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aktive Wahlrecht steht denen zu, die ihr 25. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens einem Jahre in dem Gerichtsbezirke wohnen oder beschäftigt sind. Die Wählbarkeit ist an die Vollendung des 30. Lebensjahres und an mindestens zweijährigen Wohnsitz oder Beschäftigung im Gerichtsbezirke geknüpft. Eine Besoldung der Beisitzer ist gesetzlich ausgeschlossen; doch kann ihnen eine Entschädigung für Zeitversäumnis und eine Vergütung etwaiger Reisekosten zugestanden werden.
Die Hauptaufgabe des Gewerbegerichts besteht in der gütlichen Beilegung des Streites. Erst wenn ein Vergleich nicht zu stande kommt, ist zu verhandeln. Das Verfahren selbst lehnt sich eng an die Vorschriften der Civilprozeßordnung für das Verfahren vor den Amtsgerichten an. Die wichtigste Abweichung ist, daß der Prozeßbetrieb durch die Parteien durch den Offizialbetrieb seitens des Gerichts ersetzt ist. Eine Berufung ist nur zulässig bei einer Werthöhe des Streitgegenstandes von über 100 M. Dagegen ist das Rechtsmittel der Beschwerde unabhängig von dem Werte des Streitgegenstandes anwendbar.
Die Kosten der Errichtung und Unterhaltung fallen der Gemeinde zu. Die Gerichtsgebühren sind sehr mäßig angesetzt. Bei Vergleichen wird keine Gebühr erhoben. Gegenüber den frühern gewerblichen Schiedsgerichten ist die persönliche Zuständigkeit auf mehrere Arbeiterkategorien ausgedehnt worden. Es können nämlich für Bergarbeiter ebenfalls Gewerbegerichte errichtet werden, deren Kosten dann von der Staatskasse bestritten werden. Weiter sind die Streitigkeiten der Vorstände der unter staatlicher Verwaltung stehenden gewerblichen Anlagen mit ihren Arbeitern ebenfalls den Gewerbegerichten unterworfen. Nur die unter der Militär- und Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen sind ausgenommen. Endlich sind die Gewerbegerichte auch für Heimarbeiter und Hausgewerbtreibende zuständig, sofern ihre Beschäftigung sich auf die Verarbeitung der ihnen vom Arbeitgeber gelieferten Rohstoffe bezieht.
Das Gesetz von 1890 hat sich in der Hauptsache bewährt. Ziemlich allgemein ist seiner Anregung entsprochen worden, so daß bis Ende August 1894 230 Gerichte im Deutschen Reich bestanden, davon 32 in Städten mit mehr als 50000 E. Viele der Gewerbegerichte sind, abgesehen von ihrer Hauptwirksamkeit, auch noch anderwärts im gewerblichen Leben thätig. So haben sie sich bei der Abfassung von Ortsstatuten über Lohnzahlungen beteiligt, über Erbauung von Arbeiterwohnungen beratschlagt, für die Errichtung von Arbeitsämtern interessiert u. s. w. Neben den Gewerbegerichten kommen noch in Betracht die aus älterer Zeit übernommenen und 1890 aufrecht erhaltenen landesgesetzlichen Gewerbegerichte. Dahin gehören 10 in der Rheinprovinz, [* 2] 5 Bergschiedsgerichte in Sachsen, [* 3] je 1 in Hamburg, [* 4] Bremen, [* 5] Lübeck [* 6] und 5 in Elsaß-Lothringen. [* 7] Das Princip der Gewerbegerichte wird neuerdings so allgemein anerkannt, daß der Deutsche [* 8] Landwirtschaftsrat März 1895 beschlossen hat, den Reichskanzler zu ersuchen, bei der bevorstehenden Reform der Civilprozeßordnung auch auf die Errichtung landwirtschaftlicher Schöffengerichte Bedacht zu nehmen.
Unter den bestehenden Gewerbegerichten ist seit eine Vereinigung erzielt worden, in der Absicht, die Erfahrungen auszutauschen und sich Statuten, Geschäftsberichte, wichtige Urteile, Gutachten u. dgl. m. gegenseitig mitzuteilen. Der Ausschuß derselben giebt u. d. T.: «Mitteilungen des Verbandes deutscher Gewerbegerichte» eine periodische Druckschrift heraus.
Im J. 1893 wurden bei den Gewerbegerichten 37386 Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern und 271 Streitigkeiten zwischen Arbeitern desselben Geschäfts anhängig. Erledigt wurden durch Vergleich 14865, Verzicht 374, Zurücknahme der Klage 6346, Anerkenntnis 727, Versäumnisurteil 3766 und durch sonstige Endurteile 8579, zusammen 34657 Streitigkeiten. Ein Teil der anhängigen Streitigkeiten erledigte sich auf andere Weise, indem die Parteien das Verfahren ruhen ließen, und der Rest wurde in das nächste Geschäftsjahr übernommen. Gegen die Endurteile wurden 118 Berufungen an die ordentlichen Gerichte eingelegt.
Wo ein Gewerbegericht nicht vorhanden ist, kann die Entscheidung des Gemeindevorstehers, dessen Zuständigkeit aber etwas geringer ist, angerufen werden; die Parteien sind nicht verpflichtet, sie anzunehmen, sondern können ihre Klagen auch direkt bei den ordentlichen Gerichten anhängig machen. Die richterliche Thätigkeit des Gemeindevorstehers ist nur eine aushilfliche, seine Entscheidung eine vorläufige und kann binnen einer Notfrist von 10 Tagen durch Klage bei dem ordentlichen Gericht beseitigt werden.
Bei Innungsgerichten müssen die Innungsspruchbehörde und das Innungsschiedsgericht auseinander gehalten werden. Die erstere hat ausschließlich die Schlichtung der Streitigkeiten von Innungsmitgliedern mit ihren Lehrlingen selbst da, wo Gewerbegerichte existieren, und ihre Existenz ist mit der Innung von selbst gegeben. Das Statut der Innung regelt gleichzeitig ihr Verfahren. Dagegen ist die Eröffnung des Innungsschiedsgerichts dem Belieben der Innung anheimgestellt und eine statutarische Regelung ist in etwaige Nebenstatuten verwiesen. Es ist zunächst zuständig für Streitigkeiten der Innungsmitglieder und deren Gesellen.
Wenn aber durch die Verwaltungsbehörde bestimmt ist, daß Arbeitgeber und deren Gesellen, die der Innung nicht angehören, obwohl sie ein in ihr vertretenes Gewerbe betreiben, zu den Kosten des eröffneten Innungsschiedsgerichts beizutragen haben, so tritt es an die Stelle der sonst zuständigen Behörden. Die Innungsschiedsgerichte bestehen mindestens aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, welche letztern zur Hälfte aus den Innungsmitgliedern, zur Hälfte aus deren Gesellen zu wählen sind. Den Vorsitzenden, welcher der Innung nicht anzugehören braucht, ernennt die Aufsichtsbehörde. Den Vollzug haben die Polizeibehörden. Die Innungsgerichte sind für das Kleingewerbe bestimmt, werden jedoch von den Innungen selten ins Leben gerufen.
Die ältern preuß. Fabrik- und Gewerbegerichte, so das Berliner [* 9] Fabrikengericht von 1815, die westfäl. Fabrikengerichtsdeputationen von 1829, die Gewerbegerichte in den östl. Provinzen von 1849 und die in der Rheinprovinz nach den in Frankreich über die Errichtung von Conseils de Prud’hommes geltenden Dekreten aus den J. 1806 und 1810 eröffneten Gerichte sind wieder eingegangen.
Die ältesten Gewerbegerichte sind die in Frankreich auf Grund des Gesetzes vom zuerst in Lyon, [* 10] dann durch das kaiserl. Dekret vom in Paris [* 11] und andern Städten eröffneten Conseils de Prud’hommes. Auf Antrag oder mit Zustimmung der Gemeindebehörden vom Handelsminister errichtet, bestehen sie aus einer gleichen ¶
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Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Ihre Kompetenz erstreckt sich auf Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie den letztern unter sich, wenn sich die Zwistigkeiten auf die Berufsarbeit und das Arbeitsverhältnis beziehen. Außerdem haben sie einige administrative Funktionen zu verrichten, wie Überwachung der Aufrechterhaltung der Rechte an den bei ihnen hinterlegten Fabrikmarken und Mustern, Entgegennahme schriftlich geschlossener Lehrverträge u. s. w. 1886 bestanden 136 Conseils de Prud’hommes. Seit einiger Zeit plant man Reformen dieser Gerichte, die jedoch noch zu keinem Ergebnis geführt haben.
Von Frankreich aus haben diese Gerichte ihren Weg nach Belgien, [* 13] Rheinpreußen, Elsaß-Lothringen und den schweiz. Kantonen Genf und Neuenburg [* 14] genommen. In Italien [* 15] sind seit 1894 die Collegi dei probi-viri errichtet, die sowohl als Einigungsamt, als auch als Schiedsgericht dienen. Die Errichtung dieser Ämter ist nicht obligatorisch.
Den französischen ähnliche Gerichte sind die in Österreich [* 16] durch das Gesetz vom ins Leben gerufenen. Sie bestehen in nur sehr geringer Zahl, in Wien, [* 17] Brünn, [* 18] Reichenberg [* 19] und Bielitz. Durch die Gewerbeordnung vom sind schiedsgerichtliche Kollegien (§§. 87‒87c) und schiedsrichterliche Ausschüsse der Genossenschaften (§§. 122‒124) geschaffen worden. Da man mit deren Wirksamkeit jedoch keineswegs zufrieden ist, so ist neuerdings im Abgeordnetenhause ein Entwurf, die Einführung neuer fakultativer Gewerbegerichte betreffend, erörtert worden, der sich in vielen Punkten an das deutsche Gesetz anschließt. In Ungarn [* 20] verrichten die auf Artikel ⅩⅦ des Gesetzes von 1884 beruhenden Einigungskommissionen der Gewerbekorporationen die Leistungen der Gewerbegerichte. In England wird die gesamte gewerbliche Rechtspflege von den bürgerlichen Gerichten geübt. Die engl. Grafschaftsgerichte, die schott. Sheriffsgerichte und die irischen Civilgerichte erscheinen als die für die Behandlung der hier fraglichen Angelegenheiten verordneten Spruchbehörden. Die St. Leonards-Akte von 1867, welche die Councils of conciliation, d. h. eigene ständige Gerichtsinstanzen für Arbeitsstreitigkeiten zu schaffen beabsichtigte, ist toter Buchstabe geblieben.
Ⅱ. Die Einigungsämter unterscheiden sich von den Gewerbegerichten wesentlich dadurch, daß die letztern nur Rechtsstreitigkeiten auf Grund bestehender Arbeitsverträge oder Gebräuche entscheiden, während die Einigungsämter in erster Linie das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Zukunft gemeinsam feststellen und hierdurch Arbeitseinstellungen verhüten, erst in zweiter Linie Streitigkeiten über die Anwendung der vereinbarten Bestimmungen beilegen oder entscheiden sollen (wozu in der Regel ein engerer Ausschuß erwählt wird).
Dem entsprechend sind die Entscheidungen der Einigungsämter nur verbindlich für diejenigen Gewerbsgenossen, die sich freiwillig an denselben Einigungsämtern beteiligen. Das erste Einigungsamt (Board of arbitration and conciliation) wurde 1860 in England in dem großen Strumpfwirkergewerk zu Nottingham [* 21] auf Veranlassung des Fabrikanten Mundella gegründet, um die gerade dort seit Menschenaltern in heftigster Weise geführten Arbeitskämpfe zu beseitigen. Da dieser Versuch vollständig gelang, so breiteten sich die Einigungsämter über viele andere Gewerbe und Industriebezirke Englands aus.
Daneben entstanden seit 1865 durch den Grafschaftsrichter Kettle in Wolverhampton zunächst im Baugewerbe zu gleichem Zwecke die Courts of arbitration (Schiedshöfe), die sich durch die notwendige Beteiligung eines unparteiischen Obmanns und die gerichtliche Vollstreckbarkeit ihrer Beschlüsse von jenen unterscheiden. Letztere ist durch das Gesetz vom noch bedeutend erleichtert worden, und das Kettlesche System scheint in England überwiegend zur Geltung zu kommen.
Sowohl die Einigungsämter als die Schiedshöfe haben sich überall da, wo sie einmal eingeführt wurden, ausnahmslos behauptet und bewährt; Arbeitseinstellungen und Aussperrungen kommen vorzugsweise nur in solchen Gewerben und Orten noch vor, wo Einigungsämter bisher nicht begründet worden sind. 1894 ist das sog. Einigungsgesetz erlassen worden, das dem Handelsamt die Befugnis einräumt, bei Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern die streitenden Parteien zur Bildung eines Einigungsausschusses aufzufordern und eine Enquete über Ursachen und Einzelheiten der Streitigkeiten zu veranlassen. In Deutschland [* 22] wurden die Einigungsämter nach Mundellas Muster seit 1870 hauptsächlich durch die Bemühungen der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine eingeführt; 1873 errichteten die Buchdrucker (Prinzipale und Gehilfen) ein Einigungsamt für ganz Deutschland als Rekursinstanz von den Schiedsämtern und als Tarifrevisionskommission. Diese Einrichtung wurde im J. 1878 aufgehoben, 1886 wieder eingeführt, nach dem Buchdruckerstreik 1892 abermals aufgehoben. (S. Schiedsrichter.)
Nach dem Reichsgesetz, betreffend die Gewerbegerichte vom kann auch das Gewerbegericht in Fällen von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über die Bedingungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses als Einigungsamt angerufen werden. Das Gewerbegericht, das als Einigungsamt thätig wird, soll neben dem Vorsitzenden mit 4 Beisitzern, Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Zahl, besetzt sein. Doch kann ihre Zahl durch Vertrauensmänner verstärkt werden. Es hat zunächst den Thatbestand festzustellen, zu welchem Zwecke Auskunftspersonen vernommen werden können.
Dann findet ein Einigungsversuch statt. Beim Mißlingen desselben ist ein Schiedsspruch abzugeben, der sich auf alle zwischen den Parteien streitigen Fragen zu erstrecken hat. Stehen bei der Beschlußfassung über diesen, in welcher einfache Stimmenmehrheit entscheidet, die Stimmen sämtlicher für die Arbeitgeber zugezogenen Beisitzer und Vertrauensmänner denjenigen sämtlicher für die Arbeiter zugezogenen gegenüber, so kann sich der Vorsitzende seiner Stimme enthalten und feststellen, daß ein Schiedsspruch nicht zu stande gekommen ist, was von dem Vorsitzenden öffentlich bekannt gemacht wird.
Ist der Schiedsspruch zu stande gekommen, so haben sich die Vertreter beider streitenden Teile innerhalb einer gegebenen Frist zu erklären, ob sie sich dem Schiedsspruch unterwerfen. Die Nichtabgabe der Erklärung gilt als Ablehnung. Nach Ablauf [* 23] der Frist hat das Einigungsamt den Schiedsspruch und die darauf abgegebene Erklärung der Parteien öffentlich bekannt zu machen (§§. 61‒69). Diese Anordnungen haben sich jedoch nicht bewährt, und die Gewerbegerichte haben seither nur selten Gelegenheit gehabt, als Einigungsämter thätig ¶