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übernehme. Am 19. Juli wurde die franz. Kriegserklärung in Berlin [* 2] überreicht, und Napoleon III. übernahm in Metz [* 3] 28. Juli das Oberkommando der Rheinarmee, nachdem er der Kaiserin Eugenie die Regentschaft übertragen hatte.
Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 und 1871 (s. d.) enthüllte überraschend schnell die äußere und innere Schwäche des zweiten Kaiserreichs. Gleich nach den ersten Niederlagen trat das Ministerium Ollivier vor einem Mißtrauensvotum des Gesetzgebenden Körpers zurück. Das neue Kabinett, unter Vorsitz des Generals Cousin-Montauban, bot alles auf, um die Wehrkraft F.s zu verstärken und Paris [* 4] zu verproviantieren. Unterdes ward die franz. Armee in einer Reihe großer Schlachten [* 5] vernichtet, Napoleon III. selbst ergab sich bei Sedan [* 6] (2. Sept.) kriegsgefangen; der kaiserl. Prinz, der seinen Vater begleitet hatte, hatte sich bereits über Belgien [* 7] nach England begeben. Auf die Nachricht von dieser Katastrophe brachen in Paris Unruhen aus; in der Nacht vom 3. auf den 4. Sept. beantragte Jules Favre im Gesetzgebenden Körper die Absetzung der kaiserl. Dynastie. Cousin-Montauban wagte nicht, der Bewegung ernstlich entgegenzutreten, da Militär und Nationalgarde sich unzuverlässig zeigten. Am 4. Sept. nachmittags stürmte ein Volkshaufen das Sitzungslokal des Gesetzgebenden Körpers, der Senat löste sich auf, und während Gambetta unter allgemeinem Enthusiasmus die Republik proklamierte, flüchteten die Kaiserin und die Häupter der kaiserl. Partei, um in England Zuflucht zu suchen.
15) Unter der dritten Republik bis zum Rücktritt Thiers' (1870-73). Noch am Abend des konstituierte sich auf dem Pariser Stadthause eine «Provisorische Regierung der nationalen Verteidigung», die aus lauter Abgeordneten der Linken bestand (Arago, Crémieux, Favre, Ferry, Gambetta, Garnier-Pagès, Glais-Bizoin, Pelletan, Picard, Rochefort, Simon). Den Vorsitz und das Generalkommando von Paris erhielt General Trochu. Jules Favre wurde Vicepräsident und Minister des Auswärtigen und begann seine Funktionen mit einem diplomat.
Rundschreiben vom 6. Sept., worin er erklärte, daß die Regierung den Frieden wünsche, aber «nicht einen Zoll breit des nationalen Gebietes, nicht einen Stein von den franz. Festungen» abgeben werde. Denselben Anspruch erhob Favre in einer mündlichen Verhandlung mit Bismarck zu Ferrières 19. bis 20. Sept. Thiers übernahm eine diplomat. Mission nach London, [* 8] Wien, [* 9] Petersburg [* 10] und Florenz, [* 11] um die Vermittelung der neutralen Mächte zu erbitten; aber er fand nirgends Gehör. [* 12] Auch seine Unterhandlungen mit Bismarck, 1. Nov. in Versailles, [* 13] führten zu keinem Resultat.
Als die deutschen Heere gegen Paris vorrückten, beschloß die franz. Regierung, das Schicksal der Hauptstadt zu teilen, doch ward zur Verwaltung der Provinzen eine Delegation nach Tours [* 14] abgeordnet, wo Gambetta als Minister des Krieges und des Innern thatsächlich die Diktatur an sich riß. Am 19. Sept. war die Einschließung von Paris beendigt. Straßburg [* 15] und Metz kapitulierten. Anfang Dezember mußte die Regierungsdelegation von Tours weiter südlich nach Bordeaux [* 16] flüchten, und auch die Regierung von Paris hatte einen schweren Stand.
Alle Anstrengungen, den Belagerungsgürtel zu durchbrechen, blieben erfolglos, und Mangel an Lebensmitteln stellte sich ein. Dazu gab es im Innern eine extreme Partei, die in Verbindung mit der internationalen Arbeitergesellschaft stand und sich auf die bewaffnete Bevölkerung [* 17] der Arbeiterquartiere Belleville, Montmartre u. s. w. stützte. Abgesehen von kleinern Ruhestörungen, versuchte diese und zunächst ohne Erfolg, sich der Gewalt zu bemächtigen und eine sog. Commune einzusetzen. Unter diesen Umständen sah sich die Regierung der nationalen Verteidigung genötigt, den Frieden zu erbitten.
Am wurde zwischen Favre und Bismarck eine Konvention über einen dreiwöchigen Waffenstillstand zu Lande und zu Wasser unterzeichnet. (S. Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871, Bd. 5, S. 109 a.) Während dieser Waffenruhe, die später bis zum 3. März verlängert wurde, sollte durch allgemeine freie Wahlen eine Nationalversammlung gewählt werden, um über den Frieden zu verhandeln. Als Gambetta versuchte, die Wahlfreiheit zu Gunsten der Republikaner zu beschränken, wurde sein Dekret weder von Bismarck noch von der Pariser Regierung anerkannt, und bei der allgemeinen Friedenssehnsucht des franz. Volks sah er sich zum Rücktritt genötigt. Am 8. Febr. fanden die Wahlen statt, und am 12. hielt die Nationalversammlung in Bordeaux ihre erste Sitzung.
Tags darauf legte die Regierung der nationalen Verteidigung ihre Funktionen in die Hände der Versammlung nieder, und diese ernannte 17. Febr. Thiers zum Chef der Exekutivgewalt, unter dem Jules Favre das Ministerium des Auswärtigen behielt. Am 26. Febr. wurden die Friedenspräliminarien in Versailles zwischen Thiers und Favre einerseits, Bismarck und den Bevollmächtigten von Bayern, [* 18] Württemberg [* 19] und Baden [* 20] andererseits abgeschlossen, wodurch Frankreich die Provinzen Elsaß und Deutsch-Lothringen, mit Metz, aber ohne Belfort, [* 21] an das Deutsche Reich [* 22] abtrat und sich verpflichtete, 5000 Mill. Frs.
Kriegskosten zu bezahlen; bis nach geleisteter Zahlung sollte ein Teil des franz. Gebietes von deutschen Truppen besetzt bleiben. Diese Präliminarien wurden 1. März von der Nationalversammlung zu Bordeaux, 2. März von Kaiser Wilhelm I. ratifiziert. Kurz darauf (20. März) siedelte auch die Nationalversammlung nebst der Exekutivgewalt aus Bordeaux nach Versailles über. In Paris aber brach 18. März ein neuer erfolgreicher Aufstand aus, und die Commune bemächtigte sich der Gewalt. Die Bewegung blieb jedoch auf die Hauptstadt beschränkt, die Armee der Versailler Regierung treu, und nach langwierigen blutigen Kämpfen (s. Paris) wurde der Aufstand niedergeschlagen und die Ordnung wiederhergestellt (28. Mai). Schon zuvor war der definitive. Friedensschluß mit Deutschland [* 23] erfolgt. Nach Bestimmung der Präliminarien waren zu Brüssel [* 24] 28. März franz. und deutsche Bevollmächtigte zusammengetreten, um die Einzelheiten weiter zu beraten; doch die Verhandlungen schleppten sich hin, und man vermochte sich namentlich über die finanziellen Fragen nicht zu einigen. Da griff der Reichskanzler Bismarck persönlich ein, und in einer Zusammenkunft zwischen ihm und den franz. Ministern Favre und Pouyer-Quertier zu Frankfurt [* 25] a. M. (6. bis 10. Mai) wurden alle streitigen Punkte schnell erledigt. Der Frankfurter Friede (s. d.) vom bestätigte im wesentlichen die Präliminarien.
Die Wahlen vom 8. Febr. hatten unter klerikalen Einflüssen und unter dem Drucke der Verhältnisse eine überwiegend legitimistisch-orleanistische Majorität ergeben, sodaß man allerseits mit Furcht ¶
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oder Hoffnung einer baldigen monarchischen Restauration entgegensah. Die Prinzen des Hauses Orléans [* 27] kehrten nach Frankreich zurück; der Graf von Chambord (Heinrich V.) erschien zu einem längern Besuch auf seinem Gute Chambord, und die beiderseitigen Anhänger verhandelten wieder über eine Verschmelzung beider Linien. Diese wurde aber durch das Manifest Chambords 5. Juli, worin er erklärte, daß er die weiße Fahne Heinrichs IV. nicht preisgeben könne, zur Unmöglichkeit.
Nun suchte Thiers sich der monarchisch gesinnten Majorität zu versichern, indem er immer mehr Männer von orleanistischer Färbung ins Kabinett berief. Der Republikaner Jules Favre trat zurück, und Charles de Rémusat übernahm 3. Aug. das Auswärtige Amt; später erhielt Casimir Perier (der Sohn) das Ministerium des Innern. Am 12. Aug. wurde aus dem linken Centrum der Nationalversammlung ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Verlängerung [* 28] der Vollmachten Thiers' auf drei Jahre mit dem Titel eines Präsidenten der Republik beantragte, unter gleichzeitiger Einsetzung eines verantwortlichen Ministeriums.
Nach einer heftigen Debatte (30. und 31. Aug.) erfolgte die Annahme des Gesetzes mit 491 gegen 93 Stimmen. Dasselbe bestimmte, daß Thiers als «Präsident der Republik» die Exekutivgewalt ausüben solle unter der Autorität der Nationalversammlung, bis diese ihre Arbeiten beendet habe; er solle am Sitz der Versammlung residieren und auf Verlangen jederzeit von ihr gehört werden. Sowohl der Präsident wie die Minister, die dieser ernennt und entläßt, sollten vor der Nationalversammlung verantwortlich sein. Bald darauf vertagte sich die Versammlung vom 17. Sept. bis 4. Dez., nachdem sie für die Dauer der Ferien eine permanente Kommission von 25 Mitgliedern eingesetzt hatte.
Die nächsten Ziele der franz. Regierung und Nationalversammlung waren einerseits die möglichst baldige Befreiung des Landes von der feindlichen Besetzung und die Verbesserung des Militärwesens nach preuß. Muster, andererseits der Ausbau der Verfassung. Zur Bezahlung der zwei ersten Milliarden Kriegsentschädigung nahm Thiers im Juni 1871 eine Anleihe von 2500 Mill. Frs. und zur Abzahlung des Restes im Juli 1872 eine Anleihe von mehr als drei Milliarden auf. So war es Frankreich möglich, durch raschere Zahlungen das Ende der Occupation früher herbeizuführen, als beim Friedensschluß in Aussicht genommen war.
Nachdem die letzte Zahlung geleistet war, verließen die letzten deutschen Truppen unter General Manteuffel das franz. Gebiet. Freilich schufen die hohen Zinssummen für das entliehene Kapital (750 Mill. Frs. gegen 350 Mill. vor dem Kriege) den Staatsfinanzen nicht geringe Verlegenheiten, sodaß Jahr für Jahr das Budget ein Deficit aufwies, das Thiers nur mühsam durch neue Steuern und Zölle (auch auf Rohstoffe) zu decken suchte. Trotzdem wurde die Militärreorganisation mit Nachdruck ausgeführt.
Die Nationalversammlung bewilligte für diesen Zweck jede ihr angesonnene Summe und bot sogar der Regierung noch mehr Geld an als diese verlangte. Das Kriegsdienstgesetz vom führte die allgemeine Wehrpflicht in der Weise ein, daß ein Teil der Mannschaft zu fünfjähriger Präsenz, der andere zu sechsmonatigen Übungen verpflichtet war. Außerdem wurde eine Dienstzeit von vier Jahren in der Reserve und von elf Jahren in der Territorialarmee (Landwehr) festgesetzt.
Dieses Gesetz wurde vervollständigt durch das Organisationsgesetz vom und durch das Cadresgesetz vom Durch jenes wurde die Zahl der Regimenter bestimmt (144 Regimenter Infanterie, 70 Regimenter Kavallerie, 28 Regimenter Artillerie) und diese unter 18 Armeekorps verteilt, wofür die kommandierenden Generale sofort ernannt wurden; ein 19. Armeekorps ward für Algerien [* 29] errichtet und unter das Kommando des dortigen Generalgouverneurs Chanzy gestellt.
Durch das Cadresgesetz wurden die Bataillonscadres in der Weise vermehrt, daß die Maximalstärke des Regiments auf 4000 Mann erhöht wurde. War dieses Gesetz durchgeführt, so bestand die franz. Infanterie aus 641 Bataillonen. Für den Revanchekrieg arbeiteten alle Parteien in Frankreich; auch die Pläne der Jesuiten verbanden sich damit. Unter der Herrschaft der letztern sollte das gedemütigte Frankreich wieder aufgerichtet, das Volk für den national-klerikalen Kreuzzug gegen Deutschland aufgestachelt werden.
Wunderquellen (s. Lourdes), Wundererscheinungen, massenhafte Prozessionen, Absingung von Glaubensliedern mit einem Revancherefrain sollten den Fanatismus in einer gewissen Höhe erhalten. Die Klerikalen, von der Regierung meist begünstigt, gingen in ihren Forderungen immer weiter, bis ihnen zuletzt das Unterrichtsgesetz vom das Recht der Gründung «freier Universitäten» und der Teilnahme an der Erteilung der akademischen Grade zuerkannte, wodurch sie, die bereits den ganzen Volksunterricht und die Leitung der weiblichen Erziehung und Bildung in ihren Händen hatten, auch den höhern Unterricht und die Träger [* 30] der höhern Bildung unter ihre Gewalt zu bringen hofften.
Weniger Einigkeit herrschte unter den Parteien, wo es sich um den Ausbau der Verfassung handelte. Die Monarchisten spalteten sich in Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten, und jede dieser drei Parteien hatte ihren besondern Prätendenten; die Republikaner bildeten gleichfalls drei Gruppen: gemäßigte, entschiedene und radikale Republikaner. So kam es, daß eine Dreißiger-Kommission, welche die konstitutionellen Gesetze ausarbeiten sollte, in der Versammlung keine Mehrheit fand. An diesen Schwierigkeiten nutzten sich mehrere Ministerien ab, und mit der Verfassung ging es nicht vorwärts. So viele Verdienste auch Thiers als Präsident der Republik hatte, so zürnten ihm doch die Monarchisten, weil er ihre Pläne nicht ausführte und in einer Botschaft vom Nov. 1872 die thatsächliche Republik dem Ungewissen vorzog.
Als nun Thiers bei der Neubildung des Ministeriums die monarchische Mehrheit gar nicht mehr berücksichtigte und sein Kabinett nur noch aus den Reihen der gemäßigten Republikaner rekrutierte, beantragten die Monarchisten ein Tadelsvotum gegen ihn, das 24. Mai mit 360 gegen 344 Stimmen angenommen wurde. Darauf nahmen Thiers und dessen Minister ihre Entlassung, und Marschall Mac-Mahon wurde noch in der nämlichen Sitzung zum Präsidenten der Republik gewählt.
16) Unter der Präsidentschaft Mac-Mahons (1873-79). Der neue Präsident ernannte ein aus Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten zusammengesetztes Ministerium, worin der Herzog von Broglie den Vorsitz führte und das Auswärtige übernahm. Die neue Präsidentschaft schien nicht ¶