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Schöffengerichten sind der beamtete Richter und die Laien gemeinfchaftlich zur Urteilsfindung berufen; bei den Schwurgerichten ist die richterliche Thätigkeit zwischen dem Gericht und den Geschworenen geteilt. (S. Handelsgericht, Schöffengericht, Schwurgericht.) (^. Die Funktion des Gerichts umfaßt, nach mittelalterlichem wie nach vormaligen: gemeinem ! deutschen Recht, die Prozeftleitung, Entscheidung, ^ Vollstreckung. Nach franz. Auffassung ist das Ge- i richt ausschließlich urteilende Behörde. Eine mittlere Stellung nimmt der heutige deutsche Prozeß ein; der Prozeßbetrieb ist zum Teil Parteisache, die Zwangs- vollstreckung im Civilprozeß zum Teil dem unab- bängig vom Gericht im Parteiauftrag handelnden Gerichtsvollzieher zugewiesen; die Strafvollstreckung jedoch ist fast ausschließlich in die Hand [* 2] der Staats- anwaltschaft gelegt (nur in schösfengerichtlichen machen kann die Landesjustizverwaltung sie den Amtsrichtern übertragen).
Die wesentliche Funktion des Gerichts, d. h. diejenige, obne welche der Begriff nie gedacht wird, ist demnach das Entscheiden, Ur- teilen. Dieses ist nicht Schaffen, sondern vielmehr Anwenden des bestebenden Rechts auf den festgestell- ten konkreten Thatbestand, mit bindender Wirksam keit für die Beteiligten. Das Näbere bierüber ent- halten die betreffenden Einzelartikel (Entscheidung, Urteil, Vollstreckung :c.). S. auch die Artikel Ge- richtsbarkeit und Richter.
Die österreichische Gerichtsverfassung ge- staltet sich insofern einfacher, als nicht mehrere In- stanzen bei demselben Gericht vereinigt sind. Gerichte erster Instanz für Civil- und Straffachen sind die B e - zirksgerichte (s. d.), welche als Einzelrickter thä- tig sind, und die Kollegialgerichtshöfe erster Instanz, welche bei gleichem Wirkungstreis in den Landes- hauptstädten die Bezeichnung Landesgericht (s. d.), übrigens die Bezeichnung Kreis gericht [* 3] (s. d.) füh- ren.
Die für ein oder mehrere Kronländer gebildeten Oberlandesgerichte (s. d.) bilden die zweite, der Oberste Gerichts- und Kassationsbof (s. d.) in Wien [* 4] die dritte Instanz.
Vgl. Hauck, Gerichtsverfassungsgesetz (Nördl. 1879);
Hoffmann, Die Gcrichtsorganisation im Deutschen Reiche (2. Aufl., Berl. 187i));
Pfaffe- roth, Jahrbuch der Deutschen Gerichtsverfassung lebd. 1880 fg.);
Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozeßrechts (Lpz. 1885), A 25 fg.; Planck, Lehrbuch des Deutschen Civilprozesirechts (Nördl. 1887), §§. 7 fg.; Loewe, Kommentar zum Gerichts- verfassungsgesetz (in dem Kommentar zur Straf- prozeßordnnng, 5. Anfl., Verl. u. Lpz. 1888);
Steng- lein, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungs- gesetz (Nördl. 1885).
Gerichtliche Analyse, die verschiedenen Unter- suckungsmetbod die in Kriminalfällen anzuwen- den sind, um in Leichenteilen das Vorhandensein von Giften, an Kleidern, Waffen, [* 5] Gerätschaften u. dgl. die Gegenwart von vergossenem Blut festzu- stellen. Ist die A. im wesentlichen auch nichts anderes als eine qualitative oder auch quantitative Analvse, so kommen hier doch besondere Schwierig- keiten vor, die dnrch die Anwesenheit von vielem fremden Material, Mageninhalt, Darminhalt, tierischen Gewcdstoffen sowie dadurch bereitet wer- den, daß die zur Untersuchung kommende Substanz sich nicht selten in einem weit vorgeschrittenen Sta- dium der Fäulnis und Verwesung befindet.
Wesent- lich vereinfacht kann die Untersuchung werden, wenn dem Sachverständigen vom Untersuchungsrichter bestimmt formulierte Fragen, z. V. nach dem Vor- handensein eines bestimmten Giftes, zur Beantwor- tung gegeben werden, während bei allgemein gehal- tenen Fragen, z. B. bei der Frage ob überhaupt Gift- stoffe vorliegen, das Gesamtgebiet aller zugangigen Giftstoffe zu berücksichtigen ist. Bei der Ausführung der A. hat der Sachverständige sich stets zu ver- gegenwärtigen, daß sein Ausspruch meist das am schwersten wiegende Moment in der ganzen Unter- suchung ist. Jede von außen kommende Einwirkung muß streng abgeschnitten werden, das Laboratorium [* 6] darf während der Arbeit von keinem Unbeteiligten betreten werden, die zu verwendenden Apparate dürfen früher zu keinem andern Zweck benutzt wor- den sein, und die zur Untersuchung zu verwenden- den Chemikalien müssen chemisch rein sein, da diese nicht selten als Verunreinigungen Giftstoffe (Arsen, Blei) [* 7] enthalten. -
Vgl. Otto, Anleitung zur Aus- mittelung der Gifte und zur Erkennung der Blut- flecken bei gerichtlich-chem. Untersuchungen (6. Aufl., Braunschw. 1884);
Dustos, Handbuch der ange- wandten gerichtlich-ckem.
Analyse der chem. Gifte u.s.w. (Lpz. 1873);
Schwanert, Hilfsbuch zur Aus- führung chem. Arbeiten (2. Aufl., Vraunfchw. 1874); Dragendorff, Die gerichtlich-chem. Ermittelung von Giften (3. Anfl., Gott. 1888);
Sonnenschein, .Hand- buch der gerichtlichen Chemie (neu bearbeitet von Classen, 2. Aufl., Verl. 1881).
Gerichtliche Medizin (Nkäicwa. isFali" oder lm'en"!"),
eine besondere Wissenschaft, die nicht nur der Gerichtsarzt, sondern auch der Rechtsverstän- dige kennen muß. Sie ist die theoretische Einleitung zur Erforschung und Verwertung von mediz. und damit zusammenhängenden naturwissenschaftlichen Thatsachen für die Zwecke der allgemeinen Gefetz- gebung und Rechtspflege und bildet somit einen wichtigen Teil der Staatsarzneilunde, welche die Anwendnng mediz. Kenntnisse und Erfahrungen fnr die Zwecke des Staates überhaupt lehrt. Zu den Verhältnisseil, deren Erörterung für den Richter bei seiner Entfcheidung in einem gegebenen Rechtsfall in Frage kommt, gehören häufig genug auch Zu- stände des menschlichen Organismus, insofern diese entweder als der natürliche Erfolg eines widerrecht- lichen Eingriffs oder umgekehrt als die natürliche Veranlassung zu Rechtsverletzungen gegen andere erscheinen.
Wenn dergleichen Zustände von der Art sind, daß zu ihrer Untersuchung solche technische Fer- tigkeiten und zu ihrer Beurteilung solche Kenntnisse und Erfahrungen, wie sie nur ein allfeitig gebilde- ter Arzt besitzen kann, erforderlich sind, so ist die Hinzuziehung eines mediz. Sachverständigen zu der richterlichen Untersuchung notwendig und setzt in allen eivilisierten Staaten durch die Gesetze geboten. Gewöhnlich ist für folche Fälle bei jedem Gericht ein besonderer Arzt angestellt, der dann Gerichts- arzt, auch wohl Physitus heißt.
Von dem Ge- richtsarzt wird gefordert, daß er nicht bloß mit der Medizin, sondern mit dem durch die Medizin zu befriedigenden Bedürfnis des gerichtlichen Verfah- rens gründlich vertraut sei. Zur Befriedigung die- ses Bedürfnisses gehört Kenntnis der einschlagen- den Gesetzgebung, eine durch Übung zu steigernde Fähigkeit, das Gesetz richtig anzuwenden, den für die Rechtsanwendung wesentlichen Kern der zu stellenden Fragen leicht und sicher zu fassen und präzis zu beantworten, eine der Sachkunde ent- sprechende Sicherheit, dieselbe zum mündlichen Ver- fahren zu verwerten. Das Maß der Fähigkeit, als ¶