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ihm abhängigen Verhältnisse geben die mit scharfem Urteil und verbissenem Groll geschriebenen Denkwürdigkeiten des Herzogs von Saint Simon (1675-1755), die an Energie und Farbenreichtum des Ausdrucks unvergleichlich sind. Auch auf rein litterar. Gebiete schien nicht alles über den Zweifel erhaben. Ch. Perrault griff die Autorität der Alten an («Parallèle des anciens et des modernes», 1688-98), was den Groll Boileaus erregte, der hierdurch die Stützen des franz. Klassicismus erschüttert glaubte, mit Unrecht, denn der letztere bedurfte der Alten nicht; eher konnte sich Perrault aus dem franz. Klassicismus die Waffen für seine Angriffe holen.
Später wieder aufgenommen wurde der Kampf der Alten und Neuen gegen Madame Dacier von Fontenelle und La Motte (1672-1731), der sogar den Vers für unnötig und die dramat. Einheitsregeln für überflüssig erklärte. Doch blieb die Herrschaft des klassischen Geschmacks vorläufig bestehen. Auch der große Erfolg der jetzt von Perrault («Contes de ma mère l'Oye», 1697) in die Litteratur eingeführten Märchendichtung kann als ein Anzeichen der Auflehnung gegen die phantasielose Nüchternheit des Klassicismus aufgefaßt werden.
Auf Perraults Märchen folgen «Tausendundeine Nacht» in Gallands Übersetzung (1704-8) und die «Contes des fées» (1698) der Gräfin d'Aulnoy. (Vgl. Delaporte, Du merveilleux dans la littérature française, Par. 1891.) Folgenschwerer sind die wider die in der herrschenden Kirche und Glaubenslehre begründete Weltanschauung offen und versteckt erhobenen Angriffe, welche teils aus dem aufblühenden Studium der Naturwissenschaften, teils aus Lockes Philosophie, teils aus der Skepsis histor.
Kritik hervorgehen, und die in den Schriften Saint Evremonds (1613-1703), Fontenelles (1657-1757), Leclercs und Bayles (1647-1706; «Dictionnaire historique et critique», 1695) zum Ausdruck kommen. Auf kirchlichem Gebiet war allerdings der Jansenismus unterdrückt worden, aber nicht ausgetilgt, der Quietismus der Frau Lamothe-Guyon war durch Bossuet besiegt und Fénelon als Beförderer dieser Richtung vom Hofe verdrängt worden, aber letzterer wagte es doch in seinem Lehrroman «Télémaque» (1699) das herrschende polit.
System unter erdichteter Verhüllung zu tadeln, während ein anderer Geistlicher, Massillon (1663-1742), unter der Regentschaft dem Knaben Ludwig XV. in seinen Predigten die Nachteile des Absolutismus darlegte. Ohne höhern Schwung, mit bewußter Unbefangenheit und ohne lehrhafte Absicht schilderte dagegen Lesage (1668-1747) in seinem «Diable boiteux» (1707),
im «Gil Blas» (1715-35) und andern auf span. Gebieten handelnden Romanen die gesellschaftlichen und litterar. Zustände seines Zeitalters, während Montesquieu in seinen «Lettres persanes» (1721) sich der Romanform bediente, um mit feinem Spott alle Einrichtungen und Gebräuche des öffentlichen und bürgerlichen Lebens zu streifen.
Weniger berührt von dem kritischen Zuge der Zeit blieb die lyrische und dramat. Poesie. J. B. Rousseau (1670-1741) war allerdings auch Satiriker, aber sein Dichterruhm beruht vornehmlich auf seinen klassischen Oden, Kantaten, Psalmen im Stil der «großen Poesie». Aber La Grange-Chancel eiferte in seinen «Philippiques» in starken Versen gegen den Regenten. Das Trauerspiel blieb in hohem Ansehen und wurde im Stile des klassischen Zeitalters von La Fosse, La Grange, Crébillon, La Motte u. a. auf anständiger Höhe erhalten. Im höhern Lustspiel war Regnard ein begabter Nachfolger Molières, während Dancourt mehr als Vertreter der niedern Komödie gelten kann.
Die beste Sittenkomödie des Zeitalters ist «Turcaret» von Lesage (1709),
eine gegen die Generalpächter gerichtete Satire. Die volkstümliche Bühne des «Théâtre italien», für welche Dufresny und auch Regnard arbeiteten, wurde auf Befehl der Maintenon geschlossen; unter der Regentschaft gelangten die Jahrmarktsbühnen («Théâtre de la foire») besonders durch die Thätigkeit von Lesage, Fuzelier u. a. zu großer Beliebtheit und gaben dem Singspiel («Vaudeville») das Leben.
6) Die Zeit Ludwigs XV. bis zur Mitte des 18. Jahrh. (ungefähr 1725-50). Der polemisch-satir. Charakter, der schon während der letzten Jahrzehnte der Regierung Ludwigs XIV. in den kritischen Abhandlungen und populären Aufsätzen Bayles, Saint Evremonds, Fontenelles u. a. sich darthut, tritt jetzt immer ausgesprochener hervor; nicht allein in Prosaschriften, sondern selbst in der Dichtung, die indessen an den vom Klassicismus geschaffenen Darstellungsformen festhält.
Auf allen Gebieten litterar. Thätigkeit macht sich der Einfluß der in England während des letzten Menschenalters ausgebildeten Lehren und Gedanken bemerkbar; engl. Denker und Dichter, Philosophen und Naturforscher, Deisten, Moralisten und Publizisten wirken nicht allein durch ihre Schriften umgestaltend auf die religiösen, philos., polit. Anschauungen der bedeutendsteiln franz. Autoren, sondern einzelne Franzosen, wie Montesquieu, Prévost, Destouches, Voltaire kommen selbst nach England und bringen von hier eine Fülle persönlicher Anregungen nach Frankreich zurück.
Eine praktische Tendenz beginnt die Litteratur zu beherrschen, der ästhetische Rationalismus des klassischen Zeitalters wird zu einem philos.-praktischen Rationalismus, der mit den Waffen der Vernunft Aberglauben und Vorurteile bekämpft, zu bessern, zu belehren und aufzuklären trachtet. Philos., polit., religiöse Gegenstände werden in Unterhaltungsschriften oder wenigstens in einer allen Gebildeten zugänglichen Form ohne Rücksicht auf überlieferte Autorität behandelt, und sogar in der Poesie tritt die Absicht ästhetischer Wirkung gegen die Aufnahme kritischer und lehrhafter Zwecke zurück. Der praktische Gesichtspunkt herrscht selbst bei den Kunstlehren eines Dubos und Batteur vor.
In seinem histor. Epos («Henriade», 1723) kämpft Voltaire (1694-1778),
in der Komposition und Darstellung die Vorschriften des Klassicismus treu befolgend, für Duldung und bürgerliche Freiheit; in seinen Lehrgedichten («Discours sur l'homme», 1738) verkündet er wie Pope den Deismus, während L. Racine den positiven Glauben mit den Gründen Pascals («La religion», 1742) verteidigt. Harmlos und frei von Tendenz ist das scherzhafte Epos Gressets («Vert-Vert», 1733),
während Voltaires «Pucelle» ebenso tendenziös kirchen- und glaubensfeindlich wie schmutzig und frech ist. Die Tragödie, in ihrer seit Racine feststehenden, in sich abgeschlossenen Form tritt in den Werken Voltaires («Oedipe», 1718, «Brutus», 1730, «Zaïre», 1732, «Mahomet», 1741) auch in den Dienst der religiösen und moralischen Aufklärung, oder sie ist bestrebt, durch Darstellung bedrängter Tugend («Ines» von La Motte, «Zaïre» von Voltaire) tugendsame Gemüter zu Thränen zu rühren. Lebhafter mußte der Zeitgeist einwirken auf das Lustspiel, das ja stets in enger
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Fühlung zur lebendigen Wirklichkeit bleiben muß. Destouches (1680-1754) nimmt seine Anregungen von La Bruyère und schließt sich an Molière und Regnard in der Darstellung von Charaktertypen an («Le philosophe marié», 1727, «Le glorieux», 1732),
verfolgt dabei aber doch schon unmittelbare moralische Wirkung, während Marivaux (1688-1763) in seinen hervorragendsten Stücken («Les fausses confidences», 1737; «Le jeu de l'amour», 1730) sich in vertiefter Darstellung zarter Herzensbedenken und Gemütsregungen an feinempfindende Hörer wendet. Die Komödie, die nicht mehr erheitern, sondern nur rühren und bessern will, kommt durch La Chaussée (1692-1754) auf, den Schöpfer der comédie larmoyante («Le préjugé à la mode», 1735, «Mélanide», 1741),
die auf den Vers und romanhafte Motive noch nicht verzichtet, aber durch ihren Ernst und ihre moralische Gesinnung die Vorläuferin des bürgerlichen Dramas wird. Auch Voltaire versucht sich im Rührstück («Nanine», 1749),
während Piron («Métromanie», 1738) und Gresset («Le méchant, 1747) der alten Überlieferung der heitern Charakterkomödie treu bleiben. Unter den zahlreichen Romanen des Zeitalters dienen die leichtfertigen, aber eleganten Erzählungen des jüngern Crébillon (»Le sopha", 1745) mit ihren frivolen Liebesabenteuern und märchenhaften Begebenheiten dem oberflächlichen Unterhaltungsbedürfnis, während zu gleicher Zeit der Familien- und Herzensroman ins Dasein tritt in der mit moralischen Absichten gegebenen Darstellung einfacher Herzensgeschichten und Lebensgeschicke aus der bürgerlichen Gesellschaft. Prévosts «Manon Lescaut» (1733),
Marivaux' «Marianne» (1731-42) und «Paysan parvenu» (1735) sind Werke von hervorragender Bedeutung.
Das wichtigste Mittel, um den Ideen der Aufklärung Vorschub zu leisten und von den Fesseln der in Kirche und Staat überlieferten Autorität zu befreien, wurde die Prosa, der man in Briefen, Abhandlungen, Geschichtswerken, Flugschriften eine unterhaltende, witzige, anregende und gemeinverständliche Form gab, um so die Möglichkeit zu gewinnen, das große Publikum für die Behandlung staatsrechtlicher, geschichtlicher, religiöser und moralischer Fragen zu interessieren. Voltaires erstes geschichtliches Werk («Charles XII», 1731) fällt in diese Zeit, ebenso seine philos. Briefe («Lettres sur les Anglais», 1734),
die «Éléments de la philosophie de Newton» (1738) und Montesquieus für die Auffassung der Aufgaben der Geschichte und des Staates epochemachenden Werke «Considérations sur les causes de la grandeur et de la décadence des Romains» (1734) und «De l'esprit des lois» (1748).
7) Von der Mitte des 18. Jahrh. bis zur Revolution (1750-90). Rücksichtsloser, selbstbewußter äußert sich der Geist der Aufklärung und das Streben, den Fortschritt der Menschheit zu befördern, seit Beginn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in den zahlreichen Tendenzdichtungen und sonstigen litterar. Werken Voltaires, Diderots und ihrer Kampf- und Gesinnungsgenossen. Die Aufklärung der Philosophen durchdringt die populärwissenschaftlichen Werke, die Romane, Lehrgedichte, Theaterstücke und geschichtlichen Darstellungen. In ihrem Sinne wird von Diderot und d'Alembert mit der Unterstützung zahlreicher Mitarbeiter jenes große Werk begonnen, das unter dem Namen «Encyclopédie» (28 Bde., 1751-72) das gesamte Wissen der Menschheit leicht zugänglich machen und der Aufklärung die vom Rost der Gelehrsamkeit befreiten Angriffs- und Verteidigungswaffen unmittelbar zur Verfügung stellen wollte. Auch verliert die Litteratur allmählich ihren höfisch-aristokratischen und exklusiven Charakter; statt des Hofs üben neben einzelnen Autoren die litterar. Salons, wie der von Madame Geoffrin, Mlle. de Lespinasse, Madame Du-Dessand und Baron Holbach maßgebenden Einfluß auf Richtung und Ansehen der Litteratur, auf einzelne ihrer Gattungen und Autoren aus.
Den entschiedensten und allgemeinsten Einfluß auf Frankreichs Litteratur und die Geistesrichtung des ganzen Zeitalters hatte Voltaire, der, von größter Universalität in Wissen und Leistungen, bei einem Charakter voll Widersprüche, durch die in ihm am sichtbarsten gewordene furchtbare Gewalt des Wortes über Weltansichten und gesellschaftliche Verhältnisse eine fast beispiellose Macht ausübte. Er war Parteihaupt der franz. Philosophen («Dictionnaire philosophique», 1764), galt in der Litteratur für den gewichtigsten Wortführer und hielt sich für berufen, den Gesamtwillen der geistig Mündigen in Europa zu vertreten.
Mit Voltaire und den Encyklopädisten stritt Rousseau (1712-78) wider Unduldsamkeit und geistige Bevormundung; aber er wurde ihr Gegner, als er sich der Rechte des Gemüts gegen die Verstandesaufklärung annahm, als er das im menschlichen Gefühl wurzelnde religiöse Bewußtsein als die Grundlage der Sittlichkeit hinstellte, als er zum Anwalt des durch die Kultur von seiner natürlichen Basis abgedrängten edlen Menschenwürde, als er in seinen Herzens-, Staats- und Erziehungsromanen («La nouvelle Héloïse», 1761, «Contrat social», «Émile», 1762) Grundsätze und Lehren verkündete, die in der Gesellschaft, im Staate und in der Familie die Menschheit zu naturgemäßern und darum reinern, einfachern und glücklichern Zuständen zurückbringen sollten.
Durch Voltaires geschichtliche Werke («Siècle de Louis XIV», 2 Bde., 1751; «Essai sur les m?urs et sur l'esprit des nations», 7 Bde., 1756) wurde die Geschichtsforschung und Geschichtschreibung bedeutend vertieft, und was Geschichte der Menschheit und Philosophie der Geschichte genannt wird, verdankt ihm und seinem Vorgänger Montesquieu, sieht man von Bossuets «Discours sur l'histoire universelle» ab, sein Entstehen. Einen ersten Versuch einer Geschichte der Civilisation gab Condorcet (1743-94) in seinem «Esquisse d'un tableau de l'esprit humain».
Unleugbar freilich hat der sogenannte philos. Geist der geschichtlichen Wahrheit bedeutend geschadet. Einer der gelehrtesten Historiker des 18. Jahrh. ist Gabr. Bonnet de Mably (1709-85); nächstdem sind zu erwähnen Jean Jacq. Barthélemy (1716-95), der Verfasser der «Voyage du jeune Anacharsis» (1788), und Guill. Thom. Raynal (1713-96), Verfasser einer philos.-polit. Geschichte der europ. Niederlassungen in den beiden Indien. Die Memoiren dieser Zeit sind zahllos.
Der talentvollste Nachfolger La Bruyères war im 18. Jahrh. der sittlich-strenge, freimütige Charles Pinot Duclos (1704-72), der wohlgetroffene, etwas überladene Charakterzeichnungen lieferte. Durch humoristische Zeitgemälde machte sich Louis Sebast. Mercier (1740-1814) berühmt; Franç. Vinc. Toussaint (1715-72) schrieb anziehende Sittenschilderungen. Eupaty (1746-88) machte sich durch seine Bemühungen um Verbesserung der franz. Kriminalrechtspflege verdienter als durch seine
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in höchst affektiertem Stil geschriebenen «Lettres sur l'ltalie». Noch widriger sind Demoustiers vielgelesenen ^[richtig: vielgelesene] «Lettres à Émilie sur la mythologie» (1786). Der Briefwechsel behielt auch in diesem Jahrhundert neben dem sich entwickelnden Journalismus seine Bedeutung. Für Litteratur- wie Sittengeschichte wichtig ist die «Correspondance littéraire, philosophique et critique» (1753-93), die Grimm, Diderot, Raynal und Meister mit auswärtigen Höfen führten. Einen interessanten Beitrag zur Geschichte der franz. Gesellschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geben die Memoiren der Madame d'Epinay.
Die akademische Beredsamkeit feiert in dieser Periode ihre Blütezeit. D'Alembert, Chamfort, La Harpe, Thomas (besondere Berühmtheit erhielt dessen «Éloge de Marc-Aurèle»),
Maury, Mairan, Bailly und Graf Guilbert zeichneten sich darin aus.
Den Höhepunkt erreicht der unter der Einwirkung des Engländers Richardson stehende sentimentale Herzens- und Familienroman in Rousseaus «La nouvelle Héloïse» (1761). Es folgen dann in dem sentimentalen Genre Marmontel und Florian und die in glänzende Naturschilderung gefaßte Herzensgeschichte «Paul et Virginie» (1787) von B. de Saint Pierre. Die andere Richtung, den philos. Tendenzroman, vertreten vornehmlich die Erzählungen Voltaires («Candide», 1759 u. a.) Endlich der unterhaltende Abenteurerroman verfällt den in gewählter Sprache vorgetragenen Schlüpfrigkeiten Louvets de Couvray («Faublas», 1787-89). Die Bemühungen des Grafen Tressan, durch Erneuerung des Geschmacks an den ältern Ritterromanen die giftigen Produkte des Tages zu verdrängen, hatten geringen Erfolg.
Zur Umwandlung der herrschenden dramaturgischen Theorien trug von den Tragikern Ducis (1733-1816) bei, der den Mut hatte, Shakespeare, zum Teil freilich in verstümmelten und verwässerten Bearbeitungen, auf die Bühne zu bringen. Der gewandte Chamfort machte sich durch Tragödien und Komödien beliebt. Die patriotische Saite schlug P. L. de Belloy (1727-75) in seinen Tragödien aus dem Mittelalter an. Teils nach ihm, teils nach Crébillon bildete sich Lemierre (1733-93). Chateaubrun (gest. 1775) suchte sich den tragischen Stil des Sophokles und Euripides anzueignen.
Auch La Harpe traf in einigen seiner bessern Stücke den Ton des Heroismus. Dagegen versteht Madame Riccoboni durch Wärme des Gefühls zu rühren. Von Guymond de Latouche ist eine «Iphigénie en Tauride») erwähnenswert. Diderot begründete theoretisch und praktisch das empfindsam-moralische bürgerliche Schauspiel («Fils naturel», 1757, «Père de famille», 1758),
eine Weiterbildung von La Chaussées Rührstück. Seinem Beispiel folgten Sedaine («Le philosophe sans le savoir», 1765),
Saurin und Beaumarchais («Eugénie», 1767). Nur Beaumarchais erweckte das heitere Lustspiel wieder zu neuem Leben durch seine witzsprühenden Komödien «Barbier de Séville» (aufgeführt 1775) und «Mariage de Figaro» (aufgeführt 1784),
die aber mit scharfen satir. Ausfällen gegen die bevorrechteten Klassen durchsetzt sind, und von denen besonders «Figaro» als ein Vorbote der Revolution gelten darf. Charles Collé (gest. 1783) war zu sehr von der Frivolität seiner Zeit angesteckt, um etwas Großes zu leisten. Für die Oper (seit 1762 bestand die «Opéra comique») schrieben Badé (gest. 1757),
Poullain de Saint Foix (gest. 1776),
Marmontel, Rousseau in seinem «Devin du village», Favart (gest. 1792) und Sedaine.
Mehrere Dichter dieser Periode suchten Voltaires geistreiche poetische Erzählungen nachzuahmen. Am glücklichsten hierin waren Evariste de Parny (gest. 1814), der sein Vorbild an Schlüpfrigkeit überbot, und sein Freund Bertin (gest. 1790). Auf gleicher Stufe mit ihnen stehen Jean Baptiste Joseph Willart de Grécourt (gest. 1743) und Madame Verdier. Der Chevalier de Boufflers (gest. 1815) erzählt lebendig. Marie Anne du Boccage (gest. 1802) versuchte sich im größern Heldengedichte («Colombiade»). Moncrif (gest. 1770) wurde der Schöpfer der Ballade, und Dorat, Watelet, der Kardinal de Bernis u. a. lieferten Lehrgedichte. Ganz ausgezeichnet sind zum Teil Saint Lamberts (gest. 1803) beschreibende Gedichte.
Nic. Joh. Gilbert (1751-80) war ein vorzüglicher Satiriker und großes lyrisches Talent. Die Idyllendichter, namentlich Léonard (1744-93) und Berquin ahmten zum größten Teile Geßner nach. Florian und Aubert erwarben sich durch Bearbeitung der Fabel einen Namen, obgleich sie Lafontaine durchaus nicht gleichgestellt werden können. Auch an frivolen Lehrdichtern fehlte es nicht; P. J. Bernard (1710-75) lehrte in seinem «L'Art d'aimer» die Kunst zu verführen. In der leichtfertigen Poesie oder der Chanson und in der epikureischen Lyrik glänzte neben Voltaire der reichbegabte Alexis Piron (gest. 1773). Panard (gest. 1765) ist ein berühmter, heiterer Volksdichter. Colardeau (1732-76) führte die Heroide ein; Malfilâtre (gest. 1767) berechtigte zu großen Erwartungen, die sein früher Tod täuschte; durch anmutige Verse und Fabeln zeichnete sich auch der Herzog von Nivernais (gest. 1798) aus. Als Odendichter verdient neben Gilbert nur Lefrane de Pompignan (1709-84) erwähnt zu werden, dessen «Chant sur la mort de J. B. Rousseau» eine der schönsten Dichtungen des 18. Jahrh. ist. Nach ihm erwarb sich Lebrun (1729-1807, gen. Lebrun Pindare) den Lorbeer der klassischen Ode.
Zu den litterar. Arbeiten dieser Periode, die auf die Bildung der Sprache Einfluß ausgeübt haben, gehören auch die zahlreichen, auf Treue und Glanz ausgehenden Übersetzungen klassischer Werke des Altertums und des Auslandes. Cicero wurde von Bouhier und Olivet, Quintilian von Gédoyn, Terenz von Lemonnier, Juvenal von Dussaulx, Persius von Sélis, Homer von Bitaubé und dem Fürsten Lebrun und unter den modernen Dichtern Tasso ebenfalls von Lebrun, Ariosto von Tressan, Shakespeare und Young von Letourneur bearbeitet. -
Vgl. über diesen Zeitraum Villemain, Cours de littérature française (Neue Aufl., 6 Bde., Par. 1864);
Barante, De la littérature française pendant le XVIIIe siècle (5. Aufl., ebd. 1832);
Vinet, Histoire de la littérature française au XVIIIe siècle (2. Aufl., 2 Bde., ebd. 1876);
Hettner, Geschichte der im 18. Jahrh. (2. Bd. der «Litteraturgeschichte des 18. Jahrh.», 5. Aufl., Braunschw. 1894).
8) Die Revolutionszeit und das erste Kaiserreich (1790-1815). Wie sehr auch die Aufklärungslitteratur des 18. Jahrh. der polit. und socialen Umwälzung vorgearbeitet hat, einen unmittelbaren Anstoß zu einer Umgestaltung und Neuschöpfung der überlieferten litterar. Formen haben weder sie noch das eigentliche Zeitalter der Revolution gegeben. Zuerst waren die Geister durch die Behandlung anderer
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Fragen in Anspruch genommen, und gleichgültig ließ man in der Dichtung den traditionellen Klassicismus sich aufrecht erhalten, um so mehr, als dessen nüchterne Verständigkeit und rhetorisches Pathos trotz seiner aristokratischen Bestandteile dem polit. Rationalismus sowohl republikanischer wie monarchischer Gewaltherrschaft innerlich verwandt ist. So blieb der Klassicismus auch unter Napoleon I. die anerkannte litterar. Macht. Hingegen ist es leicht erklärlich, daß eine der Verstandespoesie den Rücken wendende Geistesrichtung gern die in der Revolution erworbene Freiheit und größere Selbständigkeit des Einzelnen annahm, sich aber auflehnte gegen den durch den Fanatismus der Aufklärung bis zum Götzendienst getriebenen Vernunftkult und auf die nicht weniger realen in Gemüt und Phantasie der Menschen wurzelnden Mächte zurückgriff.
Während der Revolutionszeit waren Zeitungen und Flugschriften die in den Vordergrund tretenden litterar. Erscheinungen, und insbesondere entfaltete sich die parlamentarische Beredsamkeit zu großer Blüte. Der berühmteste von allen Rednern dieser Zeit war Mirabeau. Um ihn gruppierten sich der Kardinal Maury, Mounier, Lally-Tollendal, Clermont-Tonnerre, Adrien Duport, Barnave, Sieyès und der milde royalistische Cazalès. Während der Assemblée législative traten die Girondisten und unter ihnen besonders Vergniaud hervor. Die Reden der Convention nationale und des Directoire arteten nicht selten in wahre Wutausbrüche aus. Das vollständigste Bild der franz. Journalistik und Beredsamkeit während der Revolutionszeit gewährt die «Histoire parlementaire de la Révolution française» von Roux und Buchez (40 Bde., Par. 1833-38). - Fast nur geschichtliches Interesse haben die vielen Gelegenheitsgedichte, die in den «Poésies nationales de la Révolution française» gesammelt sind.
Das am meisten charakteristische lyrische Erzeugnis der Epoche ist die «Marseillaise» (von Rouget de l'Isle). Lebrun-Pindares republikanische Oden, M. J. Chéniers «Hymne à l'Être suprême» drückten polit. und religiöse Ideen der Revolution mit klassischer Gespreiztheit aus. Der größte Dichter des Zeitalters, André Chénier, wurde ein Opfer der Schreckenszeit Seine Elegien, Idyllen und übrigen Dichtungen, an wahrer Empfindung, Kraft, frischer Sinnlichkeit und reinem Geschmack unerreicht, eröffneten den Franzosen den Ausblick in eine ihnen bisher unbekannte poet. Welt, aber sie blieben damals ziemlich unbekannt, und erst ein Menschenalter später (1819) gleichsam neu entdeckt, trugen sie Frucht für das dann folgende Dichtergeschlecht.
Unter den dramatischen Dichtern dieser Zeit erwarb sich Andrés Bruder, M. J. Chénier, einen angesehenen Namen. Er liebte es, seine histor. Tragödien mit Anspielungen auf Zeitereignisse zu würzen und das Theater zur Rednerbühne zu machen. Neben ihm zeichneten sich Fabre d'Eglantine und Laya mehr als Lustspieldichter aus. Besonderes Gefallen erregten Schauerdramen wie die «Victime cloîtrées». Daneben war das Theater mit Gelegenheitsstücken aller Art überschwemmt, unter denen viele vom Schauspieler Dugazon herrührten.
Meist wurde in diesen Stücken der großen Menge und den Gewalthabern Weihrauch gestreut; nur einige Dichter, z. B. Laya in seinem «Ami des lois», hatten Mut genug, die Terroristen offen anzugreifen. Auch Collot d'Herbois, der eine so schreckliche Rolle in der Revolution spielte, schrieb mehrere Komödien. Das merkwürdigste Schauspiel indes, das wäbrend der Revolution zur Aufführung kam, war wohl «Le jugement dernier des rois» von dem fruchtbaren Sylvain Maréchal. Auch die Comédie larmoyante fand Beifall, besonders erhielt die Bearbeitung von Kotzebues «Menschenhaß und Reue» eine günstige Aufnahme. Demoustier war in seinen dramat. Stücken «Le conciliateur» und «Les femmes» ebenso affektiert als in seinen «Lettres à Émilie». -
Vgl. Géruzez, Histoire de la littérature française pendant la Révolution (Par. 1859);
Lotheissen, Litteratur und Gesellschaft in Frankreich zur Zeit der Revolution 1789-94 (Wien 1872).
Als aber das Jahrhundert zu Ende ging und auf die innern Stürme des polit. Lebens in Frankreich eine Ruhebedürftigkeit folgte, die es dem siegreichen Feldherrn möglich machte, die Leitung des Staatswesens in seine feste Hand zu nehmen, erhielt jene obenbezeichnete, der Aufklärungslitteratur und Verstandesdichtung feindliche Richtung ihre berufenen Vertreter, und als Verkündiger und Vorkämpfer einer Dichtung von neuem Ideengehalt traten hervor Châteaubriand («Génie du christianisme», 1802) und Frau von Staël («De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales», 1800; «De l'Allemagne», 1810), beide durch außerhalb Frankreichs gesammelte Erfahrungen und Eindrücke über die engen Grenzen des franz. Klassicismus erhaben; der erstere vermischte in seinen farbenprächtigen Dichtungen feine Begeisterung für die Schönheit des Christenglaubens mit Wertherschem Subjektivismus und Rousseauscher Naturschwärmerei, während Frau von Staël, für die Freiheit der Persönlichkeit in Leben und Dichtung kämpfend, dem erstarrenden Konventionalismus der franz. Poesie, unter Hinweis auf die Kunst und Litteratur Italiens und Deutschlands, die Forderung der Naturwahrheit, der Übereinstimmung von Leben und Kunst entgegenstellte.
Freilich blieb die natürliche Weiterentwicklung der auch nach dem Emporkommen der Napoleonischen Herrschaft ans zweifachem Grunde gehemmt. Einmal war Napoleon I. aus polit. Erwägungen den freien geistigen Regungen abgeneigt, und nur die naturhistor. und mathem. Wissenschaften fanden bei ihm Förderung und Begünstigung, dann aber wurden die meisten hervorragenden Geister durch die kriegerischen Unternehmungen Frankreichs von der Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft abgezogen.
Die Verdienste, die sich Napoleon durch die neue Organisation des gesamten Unterrichtswesens um die Wissenschaft erworben hat, sind nicht zu verkennen; aber das Wort, das er selbst mit so großem Erfolge zu gebrauchen verstand, schien ihm eine gefährliche Waffe, deren Handhabung er durch eine strenge Censur regeln zu müssen für notwendig hielt. Châteaubriand, dessen Verherrlichung des kath. Glaubens Napoleon für seine polit. Zwecke willkommen war, konnte doch zum Kaiser in ein dauerndes Verhältnis nicht kommen; Frau von Staël wurde von der kaiserl. Polizei in die Verbannung gejagt und ihr Werk über Deutschland in Paris eingestampft. Dagegen begünstigte Napoleon alle Schriftsteller, die als gemäßigte Voltairianer und Anhänger verständiger Aufklärung und Ordnung in den ausgefahrenen Gleisen des Klassicismus die Poesie vor sich hertrieben. Als Meister
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der beschreibenden Dichtung und klassischer Lobredner einer eingebildeten Natur erfrente sich Delille hohen Ansehens. Als glänzender akademischer Redner besaß L. Fontanes die kaiserl. Gunst. Boisjolin, Esménard, Baour-Lormian und andere Künstler des eleganten Stils und der vollendeten poet. Form haben ihren Ruhm nicht überlebt. In Heldengedichten, wie im «Charlemagne» (von d'Arlincourt),
«Achille à Scyros» (Luce de Lancival) schmeichelte man dem Kaiser aufs übertriebenste. Auf der Bühne gelang es Talma, die Tranerspiele Chéniers, Raynouards, Arnaults, Lemerciers durch die Kunst der Darstellung zum Leben zu erwecken. Audrieux, Picard, Duval, Collin d'Harleville, Désaugiers erhielten die Tradition der komischen Bühne aufrecht. Als Lyriker hat Millevoye einige Originalität und zeigt sich Chênedollé von Châteaubriand inspiriert, während Désaugiers, der Vorsitzende der Gesellschaft «Caveau», durch seine heitern, echt nationalen Lieder (Chansons) der populärste Vorgänger wurde von Béranger, der erst gegen Ende des Kaiserreichs mit seinen ersten Liedern hervorgetreten ist. -
Vgl. Merlet, Tableau de la littérature française, 1800-15 (3 Bde., Par. 1877-84);
Jullien, Histoire de la poésie française à l'époque impériale (2 Bde., ebd. 1844): Jeanroy-Félix, Nouvelle histoire de la littérature française pendant la Révolution et le premier Empire (ebd. 1886).
9) Unter der Restauration (1815-30). Nach dem Sturze des Kaiserreichs beginnt das Geistesleben der franz. Nation wieder in immer kräftigern Schlägen zu pulsieren. Die Dichtung bereitet sich ebenso wie Kunst und Wissenschaft zu hohem Aufschwung vor. Zuerst ist es die Liebe zu dem besiegten Vaterlande, die in den etwas rhetorischen «Messéniennes» (1818) Casimir Delavignes, wie in einzelnen polit. Liedern Bérangers hervorbricht. Dem unterm Kaiserreich aufwachsenden Geschlecht hatten die Werke Châteaubriands und der Frau von Staël, die abenteuerlichen Erzählungen Charles Nodiers nicht vergeblich nene Quellen dichterischer Inspiration erschlossen.
Gleichzeitig wurden A. Chéniers Poesien bekannt und veröffentlichte Lamartine seine «Méditations poétiques» (1820), deren weiche Religiosität und in Gefühlen schwelgende Verse tief in die Herzen der Zeitgenossen drangen. Alsbald übernahm auch Victor Hugo die Führung. Hatte er in seinen ersten Versuchen der ältern litterar. Überlieferung seinen Tribut entrichtet, selbst in seinen ersten Oden (1822) christlich-monarchisch gesinnte Romantik in klassische Formen gebunden, so sprengte nicht lange darauf sein Feuergeist die Fesseln des poet.
Konventionalismus, er verwies den mytholog. Apparat in die Rumpelkammer und übertrumpfte die schwächliche Umschreibung durch den kräftigen, die Sache bezeichnenden Ausdruck und lebendige Bildersprache. Man wandte sich der Vergangenheit des Vaterlandes zu und suchte seine Stoffe da, wo man eines Volks ursprüngliche Eigenart anzutreffen meinte. So ließ man denn auch die aus Deutschland und England kommenden litterar. Einflüsse auf sich wirken. Ausgezeichnete Redner und Gelehrte, wie Cousin, Guizot, Villemain führten durch ihre Vorträge in die Philosophie und Dichtung des Auslandes und des franz. Mittelalters ein.
Nicht mehr die Meister des 17. Jahrh. und Voltaire, sondern Goethe und Schiller, Shakespeare und Calderon, Scott und Byron wurden als die Größen im Reiche der Dichtung anerkannt. Neue Anregungen und Aufschlüsse gewährte auch später Sainte-Beuve, als er in seinem «Tableau historique et critique de la poésie française au XVIe siècle (1828) die verkannten und vergessenen Dichter des 16. Jahrh. einer feinsinnigen Beurteilung unterwarf und ihnen zu ihrem Rechte verhalf.
Die romantische Schule, die sich um Ch. Nodier und Victor Hugo scharte, zählte Sainte-Beuve, Petrus Borel, Emile und Antony Deschamps, Prosper Mérimée, später auch Alfred de Musset, Alfred de Vigny und Théophile Gautier zu ihren Angehörigen. Ein engerer Kreis schloß sich in dem «Cénacle» V. Hugos zusammen. In der «Muse française» (seit 1823) und im «Globe» (seit 1824) schufen sich die Romantiker zwei Blätter, welche die Kenntnis ihrer Werke und Lehren verbreiten sollten.
Das eigentliche Programm der Schule verkündete V. Hugo in der Vorrede zu seinem Drama «Cromwell» (1827). Er war inzwischen zu den Liberalen übergegangen, und so nannte er die Romantik den Liberalismus in der Kunst und stellte die Forderung künstlerischer Freiheit an die Spitze. Keine überlieferten Regeln oder Gesetze sollten ihren Zwang auf den Dichter ausüben dürfen und ihn in Stoffwahl und Darstellungsweise einschränken. Schönes und Häßliches, Erhabenes und Lächerliches, die wirkliche Welt sollte Gegenstand der Dichtung werden, deren Aufgabe gerade die Gegenüberstellung der in der Wirklichkeit vorhandenen Gegensätze sei.
Während der Klassiker nur das Allgemeingültige beachtete und dem Gleichmaß und der Einheit des Tons die charakteristische Besonderheit der Erscheinung und des Ausdrucks opferte, legte die neue Schule ein Hauptgewicht auf histor. Treue und Lokalfarbe. Auch die strenge Scheidung der Gattungen erklärte man für überlebt; auf dem Gebiete des Versbaues gestattete man sich einige Freiheiten (z. B. das Enjambement, die weniger strenge Beobachtung der Cäsur) und neue Rhythmen, ohne darum mit den seit dem 16. Jahrh. ausgebildeten Überlieferungen der franz. Metrik zu brechen.
Die Romantiker hatten den Ehrgeiz, vor allem auf der Bühne ihre klassischen Gegner niederzuwerfen. Hier fehlte der gereiften Technik eines Lemercier und Soumet die jugendliche Lebenskraft, Lebruns vermittelnde Kunst («Marie Stuart», 1820) genügte den weitgehenden Forderungen der Romantiker nicht; umsonst reichte Baour-Lormian mit sechs Gesinnungsgenossen eine Bittschrift ein (1829),
um die Ausschließung der Romantik vom Théâtre français zu bewirken. Vergeblich bekämpften Andrieux und Viennet mit Geist und Witz die neue Schule. Alexandre Dumas trug auf der ersten Bühne Frankreichs mit «Henri III» einen entschiedenen Erfolg davon, und ein Jahr später (Febr. 1830) hielt hier V. Hugo mit «Hernani» seinen Siegeseinzug.
Diese principiellen Kämpfe berührten wenig das heitere Schauspiel. Das erfolgreichste Lustspiel dieses Zeitraums, C. Delavignes «École des vieillards» (1823), bleibt den alten Überlieferungen treu, neben ihm glänzte Scribe (1820-30) auf dem Theater des Gymnase als Verfasser von Stücken ansprechenden und leichten Charakters.
Auf dem Gebiete der Prosadichtung machte sich besonders der Einfluß Walter Scotts bemerkbar, und der historische Roman kam auf die Tagesordnung. Die hervorragendsten Romane waren: Vignys «Cinq-Mars» (1826),
Mérimées «Jacquerie» (1828) und «Chronique du règne de Charles IX» (1829). Ungemein auf die Stimmung der Nation
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während der Restauration wirkten die Flugschriften P. L. Couriers, die in meisterhafter Sprache geschrieben, zugleich reiche Beiträge zur Sittengeschichte der damaligen Zeit gewähren.
In der Geschichtschreibung traten seit der großen Revolution am Ende des 18. Jahrh. drei verschiedene Schulen oder Auffassungsarten hervor. Die systematische oder rationelle Schule, deren Haupt Guizot ist, stellt die Thatsachen massenweise zusammen, sucht daraus Folgerungen und Ideen zu ziehen, verliert sich aber oft in zu weit gehenden Betrachtungen. Die beschreibende oder erzählende (deskriptive) Schule, zu der Barante und die beiden Thierry gehören, schildert die Begebenheiten, die Personen und Sitten mit aller möglichen Treue ohne Reflexionen und sucht geradezu den naiven Ton der Chronisten des Mittelalters zu treffen und dem Leser die Betrachtungen zu überlassen.
Die fatalistische Schule endlich, deren wichtigste Repräsentanten Mignet und Thiers sind, beschränkt sich auf die polit. Geschichte; sie erzählt die Hauptvorfälle und stellt die guten und bösen Thaten der Individuen als notwendige Folgen der Umstände dar. Michelet, einer der ausgezeichnetsten Historiker Frankreichs, vermittelt die erste und zweite Schule, indem er die pragmatische Manier zur philosophischen zu steigern und auch das beschreibende Element zur histor.
Poesie zu erheben sucht. Sismonde de Sismondi hat nur als Forscher Wert; als Geschichtschreiber steht er weit unter Guizot und Michelet. Für die älteste Zeit der Monarchie begeisterte sich der Graf Montlosier in seinen histor. Schriften. Augustin Thierry verdankt seinen Ruhm seiner «Histoire de la conquête de l'Angleterre par les Normands» (1825). Barante ist in seiner «Histoire des ducs de Bourgogne» (1826) der eigentliche Stifter der schildernden Schule. Michaud hat sich in seiner «Histoire des croisades» (1811-22) in einer unbefriedigenden Mitte zwischen der deskriptiven und pragmatischen Manier gehalten.
Von den zahlreichen Geschichtswerken, welche die Ereignisse der Französischen Revolution selbst behandeln, sind am bedeutendsten die von Thiers (1823 fg.) und Mignet (1824). Von den Geschichtschreibern, die das erste Kaiserreich zum Gegenstande wählten, sind die berühmtesten der Graf Ségur, dann Vignon, Gourgaud, Arnault, in Verbindung mit Jay, Jouy und Norvins. Was die eigentliche Kriegsgeschichte anlangt, so fand ebenfalls das Werk Ségurs: «Histoire de Napoléon et de la grande armée» (1824) fast allgemeine Anerkennung.
Von noch größerer Wichtigkeit aber ist Matth. Dumas' «Précis des événements militaires» (19 Bde. und 8 Bde. Atlas, Par. 1816-26). Daneben verdienen genannt zu werden die Werke von Henri de Jomini, vom Marquis George de Chambray, vom Marschall Gouvion Saint Cyr und von Foy. An Memoiren über die Revolution und das Kaiserreich herrscht ein fast erdrückender Überfluß. Unter den Sammlungen sind zu erwähnen die von Saint Albin Berville und J. Französische Barrière: «Collection des mémoires relatifs à la Révolution française» (56 Bde., Par. 1820-26) und die «Mémoires particuliers pour servir à l'histoire de la Révolution». Von einzelnen Werken erregten Napoleons «Mémoires», außerdem die von Bourrienne und von Las Cases das meiste Aufsehen. -
Vgl. Nettement, Histoire de la littérature française sous la Restauration (3. Aufl., 2 Bde., Par. 1875).
10) Während des Julikönigtums (1830-48). Seit der Julirevolution war der Sieg der Romantiker entschieden, aber viele Kräfte wurden zugleich der Litteratur entfremdet und der Politik zugeführt. Unmittelbar durch die polit. Ereignisse hervorgerufen wurden die beißenden Jamben Barbiers, die ihrem Verfasser eine schnelle Berühmtheit verschafften. Der Zusammenhang zwischen den Angehörigen der Schule lockerte sich aber nach dem Siege, und die Einzelnen folgten den Bahnen, die ihnen Neigung und Begabung vorschrieb.
Châteaubriand war Politiker und Publizist geworden, Lamartine behauptete seine Ansprüche als Dichter durch einige lyrisch-epische Gaben («Jocelyn», 1836), ehe er ganz in der Politik aufging, für V. Hugo beginnt 1830 die reichste Zeit seines Schaffens. Als Lyriker verschafft ihm seine farbenprächtige Sprache und sein feuriges Pathos die erste Stelle in der Schätzung der Zeitgenossen, während A. de Musset hinter ihm an sittlicher Kraft zurückbleibt, ihn aber in seinen lyrischen und epischen Dichtungen durch wahre Empfindung und einfachen Ausdruck übertrifft. Im Geiste Lamartines dichteten Saintine, Brizeur, Autran, J. Reboul. Durch Neuheit und Glanz der Diktion hatten V. Hugo und seine Anhänger kräftige Wirkungen zu erzielen gesucht, die Übertreibung dieses Strebens führte zu einer Bevorzugung künstlicher Wort- und Versbehandlung, die den Inhalt über der Form vernachlässigte. In dieser Beziehung bildete Th. Gautier Schule, sein talentvollster Nachahmer war Théodore de Banville («Cariatides», 1842) u. a.
Auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung waren Delavigne («Louis XI», 1832 u. a.) und Vigny («Chatterton», 1835) mit glücklichem Erfolg thätig; obgleich der neuen Richtung folgend, hielten sie sich frei von Ungeheuerlichkeiten und Ausschreitungen. V. Hugo und A. Dumas war es vorbehalten, durch Übertreibung ihrer Principien auf der Bühne das romantische Drama zu Tode zu hetzen. Die ausschweifende Phantasie dieser Dichter nahm den kühnsten Flug in die Regionen des Ungeheuern und Gräßlichen.
Ihre spätern Stücke zeigen, mit ihren frühern verglichen, eine zunehmende Verflachung und Verwilderung. Individuelle Beseelung, feste Charakterzeichnung, sinnreiche Anlage, fleißige Ausführung sucht man darin umsonst. Alles läuft darauf hinaus, durch die grellsten Gegensätze und krassesten Momente zu wirken. Jeder von jenen beiden Autoren hat einen eigenen, aber gleich heillosen Einfluß auf die franz. Bühne gehabt. V. Hugo schuf das Tirade-Drama, das schon bei dem Meister selbst und noch viel mehr bei seinen Schülern in bloßes Maschineriewesen und leeres Schaugepränge ausartete.
Dumas wurde der Schöpfer des sog. Leidenschaftsdramas, das nur leidenschaftlich erregte Personen vorführt, ohne tiefer gehende Charakterschilderungen zu geben. Dieses Drama kam schnell herunter durch den überwiegenden Einfluß und Anteil, der dem Maschinisten und Dekorationsmaler dabei eingeräumt wurde, und ging infolge der übermäßigen Verwicklung von Kombinationen und Motiven, die an die Stelle des wirklichen Lebens und Handelns traten, völlig im phantastischen Abenteuerdrama, sog. drame de cape et d'épée, und im Melodrama auf. Racines und Corneilles tragische Muse, die nach langer Abwesenheit die Bühne wieder begrüßte, fand an der Schauspielerin Rachel eine würdige Vertreterin, die durch ihr wunderbares Spiel jenen großen dramat. Dichtern bei der Nation
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wieder zu dem Ansehen verhalf, das die romantischen Poeten und Kritiker geschmälert batten. Bei der Stimmung des gebildetern Publikums konnte es nicht fehlen, daß Ponsard mit seiner Tragödie «Lucrèce» (1843) außerordentliches Glück machte; sie zeigte eine Annäherung an die einfache Formenschönheit, die keine Reaktion nach dem Klassicismus hin, sondern vielmehr eine Verschmelzung der romantischen und klassischen Schule und die Grundlage einer neuen Richtung, der sog. École du bon sens, sein sollte.
Als Lustspieldichter beherrschte seit der Julirevolution Scribe mit seinen bürgerlichen Sittenstücken und histor. Intriguenkomödien die Bühne. Dichtungen von bleibendem Wert schuf A. de Musset in seinen graziösen Salonkomödien und dramat. Sprichwörtern. Für den starken Verbrauch der hauptstädtischen Bühnen sorgten fleißig Bayard, Mélesville (H. J. Duveyrier), Saintine, Biéville u. a. Populäre Stücke lieferten Dumersan, Delaporte, Duvert und Lauzanne nebst ihren Mitarbeitern Xavier, Dupeuty, Rozier, Lockroy (Verfasser der drei merkwürdigsten Stücke des damaligen franz. Genretheaters: «Passé minuit», «Trois épiciers» und «Périnet Leclerc»),
Dumanoir und Clairville.
Größere Beachtung als dem Drama kommt dem Roman zu, der jetzt die für alle Zwecke verwendbare poet. Form wird. Hier äußern sich am tiefsten in der Weiterentwicklung der die Folgen der romantischen Bewegung. Der histor. Roman erreicht den Höhepunkt mit V. Hugos «Notre-Dame» (1831); diese Mischung abenteuerlicher Romantik, grotesker Charakteristik mit archäol. Realismus bietet ein Beispiel von Detailschilderung, die von Balzac (1799-1850) in den von ihm geschaffenen modernen Sittenroman übertragen wird.
Der Sittenroman verdrängt den Geschichtsroman und ersterer erbt von den Romantikern außer der realistischen Schilderung auch die zergliedernde Darstellung des Seelenlebens, denn mehrfach schon hatte man das Werthermotiv variiert und innere Kämpfe und Seelenleiden zum Vorwurf der Dichtung gemacht. Balzac, der aus physiol. Vorbedingungen seine Psychologie entwickelt («Eugénie Grandet», 1834; «Le père Goriot», 1835), wurde der Vater des spätern Naturalismus, dagegen sind die Romane von George Sand polemische Herzensergüsse und idealistische Seelengemälde, in denen die Forderung befreiter Sinnlichkeit mit den Bedürfnissen des geistigen Lebens motiviert wird.
Weniger geräuschvoll waren die Erfolge der künstlerisch abgerundeten romantischen Novellen Mérimées und der meisterhaften Erzählungen A. de Mussets. Eine beispiellose Fruchtbarkeit entwickelte A. Dumas, der seit den vierziger Jahren für das Unterhaltungsbedürfnis der weniger anspruchsvollen Leser sorgte. Neben ihm wirkten Gozlan, Louis Reybaud, Ponson du Terrail; E. Sue führte den Seeroman ein und ging dann zum socialistischen Roman über, dem sich auch George Sand eine Zeit lang widmete; glücklicher war letztere in der Dorfgeschichte, die sie zuerst in Frankreich behandelte. Im Geiste Nodiers, bloß mit dem Anspruch, als liebenswürdige Erzähler zu gelten, schrieben J. Sandeau, E. Souvestre u. a. Eine isolierte Stellung nimmt der paradoxe Sensualist Beyle (Stendhal) ein, dessen Romane eigentlich erst bei der folgenden Generation Anerkennung gefunden haben. Paul de Kock endlich lieferte in seinen leichtfertigen Erzählungen unbewußt Material zur Sittengeschichte des Pariser Kleinbürgers der Epoche.
Im Fach der Geschichtschreibung erschienen zwar 1830-48 keine so bedeutenden gewichtigen Werke wie in den letzten Jahren der Restauration, jedoch gingen diese 18 Jahre nicht ganz unfruchtbar vorüber. Wenn Guizot und Barante sich ausschließlich der Politik zuwandten, so setzten Augustin Thierry und Mignet ihre histor. Arbeiten fort, und Thiers schrieb die ersten Bände seiner «Histoire du Consulat et de l'Empire» (von 1845 an). Michelet begann nach einem neuen Plane die franz. Geschichte, die auch von Henri Martin trefflich bearbeitet wurde.
Einzelnen Teilen der franz. Geschichte widmeten ihre Forschung unter vielen andern Amédée Thierry, Bazin, Droz, Barante. Ein hervorragender Platz gebührt Sainte-Beuves trefflichem «Port Royal»; die Geschichte der Französischen Revolution wählten zum Gegenstande Armand Marrast, jakobinischer Republikaner, Cabet, kommunistischer Utopist, Buchez, Roux u. a. Die socialistische «Révolution française» (1847-62) und die «Histoire de dix ans» (1841-44) von Louis Blanc, letztere ein glänzender Versuch, die Geschichte der Gegenwart zu behandeln, beseelt ein kräftiger Haß auf die Bourgeoisie.
Von den Erscheinungen der Memoirenlitteratur sind anzuführen die «Mémoires du maréchal Ney», die Memoiren von Lamarque, Grégoire, Lafayette und Barrère. Wichtig für die Geschichte der ältern ist die weitere Fortsetzung der «Histoire littéraire de la France» durch Mitglieder der Akademie der Inschriften. Nennenswert sind ferner die litterarhistor. Schriften von Nisard, Fauriel, Ampère und Magnin. Unter den Kunstrichtern, die in Journalen und Revuen aller Art thätig waren, zeichneten sich aus: de Sacy, Sainte-Beuve, Saint Marc Girardin, Philarète Chasles, Génin, Théophile Gautier. Ein wichtiges Ereignis war (1831) die Begründung der «Revue des Deux Mondes» (s. d.), die bald zu einem Sammelpunkt für das vornehme geistige Leben Frankreichs wurde.
Nirgends bewirkte die Julirevolution größere Veränderungen als in der franz. Journalistik. (Vgl. Frankreich, Zeitungswesen, S. 77 b fg.) Vorher hatten die Journale bei dem außerordentlichsten Einfluß auf die öffentliche Meinung nur eine beschränkte Publizität. Das Journal war ein Luxusartikel; es wandte sich bloß an den legitimistischen Adel und an die herrschende Bourgeoisie. Alle Blätter, die als Organe der reinen Demokratie auftraten und tiefer als in die beiden erwähnten Schichten der Gesellschaft hinabdringen wollten, konnten die nötige Zahl von Abonnenten nicht erhalten.
Girardin jedoch kehrte dadurch, daß er die Vierzigfrankenpresse schuf, die Grundlagen des franz. Zeitungswesens völlig um. Die alte Achtzigfrankenpresse schöpfte ihre Kraft aus polit. Ideen; sie stützte sich auf ein gewisses System von Meinungen und hielt sich streng in einer bestimmten Richtung; die neue Vierzigfrankenpresse, die sog. «Junge Presse» (la jeune presse), erhielt die Neugierde des großen Lesepublikums zur Basis und zum Grundprincip ewige Veränderung und Unterhaltung und machte die Politik abhängig von der einträglichsten Nutzung und Ausbeutung des Blattes. Das Feuilleton, der untergeordnete Teil des Journals, wurde nun Hauptsache und durch die Mitteilung von Romanen der anziehendste Teil des Blattes. Trotz aller Zunahme der Leser und Abonnenten verlor die Presse an polit. Bedeutung und finanzieller Einträglichkeit, und in ihrer blinden Spekulationswut wurde sie der
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Hauptagent des Socialismus. Wohlfeile Ausgaben zu 2-5 Sous verbreiteten sich in steigender Menge in den Fabriken und Arbeitswerkstätten und brachten die den Wünschen der großen Masse schmeichelnden Theorien in Umlauf. Die Vierzigfrankenpresse beschleunigte so die Begebenheiten, die im Febr. 1848 losbrachen. -
Vgl. Nettement, Histoire de la littérature française sous le gouvernement de Juillet (2. Aufl., 2 Bde., Par. 1859);
Brandes, Hauptströmungen der Litteratur des 19. Jahrh., 3. u. 5. Bd. (3. Aufl., Lpz. 1894).
11) Während der zweiten Republik und des zweiten Kaiserreichs (1848-70). Unmittelbar nach den Ereignissen des Febr. 1848 beherrschte das polit. Interesse eine Zeit lang die Litteratur. Dichter und Kritiker beschäftigten sich mit Tagesfragen, mit socialen Problemen und suchten als Volksvertreter, Minister, Parteiführer an der Neugestaltung und Regierung Frankreichs thätigen Anteil zu nehmen. In den Liedern des Volkssängers P. Dupont, wie im «Chant des ouvriers» (unpassend Arbeiter-Marseillaise genannt), fand der Socialismus einen poet.
Dolmetscher; doch dichtete Dupont bald wieder ebenso harmlose Lieder wie sein Zeitgenosse, der Chansonnier Gustave Nadaud (1820-93). Seit dem Staatsstreich und dem daraus hervorgehenden zweiten Kaiserreich wurde das Recht öffentlicher Meinungsäußerung eingeschränkt, die Presse und selbst die Bühne streng überwacht, freie Entwicklung wurde nur da erlaubt, wo die Politik nicht mit ins Spiel kam. Allein die Verbannten, V. Hugo, Louis Blanc, Quinet u. a. veröffentlichten im Ausland ihre Satiren und Flugschriften, deren Eindringen in Frankreich alle Vorsorge der Regierung nicht verhindern konnte.
Die Wiederherstellung geordneter Zustände unter einer thatkräftigen Autorität bestimmte dagegen andere Größen der wie Sainte-Beuve, Mérimée, sich mit dem Kaisertum auf guten Fuß zu stellen. Im ganzen zeigt sich die Litteratur dieser Epoche als eine Fortsetzung und Weiterführung der den vorhergehenden Zeitraum bestimmenden und hier in Form und Inhalt zum Ausdruck gelangten litterar. Richtungen. Schriftsteller und Poeten, denen schon unter der Julimonarchie ihre Werke Ansehen und Bedeutung verschafft hatten, Lamartine, V. Hugo, Guizot, Thiers, Michelet, George Sand, Girardin, Sainte-Beuve, haben nicht aufgehört, unter der Herrschaft Napoleons III. neben den neu auftretenden Talenten litterarisch wirksam zu sein und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung dieser Jahre auszuüben.
Lamartines schwermütige Gefühlspoesie und Naturdichtung findet ihre letzten Vertreter in Victor de Laprade (1812-83) und in Edouard Grenier, während der Südfranzose Joseph Autran vor allem das Meer und seine Anwohner besingt. Am nachhaltigsten erweist sich entschieden die Einwirkung Hugos und Th. Gautiers auf das ihnen nachfolgende Dichtergeschlecht, das von ihnen die peinliche Sorgfalt in Behandlung der Sprache und Kunstform annimmt und übermäßig anwendet.
Schon Th. de Banville übertreibt in seinen metrischen Seiltänzerkunststücken das Princip «L'art pour l'art» seines Meisters Gautier, und gänzlich opfert dem glänzenden Schliff der verfeinerten Form den Gedanken auf Joséphin Soulary, der «Benvenuto du sonnet». Unter den übrigen «Parnassiens» (so genannt nach der Gedichtsammlung «Parnasse contemporain», 1866) sind Dichter von hervorragender Bedeutung und Begabung: Sully-Prud'homme, ein gedankenschwerer, von der modernen Naturforschung inspirierter Pessimist, Coppée, ein liebenswürdiger und einfacher, wehmütige Wirkungen erzielender Dichter der Wirklichkeit, Le Conte de Lisle, dessen Poesien teils von der antik-heidnischen und barbarischen Sagen- und Kulturwelt erfüllt sind, teils in der Darstellung exotischer Naturbilder sich gefallen, und dem Lacaussade (geb. 1820 zu Réunion) nahe steht mit seinen farbengesättigten Bildern aus den Tropen, während er in andern Dichtungen («Les épaves», 1861) als verzweifelter Pessimist erscheint.
Als Romantiker möchte noch Arsène Houssaye gelten, während Luise Ackermanns «Philos. Studien» in Resignation und Lebensunmut ausklingen. Von unleugbarer Begabung ist der Begründer einer frechen naturalistischen Lyrik, Charles Baudelaire, der Übersetzer des Amerikaners E. A. Poe, dessen erste Dichtungen «Les fleurs du mal» (1857) als sittengefährlich verboten wurden, und bei dem sich Cynismus des Empfindens und Ausdrucks mit sorgfältig abgewogener Sprach- und Versbehandlung vereinigt hat.
Auf der Bühne hatten sich V. Hugos und A. Dumas' große Dramen, denen man bei allen unverkennbaren Schwächen eine Fülle an Kraft nicht absprechen kann, selbst zur Zeit, als der Romantismus im vollen Schwunge war, nur mühsam behauptet. Die ungleich schwächern Dramen ihrer Nachfolger Auguste Vacquerie, Paul Meurice, Félicien Mallefille, Victor Séjour u. a. fanden naturgemäß auch einen ungleich geringern Beifall. Bei der Abneigung gegen das romantische Drama und die klassische Tragödie und Phantasiestücke überhaupt mußte daher der Versuch, das Verlangen der Zuschauer nach gesunder Lebensfülle und Wirklichkeit zu befriedigen, Glück machen.
Die während Napoleons Herrschaft neu erscheinenden oder sich ausreifenden Bühnendichter, unter denen Emile Augier, Alexandre Dumas (Sohn), Victorien Sardou, Octave Feuillet, Ludovic Halévy und Henri Meilhac, Eugène Labiche, Théodore Barrière hervorzuheben sind, gehen darauf aus, stark zu wirken, und dies gelingt ihnen häufig durch Leistungen, deren Charakteristik, Zeitgemäßheit und auf scharfer Lebensbeobachtung beruhende Darstellung den Beifall herausforderte. In allen Arten der Komödie, vom Drama und höhern Lustspiel an bis zur ausgelassenen Posse, sind Werke entstanden, die der franz. Bühne des zweiten Kaiserreichs fast eine neue Weltherrschaft verschafft haben. Am lautesten waren die Erfolge auf dem Gebiete des Schauspiels («Drame») und der höhern Sittenkomödie; Scribes «bon sens» und Alltagsmoral war bald überholt, als in dem Durcheinander des centralisierten Erwerbsverkehrs und des gesellschaftlichen Treibens im kaiserl. Paris dem Bühnendichter, der auf seine Zeitgenossen wirken wollte, die Zusammenstöße und Gefahren sich darboten, die zügelloses Genußleben und sociale Eitelkeit dem Eheglück und der Familiensitte bereiten, oder die Bedrohungen bürgerlicher Ehrenhaftigkeit und intelligenten Fleißes durch die entsittlichenden Wirkungen des leichten Erwerbs unehrenhafter Spekulanten und Glücksjäger: Ehebruch und Börsenschwindel sind nicht allein in Augiers Stücken in der Epoche wiederholt behandelt worden. Augier, dessen Höhepunkt in die J. 1858-62 fällt, war ein Dichter von sittlichem Ernst, von Kraft, Schwung und
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unbestechlicher Wahrheitsliebe, der in Werken von einfachem Aufbau, aber packender Wirkung den unheilvollen Einfluß darstellte, den die in der Presse und an der Börse wuchernde «tripotage» aus Gesellschaft und Familie ausübte, während A. Dumas (Sohn),
in seinen sog. Thesenstücken mit Vorliebe Zerrüttungen des Familienlebens behandelnd, in den Vorreden zu seinen Komödien als Prediger erscheint, «dessen Obhut die Seelen anbefohlen sind», in seinen Stücken selbst durch geschickte Technik besticht und durch glänzende Dialektik den Schein unerbittlicher Folgerichtigkeit zu erzielen und über die Schwächen seines sittlichen Standpunkts hinwegzutäuschen weiß. An dem Tage, wo er die aus seinem gleichnamigen Roman geschöpfte «Dame aux camélias» (1852) als ein dem Leben entnommenes naturgetreues Sittenbild auf die Bühne brachte, veranlaßte er einen Umschwung, der mit seinem «Demi-monde» (1855) zum Siege gelangte und dem «Realismus», wie man das jetzt nannte, die Herrschaft übergab.
Neben diesen beiden Größen der damaligen Bühnendichtung nimmt Sardou eine geachtete Stellung ein als Verfasser humorvoller Sittenkomödien, in denen er durch beispiellos geschickte Mache unwahrscheinliche Handlungen und Charaktere annehmbar zu machen versteht, während Octave Feuillet als feiner Charakterzeichner vornehmer Frauen in seinen Lustspielen und als glücklicher Nachfolger Mussets in seinen anmutigen und graziösen «Proverbes» erscheint. Die Verskomödie hat in dieser Zeit nur noch einigen Erfolg in zwei Stücken Ponsards: «L'honneur et l'argent» (1854) und «La bourse» (1856). Denn weil man im wirklichen Leben nicht in Versen spricht, wurde der prosaische Vortrag in allen realistischen Bühnenstücken gebräuchlich.
Eine neue, erfolgreiche, in Versen geschriebene Tragödie ist während dieses Zeitraums nicht auf der Bühne erschienen. Das alte Vaudeville im Geschmack Désaugiers und Scribes, d. h. das Vaudeville mit kleinen Liedern und Arien (Vaudeville à couplets), verschwand gänzlich. Labiche, Meilhac und Ludovic Halévy und nach ihnen Gondinet und Pailleron haben zur Veränderung des Geschmacks in diesem untergeordneten, aber echt nationalen dramat. Genre am meisten beigetragen, indem sie die Stoffe dafür der Gegenwart entnahmen, d. h. den anziehenden und pikanten Bestandteil der heutigen kleinen Charakter- und Sittenkomödie hineinbrachten und auf diese Weise das Vaudeville dem gewöhnlichen Lustspiel annäherten. Den für diesen Zeitraum charakteristischen Ersatz des Liederspiels lieferten eigentlich die Operetten Offenbachs, für die Halévy und Meilhac die possenhaften und leichtfertigen Texte schrieben.
Auf dem Gebiete des Romans bilden die Herzens- und Idealromane G. Sands Kundgebungen gereifter und abgeklärter Kraft («Le marquis de Villemer», 1861 u. a.); die «Revue des Deux Mondes» veröffentlichte anständige, gemütvolle Sittenromane von Jules Sandeau, die von weltmännischer Moral getragenen, mit Feinheit ausgeführten Charakter- und Gesellschaftsbilder aus der vornehmen Welt und die etwas preciösen Sonderlingsgeschichten des Genfers Victor Cherbuliez («Le comte Kostia», 1863); als glänzende Stilisten und erfindungsreiche Erzähler zeichneten sich Edmond About, Arsène Houssaye und Ch. Monselet aus.
Das Leben der «Bohème», der Künstler und Litteraten schilderte H. Murger, während Erckmann-Chatrian die Dorfgeschichten G. Sands nachahmten und in einfacher und kraftvoller Weise Land und Leute ihrer Elsässer Heimat darstellten mit dem geschichtlichen Hintergrunde der Revolutionszeit und des ersten Kaiserreichs («Maître Daniel Rock», 1861; «Madame Thérèse», 1863; «L'ami Fritz», 1864). Jules Verne fand außerordentlichen Beifall mit seinen Abenteuer- und Reiseromanen, in denen er in eigentümlicher Art naturwissenschaftliche Exaktheit mit ausschweifender Phantastik vermählte («Cinq semaines en ballon», 1863). Andererseits verwirft man die Willkür der Phantasie und die idealistische Darstellung als wahrheitswidrig und will nur die physische und physiol. Wirklichkeit gelten lassen.
Diese Richtung hat ihren Anknüpfungspunkt an Balzac. Von durchschlagender Wirkung war Flauberts «Madame Bovary» (1857),
wo zum erstenmal peinlichste Genauigkeit der Darstellung mit kühler Objektivität und überlegener Erzählungskunst sich verbindet. E. Feydeaus «Fanny» (1858) zeigt daneben schon den ganzen naturalistischen Schmutz. Der Fahne des Realismus folgen A. Dumas (Sohn), Champfleury (Jules Fleury-Husson),
Hector Malot und vor allen die Brüder Jules und Edmond Goncourt mit ihren von bedeutender Darstellungsgabe zeugenden, aber trostlosen Schilderungen verkommender und verkommener Existenzen («Renée Mauperin, 1864; »Germinie Lacerteux", 1865). Der Feuilletonroman endlich, den E. de Girardin zuerst in seiner «Presse» eingeführt hatte, befriedigt auch in dieser Periode das Unterhaltungs- und Erregungsbedürfnis zahlreicher Leser. Dem Beispiel A. Dumas' (Vater) folgen Paul Féval, der nach 1870 ein gläubiger Moralschriftsteller wurde, E. Feydeau mit der schmutzigen Abart des Unterhaltungsromans, Ponson du Terrail, Xavier de Montépin, Gaboriau mit ihren Schauer-, Verbrecher- und Polizeiromanen, A. Bélot, Assollant u. a. m. Ungemeines Aufsehen machte 1862 der phantastische Socialroman «Les Misérables» von V. Hugo, gegen den seine übrigen erzählenden Werke dieser Zeit weit zurückstehen.
In der Geschichtschreibung behaupten die alten Namen noch immer den ersten Rang. Thiers, Michelet und Louis Blanc vollendeten die letzten Bände ihrer großen Geschichtswerke. Mignet ließ eine Geschichte der Maria Stuart, des Klosterlebens des Kaisers Karl V., der Rivalität Franz' I. und Karls V. erscheinen, Cousin eine Reihenfolge histor. Studien über die Frauen und geselligen Zustände des 17. Jahrh. in Frankreich, Vaulabelle eine Geschichte der Restauration, Henri Martin eine Geschichte Frankreichs, Théophile Lavallée eine gediegene «Histoire des Français»; Lanfrey vernichtete in seiner, nicht vollendeten, «Histoire de Napoléon Ier» die Napoleonische Legende, während Napoleon III. in seiner «Histoire de César» die «organisierte Demokratie» unter erwähltem Oberhaupt verherrlichte, Laboulaye in der «Histoire des États-Unis» mit Begeisterung die republikanische Selbstregierung schilderte und der Herzog von Broglie den liberalen Konstitutionalismus vertrat und in dem Werke «L'Église et l'Empire main ^[richtig: romain] au IVe siècle» für das kath. Interesse schrieb. Renan setzte sein Hauptwerk über den Ursprung des Christentums fort, Boissier und Martha verfaßten geschmackvolle und gründliche Schriften über das röm. Altertum. Das Memoirengenre lieferte einen nicht unbeträchtlichen Zuschuß: Châteaubriands
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längst erwartete «Mémoires d'outre-tombe», die Lebensgeschichte der George Sand, Erinnerungen und Briefe von Madame Récamier, die Memoiren von dem ältesten Dupin, Odilon Barrot und Balzac, wovon der Briefwechsel des letztern in persönlicher Beziehung sehr interessant ist. Von Guizot erschienen «Mémoires pour servir à l'histoire de mon temps» und von Villemain «Souvenirs contemporains d'histoire et de littérature». Hierzu kommen die Memoiren Carnots, des Marschalls Soult und des Grafen Miot von Melito.
Wichtig sind die von A. Du Casse herausgegebenen «Mémoires et correspondance politique et militaire du roi Joseph», noch wichtiger jedoch ist die «Correspondance de Napoléon Ier», für deren Veröffentlichung Napoleon III. eine eigene Kommission bestellte. An der Spitze der litterarischen Kritik behauptete sich Sainte-Beuve; unter den jüngern Talenten traten hervor Prévost-Paradol, Weiß, Taine, E. Scherer, Sarcey, Paul de Saint-Victor. Die politischen Zeitungen verloren dagegen während des zweiten Kaiserreichs Macht und Bedeutung und kamen beinahe ganz auf ihre ursprüngliche Beschaffenheit und Bestimmung zurück, nämlich auf trockne Mitteilung polit. und anderweitiger Neuigkeiten ohne mißliebigen Kommentar. -
Vgl. Vapereau, L'Année littéraire et dramatique (19 Bde., Par. 1858-69);
Charpentier, La Littérature française au XIX siècle (ebd. 1875; deutsch von Otto, Stuttg. 1876).
12) Unter der dritten Republik (seit 1870). Keiner unter den lyrischen Dichtern, die schon während des Zweiten Kaiserreichs Berühmtheit erlangt hatten, hat die allgemeine Geltung V. Hugos errungen, nach dessen Tode etwa Lyriker wie Sully-Prud'homme, Coppée, Le Conte de Lisle als die Angesehensten unter den Modernen bezeichnet werden können. Dieselben Richtungen, die schon im vorhergehenden Zeitraum an die Oberfläche treten, werden mit Talent und Eifer fortgesetzt und auch, was in ihnen schon ungesund war, noch durch krankhaften Widersinn übertrumpft. Den Parnassiern folgt seit dem großen Kriege ein jüngeres Geschlecht von Kunstpoeten nach; die begabtesten sind: Jean Aicard (geb. 1848), Frédéric Bataille (geb. 1850), Henri Chantavoine (geb. 1850), der feinsinnige Kritiker Anatole France (geb. 1844) und Paul Déroulède, der bekannteste Vertreter der reichhaltigen Kriegsdichtung von 1870 und 1871 («Chants du soldat», 1872). Frei von Künstelei sind die frischen Landschafts- und Strandbilder von André Lemoyne (geb. 1822) und die von warmem Natur- und Heimatsinn zeugenden Poesien André Theuriets.
Auch lehnte sich eine Gruppe von Lebendigen («Les vivants») gegen den Götzendienst der Form auf, aber bald trennten sich diese vier: Paul Bourget, Maurice Bouchor, Raoul Ponchon, Jean Richepin, wieder voneinander;
Richepin setzte den Pessimismus und Naturalismus, die ganze Fäulnispoesie von Baudelaire, fort und that groß mit Cynismen und lasterhaftem Tiefsinn in seinen «Blasphèmes» (1884), ohne darum in diesen und andern Dichtungen seine reiche poet.
Kraft zu verleugnen. Nach ihm gefielen sich andere darin, durch Cynismen und Lästerungen Aufsehen und Anstoß zu erregen, wie z. B. Ponchon. Von Baudelaires und Richepins Ausschreitungen ausgehend, brachte dann die Sucht, durch etwas ganz Neues und Unerhörtes die Frühern zu überholen, die Schule der «Décadents», «Symbolistes» oder «Déliquescents» auf, die, außer dem Wunsch Aufsehen zu erregen, selber nicht recht wissen, was sie wollen, aber sich recht ungeberdig und anmaßend zeigen.
Der rein naturalistische Pessimismus hat für sie abgewirtschaftet, sie verbinden damit das übersinnliche, behandeln nur menschliche, dem wirklichen Leben angehörige Stoffe, die aber in die höhere Gedankenwelt erhoben werden vermittelst einer Sprache, in der das Wort das Symbol des Gegenstandes ist. Diese Sprache erzeugen sie durch sonderbare metrische Kunststücke, wunderliche Vergleichungen, ausgerenkte Wortstellungen, Archaismen, Neubildungen und Entlehnungen aus dem Lateinisch-Griechischen und andern Sprachen (vgl. Baju, L'école décadente, Par. 1887). Sie haben ihren Höhepunkt schon überschritten, ihre Dichtungen und Zeitschriften («Revue indépendante», «Revue décadente», «Le Symboliste») haben wenig Leser gefunden.
Als die Führer der auch in Belgien vertretenen Schule der «Décadents» gelten Paul Verlaine (geb. 1844),
Stéphane Mallarmé (geb. 1842),
bei dem Künstelei und Blödsinn sich vereinen, Jean Moréas (geb. 1856),
Jules Laforgue (geb. 1860). Eine Abzweigung der Schule bilden die «Magier» («Les Mages»),
an deren Spitze der Großmeister des Rosenkreuzes Josephin Peladan steht, und die sich in religiösem Socialismus verlieren. Die volkstümliche «Chanson», diese echte Blüte franz. Grazie und poet. Witzes, ist gänzlich unter den Hervorbringungen der Fäulnis und der Albernheit versunken. Der Geschmack der Cafés concerts an Liedern wie die der Yvette Guilbert (im «Concert parisien») und des «Chat-noir» («Chansons du Chat-noir», Par. 1890) hat der alten Chanson Désaugiers und Bérangers den Untergang bereitet.
Die durch den großen Krieg hervorgerufene ernstere Stimmung schien zuerst dem geschichtlichen und heroischen Drama günstig. Aus vaterländischer Begeisterung wurde «Jeanne d'Arc» von Jules Barbier (Gaîté 1873) und «La fille de Roland» von Henry de Bornier (Théâtre français 1875) begrüßt, sein «Mahomet» (1890) wurde auf Wunsch der türk. Botschaft vom Spielplan abgesetzt. Großen Erfolg hatte auch die altröm. Tragödie «Rome vaincue» (1876). Weniger glücklich ist Coppée mit seinen größern geschichtlichen Stücken («La guerre de cent ans», «Madame de Maintenon», «Le luthier de Crémone») gewesen. In Sardous «Thermidor» (1891) wollten viele eine Verunglimpfung der großen Revolution erkennen, und die Regierung ließ sich herbei, eine Zeit lang über dieses Werk ein Aufführungsverbot zu verhängen.
Erckmann-Chatrians dramatisiertes Idyll «L'ami Fritz» (1876) wurde an Erfolg noch übertroffen durch das Drama «Les Rantzau» (1882). Charakteristisch für die Vielseitigkeit und das Anpassungsvermögen der modernen Bühne sind die besonders auf dem Odéon gemachten Versuche, Meisterwerke fremder Sprachen in Frankreich einzubürgern. Es erschienen in franz. Bearbeitung einzelne Tragödien von Äschylus («Les Erinnyes» von Leconte de l'Isle, 1873),
von Euripides («Alceste, drame lyrique» von Gassier, 1891),
der «Comte d'Egmont» von Goethe (1890) und eine ganze Reihe von Neubearbeitungen Shakespearescher Stücke («Songe d'une nuit d'été», «Hamlet», «Macbeth», «Shylock», «Roméo et Juliette», «La mégère apprivoisée» u. a. m.). Eine mittelalterliche Erzählung dramatisierten Silvestre und
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Morand mit Anmut und poet. Empfindung in «Grisélidis» (comédie en vers libres, 1891). Unterdessen bleibt das Pariser Sitten- und Gesellschaftsbild in mehr oder weniger tendenziöser und mehr oder weniger lebenswahrer Behandlung als ?Drame? oder Lustspiel auf der ersten Bühne Frankreichs vorherrschend. Der gediegenste Lustspiel- und Dramendichter der Kaiserzeit, Emile Augier (gest. 1889), war nach dem Kriege wenig fruchtbar, doch trug er noch einmal in der häuslichen Sittenkomödie «Les Fourchambault» (1878) einen großen und wohlverdienten Erfolg davon. A. Dumas (Sohn) fuhr fort, in der Behandlung heikler Gesellschafts- und Lebensfragen sich als guten Beobachter zu erweisen und die Konvenienzmoral mit scharfer Dialektik zu bekämpfen.
Seine größten Erfolge trug er auch jetzt in der Darstellung des «gemeingefährlichen Weibes» («J'ai deshabillé la femme en public») davon, wie in «Princesse Georges» (1872),
«La femme de Claude» (1873) und «L'étrangère» (1876). Victorien Sardou zeichnete sich durch Vielseitigkeit und geschickte Mache aus, versuchte sich mit Erfolg in der Charakterkomödie («Fernande», 1870, «Dora», 1877, «Fédora», 1882),
behandelte die Ehescheidungsfrage scherzhaft in «Divorçons» (1881),
schilderte kleinstädtisches Treiben in «Les bourgeois de Pont-Arcy» (1878),
schrieb das polit. Tendenzstück «Rabagas» (1872, ein Zerrbild Gambettas),
das erfolgreiche histor. Lustspiel «Madame Sans-Gêne» (1891) und für Sarah Bernhardt histor. Ausstattungsstücke («Théodora», «Tosca», «Le crocodile», «Ghismonda»). In dem Geiste des alten Lustspiels dichtete Edouard Pailleron, der in dem erfolggekrönten Stücke «Le monde où l'on s'ennuie» (1881) in feiner und witziger Weise ein modernes Gegenstück zu Molières «Gelehrten Frauen» geschaffen hat. Halévy und Meilhac haben ihr Geschick nicht allein in lebendigen Possen («Toto chez Tata», 1873, «La boule», 1874, «Tricoche et Cacolet», 1871),
sondern auch im Sittendrama («Froufrou», 1869) bewährt, der letztere hat in den letzten Jahren sich von seinem Mitarbeiter getrennt und allein das Sittenbild in Lustspielform («Ma cousine», «Décoré» u. a.) gepflegt. Die Originalstücke Alphonse Daudets haben sich nicht lange auf der Bühne behaupten können, sein letztes Werk «L'obstacle» (1890) behandelt in optimistischer Weise das Thema von Ibsens «Gespenstern». Der angesehene Kritiker Jules Lemaître hat in verschiedenen durch geistreichen Dialog und einzelne Feinheiten ansprechenden Komödien und Dramen («Révoltée», 1889, «Mariage blanc», 1891) doch noch keine große Bedeutung als Bühnendichter erlangt. Henri Becque («Parisienne», 1890, «Les honnêtes femmes»),
Abraham Dreyfous, H. Lavedan («Le prince d'Aurec», 1892),
Georges de Portoriche («Amoureuse», 1891) versprechen für das höhere Lustspiel und Drama etwas zu leisten; den Bühnen, die das Vaudeville und die ausgelassene Posse pflegen, fehlt es nicht an Produzenten, die in der Wahl ihrer Mittel, komische Wirkungen zu erregen, nicht blöde sind und die Zote nicht verschmähen. Labiche (gest. 1888) ist an komischer Erfindung von keinem seiner Nachfolger übertroffen worden; gleich ihm versorgten Gondinet (gest. 1888) und Clairville (gest. 1879), Barrière (gest. 1877) schon die Possenbühnen des zweiten Kaiserreichs; die neueste Possendichtung ist im allgemeinen durch den Naturalismus ungünstig beeinflußt worden, doch verdienen Ernest Blum und Raoul Toché, Grenet-Dancourt, Jules Moineaux, Alexandre Bisson («Feu Toupinel», 1890) und Albin Vallabrègue genannt zu werden.
Geradezu herrschend ist die Gewohnheit geworden, erfolgreiche Romane für die Bühne einzurichten und zwar mit Vorliebe solche, die dem Zuschauer eine Reihe Situationen des krassen Naturalismus vorführen. Auf diese Weise sind Zolas «Ventre de Paris», «Renée», «Germinal», Daudets «Fromont», «Sappho», «L'Immortel» u. d. T. «La lutte pour la vie», der Gebrüder Goncourt «Renée Mauperin» und «Germinie Lacerteux», Theuriets «Raymonde» und andere Romane von Claretie, Glouvet, Bourget, Ohnet u. s. w. dramatisch zugerichtet worden.
Der Schaulust, der Befriedigung der Phantasie, des Gemüts und der Vaterlandsliebe dienen historische und Militärstücke, wie «Sainte-Russie», ein russ.-franz. Verbrüderungsstück von Gugenheim und Lefaure (1890), Volksschauspiele, die aus Feuilletonromanen Xaviers de Montépin u. a. hervorgegangen sind, solche von socialistischer Tendenz u. a. m. Das siegreiche Vordringen der naturalistischen Schule auf dem Gebiete des Romans hat den Wunsch hervorgerufen, das Drama der Zukunft zu schaffen, da nach Goncourt die «kranke Bühnenkunst ihr Ende erreicht hat». Es galt, die Fesseln der theatralischen Konvention in Form und Inhalt zu sprengen und den Dichtern die Möglichkeit zu gewähren, Stücke, die anderswo wegen sittlicher und Anstandsbedenken oder wegen technischer Mängel zurückgewiesen waren, aufzuführen und eine Probe ablegen zu lassen. So entstand unter der Leitung des Schauspielers Antoine mit Unterstützung reicher Liebhaber und bekannter Schriftsteller (Zola, Maupassant, Goncourt) das «Théâtre libre» (seit 1891 in der Porte-Saint-Martin), ein Tummelplatz für die Versuche der Verkannten, Zurückgewiesenen und kühnen Anfänger, Naturalisten und Symbolisten und solcher, die das Handwerk der Kunst verschmähen.
Ibsens, Tolstois, Turgenjews, Strindbergs, G. Hauptmanns Werke wurden hier gespielt, neben denen von Alexis, Céard, Hennique, J. Jullien, G. Ancey, Brieux, Descaves, Méténier u. a. Den Erfolg hat diese Bühne bisher gehabt, daß sich die Kritik angelegentlich mit ihr beschäftigt hat. Neben dem «Freien Theater» besteht noch ein «Théâtre des nouveautés» als zweite Versuchsbühne (seit 1890) für ungezügelte und zügellose Talente. Der Merkwürdigkeit wegen verdienen auch die Marionetten Signorets Erwähnung, welche humoristische Mysterien, wie «Le mystère de la nativité» und «Tobie» (1890),
poetisch wertvolle Dichtungen von Maurice Bouchoz, aufführen, endlich die Herberge zum «Chat-noir» mit ihren ausgelassenen und sinnreichen Darstellungen von poetisch-musikalischen Mysterien und Parodien.
Die erfolgreichsten Leistungen der beiden letzten Jahrzehnte gehören unstreitig der erzählenden Dichtung an, dem Roman und der Novelle; mehr als in der dramat. Litteratur drängt sich hier wie auch in der lyrischen Poesie eine herbe, trostlose, zum Pessimismus herabsinkende Lebensauffassung hervor; denn auf dem von Balzac, Flaubert, Edmond und Jules de Goncourt gewiesenen Wege fortschreitend, entscheiden sich die Naturalisten, an ihrer Spitze Emile Zola, grundsätzlich für ein darstellendes Verfahren, das die Erscheinungen, Äußerungen und Umgebungen des sichtbaren Lebens genau beobachtet und mit urkundlicher Treue («art documentaire») den «physiol. Menschen» nachzeichnet, wie
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er durch seine Umgebung bestimmt und unter dem Spiel aller seiner Organe thätig ist. Überzeugt von dem Übergewicht des Schlechten in der Welt, verbunden die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit nur im Sichtbaren erkennend, giebt der Naturalist vor, eine sittliche Pflicht in der Darstellung des Niedrigen und Gemeinen zu erfüllen, und scheint nicht zu wissen, wie sehr seine Werke unsaubern Gelüsten fröhnen, seine «urkundlichen» Schilderungen sittlicher und physischer Verkommenheit Keime des Unheils aussäen.
Seit dem Tode seines Bruders Jules (1870) hat Edmond de Goncourt nur noch einen beachtenswerten Roman veröffentlicht («Les frères Zemganno», 1879). Das Haupt der Schule des objektiven Naturalismus wird Zola, der seit 1871 eine Reihe von pathol.-physiol. Romanen unter dem Gesamttitel «Les Rougon-Macquart» verfaßt und veröffentlicht hat, die «bürgerliche und natürliche Geschichte» einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich, die sich durch 19 Bände hindurchzieht («La fortune de Rougon», 1871, bis «Docteur Pascal», 1893); bei einer Fülle trostloser und abstoßender Einzelheiten, bei einer bisweilen pedantisch-kleinlichen Vorliebe für Schmutz und Detailausführung zeugen diese Werke von großer Sprachgewalt, von seltener Kraft und Fähigkeit, äußere Zustände und Stimmungen darzustellen.
Seine Poetik enthält der «Roman expérimental» (1880). Neben Zola ist Alphonse Daudet seit seinem Pariser Sittenbilde «Fromont jeune et Risler ainé» (1874) der erfolgreichste neuere Romanschriftsteller Frankreichs. In seinen frühern Werken unterscheidet ihn größere Decenz und vornehmere Haltung von Zola, er zeigt liebenswürdigen Humor und ist ein Meister feiner Ironie, hat sich aber zuletzt den Naturalisten sehr genähert. Eine Anzahl jüngerer Schriftsteller, die sich um Zola sammelten, gaben in den «Soirées de Médan» (1880) die ersten Beweise ihres Könnens und ihrer Zugehörigkeit zur Schule des Meisters.
Einer der eifrigsten «Médanisten» war Paul Alexis («Éducation amoureuse», 1890),
auch Henri Céard, Camille Lemonnier («Le possédé», 1890),
Henri Rabusson, Edouard Rod («La vie privée de Michel Teissier», 1892),
Paul Mariéton, Octave Mirbeau u. a. folgen seiner Richtung. Als Zolas Roman «La terre» (1887) erschien, worin Schmutz und Abscheu sich häuften, kündigten ihm fünf Anhänger die Heeresfolge, unter ihnen der begabte Niederländer J. K. Huysmans (geb. 1848),
Lucien Descaves, Paul Margueritte, J. H. Rosny («Daniel Valgraive», 1891). Diese und andere Schriftsteller, wie Marcel Prévost («Confession d'un amant», 1891),
sind des materialistischen Pessimismus überdrüssig und der «Roman der Zukunft» soll wieder den idealen Bedürfnissen, dem «besoin d'une expression romanesque» des Lebens in höherm Grade gerecht werden. Eine Mittelstellung zwischen den Naturalisten und den Psychologen nahm Guy de Maupassant (gest. 1893) ein, der in Werken wie «Pierre et Jean» (1888),
«Fort comme la mort» (1889) durch einfache Darstellung ergreifender Konflikte und psychol. Tiefblicke sich Zola überlegen gezeigt hat. Die eigentlichen «Psychologen» oder «Analytiker», die sich Mühe geben, das menschliche Seelenleben besonders in seinen Ausartungen und krankhaften Nervenzuständen zu ergründen und darzustellen, mit möglichst wenig eigener Empfindung, berufen sich auf Beyle; an ihrer Spitze steht Paul Bourget («Cruelle énigme», 1885, «Crime d'amour», 1886, «Mensonges», 1887),
der mit seinen nervösen Heldinnen und Helden («Le disciple», 1889) aus den gebildeten und wohlhabenden Ständen und seiner zart abgetönten Darstellung den geraden Gegensatz zu Zola bildet. Bourget ist zugleich der Vertreter der psychologischen litterar. Kritik («Essais de psychologie contemporaine», 1883). Auch J. Le Maître und Anatole France gefallen sich in der Kleinmalerei. Gyp (Gräfin Martel-Mirabeau) verfaßte übermütige satir. Geseltschaftsbilder, während Ferdinand Fabre in seinen bedeutenden Romanen die Seelenkämpfe des Seminaristen, den Ehrgeiz des Priesters («L'abbé Tigrane», 1873, «Ma vocation», 1889) und das Leben in seiner Cevennenheimat mit Ernst und Kraft dargestellt hat.
Der Provinz- und Dorfroman wird ferner von Pouvillon («Chante-Pleure», 1890),
Antony Blondel («L'heureux village», 1892) u. a. mit Erfolg gepflegt. Nach psychol. Vertiefung und genauer Wiedergabe des Zuständlichen streben übrigens auch die Schriftsteller, die einer idealern Auffassung der menschlichen Natur huldigen. Für Octave Feuillet (gest. dessen letzte Werke «La morte» (1886) und «Honneur d'artiste» (1890) sind, ist der «Sous-Feuillet» Henri Rabusson eingetreten als Verfasser vornehmer Gesellschaftsromane; neben Cherbuliez wurde André Theuriet ein fleißiger Mitarbeiter der «Revue des Deux Mondes»; Ohnet, nach Zola der gelesenste Schriftsteller des heutigen Frankreich, schildert in seinen zehn Romane umfassenden «Batailles de la vie» (1881-91) mit Vorliebe den siegreichen Kampf bürgerlicher Tüchtigkeit und ehrlicher Arbeit gegen Vorurteil und gesellschaftliche Verderbtheit.
Beliebte Tagesschriftsteller sind Ernest Daudet, Henri Gréville (Frau Alice Durand), die zuerst ihre Helden und Stoffe aus Rußland holte, Thérèse Bentzon (Frau Blanc), Albert Delpit, Hector Malot, Frau Charles Bigot (Jeanne Mayret), Léon de Tinseau u. a. Die Abart des jurist. Romans ist vertreten durch die Werke des ehemaligen Oberstaatsanwalts Quesnay de Beaurepaire, der unter dem Namen Jules de Glouvet schreibt. Außerdem giebt es Kasernenromane (L. Descaves, Reibrach, Abel Hermant), Schilderungen des Pariser Elends auf allen Stufen der Gesellschaft (Hugues Le Roux) u. s. w. Stark von Deutschenhaß beeinflußt sind Erckmann-Chatrian in ihren seit 1871 erschienenen Schilderungen aus dem Elsässer Volksleben («Histoire du plébiscite», 1872). Unter den histor.
Romanen dürfte V. Hugos «Quatre-vingt-treize» (1874) die bedeutendste Erscheinung dieser Periode sein. Ungemein schnell hat sich Loti (der Marineoffizier Julien Viaud) einen Namen gemacht, dessen episodenhafte, meist schwermütige Geschichten einen eigenartigen Reiz durch die meisterhaft ausgeführten Schilderungen fremdländischer Schauplätze («Le mariage de Loti», 1882, «Madame Chrysanthème», 1888) und des Lebens der Fischer und Seeleute («Pêcheur d'Islande», 1886) ausüben. Ganz besonders tritt in der neuesten Zeit wieder die Novelle hervor, in der sich die verfeinerte Erzählungskunst in ihrer höchsten Ausbildung zeigt. Hier sind vor allem die Sammlungen Coppées zu erwähnen («Contes rapides», «Les vrais riches», 1892),
Bourgets «Pastels» (1889), die Legenden von Anatole France und Jules Lemaître, die formvollendeten Erzählungen von Catulle Mendès, welche ebenso cynisch wie seine Romane sind u. a. m.
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Alle Fragen der litterar. und ästhetischen Kritik werden mit großer Lebhaftigkeit von produktiven Schriftstellern und Berufskritikern behandelt. Unter den letztern treten hervor Ferdinand Brunetière, der gegen den Ansturm der Naturalisten, Analytiker, Symbolisten, Impressionisten das Recht der wissenschaftlichen Kritik verficht und für die guten Überlieferungen der eintritt, während mehr dem Strome der litterar. Mode Paul Bourget, Anatole France (am «Temps»),
Jules Lemaître (am «Journal des Débats») folgen. Der Altmeister der Theaterkritik ist Francisque Sarcey, neben ihm traten hervor J. J. Weiß, Bellaigue («Revue des Deux Mondes»),
Ganderax u. s. w.
In der Philologie und Geschichte, wie auf allen Gebieten, welche ernstes und genaues Studium erfordern, macht sich seit 1870 eine aufsteigende Bewegung kenntlich. Eine Menge junger Historiker, durch das Beispiel von Monod, Lavisse, Longnon u. a. angeregt, bearbeiteten nach dem Muster deutscher Forschung die franz. Geschichte in tüchtigen, mit größtem Fleiß ausgeführten Monographien, wobei das urkundliche Material sehr sorgfältig und echt wissenschaftlich benutzt wurde. Es wurden die «Griech. Geschichte» von Ernst Curtius und die «Geschichte des Hellenismus» von Droysen übersetzt.
Dieulasoy hat die von Viollet le-Duc auf die franz. Kunst des Mittelalters angewandte Methode auf die altpers. Kunst angewandt («L'art antique de la Perse», 5 Bde., 1884-89). Schlumberger hat die «?uvres d'A. de Longpérier» zusammengestellt und geordnet (6 Bde., 1883-84). G. Perrot hat, unterstützt von Ch. Chipiez, 1881-89 fünf Bände seiner «Histoire de l'art dans l'antiquité» veröffentlicht. Victor Duruy hat seine «Histoire des Romains» (7 Bde., 1876-85) vollendet; Charles Joseph Tissot hat eine «Géographie comparée de la province romaine d'Afrique» (Bd. 1, 1884) hinterlassen.
Victor Gay hat ein «Glossaire archéologique du moyen âge et de la Renaissance» (Heft 1-5, 1882 fg.) begonnen. Eugène Müntz veröffentlichte «La Renaissance en Italie et en France à l'époque de Charles VIII» (1885) und «Donatello» (1885). Babeau setzte seine Untersuchungen über die franz. Zustände vor der großen Revolution fort («La vie rurale dans l'ancienne France», 1883, und «Les bourgeois d'autrefois», 1886). Antonin Lefèvre-Pontalis ließ erscheinen «Vingt années de république parlementaire au XVIIe siècle, Jean de Witt, grand pensionnaire de Hollande» (2 Bde., 1884). Der Herzog von Broglie veröffentlichte «Frédéric II et Louis XV» (2 Bde., 1885);
der General Pajol «Les guerres sous Louis XV» (7 Bde. u. Atlas, 1881-91);
Mention «Le comte de Saint-Germain et ses réformes» (1885);
Vatel «Histoire de Mme du Barry» (3 Bde., 1882-84).
Die diplomat. Kommission des Ministeriums des Äußern begann den «Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traités de Wesphalie jusqu'à la Révolution française» (Bd. 1-9, 1884-91). Aber vor allem zieht die Französische Revolution die Forscher an. André Michel veröffentliche die «Correspondance inédite de Mallet du Pan avec la cour de Vienne dans les années 1794-98» (2 Bde., 1884). Von Albert Sorel erschienen vier Bände eines auf sechs Teile berechneten Werkes «L'Europe et la Révolution française» (1885 fg.),
dem die Académie française den ersten Preis Gobert zuerkannt hat. Taine (gest. 1893) veröffentlichte den fünften Band seiner «Origines de la France contemporaine» u. d. T. «Le régime moderne. Napoléon» (1899). Boulay de la Meurthe schrieb «Le Directoire et l'expédition d'Égypte» (1885) und «Les dernières années du duc d'Enghien» (1886),
Ernest Daudet «Les émigrés et la seconde coalition» (1886). A. Chuquet begann «Les guerres de la Révolution»; bis jetzt sind davon 10 Teile erschienen (1886-94). Endlich lieferte Thureau-Dangin eine «Histoire de la monarchie de juillet» (Bd. 1-7, 1884-92),
Renan (gest. 1892) seine «Histoire du peuple d'Israël» (3 Bde., 1887-90).
Die Memoirenlitteratur bereicherte sich durch mehrere hervorragende Werke: Paul de Rémusat veröffentlichte die «Mémoires» seiner Großmutter, der Madame de Rémusat, 1802-1808 (3 Bde., 1879-80),
der Comte de Cosnac und Ed. Pontal die «Mémoires du marquis de Sourches sur le règne de Louis XIV» (13 Bde., 1882-93);
Robert de Crèvecoeur die «Mémoires du comte Dufort de Cheverny sur les règnes de Louis XV et de Louis XVI et sur la Révolution» (2 Bde., 1886);
der Herzog des Cars die «Mémoires de la duchesse de Tourzel » (2 Bde., 1883);
Eugène Forgues die «Mémoires et relations politiques du baron de Vitrolles» (3 Bde., 1883-84);
der Comte de Contades «Coblenz et Quiberon, souvenirs du comte de Contades» (1885);
de Puymaigre seines Vaters «Souvenirs sur l'émigration, l'Empire et la Restauration» (1884),
der Herzog Albert de Broglie die «Souvenirs» seines Vaters, der unter Napoleon I., der Restauration und dem Julikönigtum diente (4 Bde., 1886-87);
ferner erschienen in jüngster Zeit die für die Kriege Napoleons I. wichtigen «Mémoires» des Generals Marbot (3 Bde., 1892),
die «Souvenirs sur la Révolution, l'Empire et la Restauration» (1892) des Grafen Rochechouart, die Memoiren Talleyrands (hg. vom Herzog von Broglie, 5 Bde., Par. 1891-92) u. a. m. Endlich veröffentlichte E. de Goncourt das litterargeschichtlich wichtige «Journal des Goncourt» (1. Serie: 1851-70, 3 Bde., 1887-88; 2. Serie: 1870-84, 3 Bde., 1890-92),
und der Akademiker Ernest Legouvé u. d. T. «Soixante ans de souvenirs» (2 Bde., 1886-87) anziehende Mitteilungen über die Schriftsteller, mit denen er bekannt geworden ist.
Das Gebiet der ältern wurde eifrig weiter durchforscht. Die «Société des anciens textes» hat seit 1875 zahlreiche altfranz. Werke veröffentlicht, Petit de Julleville hat eine gründliche Geschichte der mittelalterlichen franz. Bühne veröffentlicht, die «Histoire littéraire» ist bis zum 31. Bande (Suite du XIVe siècle, 1893) gediehen, in der seit 1871 erscheinenden «Romania» ist ein Mittelpunkt für die roman. Studien in Frankreich geschaffen worden. Französische Godefroy ist in seinem «Dictionnaire de l'ancienne langue française» (Bd. 1-7, 1880-91) bis zu dem Buchstaben T gelangt.
In der Sammlung der «Grands écrivains de la France» erschienen: Molière von Mesnard (11 Bde., 1873-93),
Lafontaine von H. Régnier und Saint-Simons «Mémoires», von Boislisle begonnen (Bd. 1-10, 1871-93). Louis Moland veröffentlichte eine vollständige Ausgabe von Voltaires Werken (52 Bde., 1878-85),
Assézat und Tourneux eine Ausgabe von Diderots Werken (20 Bde., 1875-77); Tourneux hat auch die «Correspondance» von Grimm, Diderot u. s. w. zum erstenmal vollständig