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gewisse Fragen besaß der «Grand conseil». Leiter all dieser Körperschaften war von Hause aus der König; seit er nicht mehr mitarbeitete, fiel den Räten selbst und den Ressortchefs die eigentliche Gewalt zu. Staatssekretäre gab es für das Auswärtige, den Krieg, die Marine, das königl. Haus und für die Reformierten; an der Spitze der Justizverwaltung und Gesetzgebung stand der Kanzler von Frankreich, die polit. Leitung hatte der höchste Vertrauensmann des Herrschers; der thatsächliche Leiter der franz. Verwaltung aber, ausgestattet mit ungeheuerer Macht, war der Contrôleur général des finances, die Seele des Finanzrates, Spitze sämtlicher innern Fachverwaltungen, das Haupt vor allem der neuen, allmächtigen Beamtenschaft des Königtums: der Intendanten.
Die Intendanten beherrschten die Provinzialverwaltung. Freilich lag gerade hier Altes und Neues wunderlich durcheinander. Noch bestanden die alten landschaftlich-polit. Körper, aus denen Frankreich zusammengewachsen war, die Gouvernements; sie zerfielen in Ständelande (pays d'états) und Elektionslande (pays d'élection), in den erstern (fünf) bestanden noch Provinzialstände, recht lebensvolle nur noch im Languedoc. Die Mehrzahl der Provinzen hatte keine Stände mehr; die «Erwählten» (élus), denen die Steuerumlage oblag, wurden seit Jahrhunderten nicht mehr gewählt, sondern von der Krone bestellt.
Jedes Gouvernement hatte einen Gouverneur, der ursprünglich Mittler zwischen Provinz und König sein sollte, das militär. und polit. Haupt seines Bezirkes bildete und den König bei den Ständen vertrat. Seit Ludwig XIV. waren diese Stellen einträgliche Ehrenposten ohne Inhalt geworden. Die Verwaltung lag vielmehr in den Händen der Intendanten (s. d.). Anstatt der alten Einteilungen war die neuere nach Steuerbezirken (généralités) die wirklich wichtige geworden; an deren Spitze standen die Intendanten, «die 32 Könige von Frankreich», Beamte wesentlich finanzieller Art, deren Befugnisse nicht streng geregelt waren, aber bald sehr ausgedehnte wurden.
Die Steuerverwaltung gipfelte im Contrôleur général und dem Finanzrat; dort wurde jährlich die Gesamthöhe der direkten Steuern (besonders die Taille) festgesetzt; sie wurden an die Generalitäten, in diesen von den Intendanten an die Einzelkreise verteilt. In den Pays d'états zahlten die Stände die auf die Provinz fallende Summe auf einmal und legten sie ihrerseits um; auch andere Körperschaften kauften sich gern durch Pauschalsummen ab (Geistlichkeit, Städte u. s. w.); für alles übrige Land ernannte der Intendant ortseingesessene Sammler (collecteurs), die Umlegung und Eintreibung verantwortlich besorgen mußten.
Eingeliefert wurden die Summen an Einnehmer (receveurs) und Generaleinnehmer. Fast jedem Parlament war eine Oberrechenkammer (chambre des comptes) zugeteilt. Unter den direkten Steuern stand die Taille voran: ursprünglich das Entgelt der Nichtadligen zur Heereserhaltung, während die Adligen ohne Entschädigung dienten. Seit dem 15. Jahrh. hatte die Taille ihre thatsächliche Grundlage, ihr sichtbares Recht verloren und war zum Ausdruck einer großen, nicht mehr begründeten Scheidung des franz. Volks geworden: sie traf noch immer nur die Nichtprivilegierten, nach ihr trennten sich die beiden Gruppen der non taillables und der taillables (roturiers). Für letztere war sie die ausnahmslose Steuer; andere Steuern schlossen sich, als rechtliche Zugabe, ihr an. - Neue Steuerarten waren seit Colberts Tode neben die Taille getreten, mehrfach Anläufe zu allgemein gleichen Auflagen, wie Zehnte im Kriege, gemacht worden; stets widerstrebten aber unter Ludwig XV. die Bevorrechteten leidenschaftlich solchen auch sie treffenden Abgaben.
Alle trafen die indirekten Steuern, wenngleich auch diese mit härterer Wucht die Ärmern. Diese Steuern, die auf alle möglichen Verbrauchsgegenstände (auf Salz [* 2] in erster Reihe [gabelle], und auf Getränke) gelegt und im 18. Jahrh. erheblich erweitert wurden, trieb der noch nicht voll durchgebildete Staat nicht direkt ein, sondern er zog es vor, die Verwaltungskosten und Mühen sparend, feststehend sichere Beträge durch Verpachtung an Steuerpächter (meist Gesellschaften) zu beziehen.
Die Pächter (fermiers) trieben die Abgaben durch ein Heer von Beamten auf eine für die Bevölkerung und insbesondere den kleinen Mann überaus lästige Weise ein. Dazu kam das Zollsystem, das unter Ludwig XIV. und XV. mit Entschiedenheit durchgeführt wurde und der Weiterbildung des Staatsgedankens und der polit. und wirtschaftlichen Einheit, der die Außenzölle Vorschub leisten mußten, durch die Unzahl der Binnenzölle schroff entgegenwirkte: 50000 Zollbeamte wurden als Wächter dieser regellosen, den verschiedensten Besitzern gehörigen, den Staatskörper zerreißenden Binnenzölle gerechnet;
der innere Schleichhandel wucherte und erzog zu gefährlicher Gewaltthätigkeit.
Der Wein wurde, abgesehen von Abgaben vor und bei der Fertigstellung und beim Verkauf, auf seiner Reise aus dem Südosten bis zur Hauptstadt etwa 40mal verzollt.
Finanzpolitisch kam im 18. Jahrh. Frankreich auf keinen grünen Zweig: das von Ludwig XIV. ererbte Deficit führte, trotz neuen Steuern, Anleihen, Versuchen nach fünf Bankrotten, unter steigender Beunruhigung der öffentlichen Meinung, die Krone bis an die Schwelle der allgemeinen Revolution.
B. Die Gesellschaft wird ganz beherrscht von dem Vorrechte, dem Privileg: nach ihm scheiden sich die zwei großen Klassen, Taillefreie und Taillepflichtige;
es war der einstmals durch politische und wirtschaftliche Leistungen begründete Lohn, der Entgelt für aufgegebene Souveränität;
doch waren die Leistungen zum großen Teil verschwunden, das Vorrecht geblieben.
Die Gesamtentwicklung F.s hatte die thatsächlichen Zustände mit diesen Scheidungen des Rechts in Widerspruch gesetzt; diesen Widerspruch faßt die geistige Bewegung auf, sucht ihn zu versöhnen durch Reformen oder aufzuheben durch Revolution. Die Kluft zwischen bestehendem Zustande und ererbter Form klafft am sichtbarsten beim Bauernstande. Abgesehen von einzelnen spät annektierten Strichen im Osten war der Landmann in Frankreich persönlich frei. Nach einer Berechnung besaßen von dem gesamten Grund und Boden 1/5 Krone und Kommunen, 1/5 die Geistlichkeit, 1/5 der Adel, 1/5 Bürgerliche, 1/5 Bauern.
Bewirtschaftet aber wurde durch Bauern der bei weitem größte Teil. Sie selber zerfielen in Besitzer und Pächter. Kleine und kleinste Besitzer gab es bereits in großer Zahl, daneben die Pächter der königlichen, adligen und geistlichen Güter, die von der Menge der Verpflichtungen gegen den Pachtherrn überlastet waren. Den Rest bildeten die ganz freistehenden Landarbeiter, deren Zahl nicht groß gewesen zu sein scheint. Der franz. Landwirtschaft haftete viel Hemmendes an: die Kulturmethoden ¶
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waren vielfach veraltet, Mißwachs häufig, die innern und äußern Verbindungen beschränkt und schlecht, Hungersnöte daher hier oder dort häufig, denen sich dann örtliche Aufstände anschlossen. Lange unterband das Kornausfuhrverbot die ländliche Produktion (von Colbert bis über Turgot hinaus). Dennoch befand sich der franz. Landmann besser als in den meisten andern Ländern: persönliche Freiheit und Eigenbesitz hatte er vor dem Ostdeutschen, die aufsteigende Richtung selbst vor dem Engländer voraus;
wie dort die Latifundien, so wuchsen in Frankreich die kleinen Besitze.
Der Adel ging zurück, verkaufte viel Land an Städter und auch an sparende Bauern, so wurde aus dem Pächter vielfach der Besitzer.
Daß dennoch die bittersten Klagen laut wurden, liegt zum großen Teil an dem Beharren der politisch-socialen Formen. Wohl bestand noch die alte, auf der Versammlung aller Einwohner beruhende Dorfverfassung, die alle Fragen der Gemeinde behandelte, doch war der einst mitwirkende Seigneur der Gemeinde vom königl. Beamten ersetzt worden; die alten Formen wurden bedeutungslos, der Intendant bestimmte thatsächlich, die Selbstverwaltung ward inhaltslos. Lebendig geblieben aber waren die Ansprüche des Gesamtstaates und die sociale Gliederung: an die Privilegierten werden die Herrenrechte entrichtet, am stärksten auf dem Herrenlande, irgendwie aber lasteten sie auf allem Lande als Kirchenzehnten, Fronen, Zölle aller Art, Bodenverkaufsabgaben, Monopole der herrschaftlichen Kelter und Mühlen, [* 4] Jagdrechte, herrschaftliche Taubenschläge u. a. Der Staat zwang die Bauern, die Wege zu anderer Nutzen zu bauen, riß sie von eigener Arbeit weg und forderte die direkten Steuern ein (15 Proz. derselben rechnet man auf die Privilegierten, 85 Proz. auf die Taillabeln).
Seine Steuerpächter drangen durch ihre Beamten mit Härte in jeden Haushalt, um die indirekten Gefalle einzutreiben, und nach Taines Berechnung wären vom Reinertrage seiner Arbeit nur etwa 20 Proz. dem Bauern geblieben. Dabei trat der Kontrast zwischen dem geplagten Dasein der Bauern und dem Glanze des Hofadels immer greller hervor, dessen Rechte bestehen blieben, während er dem Bauern nichts mehr leistete und dieser ihn sogar langsam aus seinem Besitz verdrängte. Eben daß er Besitzer ward und doch seines Besitzes nicht froh, tausend Lasten tragen mußte, deren Berechtigung er nicht einsah, daß der Adlige und der König fordern durften und nichts leisteten, daß sie ihn nur hemmten, ohne ihm zu nützen, erregte den Haß des in härtester Arbeit Fortschreitenden.
Der Bürgerstand litt, doch weniger gedrückt, unter dem gleichen Zwiespalt. Die Städte hatten bunte Reste oligarchischer Verfassungen behalten; die Krone nahm sie ihnen (seit 1692 siebenmal), ließ sie sich wieder abkaufen oder errichtete käufliche neue Ämter. Auch eine modernere allgemeine, von Choiseul 1764 erlassene Neuordnung ruhte auf oligarchischem Grunde: Körperschaftswesen durchdrang alle städtischen Einrichtungen;
Regierende, Kaufleute, Handwerker schieden sich schroff;
die Zünfte, die seit Colbert gefördert, erst unter Ludwig XVI. bekämpft wurden, gliederten Bürgerschaft und Gewerbthätigkeit.
Zahllose Stadtämter verschafften den Inhabern Vorrechte und Steuererleichterungen; die Regierenden befreiten sich nach Kräften von der allgemeinen Steuer auf Verbrauchsgegenstände. So herrschte auch in der Stadt ungerechte Ungleichheit, und die Hauptlast traf den kleinen Mann. Die städtische Verwaltung (Kriminaljustiz, Polizei, Steuererhebung, städtische Finanzen, Unterricht, Wohlthätigkeits-, Gesundheitspflege u. dgl.) hielt immerhin ihr Leben aufrecht, obwohl, besonders seit Colbert, der Staat gegen die Selbstsucht städtischer Oligarchien energischer eingriff und die wesentliche Leitung an sich nahm.
Für die Städter aber war es ein großer Vorzug, organisiert zu sein: viele Freiheiten und Erleichterungen genoß die Stadt in Bezug auf Besteuerung;
sie war unendlich günstiger gestellt als das schutzlose flache Land. Indes war auch hier das Wesen längst über die Formen hinausgewachsen: die Gebilde waren nur noch künstlich.
Der im 18. Jahrh. steigende materielle Aufschwung machte die Stadt ganz zum Mittelpunkte des wirtschaftlichen Daseins; die höhern bürgerlichen Schichten waren wie die reichsten, so die gebildetsten des Landes, dem Adel mindestens gleichstehend, dabei blieb die gesellschaftliche Kluft, die sie von ihm schied, bestehen; nach unten hin aristokratisch, forderte die Bourgeoisie nach oben hin Gleichheit. Der «Dritte Stand» wurde Schlagwort, und daß die Städter Staatsgläubiger waren, machte sie immer mehr zu unwilligen Zeugen der schlechten Finanzwirtschaft.
Die Privilegierten wurden durch Ehrenrechte, Hoheitsrechte (Gerichtsbarkeit, eigene Beamte), Steuerrechte (Freiheiten einerseits, andererseits Fronen, Abgaben, Zölle, Monopole) von der Masse der Bevölkerung [* 5] gesondert. Ihre polit. Stellung hatten sie eingebüßt, nur diese ihre Rechte waren geblieben. Die Entwicklung des neuern Frankreich war gegen den Willen des Adels vor sich gegangen, die franz. Könige hatten es nicht wie die preußischen verstanden, ihm in das moderne Staatswesen einzuordnen; voll edler Kräfte, war er doch zum Niedergang verurteilt.
Seit Ludwig XIV. schied sich der Hofadel (Nichtresidierende) vom Landadel (Residierende): die erste Gruppe umfaßt die reichsten Familien, die in Versailles [* 6] und Paris [* 7] ihre großen Einkünfte und gewaltige königl. Zuschüsse verzehrten, unordentlich wirtschafteten und ihren Besitz nur aussogen, auch wenn sie einige Monate auf ihren Schlössern Hof [* 8] hielten; polit. Pflichten erfüllten sie den Provinzen gegenüber nicht. An Zahl überwog der residierende Adel, vornehmlich Kleinadel, und wo er das alte Zusammenleben mit den Bauern aufrecht erhielt, wie in der Vendée, erhielt sich auch die konservative Gesinnung lebendig.
Dieser Adel barg ausgezeichnete Kräfte in sich, stellte ein tüchtiges und anspruchsloses Offizierkorps, aber auch er ging wirtschaftlich zurück; die Regierung vernachlässigte, Standespflichten erschöpften ihn; er verringerte langsam seine Habe, war auf seine Herrenrechte angewiesen und dem zinspflichtigen Landmann oft nicht minder lästig als der große Hofedelmann. Ausgezeichnete Elemente enthielt auch die Kirche, aber auch sie krankte am Privilegium.
Zwischen überreichen großen Prälaten (Äbten, Bischöfen, Erzbischöfen), unter denen leichtfertige Verweltlichung häufig war, und der Masse der 65-70000 nur zu oft jämmerlich besoldeten Pfarrer, klaffte ein gefährlicher Riß. Es fehlte nicht an Mißbräuchen (Klosterwesen);
die Jesuiten hielten den Kampf gegen alle subjektivern Richtungen aufrecht;
aber im ganzen war die franz. Kirche des 18. Jahrh. milde, in Seelsorge und Wohlthätigkeit unermüdlich, verständig und maßvoll, voll nationaler Gesinnung; ¶