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waren vielfach veraltet, Mißwachs häufig, die innern und äußern Verbindungen beschränkt und schlecht, Hungersnöte daher hier oder dort häufig, denen sich dann örtliche Aufstände anschlossen. Lange unterband das Kornausfuhrverbot die ländliche Produktion (von Colbert bis über Turgot hinaus). Dennoch befand sich der franz. Landmann besser als in den meisten andern Ländern: persönliche Freiheit und Eigenbesitz hatte er vor dem Ostdeutschen, die aufsteigende Richtung selbst vor dem Engländer voraus;
wie dort die Latifundien, so wuchsen in Frankreich die kleinen Besitze.
Der Adel ging zurück, verkaufte viel Land an Städter und auch an sparende Bauern, so wurde aus dem Pächter vielfach der Besitzer.
Daß dennoch die bittersten Klagen laut wurden, liegt zum großen Teil an dem Beharren der politisch-socialen Formen. Wohl bestand noch die alte, auf der Versammlung aller Einwohner beruhende Dorfverfassung, die alle Fragen der Gemeinde behandelte, doch war der einst mitwirkende Seigneur der Gemeinde vom königl. Beamten ersetzt worden; die alten Formen wurden bedeutungslos, der Intendant bestimmte thatsächlich, die Selbstverwaltung ward inhaltslos. Lebendig geblieben aber waren die Ansprüche des Gesamtstaates und die sociale Gliederung: an die Privilegierten werden die Herrenrechte entrichtet, am stärksten auf dem Herrenlande, irgendwie aber lasteten sie auf allem Lande als Kirchenzehnten, Fronen, Zölle aller Art, Bodenverkaufsabgaben, Monopole der herrschaftlichen Kelter und Mühlen, [* 2] Jagdrechte, herrschaftliche Taubenschläge u. a. Der Staat zwang die Bauern, die Wege zu anderer Nutzen zu bauen, riß sie von eigener Arbeit weg und forderte die direkten Steuern ein (15 Proz. derselben rechnet man auf die Privilegierten, 85 Proz. auf die Taillabeln).
Seine Steuerpächter drangen durch ihre Beamten mit Härte in jeden Haushalt, um die indirekten Gefalle einzutreiben, und nach Taines Berechnung wären vom Reinertrage seiner Arbeit nur etwa 20 Proz. dem Bauern geblieben. Dabei trat der Kontrast zwischen dem geplagten Dasein der Bauern und dem Glanze des Hofadels immer greller hervor, dessen Rechte bestehen blieben, während er dem Bauern nichts mehr leistete und dieser ihn sogar langsam aus seinem Besitz verdrängte. Eben daß er Besitzer ward und doch seines Besitzes nicht froh, tausend Lasten tragen mußte, deren Berechtigung er nicht einsah, daß der Adlige und der König fordern durften und nichts leisteten, daß sie ihn nur hemmten, ohne ihm zu nützen, erregte den Haß des in härtester Arbeit Fortschreitenden.
Der Bürgerstand litt, doch weniger gedrückt, unter dem gleichen Zwiespalt. Die Städte hatten bunte Reste oligarchischer Verfassungen behalten; die Krone nahm sie ihnen (seit 1692 siebenmal), ließ sie sich wieder abkaufen oder errichtete käufliche neue Ämter. Auch eine modernere allgemeine, von Choiseul 1764 erlassene Neuordnung ruhte auf oligarchischem Grunde: Körperschaftswesen durchdrang alle städtischen Einrichtungen;
Regierende, Kaufleute, Handwerker schieden sich schroff;
die Zünfte, die seit Colbert gefördert, erst unter Ludwig XVI. bekämpft wurden, gliederten Bürgerschaft und Gewerbthätigkeit.
Zahllose Stadtämter verschafften den Inhabern Vorrechte und Steuererleichterungen; die Regierenden befreiten sich nach Kräften von der allgemeinen Steuer auf Verbrauchsgegenstände. So herrschte auch in der Stadt ungerechte Ungleichheit, und die Hauptlast traf den kleinen Mann. Die städtische Verwaltung (Kriminaljustiz, Polizei, Steuererhebung, städtische Finanzen, Unterricht, Wohlthätigkeits-, Gesundheitspflege u. dgl.) hielt immerhin ihr Leben aufrecht, obwohl, besonders seit Colbert, der Staat gegen die Selbstsucht städtischer Oligarchien energischer eingriff und die wesentliche Leitung an sich nahm.
Für die Städter aber war es ein großer Vorzug, organisiert zu sein: viele Freiheiten und Erleichterungen genoß die Stadt in Bezug auf Besteuerung;
sie war unendlich günstiger gestellt als das schutzlose flache Land. Indes war auch hier das Wesen längst über die Formen hinausgewachsen: die Gebilde waren nur noch künstlich.
Der im 18. Jahrh. steigende materielle Aufschwung machte die Stadt ganz zum Mittelpunkte des wirtschaftlichen Daseins; die höhern bürgerlichen Schichten waren wie die reichsten, so die gebildetsten des Landes, dem Adel mindestens gleichstehend, dabei blieb die gesellschaftliche Kluft, die sie von ihm schied, bestehen; nach unten hin aristokratisch, forderte die Bourgeoisie nach oben hin Gleichheit. Der «Dritte Stand» wurde Schlagwort, und daß die Städter Staatsgläubiger waren, machte sie immer mehr zu unwilligen Zeugen der schlechten Finanzwirtschaft.
Die Privilegierten wurden durch Ehrenrechte, Hoheitsrechte (Gerichtsbarkeit, eigene Beamte), Steuerrechte (Freiheiten einerseits, andererseits Fronen, Abgaben, Zölle, Monopole) von der Masse der Bevölkerung [* 3] gesondert. Ihre polit. Stellung hatten sie eingebüßt, nur diese ihre Rechte waren geblieben. Die Entwicklung des neuern Frankreich war gegen den Willen des Adels vor sich gegangen, die franz. Könige hatten es nicht wie die preußischen verstanden, ihm in das moderne Staatswesen einzuordnen; voll edler Kräfte, war er doch zum Niedergang verurteilt.
Seit Ludwig XIV. schied sich der Hofadel (Nichtresidierende) vom Landadel (Residierende): die erste Gruppe umfaßt die reichsten Familien, die in Versailles [* 4] und Paris [* 5] ihre großen Einkünfte und gewaltige königl. Zuschüsse verzehrten, unordentlich wirtschafteten und ihren Besitz nur aussogen, auch wenn sie einige Monate auf ihren Schlössern Hof [* 6] hielten; polit. Pflichten erfüllten sie den Provinzen gegenüber nicht. An Zahl überwog der residierende Adel, vornehmlich Kleinadel, und wo er das alte Zusammenleben mit den Bauern aufrecht erhielt, wie in der Vendée, erhielt sich auch die konservative Gesinnung lebendig.
Dieser Adel barg ausgezeichnete Kräfte in sich, stellte ein tüchtiges und anspruchsloses Offizierkorps, aber auch er ging wirtschaftlich zurück; die Regierung vernachlässigte, Standespflichten erschöpften ihn; er verringerte langsam seine Habe, war auf seine Herrenrechte angewiesen und dem zinspflichtigen Landmann oft nicht minder lästig als der große Hofedelmann. Ausgezeichnete Elemente enthielt auch die Kirche, aber auch sie krankte am Privilegium.
Zwischen überreichen großen Prälaten (Äbten, Bischöfen, Erzbischöfen), unter denen leichtfertige Verweltlichung häufig war, und der Masse der 65-70000 nur zu oft jämmerlich besoldeten Pfarrer, klaffte ein gefährlicher Riß. Es fehlte nicht an Mißbräuchen (Klosterwesen);
die Jesuiten hielten den Kampf gegen alle subjektivern Richtungen aufrecht;
aber im ganzen war die franz. Kirche des 18. Jahrh. milde, in Seelsorge und Wohlthätigkeit unermüdlich, verständig und maßvoll, voll nationaler Gesinnung; ¶
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als Körperschaft teilte jedoch auch der Klerus die Sünden der Bevorrechteten reichlich. Vorrechte besaß er im weitesten Maße; seine Gesamtsitzungen zeigten alle übeln Seiten der organisierten Standesselbstsucht, die allgemeinen Steuern bekämpften sie mit Starrheit und errangen für den Klerus stets weitgehende Erleichterungen. Auch gegen ihn und seinethalben gegen die von ihm verkündigte Religion wandte sich daher die öffentliche Meinung.
In stetem Gegensatze zur Kirche und dennoch an Standesart und Vorrecht ihr ähnlich, stehen die Parlamente, die Träger [* 8] des Gerichtswesens da. Ursprünglich von der Krone geschaffen, hatten diese höchsten Gerichtshöfe eine volle Selbständigkeit auch gegen jene errungen; die Käuflichkeit der Ämter, die allmählich auch gegen eine weitere Abgabe erblich wurden, hatte einen eng zusammenhängenden Kreis [* 9] großer richterlicher Familien geschaffen, der die hohen Richterstellen in seinen Händen festhielt.
Die Käuflichkeit dieser wie anderer Stellen war aus fiskalischen Gründen eingeführt, der Besitzer des Richteramtes kam durch steigende Sporteln, die die Parteien zahlten, auf reichliche Zinsen der Kaufsumme, und dieser Eigenbesitz des Amtes und dessen fast kaufmännischer Charakter beeinflußten vielfach die Rechtsprechung. Die oligarchische Gestaltung des Richterstandes führte auch sonst zu unsauberm persönlichem Treiben, Verbesserungen ließ diese geschlossene Kaste nicht leicht zu; berühmt ist Voltaires Kampf gegen die parteiische und überharte Strafrechtspflege (s. Calas).
Andererseits hatte dieser starre Standesgeist der «Magistratur» auch eine Fülle guter Seiten: im ganzen hielten doch die Richter die Standesehre aufrecht und zeigten eine feste und stolze, von der Regierung unabhängige Haltung. Als Ganzes aber war die Magistratur eine Körperschaft von Privilegierten, deren Dasein mit dem eindringenden Geiste der neuen Zeit im scharfen Gegensatze stand und mit den nivellierenden Bestrebungen der Verwaltung stets im Hader lag. Die Rechtsverfassung gipfelte in den Parlamenten: ihre untern Stufen spiegeln die volle Ungleichmäßigkeit des noch nicht zu Ende durchgebildeten Staates.
Durch die siéges présidiaux (etwa unsern Landgerichten entsprechend) und die niedern Gerichte in verschiedenen Gestaltungen (baillages, sénéchaussées, tiefer die prévôtés) reicht die königl. Gerichtsbarkeit hinab in alle Kreise, [* 10] unter und neben dieser bestanden aber noch die eingeschränkten, unregelmäßigen Reste der Gerichtshoheit der Seigneurs und der Städte. Hier wie überall gab es Ansätze zur Vereinheitlichung (besonders Gesetzgebung, einheitliche Ordonnanzen) und bei allgemeiner Rechtsunsicherheit das allgemeinste Bedürfnis nach Reform. Hier wie überall lag das Bedürfnis mit der alten Gliederung im Streit, und die Krone hatte unterlassen, diesen Streit, durch Auflösung des Unhaltbaren, zu entscheiden.
C. Die geistige Bewegung innerhalb der Gesellschaft verlieh den materiellen Wünschen erst die ideelle Form und, nach vergeblichen Hoffnungen, den Fanatismus, der zur Revolution geführt hat. Langsam erwachte gegen die Dogmatik der Autorität unter Ludwig XIV. die Kritik; seit dem Beginn des 18. Jahrh. wendete sie sich gegen die Einseitigkeit röm. Ansprüche (Jansenismus, Parlament), seit der Regentschaft allmählich auch gegen die polit. Schäden. Eine liberale, durch engl. Anregung hervorgerufene maßvolle Richtung ging voran, die, an die bestehenden franz. Einrichtungen anknüpfend, die Stände wie das Königtum reformieren, nach engl. Muster neu beleben und eine auf das altfranz.
Ständetum begründete Selbstverwaltung bei Vorherrschaft der Krone schaffen wollte. (S. Argenson und Montesquieu.) Hierüber geht die eigentliche Aufklärung hinweg, die Vernunftkritik wird rücksichtsloser, die Unhaltbarkeit der Körperschaften klarer, auf das Königtum und seine Verwaltung wird ganz im Sinne der franz. Geschichte die Hoffnung durchgreifender, gleichmachender Reform gegründet, und ein aufgeklärter Absolutismus war das Ziel der Physiokraten und thatsächlich auch Voltaires, trotz republikanischer Träume.
Diese Zeitbildung bereitete, da das Königtum seine Pflicht nicht erfüllte, dem Radikalismus den Boden und mußte ihn diesem abtreten. Rousseau erhebt die kleinen Zustände der Genfer Republik zum allgemeinen Ideal; ein Bau einer neuen Gesellschaft und eines neuen Staates wird durchaus vernunftgemäß aufgeführt, als ob man einem Nichts gegenüberstände. Da die Litteratur den öffentlichen Geist seit 150 Jahren beherrschte, da diese Lehre [* 11] bei den Höhern keinen Widerstand, in dem aufstrebenden Gleichheitsbedürfnis der Niedern alle Nahrung fand, so wurde die öffentliche Meinung bis tief hinab von dem Bestehenden losgelöst und an den Gedanken der Umwälzung langsam gewöhnt. Ludwig XVI. erweckte erst noch die Hoffnung einer doch noch denkbaren Reform; sie blieb aus, eine Reaktion folgte, der revolutionäre Geist reifte vollends, die Ungeschicktheiten der Regierung gaben ihm das Heft in die Hand, [* 12] alle alten Gewalten lähmten sich selbst; auch das Heer wurde vom neuen Geiste zersetzt, keine Staatsmacht blieb aufrecht und die Revolution brach unaufgehalten los.
5) Während der Revolution (1789-95). Der Widerstand gegen die berechtigten Forderungen der Volksdeputierten hatte zur Konstituierung des Dritten Standes als Nationalversammlung geführt; er führte, als die Regierung deren Sitzungen untersagte und der Dritte Stand sich nun in dem sog. Ballhause versammelte, 20. Juni zu dem feierlichen Eidschwure der Deputierten, sich nicht eher zu trennen, als bis die neue Verfassung des Staates vollendet sei. Nach der königl. Sitzung vom 23. Juni, in der zwar nicht unwesentliche Neuerungen (Abschaffung der Lettres de cachet, Preßfreiheit, Beseitigung der Binnenzölle und Wegefronen, Steuerbewilligungsrecht der Generalstände u. a.) angekündigt, aber doch auch wieder die alten Feudalrechte und die ständische Organisation festgehalten wurden, erklärte die Nationalversammlung die Unverletzlichkeit ihrer Mitglieder und jede Gewaltthat gegen sie für Hochverrat.
Der von seiner Umgebung geleitete König ließ hierauf unter dem Marschall Broglie ein starkes Truppenkorps zusammenziehen, löste das Ministerium auf und verbannte Necker über die Grenze. Diese Maßregeln verursachten 12. Juli zu Paris den ersten blutigen Aufstand; 13. Juli erfolgte die Errichtung einer Bürgermiliz und einer revolutionären Municipalbehörde; 14. eroberte das bewaffnete Volk die Bastille (s. d.). Die Bewegung teilte sich schnell den Provinzen mit, überall entstanden Nationalgarden und Municipalitäten, die königl. Gewalt war mit einem Schlage auf allen Punkten gebrochen. Jetzt erst versöhnte sich der König mit der Versammlung und suchte die Hauptstadt zu beruhigen, indem er Necker zurückrief, Bailly als Maire und Lafayette als Befehlshaber der Nationalgarden bestätigte, während ¶