mehr
er durch seine Umgebung bestimmt und unter dem Spiel aller seiner Organe thätig ist. Überzeugt von dem Übergewicht des Schlechten in der Welt, verbunden die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit nur im Sichtbaren erkennend, giebt der Naturalist vor, eine sittliche Pflicht in der Darstellung des Niedrigen und Gemeinen zu erfüllen, und scheint nicht zu wissen, wie sehr seine Werke unsaubern Gelüsten fröhnen, seine «urkundlichen» Schilderungen sittlicher und physischer Verkommenheit Keime des Unheils aussäen.
Seit dem Tode seines Bruders Jules (1870) hat Edmond de Goncourt nur noch einen beachtenswerten Roman veröffentlicht («Les frères Zemganno», 1879). Das Haupt der Schule des objektiven Naturalismus wird Zola, der seit 1871 eine Reihe von pathol.-physiol. Romanen unter dem Gesamttitel «Les Rougon-Macquart» verfaßt und veröffentlicht hat, die «bürgerliche und natürliche Geschichte» einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich, die sich durch 19 Bände hindurchzieht («La fortune de Rougon», 1871, bis «Docteur Pascal», 1893); bei einer Fülle trostloser und abstoßender Einzelheiten, bei einer bisweilen pedantisch-kleinlichen Vorliebe für Schmutz und Detailausführung zeugen diese Werke von großer Sprachgewalt, von seltener Kraft [* 2] und Fähigkeit, äußere Zustände und Stimmungen darzustellen.
Seine Poetik enthält der «Roman expérimental» (1880). Neben Zola ist Alphonse Daudet seit seinem Pariser Sittenbilde «Fromont jeune et Risler ainé» (1874) der erfolgreichste neuere Romanschriftsteller Frankreichs. In seinen frühern Werken unterscheidet ihn größere Decenz und vornehmere Haltung von Zola, er zeigt liebenswürdigen Humor und ist ein Meister feiner Ironie, hat sich aber zuletzt den Naturalisten sehr genähert. Eine Anzahl jüngerer Schriftsteller, die sich um Zola sammelten, gaben in den «Soirées de Médan» (1880) die ersten Beweise ihres Könnens und ihrer Zugehörigkeit zur Schule des Meisters.
Einer der eifrigsten «Médanisten» war Paul Alexis («Éducation amoureuse», 1890),
auch Henri Céard, Camille Lemonnier («Le [* 3] possédé», 1890),
Henri Rabusson, Edouard Rod («La vie privée de Michel Teissier», 1892),
Paul Mariéton, Octave Mirbeau u. a. folgen seiner Richtung. Als Zolas Roman «La terre» (1887) erschien, worin Schmutz und Abscheu sich häuften, kündigten ihm fünf Anhänger die Heeresfolge, unter ihnen der begabte Niederländer J. K. Huysmans (geb. 1848),
Lucien Descaves, Paul Margueritte, J. H. Rosny («Daniel Valgraive», 1891). Diese und andere Schriftsteller, wie Marcel Prévost («Confession d'un amant», 1891),
sind des materialistischen Pessimismus überdrüssig und der «Roman der Zukunft» soll wieder den idealen Bedürfnissen, dem «besoin d'une expression romanesque» des Lebens in höherm Grade gerecht werden. Eine Mittelstellung zwischen den Naturalisten und den Psychologen nahm Guy de Maupassant (gest. 1893) ein, der in Werken wie «Pierre et Jean» (1888),
«Fort
comme
la mort» (1889) durch einfache
Darstellung ergreifender
Konflikte und psychol. Tiefblicke sich
Zola überlegen gezeigt
hat. Die eigentlichen «Psychologen» oder
«Analytiker», die sich Mühe geben, das menschliche Seelenleben besonders in seinen
Ausartungen und krankhaften Nervenzuständen zu ergründen und darzustellen, mit möglichst wenig eigener Empfindung,
berufen sich auf
Beyle; an ihrer
Spitze steht
Paul
Bourget («Cruelle énigme», 1885, «Crime
d'amour», 1886, «Mensonges», 1887),
der mit seinen nervösen Heldinnen und Helden («Le disciple», 1889) aus den gebildeten und wohlhabenden Ständen und seiner zart abgetönten Darstellung den geraden Gegensatz zu Zola bildet. Bourget ist zugleich der Vertreter der psychologischen litterar. Kritik («Essais de psychologie contemporaine», 1883). Auch J. Le Maître und Anatole France gefallen sich in der Kleinmalerei. Gyp (Gräfin Martel-Mirabeau) verfaßte übermütige satir. Geseltschaftsbilder, während Ferdinand Fabre in seinen bedeutenden Romanen die Seelenkämpfe des Seminaristen, den Ehrgeiz des Priesters («L'abbé Tigrane», 1873, «Ma vocation», 1889) und das Leben in seiner Cevennenheimat mit Ernst und Kraft dargestellt hat.
Der Provinz- und Dorfroman wird ferner von Pouvillon («Chante-Pleure», 1890),
Antony Blondel («L'heureux village», 1892) u. a. mit Erfolg gepflegt. Nach psychol. Vertiefung und genauer Wiedergabe des Zuständlichen streben übrigens auch die Schriftsteller, die einer idealern Auffassung der menschlichen Natur huldigen. Für Octave Feuillet (gest. dessen letzte Werke «La morte» (1886) und «Honneur d'artiste» (1890) sind, ist der «Sous-Feuillet» Henri Rabusson eingetreten als Verfasser vornehmer Gesellschaftsromane; neben Cherbuliez wurde André Theuriet ein fleißiger Mitarbeiter der «Revue des Deux Mondes»; Ohnet, nach Zola der gelesenste Schriftsteller des heutigen Frankreich, schildert in seinen zehn Romane umfassenden «Batailles de la vie» (1881-91) mit Vorliebe den siegreichen Kampf bürgerlicher Tüchtigkeit und ehrlicher Arbeit gegen Vorurteil und gesellschaftliche Verderbtheit.
Beliebte Tagesschriftsteller sind Ernest Daudet, Henri Gréville (Frau Alice Durand), die zuerst ihre Helden und Stoffe aus Rußland holte, Thérèse Bentzon (Frau Blanc), Albert Delpit, Hector Malot, Frau Charles Bigot (Jeanne Mayret), Léon de Tinseau u. a. Die Abart des jurist. Romans ist vertreten durch die Werke des ehemaligen Oberstaatsanwalts Quesnay de Beaurepaire, der unter dem Namen Jules de Glouvet schreibt. Außerdem giebt es Kasernenromane (L. Descaves, Reibrach, Abel Hermant), Schilderungen des Pariser Elends auf allen Stufen der Gesellschaft (Hugues Le Roux) u. s. w. Stark von Deutschenhaß beeinflußt sind Erckmann-Chatrian in ihren seit 1871 erschienenen Schilderungen aus dem Elsässer Volksleben («Histoire du plébiscite», 1872). Unter den histor.
Romanen dürfte V. Hugos «Quatre-vingt-treize» (1874) die bedeutendste Erscheinung dieser Periode sein. Ungemein schnell hat sich Loti (der Marineoffizier Julien Viaud) einen Namen gemacht, dessen episodenhafte, meist schwermütige Geschichten einen eigenartigen Reiz durch die meisterhaft ausgeführten Schilderungen fremdländischer Schauplätze («Le mariage de Loti», 1882, «Madame Chrysanthème», 1888) und des Lebens der Fischer und Seeleute («Pêcheur d'Islande», 1886) ausüben. Ganz besonders tritt in der neuesten Zeit wieder die Novelle hervor, in der sich die verfeinerte Erzählungskunst in ihrer höchsten Ausbildung zeigt. Hier sind vor allem die Sammlungen Coppées zu erwähnen («Contes rapides», «Les vrais riches», 1892),
Bourgets «Pastels» (1889), die Legenden von Anatole France und Jules Lemaître, die formvollendeten Erzählungen von Catulle Mendès, welche ebenso cynisch wie seine Romane sind u. a. m. ¶
mehr
Alle Fragen der litterar. und ästhetischen Kritik werden mit großer Lebhaftigkeit von produktiven Schriftstellern und Berufskritikern behandelt. Unter den letztern treten hervor Ferdinand Brunetière, der gegen den Ansturm der Naturalisten, Analytiker, Symbolisten, Impressionisten das Recht der wissenschaftlichen Kritik verficht und für die guten Überlieferungen der eintritt, während mehr dem Strome der litterar. Mode Paul Bourget, Anatole France (am «Temps»),
Jules Lemaître (am «Journal des Débats») folgen. Der Altmeister der Theaterkritik ist Francisque Sarcey, neben ihm traten hervor J. J. Weiß, Bellaigue («Revue des Deux Mondes»),
Ganderax u. s. w.
In der Philologie und Geschichte, wie auf allen Gebieten, welche ernstes und genaues Studium erfordern, macht sich seit 1870 eine aufsteigende Bewegung kenntlich. Eine Menge junger Historiker, durch das Beispiel von Monod, Lavisse, Longnon u. a. angeregt, bearbeiteten nach dem Muster deutscher Forschung die franz. Geschichte in tüchtigen, mit größtem Fleiß ausgeführten Monographien, wobei das urkundliche Material sehr sorgfältig und echt wissenschaftlich benutzt wurde. Es wurden die «Griech. Geschichte» von Ernst Curtius und die «Geschichte des Hellenismus» von Droysen übersetzt.
Dieulasoy hat die von Viollet le-Duc auf die franz. Kunst des Mittelalters angewandte Methode auf die altpers. Kunst angewandt («L'art antique de la Perse», 5 Bde., 1884-89). Schlumberger hat die «?uvres d'A. de Longpérier» zusammengestellt und geordnet (6 Bde., 1883-84). G. Perrot hat, unterstützt von Ch. Chipiez, 1881-89 fünf Bände seiner «Histoire de l'art dans l'antiquité» veröffentlicht. Victor Duruy hat seine «Histoire des Romains» (7 Bde., 1876-85) vollendet; Charles Joseph Tissot hat eine «Géographie comparée de la province romaine d'Afrique» (Bd. 1, 1884) hinterlassen.
Victor Gay hat ein «Glossaire archéologique du moyen âge et de la Renaissance» (Heft 1-5, 1882 fg.) begonnen. Eugène Müntz veröffentlichte «La Renaissance en Italie et en France à l'époque de Charles VIII» (1885) und «Donatello» (1885). Babeau setzte seine Untersuchungen über die franz. Zustände vor der großen Revolution fort («La vie rurale dans l'ancienne France», 1883, und «Les bourgeois d'autrefois», 1886). Antonin Lefèvre-Pontalis ließ erscheinen «Vingt années de république parlementaire au XVIIe siècle, Jean de Witt, grand pensionnaire de Hollande» (2 Bde., 1884). Der Herzog von Broglie veröffentlichte «Frédéric II et Louis XV» (2 Bde., 1885);
der General Pajol «Les guerres sous Louis XV» (7 Bde. u. Atlas, [* 5] 1881-91);
Mention «Le comte de Saint-Germain et ses réformes» (1885);
Vatel «Histoire de Mme du Barry» (3 Bde., 1882-84).
Die diplomat. Kommission des Ministeriums des Äußern begann den «Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traités de Wesphalie jusqu'à la Révolution française» (Bd. 1-9, 1884-91). Aber vor allem zieht die Französische Revolution die Forscher an. André Michel veröffentliche die «Correspondance inédite de Mallet du Pan [* 6] avec la cour de Vienne dans les années 1794-98» (2 Bde., 1884). Von Albert Sorel erschienen vier Bände eines auf sechs Teile berechneten Werkes «L'Europe et la Révolution française» (1885 fg.),
dem die Académie française den ersten Preis Gobert zuerkannt hat. Taine (gest. 1893) veröffentlichte den fünften Band [* 7] seiner «Origines de la France contemporaine» u. d. T. «Le régime moderne. Napoléon» (1899). Boulay de la Meurthe schrieb «Le Directoire et l'expédition d'Égypte» (1885) und «Les dernières années du duc d'Enghien» (1886),
Ernest Daudet «Les émigrés et la seconde coalition» (1886). A. Chuquet begann «Les guerres de la Révolution»; bis jetzt sind davon 10 Teile erschienen (1886-94). Endlich lieferte Thureau-Dangin eine «Histoire de la monarchie de juillet» (Bd. 1-7, 1884-92),
Renan (gest. 1892) seine «Histoire du peuple d'Israël» (3 Bde., 1887-90).
Die Memoirenlitteratur bereicherte sich durch mehrere hervorragende Werke: Paul de Rémusat veröffentlichte die «Mémoires» seiner Großmutter, der Madame de Rémusat, 1802-1808 (3 Bde., 1879-80),
der Comte de Cosnac und Ed. Pontal die «Mémoires du marquis de Sourches sur le règne de Louis XIV» (13 Bde., 1882-93);
Robert de Crèvecoeur die «Mémoires du comte Dufort de Cheverny sur les règnes de Louis XV et de Louis XVI et sur la Révolution» (2 Bde., 1886);
der Herzog des Cars die «Mémoires de la duchesse de Tourzel » (2 Bde., 1883);
Eugène Forgues die «Mémoires et relations politiques du baron de Vitrolles» (3 Bde., 1883-84);
der Comte de Contades «Coblenz et Quiberon, souvenirs du comte de Contades» (1885);
de Puymaigre seines Vaters «Souvenirs sur l'émigration, l'Empire et la Restauration» (1884),
der Herzog Albert de Broglie die «Souvenirs» seines Vaters, der unter Napoleon I., der Restauration und dem Julikönigtum diente (4 Bde., 1886-87);
ferner erschienen in jüngster Zeit die für die Kriege Napoleons I. wichtigen «Mémoires» des Generals Marbot (3 Bde., 1892),
die «Souvenirs sur la Révolution, l'Empire et la Restauration» (1892) des Grafen Rochechouart, die Memoiren Talleyrands (hg. vom Herzog von Broglie, 5 Bde., Par. 1891-92) u. a. m. Endlich veröffentlichte E. de Goncourt das litterargeschichtlich wichtige «Journal des Goncourt» (1. Serie: 1851-70, 3 Bde., 1887-88; 2. Serie: 1870-84, 3 Bde., 1890-92),
und der Akademiker Ernest Legouvé u. d. T. «Soixante ans de souvenirs» (2 Bde., 1886-87) anziehende Mitteilungen über die Schriftsteller, mit denen er bekannt geworden ist.
Das Gebiet der ältern wurde eifrig weiter durchforscht. Die «Société des anciens textes» hat seit 1875 zahlreiche altfranz. Werke veröffentlicht, Petit de Julleville hat eine gründliche Geschichte der mittelalterlichen franz. Bühne veröffentlicht, die «Histoire littéraire» ist bis zum 31. Bande (Suite du XIVe siècle, 1893) gediehen, in der seit 1871 erscheinenden «Romania» ist ein Mittelpunkt für die roman. Studien in Frankreich geschaffen worden. Französische Godefroy ist in seinem «Dictionnaire de l'ancienne langue française» (Bd. 1-7, 1880-91) bis zu dem Buchstaben T gelangt.
In der Sammlung der «Grands écrivains de la France» erschienen: Molière von Mesnard (11 Bde., 1873-93),
Lafontaine von H. Régnier und Saint-Simons «Mémoires», von Boislisle begonnen (Bd. 1-10, 1871-93). Louis Moland veröffentlichte eine vollständige Ausgabe von Voltaires Werken (52 Bde., 1878-85),
Assézat und Tourneux eine Ausgabe von Diderots Werken (20 Bde., 1875-77); Tourneux hat auch die «Correspondance» von Grimm, Diderot u. s. w. zum erstenmal vollständig ¶