wein, Hoffmannstropfen und andere Reizmittel.
Bei Vergiftungen durch schädliche Gasarten ist vor allem die Beschaffung guter reiner Luft, die energische Vornahme der künstlichen Atmung, anhaltendes Begießen des Kopfes mit kaltem Wasser, unter Umständen die Ausführung der Transfusion (s. d.) erforderlich. Bei chronischen Vergiftungen endlich kommt es natürlich vor allen Dingen zunächst darauf an, die weitere Aufnahme des betreffenden in den Organismus zu verhüten, alsdann aber die entstandenen Krankheiten besonders zu behandeln, z. B. Lähmungen durch Elektricität, Bleikolik durch Opium u. s. w., sowie den kranken Körper durch eine leichtverdauliche nahrhafte Kost (Milch, Fleisch, Eier), [* 5] warme Bäder und fleißige Bewegung im Freien wieder zu kräftigen.
Die Toxikologie oder Lehre [* 6] von den Gift, deren Aufgabe in der Erforschung der Eigenschaften und Wirkungen der Gift auf die verschiedenartigen Organismen besteht, läßt sich in ihren ersten empirischen Anfängen bis in das Altertum zurückverfolgen und wurde späterhin besonders von den Arabern und in den mediz. Schulen des Abendlandes eifrig gepflegt und gefördert, artete aber während des Mittelalters ganz in Alchimie und mystische Spielerei aus. Erst im Anfange des 19. Jahrh. erfuhr sie mit dem gewaltigen Aufschwunge der Chemie ihre erste wissenschaftliche Begründung durch die ¶
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bahnbrechenden Arbeiten Orsilas (s. d.) und hat sich seitdem rasch, insbesondere durch die Einführung des Experiments in die toxikologische Forschung und durch die ausgedehnten Versuchsreihen zahlreicher Forscher, unter denen vorzugsweise Christison, Tardieu, Taylor, Sonnenschein, Husemann, Naunyn, L. Hermann u. a. zu nennen sind, zu einer selbständigen inhaltsreichen Wissenschaft entwickelt, welche nicht nur einen wichtigen Zweig der Heilkunde, insbesondere der gerichtlichen Medizin, darstellt, sondern auch vielfach auf die verwandten Disciplinen, auf Chemie, Physiologie und experimentelle Pathologie, fördernd und anregend gewirkt hat. Nach §. 229 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich [* 8] wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft, wer vorsätzlich einem andern, um dessen Gesundheit zu schädigen, Gift oder andere Stoffe beibringt, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind, wobei die Höhe des Strafmaßes sich nach der Schwere der Folgen der Vergiftung richtet. Über die gesetzlichen Beschränkungen des Handels mit Gift s. Giftverkehr.
Litteratur. Orsila, Lehrbuch der Toxikologie (5. Aufl.; aus dem Französischen von Krupp, Braunschw. 1853);
Husemann, Handbuch der Toxikologie (Berl. 1862-67);
Tardieu, Die Vergiftungen in gerichtsärztlicher und klinischer Beziehung (deutsch von Theile und Ludwig, Erlangen [* 9] 1868);
Bandlin, Die Gift und ihre Gegengifte (3 Bde., Bas. 1869-73);
Dustos, Handbuch der angewandten gerichtlich-chem. Analyse der chem. Gift (Lpz. 1873);
L. Hermann, Lehrbuch der experimentalen Toxikologie (Berl. 1874);
Mohr, Chem. [* 10] Toxikologie (Braunschw. 1874);
Dragendorff, Die gerichtlich-chem. Ermittelung von Gift (3. Aufl., Gott. 1888);
Hendeß, Allgemeine Giftlehre (Berl. 1880);
Lewin, Lehrbuch der Toxikologie (Wien [* 11] 1885);
Casper-Liman, Handbuch der gerichtlichen Medizin (8. Aufl., Berl. 1889);
Otto, Anleitung zur Ausmittelung bei gerichtlich-chem. Untersuchungen (6. Aufl., Braunschw. 1892).