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der beschreibenden Dichtung und klassischer Lobredner einer eingebildeten Natur erfrente sich Delille hohen Ansehens. Als glänzender akademischer Redner besaß L. Fontanes die kaiserl. Gunst. Boisjolin, Esménard, Baour-Lormian und andere Künstler des eleganten Stils und der vollendeten poet. Form haben ihren Ruhm nicht überlebt. In Heldengedichten, wie im «Charlemagne» (von d'Arlincourt),
«Achille à Scyros» (Luce de Lancival) schmeichelte man dem Kaiser aufs übertriebenste. Auf der Bühne gelang es Talma, die Tranerspiele Chéniers, Raynouards, Arnaults, Lemerciers durch die Kunst der Darstellung zum Leben zu erwecken. Audrieux, Picard, Duval, Collin d'Harleville, Désaugiers erhielten die Tradition der komischen Bühne aufrecht. Als Lyriker hat Millevoye einige Originalität und zeigt sich Chênedollé von Châteaubriand inspiriert, während Désaugiers, der Vorsitzende der Gesellschaft «Caveau», durch seine heitern, echt nationalen Lieder (Chansons) der populärste Vorgänger wurde von Béranger, der erst gegen Ende des Kaiserreichs mit seinen ersten Liedern hervorgetreten ist. -
Vgl. Merlet, Tableau de la littérature française, 1800-15 (3 Bde., Par. 1877-84);
Jullien, Histoire de la poésie française à l'époque impériale (2 Bde., ebd. 1844): Jeanroy-Félix, Nouvelle histoire de la littérature française pendant la Révolution et le premier Empire (ebd. 1886).
9) Unter der Restauration (1815-30). Nach dem Sturze des Kaiserreichs beginnt das Geistesleben der franz. Nation wieder in immer kräftigern Schlägen zu pulsieren. Die Dichtung bereitet sich ebenso wie Kunst und Wissenschaft zu hohem Aufschwung vor. Zuerst ist es die Liebe zu dem besiegten Vaterlande, die in den etwas rhetorischen «Messéniennes» (1818) Casimir Delavignes, wie in einzelnen polit. Liedern Bérangers hervorbricht. Dem unterm Kaiserreich aufwachsenden Geschlecht hatten die Werke Châteaubriands und der Frau von Staël, die abenteuerlichen Erzählungen Charles Nodiers nicht vergeblich nene Quellen dichterischer Inspiration erschlossen.
Gleichzeitig wurden A. Chéniers Poesien bekannt und veröffentlichte Lamartine seine «Méditations poétiques» (1820), deren weiche Religiosität und in Gefühlen schwelgende Verse tief in die Herzen der Zeitgenossen drangen. Alsbald übernahm auch Victor Hugo die Führung. Hatte er in seinen ersten Versuchen der ältern litterar. Überlieferung seinen Tribut entrichtet, selbst in seinen ersten Oden (1822) christlich-monarchisch gesinnte Romantik in klassische Formen gebunden, so sprengte nicht lange darauf sein Feuergeist die Fesseln des poet.
Konventionalismus, er verwies den mytholog. Apparat in die Rumpelkammer und übertrumpfte die schwächliche Umschreibung durch den kräftigen, die Sache bezeichnenden Ausdruck und lebendige Bildersprache. Man wandte sich der Vergangenheit des Vaterlandes zu und suchte seine Stoffe da, wo man eines Volks ursprüngliche Eigenart anzutreffen meinte. So ließ man denn auch die aus Deutschland [* 2] und England kommenden litterar. Einflüsse auf sich wirken. Ausgezeichnete Redner und Gelehrte, wie Cousin, Guizot, Villemain führten durch ihre Vorträge in die Philosophie und Dichtung des Auslandes und des franz. Mittelalters ein.
Nicht mehr die Meister des 17. Jahrh. und Voltaire, sondern Goethe und Schiller, Shakespeare und Calderon, Scott und Byron wurden als die Größen im Reiche der Dichtung anerkannt. Neue Anregungen und Aufschlüsse gewährte auch später Sainte-Beuve, als er in seinem «Tableau historique et critique de la poésie française au XVIe siècle (1828) die verkannten und vergessenen Dichter des 16. Jahrh. einer feinsinnigen Beurteilung unterwarf und ihnen zu ihrem Rechte verhalf.
Die romantische Schule, die sich um Ch. Nodier und Victor Hugo scharte, zählte Sainte-Beuve, Petrus Borel, Emile und Antony Deschamps, Prosper Mérimée, später auch Alfred de Musset, Alfred de Vigny und Théophile Gautier zu ihren Angehörigen. Ein engerer Kreis [* 3] schloß sich in dem «Cénacle» V. Hugos zusammen. In der «Muse française» (seit 1823) und im «Globe» (seit 1824) schufen sich die Romantiker zwei Blätter, welche die Kenntnis ihrer Werke und Lehren [* 4] verbreiten sollten.
Das eigentliche Programm der Schule verkündete V. Hugo in der Vorrede zu seinem Drama «Cromwell» (1827). Er war inzwischen zu den Liberalen übergegangen, und so nannte er die Romantik den Liberalismus in der Kunst und stellte die Forderung künstlerischer Freiheit an die Spitze. Keine überlieferten Regeln oder Gesetze sollten ihren Zwang auf den Dichter ausüben dürfen und ihn in Stoffwahl und Darstellungsweise einschränken. Schönes und Häßliches, Erhabenes und Lächerliches, die wirkliche Welt sollte Gegenstand der Dichtung werden, deren Aufgabe gerade die Gegenüberstellung der in der Wirklichkeit vorhandenen Gegensätze sei.
Während der Klassiker nur das Allgemeingültige beachtete und dem Gleichmaß und der Einheit des Tons die charakteristische Besonderheit der Erscheinung und des Ausdrucks opferte, legte die neue Schule ein Hauptgewicht auf histor. Treue und Lokalfarbe. Auch die strenge Scheidung der Gattungen erklärte man für überlebt; auf dem Gebiete des Versbaues gestattete man sich einige Freiheiten (z. B. das Enjambement, die weniger strenge Beobachtung der Cäsur) und neue Rhythmen, ohne darum mit den seit dem 16. Jahrh. ausgebildeten Überlieferungen der franz. Metrik zu brechen.
Die Romantiker hatten den Ehrgeiz, vor allem auf der Bühne ihre klassischen Gegner niederzuwerfen. Hier fehlte der gereiften Technik eines Lemercier und Soumet die jugendliche Lebenskraft, Lebruns vermittelnde Kunst («Marie Stuart», 1820) genügte den weitgehenden Forderungen der Romantiker nicht; umsonst reichte Baour-Lormian mit sechs Gesinnungsgenossen eine Bittschrift ein (1829),
um die Ausschließung der Romantik vom Théâtre français zu bewirken. Vergeblich bekämpften Andrieux und Viennet mit Geist und Witz die neue Schule. Alexandre Dumas trug auf der ersten Bühne Frankreichs mit «Henri III» einen entschiedenen Erfolg davon, und ein Jahr später (Febr. 1830) hielt hier V. Hugo mit «Hernani» seinen Siegeseinzug.
Diese principiellen Kämpfe berührten wenig das heitere Schauspiel. Das erfolgreichste Lustspiel dieses Zeitraums, C. Delavignes «École des vieillards» (1823), bleibt den alten Überlieferungen treu, neben ihm glänzte Scribe (1820-30) auf dem Theater [* 5] des Gymnase als Verfasser von Stücken ansprechenden und leichten Charakters.
Auf dem Gebiete der Prosadichtung machte sich besonders der Einfluß Walter Scotts bemerkbar, und der historische Roman kam auf die Tagesordnung. Die hervorragendsten Romane waren: Vignys «Cinq-Mars» (1826),
Mérimées «Jacquerie» (1828) und «Chronique du règne de Charles IX» (1829). Ungemein auf die Stimmung der Nation ¶
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während der Restauration wirkten die Flugschriften P. L. Couriers, die in meisterhafter Sprache [* 7] geschrieben, zugleich reiche Beiträge zur Sittengeschichte der damaligen Zeit gewähren.
In der Geschichtschreibung traten seit der großen Revolution am Ende des 18. Jahrh. drei verschiedene Schulen oder Auffassungsarten hervor. Die systematische oder rationelle Schule, deren Haupt Guizot ist, stellt die Thatsachen massenweise zusammen, sucht daraus Folgerungen und Ideen zu ziehen, verliert sich aber oft in zu weit gehenden Betrachtungen. Die beschreibende oder erzählende (deskriptive) Schule, zu der Barante und die beiden Thierry gehören, schildert die Begebenheiten, die Personen und Sitten mit aller möglichen Treue ohne Reflexionen und sucht geradezu den naiven Ton der Chronisten des Mittelalters zu treffen und dem Leser die Betrachtungen zu überlassen.
Die fatalistische Schule endlich, deren wichtigste Repräsentanten Mignet und Thiers sind, beschränkt sich auf die polit. Geschichte; sie erzählt die Hauptvorfälle und stellt die guten und bösen Thaten der Individuen als notwendige Folgen der Umstände dar. Michelet, einer der ausgezeichnetsten Historiker Frankreichs, vermittelt die erste und zweite Schule, indem er die pragmatische Manier zur philosophischen zu steigern und auch das beschreibende Element zur histor.
Poesie zu erheben sucht. Sismonde de Sismondi hat nur als Forscher Wert; als Geschichtschreiber steht er weit unter Guizot und Michelet. Für die älteste Zeit der Monarchie begeisterte sich der Graf Montlosier in seinen histor. Schriften. Augustin Thierry verdankt seinen Ruhm seiner «Histoire de la conquête de l'Angleterre par les Normands» (1825). Barante ist in seiner «Histoire des ducs de Bourgogne» (1826) der eigentliche Stifter der schildernden Schule. Michaud hat sich in seiner «Histoire des croisades» (1811-22) in einer unbefriedigenden Mitte zwischen der deskriptiven und pragmatischen Manier gehalten.
Von den zahlreichen Geschichtswerken, welche die Ereignisse der Französischen Revolution selbst behandeln, sind am bedeutendsten die von Thiers (1823 fg.) und Mignet (1824). Von den Geschichtschreibern, die das erste Kaiserreich zum Gegenstande wählten, sind die berühmtesten der Graf Ségur, dann Vignon, Gourgaud, Arnault, in Verbindung mit Jay, Jouy und Norvins. Was die eigentliche Kriegsgeschichte anlangt, so fand ebenfalls das Werk Ségurs: «Histoire de Napoléon et de la grande armée» (1824) fast allgemeine Anerkennung.
Von noch größerer Wichtigkeit aber ist Matth. Dumas' «Précis des événements militaires» (19 Bde. und 8 Bde. Atlas, [* 8] Par. 1816-26). Daneben verdienen genannt zu werden die Werke von Henri de Jomini, vom Marquis George de Chambray, vom Marschall Gouvion Saint [* 9] Cyr und von Foy. An Memoiren über die Revolution und das Kaiserreich herrscht ein fast erdrückender Überfluß. Unter den Sammlungen sind zu erwähnen die von Saint Albin Berville und J. Französische Barrière: «Collection des mémoires relatifs à la Révolution française» (56 Bde., Par. 1820-26) und die «Mémoires particuliers pour servir à l'histoire de la Révolution». Von einzelnen Werken erregten Napoleons «Mémoires», außerdem die von Bourrienne und von Las Cases das meiste Aufsehen. -
Vgl. Nettement, Histoire de la littérature française sous la Restauration (3. Aufl., 2 Bde., Par. 1875).
10) Während des Julikönigtums (1830-48). Seit der Julirevolution war der Sieg der Romantiker entschieden, aber viele Kräfte wurden zugleich der Litteratur entfremdet und der Politik zugeführt. Unmittelbar durch die polit. Ereignisse hervorgerufen wurden die beißenden Jamben Barbiers, die ihrem Verfasser eine schnelle Berühmtheit verschafften. Der Zusammenhang zwischen den Angehörigen der Schule lockerte sich aber nach dem Siege, und die Einzelnen folgten den Bahnen, die ihnen Neigung und Begabung vorschrieb.
Châteaubriand war Politiker und Publizist geworden, Lamartine behauptete seine Ansprüche als Dichter durch einige lyrisch-epische Gaben («Jocelyn», 1836), ehe er ganz in der Politik aufging, für V. Hugo beginnt 1830 die reichste Zeit seines Schaffens. Als Lyriker verschafft ihm seine farbenprächtige Sprache und sein feuriges Pathos die erste Stelle in der Schätzung der Zeitgenossen, während A. de Musset hinter ihm an sittlicher Kraft [* 10] zurückbleibt, ihn aber in seinen lyrischen und epischen Dichtungen durch wahre Empfindung und einfachen Ausdruck übertrifft. Im Geiste Lamartines dichteten Saintine, Brizeur, Autran, J. Reboul. Durch Neuheit und Glanz der Diktion hatten V. Hugo und seine Anhänger kräftige Wirkungen zu erzielen gesucht, die Übertreibung dieses Strebens führte zu einer Bevorzugung künstlicher Wort- und Versbehandlung, die den Inhalt über der Form vernachlässigte. In dieser Beziehung bildete Th. Gautier Schule, sein talentvollster Nachahmer war Théodore de Banville («Cariatides», 1842) u. a.
Auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung waren Delavigne («Louis XI», 1832 u. a.) und Vigny («Chatterton», 1835) mit glücklichem Erfolg thätig; obgleich der neuen Richtung folgend, hielten sie sich frei von Ungeheuerlichkeiten und Ausschreitungen. V. Hugo und A. Dumas war es vorbehalten, durch Übertreibung ihrer Principien auf der Bühne das romantische Drama zu Tode zu hetzen. Die ausschweifende Phantasie dieser Dichter nahm den kühnsten Flug in die Regionen des Ungeheuern und Gräßlichen.
Ihre spätern Stücke zeigen, mit ihren frühern verglichen, eine zunehmende Verflachung und Verwilderung. Individuelle Beseelung, feste Charakterzeichnung, sinnreiche Anlage, fleißige Ausführung sucht man darin umsonst. Alles läuft darauf hinaus, durch die grellsten Gegensätze und krassesten Momente zu wirken. Jeder von jenen beiden Autoren hat einen eigenen, aber gleich heillosen Einfluß auf die franz. Bühne gehabt. V. Hugo schuf das Tirade-Drama, das schon bei dem Meister selbst und noch viel mehr bei seinen Schülern in bloßes Maschineriewesen und leeres Schaugepränge ausartete.
Dumas wurde der Schöpfer des sog. Leidenschaftsdramas, das nur leidenschaftlich erregte Personen vorführt, ohne tiefer gehende Charakterschilderungen zu geben. Dieses Drama kam schnell herunter durch den überwiegenden Einfluß und Anteil, der dem Maschinisten und Dekorationsmaler dabei eingeräumt wurde, und ging infolge der übermäßigen Verwicklung von Kombinationen und Motiven, die an die Stelle des wirklichen Lebens und Handelns traten, völlig im phantastischen Abenteuerdrama, sog. drame de cape et d'épée, und im Melodrama auf. Racines und Corneilles tragische Muse, die nach langer Abwesenheit die Bühne wieder begrüßte, fand an der Schauspielerin Rachel eine würdige Vertreterin, die durch ihr wunderbares Spiel jenen großen dramat. Dichtern bei der Nation ¶