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während der Restauration wirkten die Flugschriften P. L. Couriers, die in meisterhafter Sprache [* 2] geschrieben, zugleich reiche Beiträge zur Sittengeschichte der damaligen Zeit gewähren.
In der Geschichtschreibung traten seit der großen Revolution am Ende des 18. Jahrh. drei verschiedene Schulen oder Auffassungsarten hervor. Die systematische oder rationelle Schule, deren Haupt Guizot ist, stellt die Thatsachen massenweise zusammen, sucht daraus Folgerungen und Ideen zu ziehen, verliert sich aber oft in zu weit gehenden Betrachtungen. Die beschreibende oder erzählende (deskriptive) Schule, zu der Barante und die beiden Thierry gehören, schildert die Begebenheiten, die Personen und Sitten mit aller möglichen Treue ohne Reflexionen und sucht geradezu den naiven Ton der Chronisten des Mittelalters zu treffen und dem Leser die Betrachtungen zu überlassen.
Die fatalistische Schule endlich, deren wichtigste Repräsentanten Mignet und Thiers sind, beschränkt sich auf die polit. Geschichte; sie erzählt die Hauptvorfälle und stellt die guten und bösen Thaten der Individuen als notwendige Folgen der Umstände dar. Michelet, einer der ausgezeichnetsten Historiker Frankreichs, vermittelt die erste und zweite Schule, indem er die pragmatische Manier zur philosophischen zu steigern und auch das beschreibende Element zur histor.
Poesie zu erheben sucht. Sismonde de Sismondi hat nur als Forscher Wert; als Geschichtschreiber steht er weit unter Guizot und Michelet. Für die älteste Zeit der Monarchie begeisterte sich der Graf Montlosier in seinen histor. Schriften. Augustin Thierry verdankt seinen Ruhm seiner «Histoire de la conquête de l'Angleterre par les Normands» (1825). Barante ist in seiner «Histoire des ducs de Bourgogne» (1826) der eigentliche Stifter der schildernden Schule. Michaud hat sich in seiner «Histoire des croisades» (1811-22) in einer unbefriedigenden Mitte zwischen der deskriptiven und pragmatischen Manier gehalten.
Von den zahlreichen Geschichtswerken, welche die Ereignisse der Französischen Revolution selbst behandeln, sind am bedeutendsten die von Thiers (1823 fg.) und Mignet (1824). Von den Geschichtschreibern, die das erste Kaiserreich zum Gegenstande wählten, sind die berühmtesten der Graf Ségur, dann Vignon, Gourgaud, Arnault, in Verbindung mit Jay, Jouy und Norvins. Was die eigentliche Kriegsgeschichte anlangt, so fand ebenfalls das Werk Ségurs: «Histoire de Napoléon et de la grande armée» (1824) fast allgemeine Anerkennung.
Von noch größerer Wichtigkeit aber ist Matth. Dumas' «Précis des événements militaires» (19 Bde. und 8 Bde. Atlas, [* 3] Par. 1816-26). Daneben verdienen genannt zu werden die Werke von Henri de Jomini, vom Marquis George de Chambray, vom Marschall Gouvion Saint [* 4] Cyr und von Foy. An Memoiren über die Revolution und das Kaiserreich herrscht ein fast erdrückender Überfluß. Unter den Sammlungen sind zu erwähnen die von Saint Albin Berville und J. Französische Barrière: «Collection des mémoires relatifs à la Révolution française» (56 Bde., Par. 1820-26) und die «Mémoires particuliers pour servir à l'histoire de la Révolution». Von einzelnen Werken erregten Napoleons «Mémoires», außerdem die von Bourrienne und von Las Cases das meiste Aufsehen. -
Vgl. Nettement, Histoire de la littérature française sous la Restauration (3. Aufl., 2 Bde., Par. 1875).
10) Während des Julikönigtums (1830-48). Seit der Julirevolution war der Sieg der Romantiker entschieden, aber viele Kräfte wurden zugleich der Litteratur entfremdet und der Politik zugeführt. Unmittelbar durch die polit. Ereignisse hervorgerufen wurden die beißenden Jamben Barbiers, die ihrem Verfasser eine schnelle Berühmtheit verschafften. Der Zusammenhang zwischen den Angehörigen der Schule lockerte sich aber nach dem Siege, und die Einzelnen folgten den Bahnen, die ihnen Neigung und Begabung vorschrieb.
Châteaubriand war Politiker und Publizist geworden, Lamartine behauptete seine Ansprüche als Dichter durch einige lyrisch-epische Gaben («Jocelyn», 1836), ehe er ganz in der Politik aufging, für V. Hugo beginnt 1830 die reichste Zeit seines Schaffens. Als Lyriker verschafft ihm seine farbenprächtige Sprache und sein feuriges Pathos die erste Stelle in der Schätzung der Zeitgenossen, während A. de Musset hinter ihm an sittlicher Kraft [* 5] zurückbleibt, ihn aber in seinen lyrischen und epischen Dichtungen durch wahre Empfindung und einfachen Ausdruck übertrifft. Im Geiste Lamartines dichteten Saintine, Brizeur, Autran, J. Reboul. Durch Neuheit und Glanz der Diktion hatten V. Hugo und seine Anhänger kräftige Wirkungen zu erzielen gesucht, die Übertreibung dieses Strebens führte zu einer Bevorzugung künstlicher Wort- und Versbehandlung, die den Inhalt über der Form vernachlässigte. In dieser Beziehung bildete Th. Gautier Schule, sein talentvollster Nachahmer war Théodore de Banville («Cariatides», 1842) u. a.
Auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung waren Delavigne («Louis XI», 1832 u. a.) und Vigny («Chatterton», 1835) mit glücklichem Erfolg thätig; obgleich der neuen Richtung folgend, hielten sie sich frei von Ungeheuerlichkeiten und Ausschreitungen. V. Hugo und A. Dumas war es vorbehalten, durch Übertreibung ihrer Principien auf der Bühne das romantische Drama zu Tode zu hetzen. Die ausschweifende Phantasie dieser Dichter nahm den kühnsten Flug in die Regionen des Ungeheuern und Gräßlichen.
Ihre spätern Stücke zeigen, mit ihren frühern verglichen, eine zunehmende Verflachung und Verwilderung. Individuelle Beseelung, feste Charakterzeichnung, sinnreiche Anlage, fleißige Ausführung sucht man darin umsonst. Alles läuft darauf hinaus, durch die grellsten Gegensätze und krassesten Momente zu wirken. Jeder von jenen beiden Autoren hat einen eigenen, aber gleich heillosen Einfluß auf die franz. Bühne gehabt. V. Hugo schuf das Tirade-Drama, das schon bei dem Meister selbst und noch viel mehr bei seinen Schülern in bloßes Maschineriewesen und leeres Schaugepränge ausartete.
Dumas wurde der Schöpfer des sog. Leidenschaftsdramas, das nur leidenschaftlich erregte Personen vorführt, ohne tiefer gehende Charakterschilderungen zu geben. Dieses Drama kam schnell herunter durch den überwiegenden Einfluß und Anteil, der dem Maschinisten und Dekorationsmaler dabei eingeräumt wurde, und ging infolge der übermäßigen Verwicklung von Kombinationen und Motiven, die an die Stelle des wirklichen Lebens und Handelns traten, völlig im phantastischen Abenteuerdrama, sog. drame de cape et d'épée, und im Melodrama auf. Racines und Corneilles tragische Muse, die nach langer Abwesenheit die Bühne wieder begrüßte, fand an der Schauspielerin Rachel eine würdige Vertreterin, die durch ihr wunderbares Spiel jenen großen dramat. Dichtern bei der Nation ¶
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wieder zu dem Ansehen verhalf, das die romantischen Poeten und Kritiker geschmälert batten. Bei der Stimmung des gebildetern Publikums konnte es nicht fehlen, daß Ponsard mit seiner Tragödie «Lucrèce» (1843) außerordentliches Glück machte; sie zeigte eine Annäherung an die einfache Formenschönheit, die keine Reaktion nach dem Klassicismus hin, sondern vielmehr eine Verschmelzung der romantischen und klassischen Schule und die Grundlage einer neuen Richtung, der sog. École du bon sens, sein sollte.
Als Lustspieldichter beherrschte seit der Julirevolution Scribe mit seinen bürgerlichen Sittenstücken und histor. Intriguenkomödien die Bühne. Dichtungen von bleibendem Wert schuf A. de Musset in seinen graziösen Salonkomödien und dramat. Sprichwörtern. Für den starken Verbrauch der hauptstädtischen Bühnen sorgten fleißig Bayard, Mélesville (H. J. Duveyrier), Saintine, Biéville u. a. Populäre Stücke lieferten Dumersan, Delaporte, Duvert und Lauzanne nebst ihren Mitarbeitern Xavier, Dupeuty, Rozier, Lockroy (Verfasser der drei merkwürdigsten Stücke des damaligen franz. Genretheaters: «Passé minuit», «Trois épiciers» und «Périnet Leclerc»),
Dumanoir und Clairville.
Größere Beachtung als dem Drama kommt dem Roman zu, der jetzt die für alle Zwecke verwendbare poet. Form wird. Hier äußern sich am tiefsten in der Weiterentwicklung der die Folgen der romantischen Bewegung. Der histor. Roman erreicht den Höhepunkt mit V. Hugos «Notre-Dame» (1831); diese Mischung abenteuerlicher Romantik, grotesker Charakteristik mit archäol. Realismus bietet ein Beispiel von Detailschilderung, die von Balzac (1799-1850) in den von ihm geschaffenen modernen Sittenroman übertragen wird.
Der Sittenroman verdrängt den Geschichtsroman und ersterer erbt von den Romantikern außer der realistischen Schilderung auch die zergliedernde Darstellung des Seelenlebens, denn mehrfach schon hatte man das Werthermotiv variiert und innere Kämpfe und Seelenleiden zum Vorwurf der Dichtung gemacht. Balzac, der aus physiol. Vorbedingungen seine Psychologie entwickelt («Eugénie Grandet», 1834; «Le [* 7] père Goriot», 1835), wurde der Vater des spätern Naturalismus, dagegen sind die Romane von George Sand polemische Herzensergüsse und idealistische Seelengemälde, in denen die Forderung befreiter Sinnlichkeit mit den Bedürfnissen des geistigen Lebens motiviert wird.
Weniger geräuschvoll waren die Erfolge der künstlerisch abgerundeten romantischen Novellen Mérimées und der meisterhaften Erzählungen A. de Mussets. Eine beispiellose Fruchtbarkeit entwickelte A. Dumas, der seit den vierziger Jahren für das Unterhaltungsbedürfnis der weniger anspruchsvollen Leser sorgte. Neben ihm wirkten Gozlan, Louis Reybaud, Ponson du Terrail; E. Sue führte den Seeroman ein und ging dann zum socialistischen Roman über, dem sich auch George Sand eine Zeit lang widmete; glücklicher war letztere in der Dorfgeschichte, die sie zuerst in Frankreich behandelte. Im Geiste Nodiers, bloß mit dem Anspruch, als liebenswürdige Erzähler zu gelten, schrieben J. Sandeau, E. Souvestre u. a. Eine isolierte Stellung nimmt der paradoxe Sensualist Beyle (Stendhal) ein, dessen Romane eigentlich erst bei der folgenden Generation Anerkennung gefunden haben. Paul de Kock endlich lieferte in seinen leichtfertigen Erzählungen unbewußt Material zur Sittengeschichte des Pariser Kleinbürgers der Epoche.
Im Fach der Geschichtschreibung erschienen zwar 1830-48 keine so bedeutenden gewichtigen Werke wie in den letzten Jahren der Restauration, jedoch gingen diese 18 Jahre nicht ganz unfruchtbar vorüber. Wenn Guizot und Barante sich ausschließlich der Politik zuwandten, so setzten Augustin Thierry und Mignet ihre histor. Arbeiten fort, und Thiers schrieb die ersten Bände seiner «Histoire du Consulat et de l'Empire» (von 1845 an). Michelet begann nach einem neuen Plane die franz. Geschichte, die auch von Henri Martin trefflich bearbeitet wurde.
Einzelnen Teilen der franz. Geschichte widmeten ihre Forschung unter vielen andern Amédée Thierry, Bazin, Droz, Barante. Ein hervorragender Platz gebührt Sainte-Beuves trefflichem «Port Royal»; die Geschichte der Französischen Revolution wählten zum Gegenstande Armand Marrast, jakobinischer Republikaner, Cabet, kommunistischer Utopist, Buchez, Roux u. a. Die socialistische «Révolution française» (1847-62) und die «Histoire de dix ans» (1841-44) von Louis Blanc, letztere ein glänzender Versuch, die Geschichte der Gegenwart zu behandeln, beseelt ein kräftiger Haß auf die Bourgeoisie.
Von den Erscheinungen der Memoirenlitteratur sind anzuführen die «Mémoires du maréchal Ney», die Memoiren von Lamarque, Grégoire, Lafayette und Barrère. Wichtig für die Geschichte der ältern ist die weitere Fortsetzung der «Histoire littéraire de la France» durch Mitglieder der Akademie der Inschriften. Nennenswert sind ferner die litterarhistor. Schriften von Nisard, Fauriel, Ampère und Magnin. Unter den Kunstrichtern, die in Journalen und Revuen aller Art thätig waren, zeichneten sich aus: de Sacy, Sainte-Beuve, Saint Marc Girardin, Philarète Chasles, Génin, Théophile Gautier. Ein wichtiges Ereignis war (1831) die Begründung der «Revue des Deux Mondes» (s. d.), die bald zu einem Sammelpunkt für das vornehme geistige Leben Frankreichs wurde.
Nirgends bewirkte die Julirevolution größere Veränderungen als in der franz. Journalistik. (Vgl. Frankreich, Zeitungswesen, S. 77 b fg.) Vorher hatten die Journale bei dem außerordentlichsten Einfluß auf die öffentliche Meinung nur eine beschränkte Publizität. Das Journal war ein Luxusartikel; es wandte sich bloß an den legitimistischen Adel und an die herrschende Bourgeoisie. Alle Blätter, die als Organe der reinen Demokratie auftraten und tiefer als in die beiden erwähnten Schichten der Gesellschaft hinabdringen wollten, konnten die nötige Zahl von Abonnenten nicht erhalten.
Girardin jedoch kehrte dadurch, daß er die Vierzigfrankenpresse schuf, die Grundlagen des franz. Zeitungswesens völlig um. Die alte Achtzigfrankenpresse schöpfte ihre Kraft aus polit. Ideen; sie stützte sich auf ein gewisses System von Meinungen und hielt sich streng in einer bestimmten Richtung; die neue Vierzigfrankenpresse, die sog. «Junge Presse» [* 8] (la jeune presse), erhielt die Neugierde des großen Lesepublikums zur Basis und zum Grundprincip ewige Veränderung und Unterhaltung und machte die Politik abhängig von der einträglichsten Nutzung und Ausbeutung des Blattes. Das Feuilleton, der untergeordnete Teil des Journals, wurde nun Hauptsache und durch die Mitteilung von Romanen der anziehendste Teil des Blattes. Trotz aller Zunahme der Leser und Abonnenten verlor die Presse an polit. Bedeutung und finanzieller Einträglichkeit, und in ihrer blinden Spekulationswut wurde sie der ¶