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von langer Dauer zu sein, denn die Legitimisten betrieben leidenschaftlicher als je die Verschmelzung, hatten viele Orleanisten dafür gewonnen und formulierten bereits einen Antrag auf Zurückberufung des Grafen Chambord auf den Thron [* 2] seiner Väter. Da aber dieser in einem Briefe an Chesnelong vom 27. Okt. eine bedingungslose Zurückberufung verlangte und weder in der Fahnenfrage (ob Trikolore oder die weiße Fahne) noch in der Verfassungsfrage zum voraus eine bindende Erklärung abgeben wollte, so zogen sich die Orleanisten zurück. Dagegen verlangte nun Mac-Mahon die Herstellung einer starken Exekutive, und die Versammlung beschloß, die Dauer der Präsidentschaft auf sieben Jahre festzusetzen.
Unter dem Broglieschen Ministerium machten der Ultramontanismus und der Bonapartismus sehr bedeutende Fortschritte. Die Hirtenbriefe der franz. Bischöfe überboten sich in Angriffen auf die Person des Deutschen Kaisers und die Reichsregierung, sodaß der Kultusminister in einem Rundschreiben vom die Bischöfe zur Vorsicht ermahnte und Bismarck die franz. Regierung zur Rede stellte. Die Bonapartisten errangen bei den Ersatzwahlen mehrere günstige Erfolge und sahen sich im Besitze der meisten höhern Beamtenstellen. Nach dem erfolgten Tode des Exkaisers Napoleon scharten sie sich um dessen Sohn, der in Chiselhurst die Feier seiner Großjährigkeit beging. Sie agitierten namentlich unter dem niedern Volke und warteten die günstige Gelegenheit zu einem Staatsstreiche ab.
Inzwischen war Broglie gefallen. Nachdem er die Annahme des Mairegesetzes vom durchgesetzt hatte, wodurch die Ernennung der Bürgermeister vollständig in die Gewalt der Regierung gebracht ward, legte er noch ein höchst reaktionäres Senatsgesetz und ein das allgemeine Stimmrecht beschränkendes Gesetz für die Abgeordnetenwahlen vor. Doch bei der Frage, ob das Wahlgesetz sofort zur Beratung kommen solle, entschied die Versammlung gegen Broglie. Darauf nahm er seine Entlassung, und Kriegsminister Cissey bildete 22. Mai ein neues, gleichfalls den monarchischen Parteien entnommenes Kabinett.
Die Bevorzugung der Klerikalen und Bonapartisten dauerte fort. Bei der Beratung der Gesetze über die Übertragung der Gewalten und über die Wahl und die Befugnisse des Senats kam es endlich zur Entscheidung, indem das rechte und das linke Centrum der Nationalversammlung sich vereinigten und beiden Gesetzen in einer von der Regierungsvorlage abweichenden Fassung Febr. 1875 zur Annahme verhalfen. Das eine dieser Gesetze bestimmte das Verhältnis des Präsidenten der Republik, der auf sieben Jahre gewählt werden und wieder wählbar sein sollte, zum Senat und zur Abgeordnetenkammer; das andere setzte die Zahl der Senatoren auf 300 fest, wovon 75 von der Nationalversammlung auf Lebenszeit (und bei Todesfällen deren Nachfolger durch Kooptation vom Senat), 225 von den Departements und Kolonien durch deren Abgeordnete, General- und Arrondissementsräte und Gemeindevertreter auf neun Jahre gewählt werden sollten.
Auf diese Beschlüsse hin, die nicht zum Geringsten auch durch die Mäßigung der fortgeschrittenen Republikaner unter Gambetta ermöglicht worden waren, trat das Ministerium Cissey ab, und 11. März bildete Buffet, der seit Präsident der Nationalversammlung gewesen war, ein neues Kabinett. Darauf folgte 16. Juli die Annahme des Gesetzes über die Rechte der Kammern und des Präsidenten, 2. Aug. die des Wahlgesetzes für den Senat und 30. Nov. die des Gesetzes über die durch Arrondissementsabstimmung (nicht nach Listen) vorzunehmende Wahl der Abgeordneten. Die Wahl der von der Nationalversammlung zu erwählenden 75 Senatoren wurde vom 9. bis 21. Dez. in elf Abstimmungen vollzogen und hatte einen Sieg der Linken, also eine gänzliche Niederlage des Ministeriums Buffet zum Resultat.
Alles hing nun zunächst von den Neuwahlen in den Senat und die Abgeordnetenkammer ab. Sie fielen großenteils im Sinne der neuen Verfassung aus, sodaß von den 532 Abgeordneten etwa 360 als Republikaner, 170 als Monarchisten, darunter 80 als Bonapartisten galten. Im Senat hatten allerdings die Republikaner nicht die Mehrheit (149 von 300 Stimmen); aber auch die monarchistische Opposition hatte sie nicht (139), sodaß einer Gruppe des rechten Centrums die jeweilige Entscheidung zufiel.
Jedenfalls bedeuteten die Wahlen eine vollständige Niederlage der Reaktionäre, am allermeisten der Klerikalen und Buffets, der selbst in keine der beiden Kammern gewählt wurde. Er gab seine Entlassung ein, und 9. März wurde ein großenteils aus Männern des linken Centrums gebildetes Ministerium ernannt, dessen Chef Dufaure war. Am 7. März fand die Eröffnung der neuen Session statt, und am 13. wurden die definitiven Vorstände der beiden Kammern gewählt; im Senat Audiffret-Pasquier, in der Abgeordnetenkammer Grévy.
Die Republikaner verlangten von der Regierung zunächst Entlassung aller legitimistisch oder bonapartistisch gesinnten Präfekten und Aufhebung des neuen Mairegesetzes und des Belagerungszustandes. Die Erfüllung des ersten Punktes scheiterte an dem Widerstreben Mac-Mahons; der Belagerungszustand wurde, einem in beiden Kammern angenommenen Antrag entsprechend, von der Regierung aufgehoben, sowie auch einige von Buffet willkürlich eingeführte Beschränkungen des Preßgesetzes abgeschafft.
Ein von Victor Hugo und von Raspail gestellter Antrag auf Erlaß einer allgemeinen Amnestie für politische und Preßvergehen wurde mit großer Mehrheit verworfen. Das von dem Unterrichtsminister Waddington vorgelegte Gesetz, wonach das 1875 angenommene Unterrichtsgesetz dahin abgeändert werden sollte, daß künftig die Verleihung der akademischen Grade nur dem Staate zustehen solle, wurde von der Abgeordnetenkammer 7. Juni bestätigt, aber vom Senat 11. Aug. abgelehnt.
Das Mairegesetz von 1874 ward von den Abgeordneten am 11. Juli aufgehoben und die Wahl der Bürgermeister wieder den Gemeinden überlassen mit Ausnahme der Hauptorte der Arrondissements und Kantone, in denen sie von der Regierung abhängig blieb. Zugleich sollte vor der Wahl der Bürgermeister eine Neuwahl sämtlicher Gemeinderäte vorgenommen werden. Der Senat genehmigte 11. Aug. das von der Abgeordnetenkammer beschlossene Bürgermeistergesetz, lehnte aber den letzten Zusatz ab. Die Neuwahlen der Bürgermeister wurden 8. Okt. in 33000 Gemeinden vollzogen und fielen meist in republikanischem Sinne aus. Da war es für die Regierung verhängnisvoll, daß sie eben jetzt den Rittern der Ehrenlegion, deren Beerdigung ohne kirchliche Feier erfolgte, auf Drängen der Klerikalen die Erweisung militär. Ehren ¶
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versagte. Um sich aus der Verlegenheit zu helfen, legte sie einen Gesetzentwurf vor, wonach die militär. Ehren nur den aktiven Militärs erwiesen werden sollten. Diese offenkundige Hinneigung zu klerikalen Tendenzen erregte einen solchen Sturm, daß das Kabinett Dufaure 2. Dez. den Gesetzentwurf zurückziehen und einer Tagesordnung zustimmen mußte, die bei der künftigen Anwendung des Bestattungsreglements die beiden Grundsätze der Gewissensfreiheit und der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz aufrecht erhalten wissen wollte. Da das Kabinett nunmehr weder im Senat, dem es zu liberal, noch in der Abgeordnetenkammer, der es zu klerikal war, eine Mehrheit hatte, so nahm es seine Entlassung. Nach langen Verhandlungen kam dann 12. Dez. ein neues Ministerium zu stande, in dem Jules Simon, Mitglied der gemäßigten Linken, die Präsidentschaft und das Portefeuille des Innern übernahm, Martel die der Justiz und des Kultus, alle andern Portefeuilles in den Händen ihrer bisherigen Inhaber blieben.
Auf die Agitation der Klerikalen, die von Mac-Mahon verlangten, er solle alle Mittel anwenden, um der Unabhängigkeit des Papstes Achtung zu verschaffen, kennzeichnete Simon angesichts der ital. Garantiegesetze die Reden von einer Gefangenschaft des Papstes als Übertreibungen. Darauf beklagte sich der Papst öffentlich darüber, daß der franz. Ministerpräsident ihn als einen Lügner bezeichnet habe. Dies hielten die Ratgeber Mac-Mahons für einen günstigen Anlaß, um mit der parlamentarischen Herrschaft aufzuräumen.
Infolge eines Schreibens des Marschalls an Simon, worin jener seinen Zweifel ausdrückte, ob das Ministerium noch genug Einfluß in der Kammer habe, reichte das Kabinett 16. Mai seine Entlassung ein, worauf 17. Mai ein aus Legitimisten, klerikalen Orleanisten und Bonapartisten zusammengesetztes Ministerium gebildet wurde, worin der Herzog von Broglie das Präsidium und die Justiz, Fourtou das Innere übernahm. Am 23. Juni erteilte der Senat die von der Regierung verlangte Zustimmung zur Auflösung der Kammer, die 25. Juni erfolgte.
Das Resultat der von Gambettas Agitation beeinflußten Neuwahlen vom 14. und 28. Okt. war, daß etwa 320 Republikaner und 210 Monarchisten, darunter 112 Bonapartisten, gewählt wurden. Da das Ministerium mit einer republikanischen Kammermehrheit von 110 Stimmen nicht verhandeln konnte und überdies am 4. Nov. auch die Generalrats- und Bezirkswahlen vorwiegend republikanisch ausfielen, so gab es 20. Nov. seine Entlassung ein, und 23. Nov. wurde ein reines Geschäftsministerium ernannt, an dessen Spitze der General de la Rochebouet stand.
Aber die Kammer erklärte am Tage darauf, daß sie zu einem Ministerium, das die Verneinung der Volksrechte und der parlamentarischen Rechte sei, nicht in Beziehung treten könne, und die Budgetkommission weigerte sich, der Kammer die Bewilligung der direkten Steuern vorzuschlagen. Darauf wurde Dufaure vom Marschall mit Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt, das zu stande kam und worin er die Justiz, Waddington das Auswärtige, Say die Finanzen, Freycinet die öffentlichen Arbeiten übernahm. Sämtliche neue Minister gehörten der republikanischen Partei an, und fünf von ihnen waren Protestanten.
In der Session von 1878 bewilligte die Kammer das Amnestiegesetz für alle Preßvergehen des J. 1877 und für alle Vergehen gegen das Vereinsgesetz. Durch das Dekret des Präsidenten vom 26. Juni wurden etwa 1300 Teilnehmer am Communeaufstand begnadigt, nachdem schon vorher 890 amnestiert worden waren. Die Weltausstellung in Paris [* 4] wurde 1. Mai eröffnet, die Enthüllung der Statue der Republik auf dem Marsfeld 30. Juni als nationaler Festtag gefeiert. Bei den vorgenommenen Senatorenwahlen wurden 60 Republikaner und 15 Monarchisten gewählt, während 56 Monarchisten und 19 Republikaner ausgetreten waren.
Dadurch erhielten die Republikaner, und zwar die gemäßigten, auch im Senat eine Mehrheit von 58 Stimmen. Freilich war damit auch Mac-Mahons Stellung wankend geworden. Die Republikaner verlangten die Absetzung der bonapartistisch gesinnten Generale und ihre Ersetzung durch jüngere, von Gambetta begünstigte. Da Mac-Mahon die Unterzeichnung der hierauf bezüglichen Dekrete verweigerte, bot das Ministerium seine Entlassung an. Aber ein Ministerium, das ihm nicht die nämlichen Dekrete vorgelegt hätte, zusammenzubringen war ihm unmöglich, daher er selbst Dufaure die Niederlegung seines Amtes ankündigte.
17) Unter der Präsidentschaft Grévys (1879-87). Sofort traten Senat und Kammer zum Kongreß zusammen und wählten den Präsidenten der Kammer, Jules Grévy, mit 563 von 713 Stimmen zum Präsidenten von Frankreich, worauf die Kammer 31. Jan. mit 314 gegen 91 Stimmen Gambetta zu ihrem Vorsitzenden wählte. Nun konnte sich aber auch das Ministerium Dufaure nicht mehr halten, und 4. Febr. bildete Waddington ein neues Kabinett, in dem er neben dem Präsidium das Auswärtige, Ferry das Unterrichtsministerium übernahm, Say und Freycinet ihre Posten behielten.
Das linke Centrum, die gemäßigte Linke und die sog. republikanische Union waren in diesem Kabinett vertreten. Die Veränderungen in den Militärkommandos erfolgten jetzt ohne Widerstand. Ein radikaler Antrag auf Erlassung einer allgemeinen Amnestie wurde zwar von beiden Kammern abgelehnt, dagegen aber ein von der Regierung vorgelegtes Amnestiegesetz angenommen, das die wegen Verbrechens gegen das gemeine Recht Verurteilten ausschloß und den Amnestierten nicht zugleich auch die bürgerlichen Rechte zurückgab. Im Sinne der vorwaltenden liberalen Strömung wurde auch die Zurückverlegung der beiden Kammern von Versailles [* 5] nach Paris beschlossen und als Termin hierfür der 1. Nov. festgesetzt.
Die von dem Unterrichtsminister Ferry vorgelegten Gesetzentwürfe, von denen der eine den Kongregationen das Recht, höhere Schulen und Pensionate zu unterhalten, entziehen, der andere den übermächtigen Einfluß der Geistlichkeit auf das Unterrichtswesen beseitigen und einen aus Laien zusammengesetzten obersten Unterrichtsrat dem Minister zur Seite stellen wollte, wurden von der Kammer 9. und 18. Juli genehmigt. Bald war den Republikanern auch das Ministerium Waddington nicht mehr genehm, da es ihnen nicht energisch genug gegen bonapartistische Beamte verfuhr. Von den vier Fraktionen der Republikaner: linkes Centrum, republikanische Linke, republikanische Union, äußerste Linke (Radikale), arbeiteten hauptsächlich die zwei mittlern an dem Sturz des Kabinetts, und da dieses unter solchen Umständen die Kammermehrheit nicht für sich hatte, so gab es seine Entlassung ein, worauf der Bautenminister Freycinet ein ¶