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eigentlich dramatischen, nachdem die objektive und subjektive Richtung in der epischen und lyrischen Form jede für sich so durchgebildet waren, daß eine Verschmelzung beider in der dramatischen möglich war. So waren zunächst kleine liturgische Dramen entstanden, als Weihnachts- und Osterspiele in lat. Sprache [* 2] von Geistlichen zur Feier der Geburt und der Auferstehung des Erlösers gespielt, die allmählich franz. Sätze aufnahmen, ihren liturgischen Charakter abstreiften, vollständig zur Volkssprache übergingen und dann nicht mehr in, sondern seit Mitte des 12. Jahrh. vor der Kirche von Laien gespielt wurden.
Von einfachster Gestalt ist das franz.-lat. Spiel von den klugen und thörichten Jungfrauen aus dem Anfang des 12. Jahrh. (hg. von E. Böhmer in dessen «Roman. Studien», Bd. 4, Bonn [* 3] 1879); rein französisch ist bereits das dem 12. Jahrh. noch angehörende geistliche Schauspiel «Adam» (hg. von Graß, Halle [* 4] 1891) und das aus dem 13. Jahrh. stammende Fragment «La résurrection du Sauveur»; von den Miracles (d. h. dramatisierten Heiligenlegenden) ist das «Jeu de Saint [* 5] Nicolas von Jehan Bodel aus Arras, [* 6] um 1200, das älteste, das in seinen eingestreuten komischen Episoden, die hier einen breiten Raum einnehmen, schon die Keime zum heitern weltlichen Schauspiel enthält. (Vgl. Petit de Julleville, Les mystères, 2 Bde., Par. 1886.)
Als ältestes geschichtliches Prosawerk, das in franz. Sprache geschrieben ist, verdient die «Conqueste de Constantinople» von Villehardouin hervorgehoben zu werden.
3) Von der Regierung Ludwigs IX. bis zur Thronbesteigung der Valois (ungefähr 1230-1330). Seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrh. hat der ritterlich-abenteuerliche und volkstümlich-epische Geist in der sich ausgelebt. Das Bürgertum, unter dem Schutze eines starken Königtums neben dem Rittertum zu einer Macht geworden, erstreckt jetzt auch seinen Einfluß auf den in der Dichtung wirkenden Geist. Von der geistlichen Wissenschaft (Scholastik) und Poesie entlehnen bürgerliche Poeten die Allegorie und den Hang zum spitzfindigen Grübeln, der sich mit der dem dritten Stande eigentümlichen Neigung zur Satire gern verbindet.
Die Reflexionspoesie beherrscht den litterar. Markt: die Quellen der Inspiration für das nationale und ritterliche Heldentum sind verschüttet, das allegorisch-satir. und allegorisch-moralisierende Epos tritt auf den Plan. Das erfolgreichste litterar. Erzeugnis des franz. Mittelalters entsteht in dieser Epoche: der «Roman de la Rose», der bis tief ins 16. Jahrh. sein Ansehen als klassisches Werk behauptet hat. Dieses Gedicht, von Guillaume de Lorris um 1237 begonnen und von Jean de Meung, genannt Clopinel, um 1280 beendet, ist der ersten Anlage nach eine zarte allegorische Liebesgeschichte, die aber von dem zweiten Dichter zu einem von scharfer Satire und cynischen Wendungen erfüllten allgemeinen Zeitbilde ausgedehnt wird («Le [* 7] roman de la Rose», hg. von Fr. Michel, 2 Bde., Par. 1864). Seit dem beispiellosen Erfolg des Rosenromans wurde die Vision eine beliebte poet.
Einkleidungsform und die Allegorie ein bevorzugtes Darstellungsmittel. Es entstand eine allegorische moralisierende Bearbeitung der Metamarphosen (vor 1305, von Chrétien Legouais, «Les métamorphoses d'Ovide moralisées»),
eine «Allégorie sur les membres du corps humain» u. a. In «Renart le nouvel» von Jacques Gelée (1288) wird das Tierepos allegorisch zu moralisierenden Zwecken behandelt, im «Roman de Fauvel», von François de Rues, eine polit.-satir. Schrift gegen die Tempelherren in das Gewand der Allegorie gehüllt. Den lehrhaften Zug, der durch die franz. Dichtung ging, bezeugen auch die verschiedenen gereimten Encyklopädien, die in diesem Jahrhundert entstanden, so die «Image du monde» (um 1245) des Gautier von Metz [* 8] und der «Trésor» des Florentiners Brunetto Latini (um 1270).
Die eigentliche epische Dichtung ist unfruchtbar geworden. Neuschöpfungen in der volkstümlichen Richtung entstehen zur Ausfüllung von Lücken in den einzelnen epischen Kreisen. Sonst beschäftigt man sich damit, alte Chansons de geste im Geschmacke der Zeit umzuarbeiten und auszuweiten (Remaniements). Diese Neubearbeitungen sind bestimmt, gelesen zu werden. Ein geschickter Nachahmer der alten Heldenlieder ist Adenès li Rois, der um 1270 «Berte aux grans piés», «Beuvon de Comarchis» u. a. schrieb; sein Schüler Girart d'Amiens kompilierte um 1300 einen «Charlemagne» (Jugendgeschichte Karls d. Gr.) in Alexandrinern.
Adenès verfaßte auch ein Epos in höfischem Stil: «Cléomadès», und Philippe de Remi die beiden Versromane «La manekine» (ein byzant. Stoff) und «Jehan de Dammartin» (1270-80). Einen «Roman de Mahomet» schrieb (1258) Alexandre du Pont zu Laon. Auch die Prosa kommt jetzt auf diesem Gebiete zur Geltung. Bereits zwischen 1250 und 1300 schrieb Baudouin Butors Romane aus dem Artuskreise in Prosa um, und die berühmtesten Heldenlieder, Roland, Fierabras u. s. w., wurden prosaisch gefaßt.
Dasselbe Schicksal traf alte Verslegenden (Brandan) und andere epische Dichtungen früherer Zeit. Neue Dichtungen in Prosa aus dieser Zeit sind die «Palamides» («Guiron li courtois») von Elie, die Kompilation der Geschichten des Artussagenkreises von Rusticien von Pisa [* 9] (um 1270),
die Novelle von König Flore und Belle Jehanne und der Roman von der Comtesse de Ponthieu. Bei dieser Bevorzugung der ungebundenen Rede werden die gereimten Chroniken seltener; zu erwähnen ist die «Chronique rimée» des Philippe Mousket (aus Tournai),
die Geschichte Frankreichs bis 1243 behandelnd, und aus späterer Zeit des Guillaume Guiart (von Orléans) [* 10] «Branche des royaux lignages» (die Jahre 1165-1306 umfassend). Dagegen waren die berühmten «Chroniques de Saint-Denis» seit dem 12. Jahrh. in Prosa geschrieben. Die Zeit von 1180 bis 1260 behandelt eine interessante Prosachronik von Reims. [* 11] Die höchste Stelle gebührt aber dem Memoirenwerke des Herrn von Joinville, der eine «Histoire de Saint Louis» schrieb (verfaßt 1305-9). Auch Marco Polo aus Venedig [* 12] schrieb seine Reiseerlebnisse während seiner Gefangenschaft in Genua [* 13] (1296-98) in franz. Sprache.
Der Minnesang verstummt an den Fürstenhöfen und findet jetzt seine Pflege durch bürgerliche Dichter in den Städten des nordöstl. Frankreichs. Hier entstehen die «Puys», poet. Gesellschaften, in denen ursprünglich Lieder zu Ehren der Jungfrau Maria in dichterischen Wettkämpfen vorgetragen wurden, später auch die weltliche Lyrik Eingang fand. Adam de la Halle (1235-88) aus Arras ist der hervorragendste Vertreter der bürgerlichen Minnedichtung. Neben ihm ist als Vertreter der Pariser Poesie Rustebeuf (gest. um 1280) zu nennen, dessen in der Form halb volkstümliche Gedichte einen scharfen polemisch-satir. Zug haben und in ¶
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den Kämpfen zwischen der Kirche und Pariser Universität Partei nehmen. Auch der Spielmann Colin Muset gehört in diesen Kreis [* 15] bürgerlicher Sänger.
Große Bedeutung gewannen schon in diesem Zeitraum die dramatischen Aufführungen; doch ist von den geistlichen Schauspielen nur eins, das «Miracle de Théophile» (von Justebeuf), erhalten. Wichtig ist, daß nun auch neben dem religiösen Stücke selbständige weltliche Stücke von heiterm Charakter erscheinen. Zwei Gesellschaften, die Innung der Pariser Prokuratorenschreiber (die Basoche, s. d.) und die Puys begründen die komische Bühne. Aus dem Repertoire der letztern sind einige dramat. Scenen aus dem bürgerlichen Leben, das «Jeu de la feuillée» (von Adam de la Halle),
aufgeführt 1264, erhalten und ein Schauspiel «Robin und Marion» desselben Verfassers. Die Basoche spielte an ihren Festtagen seit Beginn des 14. Jahrh. lustige Scenen aus dem Gerichtsleben und kleine in dramat. Form gebrachte Schwänke aus dem Leben des untern Bürgerstandes. So entstanden die Farcen (Schwänke oder Possen), von denen jedoch keine erhalten ist.
4) Das Jahrhundert der französisch-englischen Kriege (etwa 1330-1450). Dieser Zeitraum steht in litterar. Beziehung noch vielfach unter den Einwirkungen der allegorisierenden Dichtung. Zugleich ist aber das bezeichnendste für die schriftstellerischen Erzeugnisse ein polit.-histor. Zug. Unter den Geschichtswerken, die wie die «Chronique anonyme des quatre premiers Valois» (1327-93),
die Chronik von Jean Le Bel aus Lüttich [* 16] (1326-61) die Ereignisse des 14. Jahrh. behandeln, erscheinen die «Chroniques de France, d'Angleterre, d'Écosse, d'Espagne et de Bretagne» (1326-1400), von Jean Froissart, als das Bedeutendste überhaupt, was die dieser Periode aufzuweisen hat. Weniger hervorragend ist Monstrelets Fortsetzung (1400-44) von Froissarts Geschichtsmemoiren. Die Kriege mit den Engländern riefen auch Anläufe zur epischen Behandlung von Zeitereignißen hervor, doch der Mangel poet.
Sinnes und die Anwendung der verlebten Formen der alten Heldendichtung waren dem Epos nicht günstig. Der «Combat des trente» (1351) ist von ritterlich-vaterländischem Geiste erfüllt, das gutgemeinte lange Gedicht auf Duguesclin (um 1380) von Cuvelier zeigt das poet. Unvermögen, ebenso die «Geste de Liège» und die «Geste des Bourguignons» (Anfang des 15. Jahrh.), die letzten Versuche in der einreimigen Tirade der Chanson de geste. Das patriotische Lied findet seinen Vertreter in dem Walkmüller Olivier Basselin, der, nach der Überlieferung, von den Engländern 1450 bei Formigny getötet wurde.
Von lyrischer Art ist auch das «Dittié» zum Lobe der Jeanne d'Arc, ein warm empfundenes Triumphlied von Christine de Pisan. Als episches Erzeugnis gehört auch hierher der umfangreiche Prosaroman «Perceforest», ein breitspuriges Lehrbuch der Ritterlichkeit, das eine abenteuerreiche Erzählung mit reicher Fülle antiquarischen, heraldischen Wissens und eine Darstellung feiner Lebensart verbindet. Die beliebteste feststehende poet. Form des Zeitalters ist die Ballade, daneben der ähnlich gebaute Chant royal und das Rondel.
Die Ballade, obgleich ursprünglich Liedform, wird auch zu lehrhaft trocknen Auseinandersetzungen benutzt. Guillaume de Machault (etwa 1290-1377) hat allein gegen 200 Balladen geschrieben (vgl. Académie des Inscriptions et belles-lettres, Bd. 20), doch wurde sein Dichterruhm bald verdunkelt durch den vielseitigen Verskünstler Eustache Deschamps (etwa 1340-1410), einen Beamten Karls VI., der mehr als 80000 Verse (darunter 1200 Balladen, 170 Rondels und eine Poetik) verfaßt hat. (Vgl. Eust. Deschamps, ?uvres complètes, hg. von Le Queux de Saint Hilaire, Bd. 1-6, Par. 1874-90.) Das anmutigste Balladenwerk ist das dem Marschall Bouciquaut (um 1390) zugeschriebene «Livre des cent ballades», das eine in eine Erzählung eingerahmte höfische Minnelehre enthält.
Die seit der letzten Hälfte des 14. Jahrh. am franz. Königshofe heimische Dichtkunst bleibt nüchtern, gelehrt und schwerfällig. Christine de Pisan (1363-1431) und Alain Chartier (1390-1433) behandeln die Verhältnisse des Staats-, Hof- und Kriegslebens in lehrhafter Weise. Der letztere ist ein guter Patriot und ein Mann auch von praktischer Lebensweisheit. In seinen Jugendgedichten hat er der Minne seinen Zoll entrichtet. Doch erscheinen seine und Froissarts Liebesdichtungen erkünstelt und ohne Geschmack im Vergleich zu den Versen (Balladen, Chansons, Rondels) des Herzogs Karl von Orléans (1391-1465). - Von allen litterar.
Gattungen gewinnt jetzt das mittelalterliche Schauspiel die höchste Geltung im öffentlichen Leben der Franzosen. Aus dem 14. Jahrh. sind über 40 Mirakelspiele überliefert (vgl. Paris [* 17] und Robert, Miracles de Nostre Dame par personnages, Bd. 1-7, Par. 1876-85), in denen meist Marienwunder dramatisiert sind. Um 1395 ist auch das «Histoire de Griselidis» betitelte Schauspiel entstanden. Seit Beginn des 15. Jahrh. beherrschen die «Mystères» (ein Name, der jetzt gebräuchlich wird, und mit dem man vorzugsweise die dramat. Behandlung biblischer Stoffe bezeichnet) die religiöse Volksbühne.
Dergleichen Stoffe werden mit großem Aufwand in Scene gesetzt. In Paris hat seit 1402 eine Bruderschaft, die «Confrérie de la passion» (s. d.), das Vorrecht für die Veranstaltung geistlicher Spiele erhalten. Unter den erhaltenen Mysterien, die ganze Cyklen, wie den des Alten Testaments, den des Neuen Testaments umfassen, ist das berühmteste das Mystère vom Leben Christi von Arnoul Greban (etwa 1420-60) und «Les actes des apostres» von Simon Greban. Interessant, weil ein Thema aus der Zeitgeschichte behandelnd, ist das «Mystère du siège d'Orléans» (um 1440; vgl. Französische Guessard und E. de Certain, Le mystère du siège d'Orléans, Par. 1862). Gleichzeitig hat auch die Verbindung der Allegorie mit dem Volksschauspiel zwei neue Formen des weltlichen Dramas ins Leben gerufen, die «Moralité» und die «Sottie».
Beide Formen sind von ausgesprochen satir. Richtung. Die Moralités, deren älteste erhaltene (entstanden um 1440) die «Farce de la Pippée» ist, sind vielleicht von der Basoche zuerst aufgebracht worden, als diese, nachdem der Passionsbruderschaft für geistliche Aufführungen ein Privileg erteilt worden, durch die Einführung einer neuen Art Schauspiel ihren Darstellungen neue Anziehungskraft geben wollte. Die Moralitäten verfolgen einen moralischen Zweck, indem sie entweder Tugenden und Laster personifizieren, oder auch in einer Mischung von allegorischen oder wirklichen Personen ein geschichtliches Ereignis oder eine Parabel [* 18] mit moralischer Nutzanwendung in Handlung umsetzen. Das komische Gegenstück zur Moralité ist das Narrenspiel, die «Sottie» (vgl. E. Picot, La sottie en France, Romania, Bd. 7). Diese ist höchst ¶