Einprägung war die Hauptsache. Gegen dieses
Verfahren erhob sich im 17. Jahrh. eine Reaktion.
Ratke Ratichius, gest.
1635) stellte den Grundsatz auf: «Nichts soll auswendig gelernt werden; es ist
ein Zwang der Natur, man thut dem Verstand Gewalt an.»
Comenius (gest. 1670) wollte, «daß der
Schüler nichts lerne, was er
nicht begriffen habe». Ebenso erklärte sich
Rousseau entschieden gegen dieses
Auswendiglernen, und eine ähnliche
Stellung
nahmen
Basedow und die Philanthropisten ein. In neuerer Zeit hat sich die
Anschauung durchgebildet, daß besser ein Mittelweg
einzuschlagen und daß auch die Stärkung des Gedächtnisses als eine hochwichtige
Aufgabe des Unterrichts zu betrachten sei.
Dazu bietet jeder Gegenstand reichlichen
Stoff. Was zum Verständnis gebracht ist, soll auch befestigt werden; doch nicht
bloß in einer Form, sondern es soll durch vielfache Verknüpfungen mit den übrigen geistigen Elementen zum vollständigen
Eigentume des
Geistes gemacht werden. Es macht sich daher das Bestreben geltend, die schriftlichen, namentlich stenographischen
Notizen der
Schüler im Unterricht einzuschränken und durch geeignete Gedächtnisübungen zu ersetzen. Aber auch der wörtlichen
Einprägung solcher
Stoffe, die durch
Inhalt und Form wertvoll sind, z. B.
Sprüche, Sentenzen, klassische
Dichtungen, ist ihr
Recht zuzugestehen. Diese müssen aber planmäßig, im Anschluß an den übrigen Unterricht, ausgewählt, auf das rechte
Maß beschränkt werden und vor dem Lernen zum Verständnis gebracht sein.
Auswendiglernen bloß zum Zwecke
der Gedächtnisübung ohne Rücksichtnahme auf den übrigen Unterricht und ohne daß vorher ein klares Verständnis herbeigeführt
ist, ist jedenfalls zu verwerfen.
(d. h. gedeckt), Bezeichnung der gedeckten, d. h.
der an ihrer Mündung verschlossenen Labialpfeifen der Orgel, namentlich für tiefe
Stimmen im Gebrauch.
mürber
Bernstein,
[* 3] ein unter dem Ostseebernstein vorkommendes fossiles Harz, das sich
vom
Bernstein durch geringere Härte und dem
Mangel an
Bernsteinsäure unterscheidet;
Gedanit findet bisweilen wie
Bernstein Verwendung.
(engl. thought-reading ooder mind-reading), die angebliche Kunst, durch
«psychische Strahlung» oder «magnetischen
Rapport» dieGedanken anderer zu erraten, ward bereits in den
«Makamen» des
Hariri erwähnt und schon vor
Jahrhunderten von den türk.
Derwischen und den ind.
Fakirs geübt. Aber erst seit 1875, als in Neuyork
[* 5] der Amerikaner
Brown
zuerst öffentlich als «Gedankenleser» auftrat und etwas später der Engländer
IrvingBishop sowie der AntispiritistStuartCumberland oder, wie er eigentlich heißt, Charles Garner öffentliche
Schaustellungen über das in fast allen Großstädten des Kontinents
gaben, wurde die
Aufmerksamkeit der Gebildeten sowie
das Interesse der Physiologen und
Philosophen auf die anscheinend so wunderbare Kunst gelenkt.
Die gewöhnlichste Form des Gedankenlesen besteht darin, daß in
Abwesenheit des Gedankenlesers ein beliebiger Gegenstand
versteckt oder eine bestimmte
Person, Zahl,
Silbeu. dgl. in
Gedanken genommen wird, worauf der Gedankenleser in die Gesellschaft
zurückkehrt und sich einige
Wissende zu «Medien» erwählt; mit verbundenen
Augen erfaßt er sodann das
Medium, dessen
Gedanken
er erraten soll, bei der
Hand,
[* 6] fordert es laut auf, seine
Gedanken auf die zu suchende
Person oder Sache
fest zu konzentrieren und führt es sodann nach längerm oder kürzerm Suchen auf den gedachten Gegenstand zu.
SollenZahlen
oder Worte erraten werden, so führt er die
Hand des
Mediums wiederholt über ein
Blatt
[* 7] oder eine
Tafel, auf welcher die
Buchstaben des
Alphabets oder die zehn Zahlzeichen vorgezeichnet sind, und zeigt mit verbundenen
Augen auf die gedachte Zahl
oder
Silbe; auf ähnliche
Weise werden gedachte
[* 1]
Figuren, Melodien
u. dgl. erraten. Bei geübten Gedankenlesern erfolgt das Finden
und Erraten der gedachten
Person, Zahl oder Sache gewöhnlich ziemlich schnell und sicher; doch kommt
es nicht selten vor, daß erst ein zweites oder drittes
Medium zu Hilfe genommen werden muß, das seine
Gedanken «besser zu
konzentrieren» versteht.
Die richtige Erklärung des Gedankenlesen gab zuerst der amerik. Nervenarzt Gedankenlesen M.
Beard, indem er in seiner
Abhandlung«Physiologie des
Gedankenlesens» (1877) den Nachweis führte, daß die Manipulationen
des Gedankenlesers auf leicht verständliche
Weise durch gewisse unbewußt erfolgende Muskelbewegungen des sog.
Mediums zu
stande kommen. Den direkten experimentellen
Beweis hierfür lieferte sodann der Physiolog William Preyer, der 1886 eine Reihe
geistvoller Untersuchungen über das Gedankenlesen veröffentlichte.
Danach steht fest, daß die allermeisten
Menschen, wenn sie scharf und unverwandt an einen Gegenstand
denken, mit ihren
Händen völlig unbewußt gewisse Muskelbewegungen ausführen, die zwar äußerst schwach, aber doch immerhin
noch kräftig genug sind, um von einem geübten Gedankenleser gefühlt zu werden. Das Vorhandensein derartiger minimaler
Muskelkontraktionen hat Preyer durch einen eigens von ihm konstruierten, sehr empfindlichen
Apparat, den
Palmographen, nachgewiesen, welcher die schwächsten
Bewegungen graphisch darzustellen gestattet.
Nun besteht zwischen der
Richtung, in welcher diese kleinen Muskelstöße erfolgen, und dem fixierten
Gedanken die einfache
Relation, daß der Gedankenleser nur der
Richtung der
Stöße zu folgen braucht, um zum Ziele zu gelangen. Wenn also z. B.
eine
Stecknadel versteckt wurde und diese vom Gedankenleser gesucht werden soll, so wird dieser durch
die unbewußten Muskelbewegungen des
Mediums dorthin geführt, wo sich die
Nadel befindet, und soll eine bestimmte Zahl geschrieben
oder der
Umriß eines
Tieres gezeichnet werden, so führt der an die Zahl oder an das
Tier beständig Denkende dem Gedankenleser
gewissermaßen die
Hand, ähnlich wie die
Mutter dem
Kinde bei den ersten Schreibversuchen. Natürlich sind die fraglichen Muskelbewegungen
des
Mediums außerordentlich schwach und kurzdauernd, und es gehört ein besonderes Geschick und eine gewisse Feinfühligkeit
dazu, um sie in genügender
Weise wahrzunehmen. Der
Name Gedankenlesen würde sonach besser durch
¶
mehr
«Muskellesen» ersetzt; denn der Gedankenleser liest in Wahrheit nicht in
den Gedanken des Mediums, sondern dieses wird durch seine unwillkürlichen und unbewußt bleibenden Muskelbewegungen und durch
seine Aufregung selbst zum Verräter seines Gedankens; das Medium wird beim Suchen nicht, wie es den Anschein hat, von dem
Gedankenleser geführt, sondern ist im Gegenteil der eigentlich führende Teil.
Ohne eine direkte Berührung zwischen Medium und Gedankenleser fällt die Möglichkeit des Gedankenlesen ohne weiteres fort. Zwar hat
neuerdings der Pariser Physiolog Charles Richet auf Grund zahlreicher von ihm und andern angestellter Experimente zu beweisen
versucht, daß eine Fernwirkung menschlicher Vorstellungen, also eine unmittelbare Gedankenübertragung
(frz. Suggestion mentale; engl. Thought-transference) von einem Gehirn
[* 9] auf ein anderes ohne wahrnehmbare physische Vermittelung
möglich sei; doch hat Prever nachgewiesen, daß bei den Richetschen Experimenten Zufall und Selbsttäuschung eine große
Rolle spielen.
Richet, in der Revue philosophique", 1884, S. 609-671; Preyer, Die Erklärung des Gedankenlesen (Lpz.
1886);
Richet, Experimentelle Studien auf dem Gebiet der Gedankenübertragung und des sog. Hellsehens (deutsch von Freiherr
von Schrenck-Rotzing, Stuttg. 1891).