Kunst, jene Kunst, welche sich seit der Verschmelzung der Franken mit den im alten Gallien ansässigen
roman. Kelten sowie mit den Romanen der südl. Lande zu einer Nation entwickelte, im weitern Sinne aber alle auf dem
Boden des heutigen Frankreichs entstandene Kunst. (Hierzu die Tafeln: Französische Kunst I-VI.)
1) Baukunst. Die Menhir (s. d.) und Dolmen (s. d.), welche sich in Frankreich in nicht geringer Anzahl finden, gehören einer
vorgeschichtlichen Zeit an. Mit dem Eintritt in den röm. Interessenkreis und mit der Unterwerfung
durch Cäsar wurde Frankreich dem antiken Bauwesen zugeführt, welches in allen Teilen des Landes, sowohl
im Süden (Maison carrée, ein korinth. Tempel von vorzüglicher Erhaltung, zu Nîmes) als im Norden (Triumphthor zu Reims) monumentale
Werke hinterließ.
Erst mit der beginnenden Befestigung des nationalen Königtums im frühen Mittelalter erscheint eine selbständige Architektur
des romanischen Stils, die sich aber ganz wesentlich nach den einzelnen Landesgebieten unterscheidet.
Im
südl. Frankreich wird im 12. Jahrh. die Überwölbung der Bauten durch die Tonne angestrebt, sodaß diese über den Mittelschiffen
der basilikalen Kirchenanlagen ruht, während zwei Halbtonnen strebbogenartig die Seitenschiffe überdecken.
Das Detail zeigt noch deutlich den Zusammenhang mit der Antike, soweit dies die ungeübte Meißelführung
und die technische Unsicherheit gestatteten. Die Kathedrale zu Avignon, die Kirchen zu St. Gilles, St. Trophime zu Arles zeigen
diese Anlage in fortschreitender Entwicklung; St. Sernin zu Toulouse, die Abteikirche zu Conques und Notre-Dame du Pont zu Clermont
stellen die Vollendung dieser strengen, wuchtigen Kunstrichtung dar, welche sogar dort, wo albigensische
Einflüsse sich geltend machten, in ihrer Formeneinfachheit vor schlichten, tonnengewölbten Saalbauten (Kathedrale zu Toulouse,
Béziers u. a.) nicht zurückschreckte.
Höher noch entwickelte sich die Baukunst in Burgund unter dem Einfluß der Cistercienser und Cluniacenser. Während die erstern
die Veranlassung gaben, daß fast alle Cistercienserkirchen gewisse von der strengen Regel geforderte
Eigentümlichkeiten: die schlichte Größe, den geraden Chorabschluß, den Mangel an Türmen übernahmen, wurden durch die Cluniacenser
die mit Kapellen und Umgängen versebenen reichen Chorhäupter, welche im nördl. Frankreich zuerst in Anwendung kamen, für
die ganze christl. Baukunst auf lange Zeit vorbildlich.
Schon in der neuerlich ausgegrabenen Grabeskirche des heil. Martin zu Tours (472 geweiht) zeigt sich eine
solche Chorentwicklung. Im westl. Frankreich bildeten sich Kuppelkirchen heraus, welche jenen der Byzantinischen Kunst (s. d.)
nahe verwandt sind. Beispiele sind die Kathedralen zu Cahors (Ende des 11. Jahrh.) und Angoulême (12. Jahrh.). Das vollendetste,
überhaupt eins der raumschönsten Werke ist St. Front zu Perigueux, dessen Anordnung und Maße mit der
Markuskirche zu Venedig übereinstimmen. In der Normandie endlich bildete sich ein Bausystem von strenger Gesetzmäßigkeit,
einfacher klarer Grundanlage aus, welches die Kreuzgewölbe mit der Basilika in innigen Zusammenhang brachte, den Turmbau
stattlich bedachte und in der Ornamentation jene Linienspiele und Rankenwerke nicht vergaß, welche die
Eigentümlichkeit der nordischen Frühzeit sind. Die Kirche St. Etienne (s. Taf. II,
Fig. 3) und die Dreifaltigkeitskirche
zu Caen dürfen als Beispiele normann.
Kunst des 11. Jahrh. und als Vorbilder für die mit Wilhelm dem Eroberer über den Kanal schreitenden engl. Kunstart
gelten. Im mittlern Frankreich beginnt sich früh das System des Gotischen Stils (s. d.) auszubilden, welches hier seine eigentliche
Wiege hat. Die 1144 geweihte Kirche von St. Denis bei Paris zeigt zuerst das Strebesystem mit dem Spitzbogen und den reich entwickelten
Chorabschluß, also die entscheidenden Merkmale franz. Frühgotik. Die Kirche St. Remi zu Reims, die Kathedralen
von Paris (s. den Grundriß Taf. II,
Fig. 13,
und Tafel: Pariser Bauten,
Fig. 1, beim Artikel Paris), Laon (s. das Kapital Taf. I,
Fig. 7), Bourges, entwickeln diese in der
glanzvollsten Weise fort, sodaß mit dem beginnenden 13. Jahrh. die Gotik ihre herrlichsten Werke in Angriff
nehmen konnte. Die Kathedralen zu Chartres (1195-1260; s. Taf. I,
Fig. 2, und den Grundriß
Taf. II,
Fig. 14), Reims (1212 begonnen; s. Taf.
I,
Fig. 4 u. 6), Amiens (1220-88; s. Taf. I,
Fig. 1 u. 3), Beauvais, die Samte Chapelle zu Paris (1243-51; s. Taf. II,
Fig. 5) zeigen in fortschreitender Verfeinerung die got. Kunst auf ihrer
höchsten Höhe sowohl in kraftvollem Ausdruck ihrer Baugedanken als in monumentaler Größe und stilistischer Vollendung.
Die Grundrisse erhalten bis zu fünf Schiffe, das Chorhaupt wird in einen Kranz von Kapellen aufgelöst, die
mehr
Querschiffgiebel und namentlich die Westansicht erhalten die prunkvollste Ausstattung, während in der Regel zwei Türme dem
Streben nach aufsteigender Formenentwicklung entsprechend emporragen. Die Bauschulen des mittlern Frankreich, namentlich der
Franche-Comté sowie jene Burgunds erlangten durch diese großartigen Leistungen im 13. Jahrh. eine weltbeherrschende
Stellung, sodaß allerorten Kirchen nach franz. Vorbild dort gotisch, hier romanisch erbaut wurden.
Die Normandie nahm die got. Anregungen früh auf, wie dies die Kathedralen zu Rouen (1200-80), Le Mans, Tours u. a. beweisen;
der Süden folgte ihnen ebenso, indem er in den Kathedralen von Auxerre, Lyon, Clermont-Ferrand, Limoges, Narbonne glänzende,
sowohl technisch wie künstlerisch bedeutende Werke zur Erscheinung brachte. Im 14. Jahrh.,
während des Exils der Päpste in Avignon, sammelten sich dort abermals die künstlerischen Kräfte, um in den Kathedralen
von Albi, Toulouse u. a. großraumige, mit zahlreichen Kapellen umgebene, fein gegliederte Bauten
zu schaffen, die sowohl auf Spanien (Barcelona, Gerona) als auf Deutschland (Prag u. a.) entscheidenden Einfluß
gewannen. In kühner Meißelfertigkeit und feinem Schmucksinn sind sie verwandt mit den nordfranz. Kathedralen jener Zeit:
St. Ouen zu Rouen, St. Urbain zu Troyes, Notre-Dame de l'Epine zu Châlons-sur-Marne, Meaux u. a., in welchen das System der
Gotik meisterhaft, aber oft schon bis zur Spitzfindigkeit verfeinert zu seinen letzten Zielen geführt
wurde.
Die Spätgotik hat es nur zu wenigen eigenen Bauwerken größerer Anlage gebracht. Auch sie suchte wie in andern Ländern ein
reicheres Spiel der Linien (Flamboyant, s. d.), die Auflösung der Mauermassen in tragende und stützende Glieder, die Umspinnung
mit reichster Ornamentation hervorzuheben sind: die Thore von Notre-Dame zu Rouen, die Kathedrale zu Beauvais,
die Kirchen St. Maclou zu Rouen, Notre-Dame de Brou zu Bourg. Von hoher Bedeutung sind namentlich die Werke des Profanbaues,
das mächtige Schloß der Päpste zu Avignon, jenes zu Pierrefonds, zu Tarascon, das Louvre zu Paris, der Justizpalast zu Rouen
(s. Taf. II,
Fig. 2), die Schlösser Meillant, Chaumont u. a. Die Häuser des Jacques Coeur zu Bourges
(s. Taf. I,
Fig. 5)), de la Trémouille und Cluny zu Paris zeigen eine fortschreitende Umgestaltung vom finstern festungsartigen
Charakter zu freier Heiterkeit und offener Wohnlichkeit.
Mit dem Ende des 15. Jahrh. begann die Renaissance in Frankreich Boden zu fassen und zwar gerade im Profanbau.
An Schlössern wie Ambroise, Gaillon, Palästen wie jener der Herzöge zu Nancy begegnet man zum erstenmal antiken Gebilden
meist ausschließlich ornamentaler Art, welche die got. Konstruktion umhüllen. Unter König Franz I. erlangte dann der Frührenaissancestil
(Style François premier) seine Vollendung, der zwar noch vorzugsweise dekorativ ist, sich aber durch
die edle Vornehmheit seiner Einzelformen, durch die feine durchgebildete und gedankenreiche Ornamentation auszeichnet. Die
Königsschlösser Blois (s. Taf. II,
Fig. 15), Chambord, Madrid bei Paris, Fontainebleau, St. Germain-en-Laye, Villers-Cotterets,
Folembray sowie das Stadthaus zu Beaugency (s. Taf. II,
Fig. 9) und das sog.
Haus Franz' I. in Orléans (s. das Kapitäl Taf. II,
Fig. 10)
sind Merkmale dieses Stils sowie der Bauleidenschaft, welche diesen Herrscher beseelte.
Zahlreiche Herrensitze, darunter Chantilly,
Châteaudun, Beauregard, Bournazel sowie städtische Gebäude bekunden, daß er in dieser Leidenschaft zu seiner Zeit nicht
allein stand. Der Kirchenbau dagegen kam der Profankunst an Bedeutung nicht annähernd gleich; hervorzuheben
sind hier z. B. die Chorkapellen der Kirche St. Pierre zu Caen (s. Taf. II,
Fig. 4).
Unter den letzten Valois erhielt die franz. Architektur eine strengere formale Ausbildung. Die Architekten Lescot, De l'Orme,
Du Cerceau u. a. waren es, welche mit feinem Formensinn die antiken Säulenordnungen für
den franz. Geschmack, zum Teil mit Absichtlichkeit, ummodelten und in veränderter Gestalt an ihren Bauten verwendeten. Das
Louvre (s. Taf. II,
Fig. 11) und die Tuilerien zu Paris, die königl. Schlösser Anet, St. Maur und Ecouen sowie zahlreiche,
von den Großen errichtete Bauten sind in dieser Zeit mit großem Verständnis für farbige Materialwirkung,
mit steigender Sicherheit in den architektonischen Formen geschaffen und mit vorzüglichen Innenausstattungen versehen worden.
Unter König Ludwig XIII. beginnt die Hochrenaissance, geschult durch Theoretiker und durch den wachsenden Einfluß Italiens,
immer mehr einzugreifen, indem die Formen voller, gedrungener, üppiger werden (Style Louis-treize), bis durch Maria von Medici
und ihren Architekten Debrosse (Palais Luxembourg, s. d.) die Barockschule von Florenz nach Paris übertragen und namentlich
von den Jesuiten (St. Louis-St.
Paul zu Paris) gepflegt wurde.
Mit dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. beginnen die Kämpfe zwischen dem Barock Italiens und der Niederlande einerseits und dem
nationalen Klassicismus andererseits. Die erstere Richtung erhält zunächst unter der Kunstherrschaft
des Malers Lebrun den Sieg: Bernini wird nach Paris berufen, um den Louvrebau zu leiten. Lebrun und seine Genossen selbst schaffen
im Hôtel Lambert-de-Thorigny, Lepautre im Schloß St. Cloud Malereien von hoher Pracht, die jedoch der italienischen gegenüber
immer noch gemäßigt ist.
Aber den franz. Architekten François Mansart, Leveau ^[heutige Schreibung: Le Vau], Perrault, Blondel gelang
es durch systematische Ausbildung der Kunstregeln des Bauens, sowie durch die jene Kunstregeln feststellende und in Achtung
erhaltende Bauakademie, welche 1671 in Paris gegründet wurde, gegen das Barock zunächst das Feld zu behaupten und sowohl im
Innern wie im Äußern die klassische Strenge beizubehalten. Die Schlösser Maisons-sur-Seine und Blois
von Mansart, Veaux le Vicomte ^[heutige Schreibung: Vaux-le-Vicomte] und Versailles von Leveau ^[heutige Schreibung: Le Vau],
die Façade des Louvre zu Paris von Perrault und zahlreiche Hotels in und um Paris, die Kirchen Val de Grâce von Mansart und Lemercier,
des Quatres Nations von d'Orbay geben Beweise der strengern Richtung, während Lebrun und seine Schule in der Einrichtung von
Versailles, des Apollosaales im Louvre u. a. seine Hinneigung für Italien (für Pietro da Cortona) bekundete (Style Louis-quatorze).
Mit dem Tode Ludwigs XIV., während der Regentschaft (Style Régence), begann die vom Hofe zurückgehaltene
barocke Richtung, jedoch zu einem reizvollen Rokoko gemildert, sich wieder geltend zu machen. Zwar widerstand die von der
Akademie geleitete Schule in der Außenarchitektur, welche selbst während der Regierung Ludwigs XV. (Style Louis-quinze) klassische
Formen verwendete. Hardouin-Mansart,