mehr
Parteierbitterung war dadurch nicht beschwichtigt. Vereine mit republikanischer Tendenz, an deren Spitze der ältere Cavaignac und Marrast sich damals zuerst bemerkbar machten, zeigten, daß die Feinde der neuen Regierung unermüdlich auf deren Umsturz bedacht waren. Lyon [* 2] gab das Signal zum blutigen Aufstand dem wenige Tage später, 13. April, eine Empörung in Paris [* 3] folgte.
Unter diesen Umständen war ein Zusammenwirken aller erhaltenden Faktoren dringend nötig. Ein solches bestand zwar zwischen der Kammermehrheit und dem Ministerium, worin Broglie, Guizot und Thiers dominierten; aber der König, eifersüchtig auf dieses, intrigierte gegen seine eigenen Räte. Dies erzeugte eine Unsicherheit in der Regierung, die zu häufigen Krisen führte. Im Juli nahm Soult seinen Rücktritt und erhielt in Gerard einen Nachfolger. Schon im Oktober schied auch dieser und mit ihm der größte Teil des Ministeriums aus. Diesem folgte, nach einem viertägigen Ministerium unter Maret, wieder (18. Nov.) ein vorwiegend doktrinäres unter Marschall Mortiers Vorsitz, worin Guizot, Thiers und Duchatel die wichtigsten Stellen einnahmen. Schon nahm auch Mortier seine Entlassung, und 12. März kam dann unter Broglies Vorsitz die Wiederherstellung des alten Kabinetts vom zu stande.
Bei einer Heerschau, die der König hielt, machte der Corse Fieschi (s. d.) mittels einer Höllenmaschine ein Attentat auf den König, das 18 Personen tötete, ihn selbst nur leicht verletzte; die radikale Partei war dabei nicht ohne einige moralische Mitschuld. Die Regierung glaubte den Augenblick zur Durchdringung von drei Gesetzen günstig, die dem Treiben jener Einhalt thun sollten: eins war gegen die Presse [* 4] gerichtet, ein zweites bestimmte, daß die Geschwornen fortan schon mit einfacher Majorität statt der bisherigen Zweidrittelmehrheit schuldig sprechen könnten, und ein drittes erweiterte die Verhängung der Strafe in contumaciam (Septembergesetze).
Folge war nur, daß sich die radikale Opposition in das Dunkel zahlloser Geheimbünde zurückzog, während die konservative Mehrheit zerfiel. Ein Konflikt mit der Kammer über die Rentenkonversion brachte das Kabinett zu Fall. Es ward durch ein Ministerium aus der dem linken Centrum zugeneigten Fraktion (Tiers-parti, s. d.) ersetzt, in dem Thiers den Vorsitz und die auswärtigen Angelegenheiten übernahm. Das neue Ministerium suchte namentlich nach außen eine Politik durchzuführen, die den franz. Neigungen mehr entsprach; besonders wollte Thiers den König zum Eingreifen gegen die Karlisten in Spanien [* 5] bewegen, scheiterte aber am Widerwillen desselben und nahm mit seinen Kollegen seine Entlassung.
Ein neues Ministerium unter des gefügigen Molé Vorsitz ward gebildet, und damit hatte Ludwig endlich das «gouvernement personnel» erreicht. Um es in Gunst zu bringen, erließ er eine beschränkte Amnestie gegen polit. Gefangene, unter andern gegen die Exminister Karls X. Am machte Louis Napoleon (s. Napoleon III.) in Straßburg [* 6] einen Versuch zur Wiederherstellung des Kaisertums. Das Unternehmen mißglückte jedoch ebenso wie das Attentat, das bei der Eröffnung der Kammern von einem Arbeiter, Namens Meunier, auf den König gemacht wurde.
Wenn aber das königl. Ministerium auch dieses Attentat zu neuen Einschränkungen ausnützen wollte, so ging es fehl. Die Loi de disjonction, ein Gesetz, das bei Verbrechen, die von Militär- und Civilpersonen zugleich verübt würden, die Gerichtsbarkeit für beide trennen wollte, wurde samt dem Deportationsgesetz gegen solche, die um ein Komplott gegen den König gewußt und darüber geschwiegen hätten, von der Kammer verworfen. Das Ministerium mußte zum Teil erneuert werden. Guizot, Gasparin, Persil und Duchatel wurden durch Montalivet, Salvandy, Lacave-Laplagne und Barthe ersetzt In der Hoffnung, in einer neuen Kammer mehr Unterstützung zu finden, erfolgte die Auflösung der alten im Okt. 1837.
Aber die Neuwahlen verschafften der Regierung nur eine geringe Majorität, und das Ministerium vom 15. April hatte in der zu Ende 1837 eröffneten Session einen schlimmen Stand. Seine Gesetzvorlagen in betreff der Rentenreduktion und der Eisenbahnen wurden verworfen. In der Deputiertenkammer trat 1838 eine Koalition der Doktrinärs, des tiers-parti und der Linken geschlossen auf und nötigte das Kabinett Molé, trotz einer neuen Kammerauflösung, die nur eine Verstärkung [* 7] der liberalen Partei zur Folge hatte, zum Rücktritt Ein neues Kabinett zu stande zu bringen, schien jetzt fast unmöglich.
Man mußte sich seit mit einer provisorischen Verwaltung behelfen, bis unter Soults Vorsitz ein Ministerium gebildet wurde. Diesem folgte aber schon infolge der Verwerfung eines Gesetzvorschlags über die Dotation des Herzogs von Nemours wieder ein neues von Thiers gebildetes Kabinett, aber obwohl dieses überwiegend dem linken Centrum angehörte, blieben doch die Hoffnungen derer unerfüllt, die eine Aufhebung der Septembergesetze von 1835, eine Erweiterung des Wahlrechts und ähnliche Konzessionen erwarteten.
Thiers veranstaltete, mit Zustimmung der engl. Regierung, die Zurückführung der Überreste Napoleons von St. Helena nach Paris, wo sie im Invalidendom beigesetzt wurden. Nach außen suchte er eine kräftige Politik durchzuführen. Beim Ausbruch der orient. Wirren (s. Ägypten, [* 8] Bd. 1, S. 248 b, und Osmanisches Reich) [* 9] verwarf er die Vergleichsvorschläge Englands und der deutschen Großmächte, beschleunigte dadurch aber nur den Abschluß des Quadrupelvertrags, den die vier Großmächte ohne Zuziehung des franz. Gesandten (Guizot) in London [* 10] unterzeichneten.
Die Bekanntmachung desselben entfesselte in Frankreich die alten Kriegsgelüste, in die das Ministerium durch lärmende Rüstungen, [* 11] drohende Kundgebungen und den Plan einer Befestigung von Paris bereitwillig einstimmte. Inmitten dieser Aufregung suchte Louis Napoleon ein zweites Komplott auszuführen, indem er 6. Aug. mit einigen Anhängern bei Boulogne landete und die Soldaten einer Kaserne vergebens zum Abfall zu verführen suchte. (S. Napoleon III.) Er wurde gefangen, von dem Pairshof zu lebenslänglicher Haft verurteilt und nach Ham gebracht. Inzwischen war aber das Kabinett Thiers 21. Okt. gefallen, weil sich der König dessen Wünschen, den Julivertrag der Mächte zu verwerfen und von den Kammern Mittel zu ausgedehnten Rüstungen zu fordern, verschloß. Das neue Ministerium, gebildet, stand wieder unter Soults Präsidium und erhielt sich in seinen Hauptpersonen ¶
mehr
(Guizot Auswärtiges und Duchatel Inneres) bis zum Zunächst strebte es die Rückkehr zur Friedenspolitik an. Die Kriegsrüstungen wurden eingestellt, Ersparnisse versucht und nur der Plan, Paris zu befestigen, wieder aufgenommen und ausgeführt. Das J. 1841 stellte die alten Beziehungen zu den Großmächten wieder her, da Frankreich der vollendeten Thatsache sich fügte. Dieser Rückzug erschien der Nation als eine Demütigung; die Autorität der Regierung schwand; das Parteitreiben nahm wieder zu. Es entstanden republikanische, socialistische und kommunistische Verbindungen. Zum Unglück für die Dynastie starb der Thronerbe, der beliebte Herzog von Orléans, [* 13] durch einen Sturz aus dem Wagen; die Nachfolge ruhte jetzt auf seinem vierjährigen Sohne, dem Grafen von Paris.
So nahm die Geltung des Julikönigtums unverkennbar ab. Der König und sein Ministerium hatten zwar die Mehrheit der Kammer für sich, aber diese Mehrheit war schließlich nur durch Korruption, durch Vergebung von Eisenbahnen und durch Übertragung einträglicher Stellen zu stande gekommen und somit nicht der Ausdruck des Volkswillens. Dazu war die auswärtige Lage F.s verändert; das Verhältnis zu England erlitt mehrere Störungen. Dies war namentlich in der span. Heiratsfrage (1846) der Fall, wo Ludwig Philipp, indem er seinen jüngsten Sohn, den Herzog von Montpensier, mit der zweiten Tochter der Königin Christine vermählte, der engl. Politik eine offenbare Niederlage bereitete. Der Verdruß der engl. Regierung, die jetzt in den Händen der Whigs und Palmerstons lag, gab sich bei verschiedenen Gelegenheiten deutlich kund, und die militär. Erfolge, welche Frankreich in Algerien [* 14] (s. d., Bd. 1, S. 395) errang, änderten nichts an der Stellung der Regierung nach außen oder im Innern.
Die Gefahr der innern Zustände wuchs fortwährend, und nur der König und das Ministerium, an dessen Spitze nach Soults Rücktritt Sept. 1847 Guizot trat, täuschten sich über diese Lage. Am höchsten stieg der Unmut in der Bevölkerung, [* 15] als 1847 eine Reihe skandalöser Prozesse die Korruption der Regierenden und die sittliche Zerrüttung der höhern Gesellschaft enthüllten. Der Bestechungsprozeß, der zwei ehemalige Minister Ludwig Philipps, den General Cubières und Teste, Präsidenten des Kassationshofs, als Schuldige entlarvte, sowie die Ermordung der Herzogin von Praslin durch ihren Gatten erregten europ. Interesse.
Eine Menge von kleinern Enthüllungen deuteten auf Käuflichkeit der höchsten Ratgeber der Krone, auf Stellen- und Stimmenverkauf, auf groben Mißbrauch der Staatsgelder. Die Frage der Wahlreform war allmählich die Losung aller Oppositionsparteien geworden. Überzeugt von der Erfolglosigkeit neuer Petitionen an die dem Willen der Regierung verkaufte Kammer, die alle Reformwünsche abgewiesen hatte, griff man zu Reformbanketten (s. d.), die, in den verschiedenen Teilen von Frankreich abgehalten, die öffentliche Meinung in Bewegung setzen sollten. Sie bildeten die Einleitung zu einer umwälzenden Bewegung.
13) Die Februarrevolution und die zweite Republik (1848-52). Unter den Eindrücken dieser Agitation eröffnete der König die Kammern. Die Thronrede bezeichnete die Reformbewegung als eine «Agitation, die durch feindselige oder blinde Leidenschaften genährt sei», und ließ sich so wenig als die Kammermehrheit auf eine Wahlreform ein. Daher entschloß sich die Opposition, in Paris selbst ein Reformbankett zu halten. Am 22. Febr. boten die Straßen von Paris ein bewegtes Bild.
Banden durchzogen mit dem Rufe «Es lebe die Reform!» die Stadt, und die Nationalgarde schloß sich ihnen an. Letzterer Umstand machte Eindruck auf den König. Er entließ am Tage darauf Guizot und beauftragte Molé, ein neues Ministerium zu bilden. Die Gemüter schienen sich zu beruhigen, die Ordnung wiederhergestellt zu sein. Aber damit war der republikanischen Partei und den Mitgliedern der geheimen Gesellschaften nicht gedient. Nachts 10 Uhr [* 16] zog ein Haufe von etwa 500 Arbeitern vor das Ministerium des Äußern, aus der Menge fiel ein Schuh, worauf die vor dem Hotel aufgestellte Wache eine Salve auf den dichtgedrängten Haufen gab.
Dies war das Signal zur Revolution. Die Menge plünderte die Waffenläden und riß das Pflaster auf, um Barrikaden zu bauen. Zu spät wurden jetzt am Morgen des 24. an Molés Stelle Thiers und Odilon Barrot zu Ministern ernannt. Eine von diesen unterzeichnete Proklamation verkündigte die Auflösung der Kammer und die Ernennung des beliebten Generals Lamoricière zum Befehlshaber der Nationalgarde. Marschall Bugeaud sollte an die Spitze der bewaffneten Macht treten.
Indessen hatte der Widerstand an Umfang und Hartnäckigkeit gewonnen. Beim Château d'Eau wurde erbittert gefochten, bis es um Mittag in die Hände der Aufständischen fiel. Ganz Paris starrte von Barrikaden; die Soldaten waren müde und entmutigt; sie begannen abzufallen. Als die Menge gegen die Tuilerien anrückte, unterschrieb der König die Abdankungsurkunde zu Gunsten seines Enkels, des Grafen von Paris, unter der Regentschaft der Herzogin von Orléans, und entfloh nach St. Cloud.
Aber auch diese Konzession kam zu spät. Der Versuch der Herzogin von Orléans, in der Deputiertenkammer für ihren Sohn Schutz und Anerkennung zu finden, scheiterte; eingedrungene Massen und Parteiführer hinderten die Proklamation der Regentschaft und nötigten auch die Herzogin mit ihren Kindern zur Flucht. Eine Provisorische Regierung wurde ernannt, bestehend aus Dupont de l'Eure, Lamartine, Arago, Marie, Garnier-Pagès, Ledru-Rollin, Crémieux, denen sich im Stadthause die Redacteure Armand Marrast und Flocon, der Socialist Louis Blanc und der Arbeiter Albert unaufgefordert beigesellten. Während diese neue Gewalt sich bildete und die Republik ausrief, war Ludwig Philipp nach England entflohen.
Während die Mehrzahl der Mitglieder der Provisorischen Regierung eine friedliche und gemäßigte Republik wollte, neigten Ledru-Rollin, Louis Blanc u. a. zur terroristischen Gewaltpartei, die an ehemaligen Verschwörern, wie Barbès und Blanqui, ihre Führer fand. Die Konzessionen, womit die Provisorische Regierung die socialistische Doktrin abzufinden suchte, wie das Versprechen der «Organisation der Arbeit», die Zusage von Nationalwerkstätten (25. und 26. Febr.), die Bildung der permanenten Kommission «pour les travailleurs» und das von Louis Blanc 10. März eröffnete Arbeiterparlament im Palais Luxembourg, wurden nur zu furchtbaren Waffen in den Händen der radikalen Partei. Während diese die Massen für einen neuen Aufstand vorbereitete, erwuchsen der Regierung von einer andern Seite die größten Verlegenheiten. Die finanzielle Lage des Landes, die Erschütterung des Kredits, die Entmutigung alles öffentlichen Verkehrs ¶