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begannen die Volkshaufen die königl. Wappen [* 2] zu zerschlagen, die Waffenmagazine zu erbrechen, und die Wut steigerte sich reißend, als die königl. Garde zuerst am Palais-Royal die Massen durch Gewehrfeuer zu zerstreuen suchte. In der folgenden Nacht bildeten radikal-demokratische Abgeordnete Aufstandskomitees und organisierten die Rebellion, deren militär. Leitung insgeheim Lafayette übernahm. Am 28. Juli begaben sich mit Ausnahme Polignacs der Hof [* 3] und die Minister zum Könige nach St. Cloud, und Paris [* 4] wurde in Belagerungszustand erklärt.
Das Volk errichtete zahlreiche Barrikaden, 18000 Bürger griffen zu den Waffen, [* 5] und es entspann sich in den Straßen ein regelloser und blutiger Kampf gegen die viel zu geringen Streitkräfte Marmonts. Schon am 28. geriet der Marschall durch Abfall der Truppen und Mangel an Lebensmitteln in die bedrängteste Lage. Nach vergeblichen Vermittelungsversuchen entbrannte der Kampf am 29. aufs neue, und Marmont sah sich genötigt, die Truppen gegen Abend aus der Hauptstadt herauszuziehen.
Nun erst entschloß sich Karl X., Polignac zu entlassen und die Ordonnanzen zurückzunehmen; aber es war zu spät. Im Laufe des Tags hatte sich eine provisorische Regierungsbehörde, bestehend aus Lafayette, dem Herzoge von Choiseul und dem General Gérard, sowie ein Municipalausschuß für Paris aus den angesehensten Männern, wie Laffitte, Casimir Périer u. a., gebildet, die auf dem Stadthause die Absetzung Karls X. aussprachen. Bei Laffitte vereinigten sich die anwesenden Pairs und Deputierten und beschlossen, dem Herzoge Ludwig Philipp von Orléans [* 6] als Generallieutenant des Reichs die Regierung zu übertragen. Dieser erschien 30. Juli in Paris, trat seine Würde an und ernannte ein provisorisches Ministerium. Als Karl X. alles verloren sah, reiste er am Morgen des 31. nach Rambouillet ab, bestätigte hier 2. Aug. in einem Briefe an den Herzog von Orléans denselben als Reichsverweser und entsagte der Krone zu Gunsten seines Enkels, des Grafen Chambord, unter der Bedingung, daß letzterer sogleich als Heinrich V. ausgerufen werde.
Für die ältere Linie Bourbon war indes der Thron [* 7] von Frankreich verloren. Unter dem Einflüsse Lafayettes und Laffittes beschlossen 3. Aug. die in Paris zusammentretenden Kammermitglieder (an 250), dem Herzog von Orléans die Krone anzubieten. Ein mit republikanischen Formen umgebenes Königtum sollte die neuerrungene Volkssouveränität befestigen, und der Herzog von Orléans schien für diesen bürgerlichen Thron am würdigsten. Der Deputierte Bérard erhielt den Auftrag, die Charte nach dem Princip der Volkssouveränität umzugestalten, was jedoch Guizot und der Herzog von Orléans zum Teil zu verhindern wußten.
Beide hatten sich schon vereinigt, die Monarchie so wenig als möglich zu schwächen und durch die Politik der rechten Mitte (juste milieu) die extremen Parteien vom Einflüsse auf die Ereignisse abzuhalten. Der reformierte Entwurf der Charte wurde 7. Aug. in der Deputiertenkammer mit 219 Stimmen gegen 33 und unter 114 Pairs von 89 angenommen. In ihr wurde der Grundsatz der Volkssouveränität ausgesprochen, die Censur für immer abgeschafft und die Initiative der Gesetzgebung auch den beiden Kammern verlieben.
Der Artikel 14 wurde gestrichen. Das erforderliche Alter der Deputierten wurde von 40 auf 30 Jahre herabgesetzt, das der Wähler von 30 auf 25; der Census blieb bestehen. Andere Nebenartikel betrafen die Verantwortlichkeit der Minister, die Herstellung der Nationalgarde, die Unterrichtsfreiheit, die Anwendung der Jury auf Preßvergehen u. s. w. Am 9. Aug. beschwor der Herzog die neue Verfassung und bestieg als Ludwig Philipp I., König der Franzosen, den Thron. Lafayette wurde Oberbefehlshaber der neuerrichteten Nationalgarde. Die alten Minister setzte man in Anklagestand. Das provisorische Ministerium wurde 13. Aug. in ein definitives verwandelt. Der Herzog von Broglie erhielt die Präsidentschaft und das Ministerium des Unterrichts, Guizot das Innere.
Ludwig Philipp war bemüht, seine königl. Autorität von den Fesseln loszumachen, die eine siegreiche Demokratie ihm anzulegen strebte, und sich als den legalen Nachfolger der vertriebenen Bourbonen darzustellen. Um aber Popularität zu gewinnen, durfte er vorerst mit den Repräsentanten der gemäßigten Demokratie des Mittelstandes nicht brechen. Er ließ daher seine Minister Guizot und Molé ausscheiden, und das neue Ministerium vom enthielt unter Laffittes Präsidentschaft auch Repräsentanten der revolutionären Überlieferung.
Das Ministerium erhielt nach außen den bewaffneten Frieden aufrecht. Entsprach diese Politik den Ansichten und Wünschen eines Teils der Nation nicht, so galt andererseits der von der Kammer beschlossene Wahlcensus der republikanischen Partei als eine ausschließliche Begünstigung der besitzenden Bourgeoisie und erregte Unwillen. Derselbe äußerte sich in dem Prozeß der Minister Karls X., deren Tod gefordert ward, durch unruhige Auftritte und in den wilden Excessen vom die durch eine Demonstration der Legitimisten, d. h. der Anhänger der ältern Bourbonenlinie, hervorgerufen waren.
Aber in allen diesen Krisen wußte Ludwig Philipp seine Gewalt zu befestigen und sich an dem Juste milieu der Kammer und einem Teile der Besitzenden eine Macht zu schaffen, die es ihm möglich machte, fortan der Unterstützung durch die Träger [* 8] der Julirevolution zu entraten. Laffitte, der sich in der Frage der Intervention zu Gunsten der Freiheitsbewegung in Italien [* 9] von dem König getäuscht sah, gab seine Entlassung. Das neue Ministerium vom erhielt sein Haupt in Casimir Périer, dem das Innere zufiel.
Die Feindschaft der Demokratie gegen die neue Regierung kam Nov. 1831 zum vollen Durchbruch in dem Aufstand zu Lyon [* 10] (s. d.); bald zeigten sich auch republikanische Verbindungen, deren Tendenz auf den Umsturz des neuen Königtums gerichtet war. Das Leichenbegängnis des Generals Lamarque, ward von den Republikanern zu einer blutigen Schilderhebung benutzt, die aber mit ihrer Niederlage endete. Und auch die Legitimisten hielten ihre Zeit für schon gekommen.
Bereits im Jan. 1832 war eine von ihnen angestiftete Verschwörung entdeckt worden. Im Mai suchte die Herzogin von Berry einen Aufstand in der Vendée hervorzurufen, der rasch unterdrückt wurde und die Gefangennahme der Herzogin zur Folge hatte. Da starb Périer an der Cholera, und wurde ein Koalitionsministerium gebildet, worin Soult den Vorsitz übernahm. Im Grunde wollte der König durch die Aufnahme der parlamentarischen Führer in das Ministerium nur seinen Anhang in den Kammern verstärken. Aber die ¶
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Parteierbitterung war dadurch nicht beschwichtigt. Vereine mit republikanischer Tendenz, an deren Spitze der ältere Cavaignac und Marrast sich damals zuerst bemerkbar machten, zeigten, daß die Feinde der neuen Regierung unermüdlich auf deren Umsturz bedacht waren. Lyon gab das Signal zum blutigen Aufstand dem wenige Tage später, 13. April, eine Empörung in Paris folgte.
Unter diesen Umständen war ein Zusammenwirken aller erhaltenden Faktoren dringend nötig. Ein solches bestand zwar zwischen der Kammermehrheit und dem Ministerium, worin Broglie, Guizot und Thiers dominierten; aber der König, eifersüchtig auf dieses, intrigierte gegen seine eigenen Räte. Dies erzeugte eine Unsicherheit in der Regierung, die zu häufigen Krisen führte. Im Juli nahm Soult seinen Rücktritt und erhielt in Gerard einen Nachfolger. Schon im Oktober schied auch dieser und mit ihm der größte Teil des Ministeriums aus. Diesem folgte, nach einem viertägigen Ministerium unter Maret, wieder (18. Nov.) ein vorwiegend doktrinäres unter Marschall Mortiers Vorsitz, worin Guizot, Thiers und Duchatel die wichtigsten Stellen einnahmen. Schon nahm auch Mortier seine Entlassung, und 12. März kam dann unter Broglies Vorsitz die Wiederherstellung des alten Kabinetts vom zu stande.
Bei einer Heerschau, die der König hielt, machte der Corse Fieschi (s. d.) mittels einer Höllenmaschine ein Attentat auf den König, das 18 Personen tötete, ihn selbst nur leicht verletzte; die radikale Partei war dabei nicht ohne einige moralische Mitschuld. Die Regierung glaubte den Augenblick zur Durchdringung von drei Gesetzen günstig, die dem Treiben jener Einhalt thun sollten: eins war gegen die Presse [* 12] gerichtet, ein zweites bestimmte, daß die Geschwornen fortan schon mit einfacher Majorität statt der bisherigen Zweidrittelmehrheit schuldig sprechen könnten, und ein drittes erweiterte die Verhängung der Strafe in contumaciam (Septembergesetze).
Folge war nur, daß sich die radikale Opposition in das Dunkel zahlloser Geheimbünde zurückzog, während die konservative Mehrheit zerfiel. Ein Konflikt mit der Kammer über die Rentenkonversion brachte das Kabinett zu Fall. Es ward durch ein Ministerium aus der dem linken Centrum zugeneigten Fraktion (Tiers-parti, s. d.) ersetzt, in dem Thiers den Vorsitz und die auswärtigen Angelegenheiten übernahm. Das neue Ministerium suchte namentlich nach außen eine Politik durchzuführen, die den franz. Neigungen mehr entsprach; besonders wollte Thiers den König zum Eingreifen gegen die Karlisten in Spanien [* 13] bewegen, scheiterte aber am Widerwillen desselben und nahm mit seinen Kollegen seine Entlassung.
Ein neues Ministerium unter des gefügigen Molé Vorsitz ward gebildet, und damit hatte Ludwig endlich das «gouvernement personnel» erreicht. Um es in Gunst zu bringen, erließ er eine beschränkte Amnestie gegen polit. Gefangene, unter andern gegen die Exminister Karls X. Am machte Louis Napoleon (s. Napoleon III.) in Straßburg [* 14] einen Versuch zur Wiederherstellung des Kaisertums. Das Unternehmen mißglückte jedoch ebenso wie das Attentat, das bei der Eröffnung der Kammern von einem Arbeiter, Namens Meunier, auf den König gemacht wurde.
Wenn aber das königl. Ministerium auch dieses Attentat zu neuen Einschränkungen ausnützen wollte, so ging es fehl. Die Loi de disjonction, ein Gesetz, das bei Verbrechen, die von Militär- und Civilpersonen zugleich verübt würden, die Gerichtsbarkeit für beide trennen wollte, wurde samt dem Deportationsgesetz gegen solche, die um ein Komplott gegen den König gewußt und darüber geschwiegen hätten, von der Kammer verworfen. Das Ministerium mußte zum Teil erneuert werden. Guizot, Gasparin, Persil und Duchatel wurden durch Montalivet, Salvandy, Lacave-Laplagne und Barthe ersetzt In der Hoffnung, in einer neuen Kammer mehr Unterstützung zu finden, erfolgte die Auflösung der alten im Okt. 1837.
Aber die Neuwahlen verschafften der Regierung nur eine geringe Majorität, und das Ministerium vom 15. April hatte in der zu Ende 1837 eröffneten Session einen schlimmen Stand. Seine Gesetzvorlagen in betreff der Rentenreduktion und der Eisenbahnen wurden verworfen. In der Deputiertenkammer trat 1838 eine Koalition der Doktrinärs, des tiers-parti und der Linken geschlossen auf und nötigte das Kabinett Molé, trotz einer neuen Kammerauflösung, die nur eine Verstärkung [* 15] der liberalen Partei zur Folge hatte, zum Rücktritt Ein neues Kabinett zu stande zu bringen, schien jetzt fast unmöglich.
Man mußte sich seit mit einer provisorischen Verwaltung behelfen, bis unter Soults Vorsitz ein Ministerium gebildet wurde. Diesem folgte aber schon infolge der Verwerfung eines Gesetzvorschlags über die Dotation des Herzogs von Nemours wieder ein neues von Thiers gebildetes Kabinett, aber obwohl dieses überwiegend dem linken Centrum angehörte, blieben doch die Hoffnungen derer unerfüllt, die eine Aufhebung der Septembergesetze von 1835, eine Erweiterung des Wahlrechts und ähnliche Konzessionen erwarteten.
Thiers veranstaltete, mit Zustimmung der engl. Regierung, die Zurückführung der Überreste Napoleons von St. Helena nach Paris, wo sie im Invalidendom beigesetzt wurden. Nach außen suchte er eine kräftige Politik durchzuführen. Beim Ausbruch der orient. Wirren (s. Ägypten, [* 16] Bd. 1, S. 248 b, und Osmanisches Reich) [* 17] verwarf er die Vergleichsvorschläge Englands und der deutschen Großmächte, beschleunigte dadurch aber nur den Abschluß des Quadrupelvertrags, den die vier Großmächte ohne Zuziehung des franz. Gesandten (Guizot) in London [* 18] unterzeichneten.
Die Bekanntmachung desselben entfesselte in Frankreich die alten Kriegsgelüste, in die das Ministerium durch lärmende Rüstungen, drohende Kundgebungen und den Plan einer Befestigung von Paris bereitwillig einstimmte. Inmitten dieser Aufregung suchte Louis Napoleon ein zweites Komplott auszuführen, indem er 6. Aug. mit einigen Anhängern bei Boulogne landete und die Soldaten einer Kaserne vergebens zum Abfall zu verführen suchte. (S. Napoleon III.) Er wurde gefangen, von dem Pairshof zu lebenslänglicher Haft verurteilt und nach Ham gebracht. Inzwischen war aber das Kabinett Thiers 21. Okt. gefallen, weil sich der König dessen Wünschen, den Julivertrag der Mächte zu verwerfen und von den Kammern Mittel zu ausgedehnten Rüstungen zu fordern, verschloß. Das neue Ministerium, gebildet, stand wieder unter Soults Präsidium und erhielt sich in seinen Hauptpersonen ¶