mehr
den Kämpfen zwischen der Kirche und Pariser Universität Partei nehmen. Auch der Spielmann Colin Muset gehört in diesen Kreis [* 2] bürgerlicher Sänger.
Große Bedeutung gewannen schon in diesem Zeitraum die dramatischen Aufführungen; doch ist von den geistlichen Schauspielen nur eins, das «Miracle de Théophile» (von Justebeuf), erhalten. Wichtig ist, daß nun auch neben dem religiösen Stücke selbständige weltliche Stücke von heiterm Charakter erscheinen. Zwei Gesellschaften, die Innung der Pariser Prokuratorenschreiber (die Basoche, s. d.) und die Puys begründen die komische Bühne. Aus dem Repertoire der letztern sind einige dramat. Scenen aus dem bürgerlichen Leben, das «Jeu de la feuillée» (von Adam de la Halle),
aufgeführt 1264, erhalten und ein Schauspiel «Robin und Marion» desselben Verfassers. Die Basoche spielte an ihren Festtagen seit Beginn des 14. Jahrh. lustige Scenen aus dem Gerichtsleben und kleine in dramat. Form gebrachte Schwänke aus dem Leben des untern Bürgerstandes. So entstanden die Farcen (Schwänke oder Possen), von denen jedoch keine erhalten ist.
4) Das Jahrhundert der französisch-englischen Kriege (etwa 1330-1450). Dieser Zeitraum steht in litterar. Beziehung noch vielfach unter den Einwirkungen der allegorisierenden Dichtung. Zugleich ist aber das bezeichnendste für die schriftstellerischen Erzeugnisse ein polit.-histor. Zug. Unter den Geschichtswerken, die wie die «Chronique anonyme des quatre premiers Valois» (1327-93),
die Chronik von Jean Le [* 3] Bel aus Lüttich [* 4] (1326-61) die Ereignisse des 14. Jahrh. behandeln, erscheinen die «Chroniques de France, d'Angleterre, d'Écosse, d'Espagne et de Bretagne» (1326-1400), von Jean Froissart, als das Bedeutendste überhaupt, was die dieser Periode aufzuweisen hat. Weniger hervorragend ist Monstrelets Fortsetzung (1400-44) von Froissarts Geschichtsmemoiren. Die Kriege mit den Engländern riefen auch Anläufe zur epischen Behandlung von Zeitereignißen hervor, doch der Mangel poet.
Sinnes und die Anwendung der verlebten Formen der alten Heldendichtung waren dem Epos nicht günstig. Der «Combat des trente» (1351) ist von ritterlich-vaterländischem Geiste erfüllt, das gutgemeinte lange Gedicht auf Duguesclin (um 1380) von Cuvelier zeigt das poet. Unvermögen, ebenso die «Geste de Liège» und die «Geste des Bourguignons» (Anfang des 15. Jahrh.), die letzten Versuche in der einreimigen Tirade der Chanson de geste. Das patriotische Lied findet seinen Vertreter in dem Walkmüller Olivier Basselin, der, nach der Überlieferung, von den Engländern 1450 bei Formigny getötet wurde.
Von lyrischer Art ist auch das «Dittié» zum Lobe der Jeanne d'Arc, ein warm empfundenes Triumphlied von Christine de Pisan. Als episches Erzeugnis gehört auch hierher der umfangreiche Prosaroman «Perceforest», ein breitspuriges Lehrbuch der Ritterlichkeit, das eine abenteuerreiche Erzählung mit reicher Fülle antiquarischen, heraldischen Wissens und eine Darstellung feiner Lebensart verbindet. Die beliebteste feststehende poet. Form des Zeitalters ist die Ballade, daneben der ähnlich gebaute Chant royal und das Rondel.
Die Ballade, obgleich ursprünglich Liedform, wird auch zu lehrhaft trocknen Auseinandersetzungen benutzt. Guillaume de Machault (etwa 1290-1377) hat allein gegen 200 Balladen geschrieben (vgl. Académie des Inscriptions et belles-lettres, Bd. 20), doch wurde sein Dichterruhm bald verdunkelt durch den vielseitigen Verskünstler Eustache Deschamps (etwa 1340-1410), einen Beamten Karls VI., der mehr als 80000 Verse (darunter 1200 Balladen, 170 Rondels und eine Poetik) verfaßt hat. (Vgl. Eust. Deschamps, ?uvres complètes, hg. von Le Queux de Saint [* 5] Hilaire, Bd. 1-6, Par. 1874-90.) Das anmutigste Balladenwerk ist das dem Marschall Bouciquaut (um 1390) zugeschriebene «Livre des cent ballades», das eine in eine Erzählung eingerahmte höfische Minnelehre enthält.
Die seit der letzten Hälfte des 14. Jahrh. am franz. Königshofe heimische Dichtkunst bleibt nüchtern, gelehrt und schwerfällig. Christine de Pisan (1363-1431) und Alain Chartier (1390-1433) behandeln die Verhältnisse des Staats-, Hof- und Kriegslebens in lehrhafter Weise. Der letztere ist ein guter Patriot und ein Mann auch von praktischer Lebensweisheit. In seinen Jugendgedichten hat er der Minne seinen Zoll entrichtet. Doch erscheinen seine und Froissarts Liebesdichtungen erkünstelt und ohne Geschmack im Vergleich zu den Versen (Balladen, Chansons, Rondels) des Herzogs Karl von Orléans [* 6] (1391-1465). - Von allen litterar.
Gattungen gewinnt jetzt das mittelalterliche Schauspiel die höchste Geltung im öffentlichen Leben der Franzosen. Aus dem 14. Jahrh. sind über 40 Mirakelspiele überliefert (vgl. Paris [* 7] und Robert, Miracles de Nostre Dame par personnages, Bd. 1-7, Par. 1876-85), in denen meist Marienwunder dramatisiert sind. Um 1395 ist auch das «Histoire de Griselidis» betitelte Schauspiel entstanden. Seit Beginn des 15. Jahrh. beherrschen die «Mystères» (ein Name, der jetzt gebräuchlich wird, und mit dem man vorzugsweise die dramat. Behandlung biblischer Stoffe bezeichnet) die religiöse Volksbühne.
Dergleichen Stoffe werden mit großem Aufwand in Scene gesetzt. In Paris hat seit 1402 eine Bruderschaft, die «Confrérie de la passion» (s. d.), das Vorrecht für die Veranstaltung geistlicher Spiele erhalten. Unter den erhaltenen Mysterien, die ganze Cyklen, wie den des Alten Testaments, den des Neuen Testaments umfassen, ist das berühmteste das Mystère vom Leben Christi von Arnoul Greban (etwa 1420-60) und «Les actes des apostres» von Simon Greban. Interessant, weil ein Thema aus der Zeitgeschichte behandelnd, ist das «Mystère du siège d'Orléans» (um 1440; vgl. Französische Guessard und E. de Certain, Le mystère du siège d'Orléans, Par. 1862). Gleichzeitig hat auch die Verbindung der Allegorie mit dem Volksschauspiel zwei neue Formen des weltlichen Dramas ins Leben gerufen, die «Moralité» und die «Sottie».
Beide Formen sind von ausgesprochen satir. Richtung. Die Moralités, deren älteste erhaltene (entstanden um 1440) die «Farce de la Pippée» ist, sind vielleicht von der Basoche zuerst aufgebracht worden, als diese, nachdem der Passionsbruderschaft für geistliche Aufführungen ein Privileg erteilt worden, durch die Einführung einer neuen Art Schauspiel ihren Darstellungen neue Anziehungskraft geben wollte. Die Moralitäten verfolgen einen moralischen Zweck, indem sie entweder Tugenden und Laster personifizieren, oder auch in einer Mischung von allegorischen oder wirklichen Personen ein geschichtliches Ereignis oder eine Parabel [* 8] mit moralischer Nutzanwendung in Handlung umsetzen. Das komische Gegenstück zur Moralité ist das Narrenspiel, die «Sottie» (vgl. E. Picot, La sottie en France, Romania, Bd. 7). Diese ist höchst ¶
mehr
wahrscheinlich eine Erfindung der «Enfants sans souci» (s. d.),
einer um 1380 entstandenen Karnevalsgesellschaft. Die Sottie war ursprünglich eine Art «Parade» (Zugstück zum Anlocken des Publikums), später wurde sie eine dramat. Satire in närrischem Gewande, worin niemals wirkliche Personen auftraten, sondern Narren (Sots), die eine Einrichtung (l'Église), einen Stand u. dgl. personifizierten. Die Sottie erlangte die Freiheit, unter der Narrenmaske Wahrheiten vorzubringen, die sonst niemand öffentlich zu äußern wagte, und in polit. und religiösen Angelegenheiten ihre Meinung auszusprechen. Übrigens ist keins dieser Spiele aus der Zeit vor 1450 erhalten.
5) Die Zeit Ludwigs XI., Karls VIII. und Ludwigs XII. (ungefähr 1450-1515). Die Herrschaft der burgund. Schule in der Litteratur beginnt, seitdem die franz. Lehnsmonarchie Burgund unter Philipp dem Guten (1419-67) und Karl dem Kühnen (1467-77) neben dem franz. Königtum eine selbständige und übergreifende Machtstellung zu behaupten trachtet. Die am prunk- und kunstliebenden burgund. Hofe lebenden oder von hier aus unterstützten Poeten erlangen das höchste Ansehen in der litterarisch gebildeten Welt, und die Umwandlung der Dichtung in bloße Redekunst, ein Ziel, auf das die herrschende Richtung in der schon lange zusteuert, bringen sie zum Abschluß.
Die Herrschaft dieser Schule überdauert den Zusammenbruch des Burgundischen Reichs (1477), denn sie reicht bis in die ersten Regierungsjahre des Königs Franz I., und die Nachwirkungen ihrer Geschmacksrichtung reichen bis über die Mitte des 16. Jahrh. Schon jetzt schöpfte man aus dem neubelebten Studium der Dichter des klassischen Altertums das Bewußtsein, daß gelehrtes Wissen zu den Quellen der Dichtung führe und mithin Gelehrsamkeit den Beruf zum Dichter erteile.
Die Nüchternheit des Empfindens und die Trockenheit der Stoffe, die man dichterisch bearbeitete, suchte man durch äußere Mittel auf eine poet. Höhe zu erheben, indem volltönende, dem Griechischen und Lateinischen entlehnte Fremdwörter, umständliche Satzbildung und künstliche Reimspiele den histor., polit., moralischen Traktaten, den Lobreden und konventionellen Liebesgedichten die Zierden der Redekunst verleihen sollten. «Rhetoriqueur» war der Ehrenname des Schriftstellers und Dichters.
Ein bürgerlicher Zug geht durch diese Dichtung, auch wo ihre Vertreter am Hofe leben. Denn von den Lobreden und Minnespielereien abgesehen, bestrebt man sich vornehmlich als Satiriker und Moralist, als Politiker und Geschichtschreiber, sein Zeitalter zurechtzusetzen und zurechtzuweisen, zu beeinflussen und zu unterrichten. Selbstverständlich bleibt dabei die Allegorie im Schwange; neu und der gelehrten Renaissance zu verdanken ist die immer häufiger werdende Einführung mytholog.
Gestalten und Erfindungen. Der älteste der burgundischen Poeten, Régnier de Guerchy, Rat Philipps des Guten, war noch Zeitgenosse des Herzogs Karl von Orléans; Pierre Michault, Sekretär [* 10] des Grafen von Charolais (Karls des Kühnen), widmete seine Hofzucht («Doctrinal de cour») Philipp dem Guten (1466),
sein «Danse des aveugles» stellt das Leben als einen Tanz vor, wozu drei Blinde (Amour, Fortune, Mort) den Takt schlagen; Olivier de la Marche (1422-1501),
Gardekapitän Karls des Kühnen, erzählte in allegorischer Einkleidung («Le chevalier délibéré») die Geschichte seines Herzogs. Der anerkannte Meister der Schule wurde Georges Chastelain aus Gent, [* 11] der in Reimen und in Prosa vornehmlich geschichtliche Gegenstände behandelte («Chronique des ducs de Bourgogne», 1419-70, «Épitaphes d'Hector» u. s. w.). Ihm schließt sich der Verskünstler Jean Molinet (gest. 1507) aus Valenciennes an, Lobredner des Hauses Burgund und Österreich, [* 12] Verfasser von geistlichen, satir. und histor.
Gedichten («Éloges», «Complaintes»,
«Chapelet des dames»
u. s. w.). Natürliche
Begabung, Herrschaft über die Sprache,
[* 13] Gefühl für Harmonie und Tonfall besaß Jean Le Maire aus Belges (1473-1548), der letzte
und bedeutendste Dichter aus Burgund. Er diente Margarete von Österreich, schrieb im Sinne der Politik
Ludwigs XII. von Frankreich und begründete seinen Ruhm durch das umfängliche Geschichtswerk «Illustration des Gaules». Als
geistvoller Novellist glänzte 1450-60 am burgund.
Hofe Antoine de la Sale (1398-1461),
der den Ritterroman auf den Boden der Wirklichkeit zurückführt und in der «Hystoyre et
plaisante cronicque du petit Jehan de Saintré» (1459) zugleich das ritterliche Ideal seiner Zeit
schildert. Auch die «Cent nouvelles nouvelles», hundert einfache, teils originale, teils aus Poggio, Boccaccio und den Fabliaux
entlehnte Geschichten, 1456-61 in Brabant entstanden, sollen von Antoine de la Sale redigiert oder verfaßt sein. (Vgl. Cent nouvelles nouvelles,
hg. von Th. Wright, 2 Bde., Par. 1858: Jehan de Saintré, hg. von Guichard, ebd. 1843.) Eine Satire gegen
den Ehestand: «Les quinze joyes de mariage» (Parodie auf die mittelalterlichen «Joyes de Nostre-Dame»
),
ging um 1450 ans der Feder desselben Schriftstellers hervor. (Vgl. Quinze joyes de mariage, hg. von Janet, Par. 1853.) Verwandten Geistes sind auch die Entscheidungen in Sachen der Minne («Arrests d'amour») des Pariser Prokurators Martial d'Auvergne, eine Schrift, die bis zur Mitte des 16. Jahrh. sich größter Verbreitung und höchster Wertschätzung erfreute. Im eigentlichen Frankreich, am Hofe Karls VIII., der Anna von Bretagne und Ludwigs XII., folgen dann die Dichter den Spuren ihrer burgund. Meister: Meschinot (gest. 1491), Chrétien aus Paris (gest. 1525), Octavien de Saint-Gelais, Gringore und der letzte vielschreibende Vertreter der Rhetorik, Jean Bouchet (gest. um 1550). Die bürgerliche Satire dieses Zeitraums findet in den volkstümlichem Schriften Coquillarts ihren Ausdruck. - Überhaupt verstummt die volkstümliche Dichtung jetzt nicht.
Polit. und Liebeslieder, frei von den Unarten des höhern Stils, von wahrer Empfindung und natürlichem Ausdruck, sind in größerer Anzahl aus dieser Periode erhalten. (Vgl. G. Paris, (Chansons du XVe siècle, Par. 1875; Mor. Haupt, Franz. Volkslieder, Lpz. 1877.) Auch der Pariser Dichter François de Montcorbier, genannt Villon (1431 bis etwa 1461), ist ein echtes Talent von ursprünglicher Frische, dessen ungesuchte poet. Beredsamkeit in den Herzen seines Volks Widerhall fand. - Ihren populären Charakter bewahrte sich auch die Bühne. Die Blüte [* 14] der Mysteriendichtung ist vorüber, aber es werden doch noch neue Stücke geschrieben, wie «La destruction de Troye la grant» (neu hg. von Stengel, [* 15] Marb. 1883) von Jacques Miller (1425-66) aus Paris, worin (um 1452) der mittelalterliche Trojaroman dramatisiert ist, das «Mystère de Saint Didier» (1482 zu Langres aufgeführt) von ¶