Geschäftsunfähig ist eine
Person, welche des Vernunftgebrauchs, wenn auch nur vorübergehend, beraubt ist, für die
Dauer
dieses Zustandes; eine
Person, welche wegen Geisteskrankheit entmündigt ist, solange die Entmündigung besteht (s.
Entmündigung). In diesen
Beziehungen stehen die verschiedenen Formen der Geisteskrankheit gleich. Nur das
Preuß. Allg. Landr.
1, 1, §§. 27, 28 unterscheidet von Wahnsinnigen die Blödsinnigen und die, welchen das Vermögen, die
Folgen ihrer Handlungen zu überlegen, ermangelt.
Wenn die Blödsinnigen nicht bevormundet sind, gilt zu ihren Gunsten die Vermutung, daß der betrügerisch gehandelt hat,
welcher durch ihre Willenserklärung mit ihrem Schaden sich zu bereichern suchte. Geistesschwachen kann einBeistand
zugeordnet werden, wenn solches nach bürgerlichem
Recht erforderlich oder zulässig ist (Einführungsgesetz zur Civilprozeßordn.
§. 10). Ist ein Verbrecher nach der That in Geisteskrankheit verfallen, so kann die vorläufige
Einstellung des gegen ihn
eingeleiteten
Strafverfahrens beschlossen werden (Strafprozeßordn. §. 203); ein Todesurteil darf gegen denselben nicht vollstreckt
werden (§. 486); die
Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe ist aufzuschieben (§. 487).
Über die Internierung
der Geisteskranken in
Irrenanstalten, welche bei Gemeingefährlichkeit geboten ist, bestehen besondere Vorschriften (s.
Irrenrecht). Im übrigen machen sich die zur
Aufsicht (s. d.) über Geisteskranke
Berufenen (Eltern, Vormünder, Pfleger) für
Schadenersatz und unter Umständen strafrechtlich verantwortlich, wenn sie dieAufsicht vernachlässigen
und dadurch Schaden entsteht.
Litteratur.Unter den zahlreichen
Schriften über
Psychiatrie sind hervorzuheben: Esquirol, Des maladies mentales (2 Bde., Par.
1838; deutsch von
Bernhard, 2 Bde., Berl. 1838);
Guislain, Lecons orales sur les phrénopathies (3 Bde., Gent
[* 2] 1852);
besonders aber
Griesingers Pathologie und
Therapie der psychischen
Krankheiten (Stuttg. 1845; 5. Aufl.
von Levinstein-Schlegel, Verl. 1892) und dessen Gesammelte
Abhandlungen, Bd. 1 (Berl. 1872);
Maudsley, Die Zurechnungsfähigkeit der Geisteskranken (Lpz. 1875);
von Krafft-Ebing, Lehrbuch der
Psychiatrie (5. Aufl.,
Stuttg. 1893);
Bezeichnung für alle Formen krankhaft verminderter geistiger Leistungsfähigkeit, die nicht auf
einer vorübergehenden
Hemmung,
bez. Verwirrung der Geistesthätigkeiten (z. B.
Delirium) beruhen, sondern aus dem wirklichen
Hinwegfall einzelner oder vieler oder aller die sog. Intelligenz zusammensetzenden
psychischen Einzelleistungen
(Gedächtnis,
Aufmerksamkeit,
Denken, Fühlen,
Triebe) resultieren. Dem entsprechend giebt es sehr
verschiedenartige Formen und ebenso verschiedenartige
Grade von Geistesschwäche, denen gegenüber der Versuch einer einfachen
Einteilung
immer fehlschlägt.
Die tiefste
Stufe der Geistesschwäche bezeichnet man als
Blödsinn
(Dementia), wo sich event. als einzige Zeichen psychischen
Lebens unmotivierte Zornaffekte finden (insbesondere bei
Idioten). Auf etwas höhern
Stufen finden sich Zeichen von
Gedächtnis
und
Erinnerung ohne die Fähigkeit, aus verschiedenen Einzelwahrnehmungen allgemeinere
Vorstellungen,
bez. auch nur die einfachsten
Begriffe zu bilden.
Bei den geringsten
Graden von Geistesschwäche leidet meist das Vermögen, abstrakte
Begriffe zu bilden (Schwachsinn, Imbecilitas)
u. dgl. m. Der Schwachsinn geht ohne scharfe Grenze
in die Dummheit über, welcher ähnliche nur weniger stark entwickelte Mängel des Seelenorgans zu
Grunde liegen, abgesehen
etwa von den Fällen, wo lediglich ungenügende Gelegenheit, Erfahrungen
bez.
Wissen zu sammeln, also äußere Verhältnisse
Ursache von Unwissenheit sind.
Als
Stumpfsinn hat man
Grade von Geistesschwäche bezeichnet, die zwischen Schwachsinn und
Blödsinn den Übergang vermitteln;
doch hat dieser
Begriff in der
Psychiatrie nicht eine feststehende Bedeutung. Für die
Einteilung wichtiger ist die Bezugnahme
auf die Entstehungsweise der Geistesschwäche, weil sich hierauf charakteristische Unterschiede in der Erscheinungsweise
gründen. Man unterscheidet so einmal die angeborene und erworbene Geistesschwäche. Der erstere
Ausdruck ist insofern nicht völlig korrekt, als man unter den angeborenen Formen auch vielfach alle auf einer
Hemmung der
geistigen
Entwicklung in frühen Lebensjahren beruhenden geistigen Schwächezustände
(Idiotie im weitesten
Sinne) zusammenfaßt.
Als erworbene Geistesschwäche bezeichnet man die nach der Erreichung einer gewissen geistigen Reife
auftretenden Schwächezustände, die also auf einem Wiederverlorengehen ausgebildeter geistiger Fähigkeiten und geistigen
Besitzes beruhen. Die angeborene wie erworbene Geistesschwäche beruhen auf anomalen Zuständen und Vorgängen
im
Gehirn,
[* 4] insbesondere in der Großhirnrinde. Von relativ geringerm Einfluß auf die in geistiger
Beziehung erreichbare Höhe
ist die mangelhafte
Entwicklung der äußern Sinneswerkzeuge, z. B. der
Augen, des Gehörorgans, sofern
das
Gehirn gesund ist, da das Fehlen eines
Sinnes, entsprechenden Unterricht vorausgesetzt, durch höhere Leistungen der andern
Sinne ausgeglichen werden kann.
Taubstumme und Blindgeborene leiden daher nicht an Geistesschwäche, sofern die mangelhafte Funktion ihrer
Sinnesorgane nicht auf einem Gehirnleiden beruht.
Die krankhaften Gehirnzustände, die man bei angeborener Geistesschwäche findet, sind ungemein
mannigfaltig; es kommen hier einmal alle
Gehirnkrankheiten in Betracht, die überhaupt bekannt sind, sodann eigenartige Entwicklungshemmungen
des
Gehirns infolge einer anomalen Beschaffenheit der väterlichen und mütterlichen Zeugungsstoffe, sodaß verschiedene
vom Normaltypus abweichende Hirnformen entstehen, vorzeitige Verknöcherung der Schädelnähte u. s. w.
Die erworbene Geistesschwäche ist bald eine primäre, bald eine sekundäre, insofern als die
ursächliche Hirnerkrankung bald von vornherein sich durch Zeichen geistiger Schwäche kundgiebt, bald zunächst eine Seelenstörung
ohne Schwächeerscheinungen mit sich bringt.
Das erstere ist der Fall bei dem Greisenblödsinn
(Dementia senilis), der Geistesschwäche nach
Blutungen und
Erweichungen im
Gehirn, bei der
ProgressivenParalyse der Irren, bei Geistesschwäche nach Hirnerschütterungen u. s. w.;
das letztere bei den meisten eigentlichen
Geisteskrankheiten
(Manie,
Melancholie, Verrücktheit u. s. w.), die, sofern sie nicht
in
Heilung übergehen, schließlich, wenn das Leben lange genug erhalten bleibt, regelmäßig mit Geistesschwäche enden.
In den Fällen letzterer Art mischen sich die eigentlichen Schwächeerscheinungen vielfach mit Residuen
der vorhergegangenen
Geisteskrankheit
(Wahnideen,
Hallucinationen u. s. w.). Bei der primären Geistesschwäche (z. B.
Dementia senilis, Progressive
Paralyse u.s.w.)
¶
mehr
können auch gleichzeitig neben der Gedächtnis-, Urteilsschwäche u. s. w. Erscheinungen geistiger Reizung, partiell gesteigerter
Geistesthätigkeit (Größenwahn, Verfolgungswahn), heftige Affekte u. s. w. auftreten, doch werden letztere bei der Benennung
der betreffenden Krankheiten nicht berücksichtigt, weil die erstern für die Prognose, für die Gesamtbeurteilung des Wesens,
des Verlaufs u. s. w. der Krankheit von weit größerer Bedeutung sind. Denn die wirklichen geistigen
Schwächezustände sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. die akute Demenz infolge von Schreck
u. s. w.) unheilbar. Sie beruhen auf unersetzbaren Defekten der Hirnsubstanz, wie denn bei
allen länger dauernden Zuständen von Geistesschwäche (ausgenommen sind nur manche Fälle von fixen Ideen, Paranoia) das Gehirn im ganzen
geschrumpft, atrophisch gefunden wird. - Die Behandlung der angeborenen Geistesschwäche s.
unter Idiotie. - Die Zustände geistiger Schwäche sind besonders forensisch von Interesse sowohl in civil- wie kriminalrechtlicher
Beziehung. (S. Geisteskrankheiten, S. 708 d fg.) Sie entziehen sich häufig dem Auge
[* 6] der Laien, sodaß event. große psychiatrische
Erfahrung nötig ist, um sie klar nachzuweisen.
Schwachsinnige blenden oft Unkundige durch eine gewisse Schlauheit und Verschlagenheit, und es bedarf einer genauen Durchforschung
der gesamten psychischen Vorgänge, um den wunden Punkt aufzudecken. Auch simulieren mäßig Schwachsinnige nicht gar selten
höhere Grade von Geistesschwäche oder Geisteskrankheit, z. B. um bei Verbrechen straffrei auszugehen, und zeigen hierbei
(infolge ihrer Urteilsschwäche) häufig eine große Kühnheit. Bei der Simulation Verdächtigen hat deshalb der Experte
in der Regel hierauf Rücksicht zu nehmen.