Die Freiheitsstrafen als ordentliche Strafmittel kommen erst mit dem
Ende des 18. Jahrh. in Übung. Bis dahin traten sie zurück vor den die Regel bildenden Leibes- und Lebensstrafen, oder erschienen
als Mittel zur Durchführung der erstern. Die Neuzeit erblickt in dem Verbrechen den durch Mißbrauch der persönlichen Freiheit
ermöglichten und veranlaßten Rechtsbruch und straft deshalb regelmäßig durch Entziehung der persönlichen
Freiheit. Diese Freiheitsentziehung soll um so fühlbarer sein, je stärker der Rechtsbruch war.
Daher die verschiedenen Arten der Freiheitsstrafen und die Abstufungen ihrer Dauer. Das Deutsche Strafgesetzbuch hat vier verschiedene Freiheitsstrafen: 1)
Zuchthausstrafe von 1 bis zu 15 Jahren oder lebenslänglich;
2) Gefängnisstrafe von 1 Tage bis zu 5 Jahren:
3) Haft von 1 Tage bis 6 Wochen;
4) Festungshaft von 1 Tage bis zu 15 Jahren oder lebenslänglich. Der Unterschied zwischen diesen Freiheitsstrafen soll nach dem Gesetze
darin bestehen: die zu Gefängnis Verurteilten können auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessene Weise beschäftigt
werden und sind auf ihr Verlangen in dieser Weise zu beschäftigen;
die Zuchthaussträflinge unterliegen einem unbedingten
Arbeitszwange.
Die Haftsträflinge unterliegen nur ganz ausnahmsweise (Landstreicher, Bettler, Müßiggänger, Prostituierte)
einem solchen; bei Festungshaft ist der Arbeitszwang ohne Ausnahme ausgeschlossen, nur eine Beaufsichtigung der Beschäftigung
und Lebensweise soll stattfinden. Außerhalb der Anstalt können die Zuchthaussträflinge ohne ihre Zustimmung,
Gefängnissträflinge nur mit ihrer Zustimmung beschäftigt werden. Neben Zuchthaus tritt der Verlust gewisser Ehrenrechte
(s. d.) von Rechts wegen ein, neben Haft niemals; im übrigen kann unter gewissen Voraussetzungen auf vollständige oder teilweise
Aberkennung der Ehrenrechte erkannt werden (§§. 14 fg., 32 fg.).
Alle diese Unterschiede sind
in der Praxis oft wenig bemerkbar. Erfahrene Praktiker bestätigen,
daß zwischen Zuchthaus und Gefängnis vielfach nur der Unterschied besteht, daß der Strafort in dem einen Falle Strafanstalt
und im andern Gefangenenanstalt heißt, und auch dieser Unterschied verschwinde,wenn, wie es vorkommt, Zuchthaus- und Gefängnisstrafe
in derselben Anstalt, etwa in zwei verschiedenen Flügeln vollstreckt werden. Dann stehe der gesetzliche
Unterschied bei den Strafarten nur auf dem Papier. Andererseits sei durch die Verurteilung zu derselben Strafart keineswegs
ein gleichmäßiger Strafvollzug verbürgt, und die Zuchthausstrafe in Moabit (Einzelhaft, s. d.)
und in Sonnenburg (gemeinsame Haft) sei so himmelweit verschieden, daß es Unrecht sei, sie noch mit demselben
Namen zu benennen. (Vgl. Krohne, Lehrbuch der Gefängniskunde, Stuttg. 1889; ders. in der
«Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft», hg. von Liszt, Bd. 1) Dieser das Rechtsgefühl verwirrende Zustand
– der eine gründliche Änderung erst mit der gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs erfahren kann –, die Meinung, daß
der Vollzug der Freiheitsstrafen bisweilen von einer übertriebenen Milde bestimmt sei, was man besonders öfter den
Anhängern der Vesserungstheorie schuld gegeben hat, und endlich die Wahrnehmung, daß kurzzeitige Freiheitsstrafen entweder
den Strafzweck überhaupt verfehlen oder an sich schon eine schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Schädigung sein
können, haben einerseits dem Institute der Freiheitsstrafen überhaupt scharfe Angriffe zugezogen, andererseits zu der
Erwägung geführt, ob nicht auf Ersatzmittel Bedacht zu nehmen sei.
Man hat eine Vereinfachung der Arten der Freiheitsstrafen vorgeschlagen und als Ersatz für kurzzeitige, die den Unbescholtenen besonders
hart treffen, Geldbuße, Verweis, Hausarrest, Friedensbürgschaft, bedingte Verurteilung (s. d.) angeraten. Die Diskussion
über diese Dinge ist in vollem Fluß. Von mancher Seite wird auch darauf hingewiesen, daß in der Strafrechtspflege
von kurzen Freiheitsstrafen ein besonders weitgehender Gebrauch gemacht werde, und angeführt, daß beispielsweise
in den Jahren 1884‒86 in Deutschland 36,37 Proz. aller Gefängnisstrafen eine Dauer von 8 Tagen und darunter, 28,11 Proz.
eine Dauer von 8 Tagen bis zu 1 Monat hatten.
Die Freiheitsstrafen des geltenden Österr. Strafgesetzbuchs von 1852 sind Kerker (für Verbrechen) und Arrest (für Verbrechen und Übertretungen).
Die Kerkerstrafe, welche mit Anhaltung zur Arbeit verbunden ist, wird nach dem Unterschiede der Strenge in zwei Grade eingeteilt,
von denen der zweite (schwerer Kerker) früher so vollstreckt wurde, daß der Verurteilte mit Eisen an den
Füßen festgehalten wurde (Kettenstrafe). Seit dem J. 1867 wird statt dessen auf eine der gesetzlich zulässigen Verschärfungsarten
(Fasten, hartes Lager, Einzelhaft, dunkle Zelle, Landesverweisung gegen Ausländer, bis zum J. 1867 auch körperliche Züchtigung)
erkannt.
Auch der Arrest zerfällt in zwei Grade (einfacher und strenger). Er geht bis zum Höchstmaß von 6 Monaten
und besteht in einfacher Verschließung, zu der – für den strengen Arrest – nach Maßgabe der in der Strafanstalt bestehenden
Einrichtungen Arbeit hinzutritt. Dazu kommt der Hausarrest. Der Österr. Strafgesetzentwurf von 1889 hat im wesentlichen das
System der Freiheitsstrafen des Deutschen Strafgesetzbuchs, daneben aber Verschärfungen (Fasten, hartes Lager und Dunkelzelle) für Zuchthaus-
und nichtpolit. Gefängnissträflinge. – Vgl. Zugschwert, Die
mehr
Schärfungen der Freiheitsstrafen (Wien 1865);
Mittelstädt, Gegen die Freiheitsstrafen (Lpz. 1880);
Schwarze, Die Freiheitsstrafen (ebd. 1880);
Lange, Das Deutsche
Strafrecht und die Pädagogik (Hamb. 1880);
Schmölder, Die Strafen des deutschen Strafgesetzbuchs und deren Vollzug (Berl.
1885);
Revisita di discipline carcerarie etc. (Flor. und Rom 1871 fg.);
Bulletin de la Société générale
des prisons (Par. 1877 fg.);
ferner die Hand- und Lehrbücher des Strafrechts von Binding (Lpz. 1885), Berner (15. Aufl., Berl.
1888), H. Meyer (4. Aufl., Erlangen 1888), Kofner (Münch. 1888), Merkel (Stuttg. 1889), Tissot, Le droit pénal (2 Bde., 2. Aufl.,
Par. 1880).