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als Körperschaft teilte jedoch auch der Klerus die Sünden der Bevorrechteten reichlich. Vorrechte besaß er im weitesten Maße; seine Gesamtsitzungen zeigten alle übeln Seiten der organisierten Standesselbstsucht, die allgemeinen Steuern bekämpften sie mit Starrheit und errangen für den Klerus stets weitgehende Erleichterungen. Auch gegen ihn und seinethalben gegen die von ihm verkündigte Religion wandte sich daher die öffentliche Meinung.
In stetem Gegensatze zur Kirche und dennoch an Standesart und Vorrecht ihr ähnlich, stehen die Parlamente, die Träger [* 2] des Gerichtswesens da. Ursprünglich von der Krone geschaffen, hatten diese höchsten Gerichtshöfe eine volle Selbständigkeit auch gegen jene errungen; die Käuflichkeit der Ämter, die allmählich auch gegen eine weitere Abgabe erblich wurden, hatte einen eng zusammenhängenden Kreis [* 3] großer richterlicher Familien geschaffen, der die hohen Richterstellen in seinen Händen festhielt.
Die Käuflichkeit dieser wie anderer Stellen war aus fiskalischen Gründen eingeführt, der Besitzer des Richteramtes kam durch steigende Sporteln, die die Parteien zahlten, auf reichliche Zinsen der Kaufsumme, und dieser Eigenbesitz des Amtes und dessen fast kaufmännischer Charakter beeinflußten vielfach die Rechtsprechung. Die oligarchische Gestaltung des Richterstandes führte auch sonst zu unsauberm persönlichem Treiben, Verbesserungen ließ diese geschlossene Kaste nicht leicht zu; berühmt ist Voltaires Kampf gegen die parteiische und überharte Strafrechtspflege (s. Calas).
Andererseits hatte dieser starre Standesgeist der «Magistratur» auch eine Fülle guter Seiten: im ganzen hielten doch die Richter die Standesehre aufrecht und zeigten eine feste und stolze, von der Regierung unabhängige Haltung. Als Ganzes aber war die Magistratur eine Körperschaft von Privilegierten, deren Dasein mit dem eindringenden Geiste der neuen Zeit im scharfen Gegensatze stand und mit den nivellierenden Bestrebungen der Verwaltung stets im Hader lag. Die Rechtsverfassung gipfelte in den Parlamenten: ihre untern Stufen spiegeln die volle Ungleichmäßigkeit des noch nicht zu Ende durchgebildeten Staates.
Durch die siéges présidiaux (etwa unsern Landgerichten entsprechend) und die niedern Gerichte in verschiedenen Gestaltungen (baillages, sénéchaussées, tiefer die prévôtés) reicht die königl. Gerichtsbarkeit hinab in alle Kreise, [* 4] unter und neben dieser bestanden aber noch die eingeschränkten, unregelmäßigen Reste der Gerichtshoheit der Seigneurs und der Städte. Hier wie überall gab es Ansätze zur Vereinheitlichung (besonders Gesetzgebung, einheitliche Ordonnanzen) und bei allgemeiner Rechtsunsicherheit das allgemeinste Bedürfnis nach Reform. Hier wie überall lag das Bedürfnis mit der alten Gliederung im Streit, und die Krone hatte unterlassen, diesen Streit, durch Auflösung des Unhaltbaren, zu entscheiden.
C. Die geistige Bewegung innerhalb der Gesellschaft verlieh den materiellen Wünschen erst die ideelle Form und, nach vergeblichen Hoffnungen, den Fanatismus, der zur Revolution geführt hat. Langsam erwachte gegen die Dogmatik der Autorität unter Ludwig XIV. die Kritik; seit dem Beginn des 18. Jahrh. wendete sie sich gegen die Einseitigkeit röm. Ansprüche (Jansenismus, Parlament), seit der Regentschaft allmählich auch gegen die polit. Schäden. Eine liberale, durch engl. Anregung hervorgerufene maßvolle Richtung ging voran, die, an die bestehenden franz. Einrichtungen anknüpfend, die Stände wie das Königtum reformieren, nach engl. Muster neu beleben und eine auf das altfranz.
Ständetum begründete Selbstverwaltung bei Vorherrschaft der Krone schaffen wollte. (S. Argenson und Montesquieu.) Hierüber geht die eigentliche Aufklärung hinweg, die Vernunftkritik wird rücksichtsloser, die Unhaltbarkeit der Körperschaften klarer, auf das Königtum und seine Verwaltung wird ganz im Sinne der franz. Geschichte die Hoffnung durchgreifender, gleichmachender Reform gegründet, und ein aufgeklärter Absolutismus war das Ziel der Physiokraten und thatsächlich auch Voltaires, trotz republikanischer Träume.
Diese Zeitbildung bereitete, da das Königtum seine Pflicht nicht erfüllte, dem Radikalismus den Boden und mußte ihn diesem abtreten. Rousseau erhebt die kleinen Zustände der Genfer Republik zum allgemeinen Ideal; ein Bau einer neuen Gesellschaft und eines neuen Staates wird durchaus vernunftgemäß aufgeführt, als ob man einem Nichts gegenüberstände. Da die Litteratur den öffentlichen Geist seit 150 Jahren beherrschte, da diese Lehre [* 5] bei den Höhern keinen Widerstand, in dem aufstrebenden Gleichheitsbedürfnis der Niedern alle Nahrung fand, so wurde die öffentliche Meinung bis tief hinab von dem Bestehenden losgelöst und an den Gedanken der Umwälzung langsam gewöhnt. Ludwig XVI. erweckte erst noch die Hoffnung einer doch noch denkbaren Reform; sie blieb aus, eine Reaktion folgte, der revolutionäre Geist reifte vollends, die Ungeschicktheiten der Regierung gaben ihm das Heft in die Hand, [* 6] alle alten Gewalten lähmten sich selbst; auch das Heer wurde vom neuen Geiste zersetzt, keine Staatsmacht blieb aufrecht und die Revolution brach unaufgehalten los.
5) Während der Revolution (1789-95). Der Widerstand gegen die berechtigten Forderungen der Volksdeputierten hatte zur Konstituierung des Dritten Standes als Nationalversammlung geführt; er führte, als die Regierung deren Sitzungen untersagte und der Dritte Stand sich nun in dem sog. Ballhause versammelte, 20. Juni zu dem feierlichen Eidschwure der Deputierten, sich nicht eher zu trennen, als bis die neue Verfassung des Staates vollendet sei. Nach der königl. Sitzung vom 23. Juni, in der zwar nicht unwesentliche Neuerungen (Abschaffung der Lettres de cachet, Preßfreiheit, Beseitigung der Binnenzölle und Wegefronen, Steuerbewilligungsrecht der Generalstände u. a.) angekündigt, aber doch auch wieder die alten Feudalrechte und die ständische Organisation festgehalten wurden, erklärte die Nationalversammlung die Unverletzlichkeit ihrer Mitglieder und jede Gewaltthat gegen sie für Hochverrat.
Der von seiner Umgebung geleitete König ließ hierauf unter dem Marschall Broglie ein starkes Truppenkorps zusammenziehen, löste das Ministerium auf und verbannte Necker über die Grenze. Diese Maßregeln verursachten 12. Juli zu Paris [* 7] den ersten blutigen Aufstand; 13. Juli erfolgte die Errichtung einer Bürgermiliz und einer revolutionären Municipalbehörde; 14. eroberte das bewaffnete Volk die Bastille (s. d.). Die Bewegung teilte sich schnell den Provinzen mit, überall entstanden Nationalgarden und Municipalitäten, die königl. Gewalt war mit einem Schlage auf allen Punkten gebrochen. Jetzt erst versöhnte sich der König mit der Versammlung und suchte die Hauptstadt zu beruhigen, indem er Necker zurückrief, Bailly als Maire und Lafayette als Befehlshaber der Nationalgarden bestätigte, während ¶
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die Feudalen, die königl. Prinzen an der Spitze, die Auswanderung begannen. In der Nacht des 4. Aug. hob die Nationalversammlung alle Feudalrechte und persönlichen Lasten auf und ließ darauf die Erklärung der Menschenrechte folgen. Die widerstrebende Haltung des Königs gegen diese Artikel, mehr jedoch die vom Herzog Ludwig Philipp von Orléans [* 9] beförderten Aufhetzungen und die Furcht der Massen vor der Hungersnot führten zu einem neuen Ausbruche in Paris und 5. Okt. zu dem Zuge großer Volkshaufen nach Versailles, [* 10] durch die der König und die königl. Familie gezwungen wurden, sich 6. Okt. nach Paris zu begeben, wohin auch die Nationalversammlung bald ihren Sitz verlegte.
Diese begann nun im November eine neue Organisation des Landes. Die alten Provinzen wurden durch 83 Departements ersetzt, die in Distrikte und Kantone zerfielen; die Wahl der Verwaltungsräte vollzogen alle aktiven, den Wert dreier Arbeitstage steuernden Bürger. Dieselben wählten auch die Wähler und diese die Deputierten zur Nationalversammlung. Jedes Departement erhielt einen Civil- und einen Kriminalgerichtshof, jeder Kanton [* 11] ein Friedensgericht. Um dem Klerus den Einfluß abzuschneiden und der Finanznot abzuhelfen, konfiszierte die Versammlung 2. Nov. das sämtliche Kirchengut, was bald darauf zur Schaffung der Assignaten (s. d.) führte. Eine neue Verfassung des Klerus, die Aufhebung der geistlichen und weltlichen Orden, [* 12] Korporationen und Titel vollendeten die Auflösung des alten Staates.
Unter diesen Wirren beschworen am Jahrestage der Erstürmung der Bastille, der König, die Staatsgewalten und die Deputierten die neuen Verfassungsgesetze. Zwei Drittel des Klerus verweigerten jedoch den Bürgereid; die polit. Klubs, besonders die Jakobiner, erhitzten die Köpfe und regten die Massen auf; die Nationalversammlung selbst war in Konstitutionelle, Republikaner und Anhänger des Hofs gespalten. Am starb Mirabeau, der einzige Charakter, der den Thron [* 13] gegen Männer wie Robespierre, Marat, Danton vielleicht hätte aufrecht erhalten können.
Zugleich nahm die Auswanderung des Adels überhand. (S. Emigranten.) Der Prinz von Condé bildete zu Worms, [* 14] der Graf Artois zu Koblenz [* 15] ein Emigrantenkorps. Als auch Ludwig XVI. in der Nacht vom 20. Juni mit seiner Familie einen Fluchtversuch machte, wurde er 22. zu Varennes verhaftet und nach Paris zurückgeführt. Die Nationalversammlung hatte unterdessen nicht versäumt, auch die ausübende Gewalt an sich zu nehmen; sie suspendierte den König vorläufig und setzte eine Untersuchungskommission ein. Die republikanische Partei, darunter Robespierre, Pétion, Desmoulins und Danton, arbeitete nun an der Absetzung des Königs, der schon vollkommen willenlos das Werk der Konstituante, die neue Verfassung, beschwor.
Inzwischen regte sich das Ausland zu Gunsten des franz. Königtums. Friedrich Wilhelm II. von Preußen [* 16] unterschrieb zu Pillnitz mit Kaiser Leopold II. eine Deklaration, die zwar noch keine Kriegserklärung war, aber doch weitere königsfeindliche Fortschritte der Revolution bedrohte.
Die Wahlen zur Gesetzgebenden Versammlung, die alle Mitglieder der 30. Sept. aufgelösten Nationalversammlung ausschlossen, brachten vorwiegend Demokraten ans Ruder. Die Versammlung begann ihre Sitzungen. Die Führung hatten die Girondisten, die damals noch eng mit den Radikalen, wie Danton, Robespierre und selbst Marat, verbündet und mit ihnen im Jakobinerklub vereinigt waren. Sie rissen sofort die Versammlung zu scharfen Dekreten gegen die eidverweigernden Priester und die Emigranten hin, denen der König sein Veto entgegensetzte. Die Antwort der dadurch gereizten Gironde war das Dekret vom 29. Nov., wonach Ludwig die rhein. Kurfürsten zur Entlassung der Emigrantenarmee auffordern mußte. Im Dezember stellte man 160000 Mann unter die Waffen [* 17] und anscheinend auf Antrag des Königs, der seit dem von einem girondistischen Ministerium unter Roland willenlos gelenkt wurde, ward 20. April der Krieg gegen Österreich [* 18] einstimmig beschlossen.
Bei der Nachricht von der ersten Niederlage der Franzosen wurde die Aufregung der Massen ungeheuer. Die Nationalversammlung erklärte sich in Permanenz und verfügte die Zusammenziehung eines Lagers von 20000 Mann Föderierter in der Nähe von Paris. Als der König, seine Hoffnung, auf die Pariser Nationalgarde setzend, 8. Juni diesem Vorschlage die Zustimmung versagte und am 13. das Ministerium Roland entließ, setzten die Girondisten alle Hebel [* 19] an, um ihn zu stürzen.
Auf ihren Betrieb erschienen 20. Juni die bewaffneten Haufen der Vorstädte vor der Versammlung und verlangten die Abschaffung des königl. Veto. Gegen Mittag drangen die Massen in das Schloß und verlangten die Vollziehung der Dekrete. Ludwig widerstand. Darauf erklärte die Kammer 5. Juli das Vaterland in Gefahr, man rief Freikorps zusammen und bewaffnete das Volk mit Piken. Inzwischen waren die Preußen nach einem Manifest des Herzogs von Braunschweig [* 20] in die Champagne eingerückt. (S. Französische Revolutionskriege.) Während die Jakobiner die Vorstädte in Aufruhr setzten und den Marseiller Pöbel an sich zogen, verhandelte 9. Aug. die Versammlung die Absetzung des Königs. Am 10. Aug. setzten die Pariser Sektionen einen revolutionären Bürgerrat ein und griffen die im Innern von den Schweizern verteidigten Tuilerien an. Die Nationalgarden weigerten sich, auf das Volk zu schießen, und so sah sich der König genötigt, mit seiner Familie in die Nationalversammlung zu flüchten.
Die girondistischen Minister wurden wieder eingesetzt, den Beschlüssen der Versammlung Gesetzeskraft zugesprochen und die Zusammenberufung eines Nationalkonvents angeordnet. Den König führte man 13. Aug. als Gefangenen mit seiner Familie in den Temple. Der konstitutionelle Thron, die Verfassung von 1791 und der Einfluß aller Anhänger des Königtums waren nun vernichtet. Die Pariser Gemeinde, an deren Spitze die radikalsten Jakobiner standen, nötigte die Versammlung zur Einsetzung einer Gerichtskommission, die über die Verschworenen des 10. Aug., wie man die Anhänger des Königs nannte, Untersuchung führen sollte; alle unbeeideten Priester wurden eingekerkert. Um die Royalisten in Schrecken zu setzen und die Gemäßigten vor den Neuwahlen einzuschüchtern, setzte der Justizminister Danton die Errichtung eines Verteidigungsrats durch und gab 2. Sept. das Signal zu den Gefängnismorden. Einige Tage wütete der Pöbel gegen die als verdächtig eingekerkerten Aristokraten. Die Nationalversammlung löste sich auf, und der Nationalkonvent (Convention nationale) trat sofort an ihre Stelle. ¶