Kunst, jene Kunst, welche sich seit der Verschmelzung der
Franken mit den im alten
Gallien ansässigen
roman.
Kelten sowie mit den
Romanen der südl.
Lande zu einer Nation entwickelte, im weitern
Sinne aber alle auf dem
Boden des heutigen
Frankreichs entstandene Kunst. (Hierzu die
Tafeln: Französische Kunst I-VI.)
1)
Baukunst.
[* 8] Die
Menhir (s. d.) und
Dolmen (s. d.), welche sich in
Frankreich in nicht geringer Anzahl finden, gehören einer
vorgeschichtlichen Zeit an. Mit dem Eintritt in den röm. Interessenkreis und mit der Unterwerfung
durch
Cäsar wurdeFrankreich dem antiken Bauwesen zugeführt, welches in allen
Teilen des
Landes, sowohl
im
Süden
(Maison carrée, ein korinth.
Tempel
[* 9] von vorzüglicher
Erhaltung, zu Nîmes) als im Norden
[* 10] (Triumphthor zu Reims)
[* 11] monumentale
Werke hinterließ.
Erst mit der beginnenden Befestigung des nationalen Königtums im frühen Mittelalter erscheint eine selbständige
Architektur
des romanischenStils, die sich aber ganz wesentlich nach den einzelnen Landesgebieten unterscheidet.
Im
südl.
Frankreich wird im 12. Jahrh. die Überwölbung der Bauten durch die
Tonne angestrebt, sodaß diese über den Mittelschiffen
der basilikalen Kirchenanlagen ruht, während zwei Halbtonnen strebbogenartig die Seitenschiffe überdecken.
Das
Detail zeigt noch deutlich den Zusammenhang mit der
Antike, soweit dies die ungeübte Meißelführung
und die technische Unsicherheit gestatteten. Die
Kathedrale zu
Avignon, die
Kirchen zu St.
Gilles, St. Trophime zu
Arles zeigen
diese
Anlage in fortschreitender
Entwicklung; St. Sernin zu
Toulouse,
[* 12] die Abteikirche zu Conques und
Notre-Dame du Pont zu Clermont
stellen die Vollendung dieser strengen, wuchtigen Kunstrichtung dar, welche sogar dort, wo albigensische
Einflüsse sich geltend machten, in ihrer Formeneinfachheit vor schlichten, tonnengewölbten Saalbauten
(Kathedrale zu
Toulouse,
Béziers u. a.) nicht zurückschreckte.
Höher noch entwickelte sich die
Baukunst in
Burgund unter dem Einfluß der
Cistercienser und
Cluniacenser. Während die erstern
die Veranlassung gaben, daß fast alle Cistercienserkirchen gewisse von der strengen Regel geforderte
Eigentümlichkeiten: die schlichte
Größe, den geraden Chorabschluß, den
Mangel an
Türmen übernahmen, wurden durch die
Cluniacenser
die mit Kapellen und Umgängen versebenen reichen Chorhäupter, welche im nördl.
Frankreich zuerst in Anwendung kamen, für
die ganze christl.
Baukunst auf lange Zeit vorbildlich.
Schon in der neuerlich ausgegrabenen Grabeskirche des heil. Martin zu
Tours
[* 13] (472 geweiht) zeigt sich eine
solche Chorentwicklung. Im westl.
Frankreich bildeten sich Kuppelkirchen heraus, welche jenen der
Byzantinischen Kunst (s. d.)
nahe verwandt sind.
Beispiele sind die
Kathedralen zu
Cahors (Ende des 11. Jahrh.) und
Angoulême (12. Jahrh.). Das vollendetste,
überhaupt eins der raumschönsten Werke ist St. Front zu Perigueux, dessen
Anordnung und
Maße mit der
Markuskirche zu
Venedig
[* 14] übereinstimmen. In der
Normandie endlich bildete sich ein Bausystem von strenger Gesetzmäßigkeit,
einfacher klarer Grundanlage aus, welches die Kreuzgewölbe mit der
Basilika
[* 15] in innigen Zusammenhang brachte, den Turmbau
stattlich bedachte und in der Ornamentation jene Linienspiele und Rankenwerke nicht vergaß, welche die
Eigentümlichkeit der nordischen Frühzeit sind. Die
Kirche St. Etienne (s. Taf. II,
[* 1]
Fig. 3) und die Dreifaltigkeitskirche
zu
Caen dürfen als
Beispiele normann.
Kunst des 11. Jahrh. und als Vorbilder für die mit Wilhelm dem Eroberer über den
Kanal
[* 16] schreitenden engl. Kunstart
gelten. Im mittlern
Frankreich beginnt sich früh das
System des
GotischenStils (s. d.) auszubilden, welches hier seine eigentliche
Wiege hat. Die 1144 geweihte
Kirche von St.
Denis bei
Paris
[* 17] zeigt zuerst das Strebesystem mit dem
Spitzbogen und den reich entwickelten
Chorabschluß, also die entscheidenden
Merkmale franz. Frühgotik. Die
Kirche St. Remi zu Reims, die
Kathedralen
von
Paris (s. den Grundriß Taf. II,
[* 1]
Fig. 13,
und
Tafel:
Pariser Bauten,
[* 1]
Fig. 1, beim
ArtikelParis), Laon (s. das
Kapital Taf. I,
[* 1]
Fig. 7),
Bourges, entwickeln diese in der
glanzvollsten
Weise fort, sodaß mit dem beginnenden 13. Jahrh. die
Gotik ihre herrlichsten Werke in
Angriff
nehmen konnte. Die
Kathedralen zu Chartres (1195-1260; s. Taf. I,
[* 1]
Fig. 2, und den Grundriß
Taf. II,
[* 1]
Fig. 14), Reims (1212 begonnen; s. Taf.
I,
[* 1]
Fig. 4
u. 6),
Amiens
[* 18] (1220-88; s. Taf. I,
[* 1]
Fig. 1
u. 3),
Beauvais, die Samte Chapelle zu
Paris (1243-51; s. Taf. II,
[* 1]
Fig. 5) zeigen in fortschreitender Verfeinerung die got. Kunst auf ihrer
höchsten Höhe sowohl in kraftvollem
Ausdruck ihrer Baugedanken als in monumentaler
Größe und stilistischer Vollendung.
Die Grundrisse erhalten bis zu fünf Schiffe,
[* 19] das Chorhaupt wird in einen
Kranz von Kapellen aufgelöst, die
¶
mehr
Querschiffgiebel und namentlich die Westansicht erhalten die prunkvollste Ausstattung, während in der Regel zwei Türme dem
Streben nach aufsteigender Formenentwicklung entsprechend emporragen. Die Bauschulen des mittlern Frankreich, namentlich der
Franche-Comté sowie jene Burgunds erlangten durch diese großartigen Leistungen im 13. Jahrh. eine weltbeherrschende
Stellung, sodaß allerorten Kirchen nach franz. Vorbild dort gotisch, hier romanisch erbaut wurden.
Die Normandie nahm die got. Anregungen früh auf, wie dies die Kathedralen zu Rouen
[* 21] (1200-80), Le
[* 22] Mans,
[* 23] Tours u. a. beweisen;
der Süden folgte ihnen ebenso, indem er in den Kathedralen von Auxerre, Lyon,
[* 24] Clermont-Ferrand, Limoges, Narbonne glänzende,
sowohl technisch wie künstlerisch bedeutende Werke zur Erscheinung brachte. Im 14. Jahrh.,
während des Exils der Päpste in Avignon, sammelten sich dort abermals die künstlerischen Kräfte, um in den Kathedralen
von Albi, Toulouse u. a. großraumige, mit zahlreichen Kapellen umgebene, fein gegliederte Bauten
zu schaffen, die sowohl auf Spanien
[* 25] (Barcelona,
[* 26] Gerona) als auf Deutschland
[* 27] (Prag
[* 28] u. a.) entscheidenden Einfluß
gewannen. In kühner Meißelfertigkeit und feinem Schmucksinn sind sie verwandt mit den nordfranz. Kathedralen jener Zeit:
St. Ouen zu Rouen, St. Urbain zu Troyes, Notre-Dame de l'Epine zu Châlons-sur-Marne, Meaux u. a., in welchen das System der
Gotik meisterhaft, aber oft schon bis zur Spitzfindigkeit verfeinert zu seinen letzten Zielen geführt
wurde.
Die Spätgotik hat es nur zu wenigen eigenen Bauwerken größerer Anlage gebracht. Auch sie suchte wie in andern Ländern ein
reicheres Spiel der Linien (Flamboyant, s. d.), die Auflösung der Mauermassen in tragende und stützende Glieder,
[* 29] die Umspinnung
mit reichster Ornamentation hervorzuheben sind: die Thore von Notre-Dame zu Rouen, die Kathedrale zu Beauvais,
die Kirchen St. Maclou zu Rouen, Notre-Dame de Brou zu Bourg. Von hoher Bedeutung sind namentlich die Werke des Profanbaues,
das mächtige Schloß der Päpste zu Avignon, jenes zu Pierrefonds, zu Tarascon, das Louvre zu Paris, der Justizpalast zu Rouen
(s. Taf. II,
[* 20]
Fig. 2), die Schlösser Meillant, Chaumont u. a. Die Häuser des Jacques Coeur zu Bourges
(s. Taf. I,
[* 20]
Fig. 5)), de la Trémouille und Cluny zu Paris zeigen eine fortschreitende Umgestaltung vom finstern festungsartigen
Charakter zu freier Heiterkeit und offener Wohnlichkeit.
Mit dem Ende des 15. Jahrh. begann die Renaissance in FrankreichBoden zu fassen und zwar gerade im Profanbau.
An Schlössern wie Ambroise, Gaillon, Palästen wie jener der Herzöge zu Nancy begegnet man zum erstenmal antiken Gebilden
meist ausschließlich ornamentaler Art, welche die got. Konstruktion umhüllen. Unter König Franz I. erlangte dann der Frührenaissancestil
(Style François premier) seine Vollendung, der zwar noch vorzugsweise dekorativ ist, sich aber durch
die edle Vornehmheit seiner Einzelformen, durch die feine durchgebildete und gedankenreiche Ornamentation auszeichnet. Die
Königsschlösser Blois (s. Taf. II,
[* 20]
Fig. 15), Chambord, Madrid
[* 30] bei Paris, Fontainebleau, St. Germain-en-Laye, Villers-Cotterets,
Folembray sowie das Stadthaus zu Beaugency (s. Taf. II,
[* 20]
Fig. 9) und das sog.
Haus Franz' I. in Orléans
[* 31] (s. das Kapitäl Taf. II,
[* 20]
Fig. 10)
sind Merkmale dieses Stils sowie der Bauleidenschaft, welche diesen Herrscher beseelte.
Zahlreiche Herrensitze, darunter Chantilly,
Châteaudun, Beauregard, Bournazel sowie städtische Gebäude bekunden, daß er in dieser Leidenschaft zu seiner Zeit nicht
allein stand. Der Kirchenbau dagegen kam der Profankunst an Bedeutung nicht annähernd gleich; hervorzuheben
sind hier z. B. die Chorkapellen der Kirche St. Pierre zu Caen (s. Taf. II,
[* 20]
Fig. 4).
Unter den letzten Valois erhielt die franz. Architektur eine strengere formale Ausbildung. Die ArchitektenLescot, De l'Orme,
Du Cerceau u. a. waren es, welche mit feinem Formensinn die antiken Säulenordnungen für
den franz. Geschmack, zum Teil mit Absichtlichkeit, ummodelten und in veränderter Gestalt an ihren Bauten verwendeten. Das
Louvre (s. Taf. II,
[* 20]
Fig. 11) und die Tuilerien zu Paris, die königl. Schlösser Anet, St. Maur und Ecouen sowie zahlreiche,
von den Großen errichtete Bauten sind in dieser Zeit mit großem Verständnis für farbige Materialwirkung,
mit steigender Sicherheit in den architektonischen Formen geschaffen und mit vorzüglichen Innenausstattungen versehen worden.
Unter König Ludwig XIII. beginnt die Hochrenaissance, geschult durch Theoretiker und durch den wachsenden Einfluß Italiens,
[* 32] immer mehr einzugreifen, indem die Formen voller, gedrungener, üppiger werden (Style Louis-treize), bis durch Maria von Medici
und ihren Architekten Debrosse (Palais Luxembourg, s. d.) die Barockschule von Florenz
[* 33] nach Paris übertragen und namentlich
von den Jesuiten (St. Louis-St.
Paul zu Paris) gepflegt wurde.
Mit dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. beginnen die Kämpfe zwischen dem BarockItaliens und der Niederlande
[* 34] einerseits und dem
nationalen Klassicismus andererseits. Die erstere Richtung erhält zunächst unter der Kunstherrschaft
des Malers Lebrun den Sieg: Bernini wird nach Paris berufen, um den Louvrebau zu leiten. Lebrun und seine Genossen selbst schaffen
im Hôtel Lambert-de-Thorigny, Lepautre im Schloß St. Cloud Malereien von hoher Pracht, die jedoch der italienischen gegenüber
immer noch gemäßigt ist.
Aber den franz. Architekten François Mansart, Leveau ^[heutige Schreibung: Le Vau], Perrault, Blondel gelang
es durch systematische Ausbildung der Kunstregeln des Bauens, sowie durch die jene Kunstregeln feststellende und in Achtung
erhaltende Bauakademie, welche 1671 in Paris gegründet wurde, gegen das Barock zunächst das Feld zu behaupten und sowohl im
Innern wie im Äußern die klassische Strenge beizubehalten. Die Schlösser Maisons-sur-Seine und Blois
von Mansart, Veaux le Vicomte ^[heutige Schreibung: Vaux-le-Vicomte] und Versailles
[* 35] von Leveau ^[heutige Schreibung: Le Vau],
die Façade des Louvre zu Paris von Perrault und zahlreiche Hotels in und um Paris, die KirchenVal deGrâce von Mansart und Lemercier,
des Quatres Nations von d'Orbay geben Beweise der strengern Richtung, während Lebrun und seine Schule in der Einrichtung von
Versailles, des Apollosaales im Louvre u. a. seine Hinneigung für Italien
[* 36] (für Pietro da Cortona) bekundete (Style Louis-quatorze).
Mit dem TodeLudwigs XIV., während der Regentschaft (Style Régence), begann die vom Hofe zurückgehaltene
barocke Richtung, jedoch zu einem reizvollen Rokoko gemildert, sich wieder geltend zu machen. Zwar widerstand die von der
Akademie geleitete Schule in der Außenarchitektur, welche selbst während der Regierung Ludwigs XV. (Style Louis-quinze) klassische
Formen verwendete. Hardouin-Mansart,
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