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Engländern aufgerieben, der Friede zu Paris [* 2] von 1763 kostete Frankreich seine wertvollsten Kolonien: Canada war an England verloren. Im Innern herrschte seit 1743 ein immer ehr- und würdeloseres Maitressenregiment (s. Pompadour) voller Willkür, Verschwendung und vor allem voll erbärmlichster Schwäche; die Monarchie war machtlos, und auch das aufgeklärte Ministerium Choiseul (1758-70) vermochte Gründliches nicht durchzusetzen; es verbündete sich mit den sonst stets widerspenstigen Parlamenten gegen die Jesuiten, die ausgewiesen wurden, ward aber durch die Dubarry gestürzt: eine ^[richtig: ein] neuer Kampf der Regierung gegen die Parlamente (s. Maupeou) begann, und unter allgemeiner Erregung und Mißachtung endigte 1774 das lange Regiment Ludwigs XV.
Reich an gutem Willen, aber schwach an Charakter, vermochte sein Enkel Ludwig XVI. (1774-92) das Versäumte nicht nachzuholen. Sein unfähiger Premierminister Maurepas berief Turgot zur Verwaltung der zerrütteten Finanzen; noch einmal faßte dieser alle dringenden Reformen in einem großartigen Plane zusammen; aber die bedrohten Privilegierten, im Bunde mit der unverständigen Königin, erhoben sich gegen ihn, das Volk blieb lau, der haltlose König entließ ihn. An seine Stelle trat 1777 der stets optimistische Necker, der das klaffende Deficit geschickt, aber oberflächlich bekämpfte, einige Ideen Turgots ohne Kraft [* 3] wieder aufnahm und 1781 ebenfalls der feudalen Reaktion weichen mußte.
Calonnes Verwaltung (seit 1783), den Staatskredit durch waghalsiges Spiel und gedankenlose Verschleuderung vollends erschöpfend, dann in die Bahnen Turgots unvermittelt zurücklenkend, führte die Dinge auf der abschüssigen Bahn weiter. Die Notabeln, die er Febr. 1787 einberief, wiesen seine polit.-socialen Reformen mißtrauisch und selbstisch ab, erzwängen das Geständnis der verzweifelten Finanzlage, ließen auch seinen Nachfolger (seit Loménie de Brienne ohne Unterstützung und wurden im Mai aufgelöst.
Briennes Versuch, neue Steuern zu eröffnen, führte nun zum Konflikt mit dem halb ständisch, halb liberal opponierenden Parlament, es wurde nach Troyes verbannt, zurückberufen und nach neuem Widerstande seiner polit. Befugnisse durch eine Art Hofrat, die sog. Cour plénière, beraubt, der künftig den Finanzerlassen Gesetzeskraft geben sollte. Hiergegen protestierten alle Provinzialparlamente, vom Adel und den Massen unterstützt, und in der Bretagne, Provence, Dauphiné, in Flandern und Languedoc brachen zugleich Unordnungen aus.
Der Nordamerikanische Freiheitskrieg endlich hatte das längst überlastete und durch die litterar. Opposition vorbereitete Volk an revolutionäre Ideen gewöhnt; die Versammlung der Notablen hatte die Zerrüttung des Staates, die Verschwendung des Hofs, die Unfähigkeit der Verwaltung ans Licht [* 4] gezogen; der Beginn einer Verwaltungsreform in den Provinzen hatte die alten Organe der Regierung gelähmt, Hof [* 5] und Regierung befanden sich bereits in der gefährlichsten Lage.
Brienne nahm nochmals seine Zuflucht zu einer Versammlung des Klerus, der aber jedes Opfer zurückwies und die Herstellung der Parlamente und die Einberufung der Reichsstände forderte, nach denen auch, im ständischen Sinne, der Adel und, im demokratischen, die breiten, gärenden Massen des Dritten Standes verlangten. Der König und der Hof mußten endlich nachgeben. Noch suchte Brienne sich zu halten, indem er das Berufungsdekret der Generalstaaten auf erließ; aber nach wenigen Tagen mußte er zurücktreten, und Necker erhielt die Aufgabe, mit Hilfe der Reichsstände den Staat zu reformieren.
Die Beratung und Abstimmung in dieser Körperschaft sollte, entgegen der Forderung des Dritten Standes, nach der königl. Verfügung nicht nach Köpfen, sondern in alter Weise nach Ständen vor sich gehen, wodurch die Beschlüsse des Dritten Standes bei einer Verbindung der beiden andern stets kraftlos werden mußten. Der lange Kampf, in den, nach heißer Wahlbewegung, die Stände über diese entscheidende Vorfrage sogleich gerieten, endete damit, daß sich 17. Juni auf Sieyès' Antrag der Dritte Stand als die einzige, wahre Nationalversammlung erklärte und dem Adel und der Geistlichkeit freistellte, sich mit ihm zu vereinigen.
Staat und Gesellschaft vor der Revolution. Die neue Bewegung, ihre Notwendigkeit und ihre Bedeutung begreift sich erst, wenn man sich Staat, Gesellschaft und geistige Bewegung F.s unter dem «Ancien Régime» (1715-89) übersichtlich vor Augen stellt.
A. Der Staat. Das franz. Königtum hatte Frankreich geschaffen, äußerlich zusammengefügt und innerlich verschmolzen; es war seit sechs Jahrhunderten seine Aufgabe und Bemühung, im Kampfe gegen ständische und provinzielle Sondergewalt die eigene Macht zu heben und unter dem Schutz der Krone ein zusammengehöriges Volk zu bilden. Seit Colbert hatte das Königtum die lebendige Arbeit für das allgemeine Wohl vergessen; die letzte Möglichkeit einer Heilung der Schäden geht mit Turgots Sturze vorbei; da das Königtum sich seiner Aufgabe nicht gewachsen zeigt, bleibt nur noch die Revolution.
Zwischen Zeitbedürfnis und Staatsleistung klaffte ein Riß; wie breit er war, zeigt ein Blick auf den Zustand und die Thätigkeit der centralen und der provinzialen Organe des Staates, auf Zustand und Ansprüche der breiten Schichten des Volks. Centrales Organ des Staates war der König. Eine politisch berechtigte Gewalt neben ihm gab es in Frankreich seit langem, sicher seit Ludwig XIV. nicht mehr. Die königl. Person, von der aller Antrieb ausgehen soll, ist unter Ludwig XV. und XVI. nichts oder weniger als nichts. Um sie hatte sich unter Ludwig XIV. alles Leben der Nation gesammelt;
der Hof blieb auch jetzt glänzend wie früher;
der hohe Adel und Klerus strömte in der Hofstadt Versailles [* 6] zusammen, lebte dort in strahlender Pracht, verzehrte einen großen Teil der königl., d. h. der Staatseinkünfte wie des Ertrages der Landwirtschaft;
die königl. Person vergötterte er und bewahrte sich die feine Anmut des Tones selbst im Übermaß von Unreinheit und Sünde;
Arbeit für das allgemeine Wohl wurde nicht mehr geleistet.
Die Organe des polit. Lebens waren der Conseil und die Minister. Der Conseil war längst dem Hochadel entrissen und aus einfachen, juristisch gebildeten königl. Beamten (maîtres des requêtes) gebildet worden; eine geheime Abteilung von Vertrauensmännern des Herrschers (conseil d'état im engern Sinne) entschied die eigentlich hohen Staatsfragen; daneben bestanden die Räte für die Einzelzweige der Verwaltung: conseils des finances, de commerce, des dépêches (allgemeine innere Verwaltung), des partis (Nichtigkeitsbeschwerden gegen gerichtliche Urteile, zugleich Oberverwaltungsgericht). Oberste Gerichtsbarkeit für ¶
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gewisse Fragen besaß der «Grand conseil». Leiter all dieser Körperschaften war von Hause aus der König; seit er nicht mehr mitarbeitete, fiel den Räten selbst und den Ressortchefs die eigentliche Gewalt zu. Staatssekretäre gab es für das Auswärtige, den Krieg, die Marine, das königl. Haus und für die Reformierten; an der Spitze der Justizverwaltung und Gesetzgebung stand der Kanzler von Frankreich, die polit. Leitung hatte der höchste Vertrauensmann des Herrschers; der thatsächliche Leiter der franz. Verwaltung aber, ausgestattet mit ungeheuerer Macht, war der Contrôleur général des finances, die Seele des Finanzrates, Spitze sämtlicher innern Fachverwaltungen, das Haupt vor allem der neuen, allmächtigen Beamtenschaft des Königtums: der Intendanten.
Die Intendanten beherrschten die Provinzialverwaltung. Freilich lag gerade hier Altes und Neues wunderlich durcheinander. Noch bestanden die alten landschaftlich-polit. Körper, aus denen Frankreich zusammengewachsen war, die Gouvernements; sie zerfielen in Ständelande (pays d'états) und Elektionslande (pays d'élection), in den erstern (fünf) bestanden noch Provinzialstände, recht lebensvolle nur noch im Languedoc. Die Mehrzahl der Provinzen hatte keine Stände mehr; die «Erwählten» (élus), denen die Steuerumlage oblag, wurden seit Jahrhunderten nicht mehr gewählt, sondern von der Krone bestellt.
Jedes Gouvernement hatte einen Gouverneur, der ursprünglich Mittler zwischen Provinz und König sein sollte, das militär. und polit. Haupt seines Bezirkes bildete und den König bei den Ständen vertrat. Seit Ludwig XIV. waren diese Stellen einträgliche Ehrenposten ohne Inhalt geworden. Die Verwaltung lag vielmehr in den Händen der Intendanten (s. d.). Anstatt der alten Einteilungen war die neuere nach Steuerbezirken (généralités) die wirklich wichtige geworden; an deren Spitze standen die Intendanten, «die 32 Könige von Frankreich», Beamte wesentlich finanzieller Art, deren Befugnisse nicht streng geregelt waren, aber bald sehr ausgedehnte wurden.
Die Steuerverwaltung gipfelte im Contrôleur général und dem Finanzrat; dort wurde jährlich die Gesamthöhe der direkten Steuern (besonders die Taille) festgesetzt; sie wurden an die Generalitäten, in diesen von den Intendanten an die Einzelkreise verteilt. In den Pays d'états zahlten die Stände die auf die Provinz fallende Summe auf einmal und legten sie ihrerseits um; auch andere Körperschaften kauften sich gern durch Pauschalsummen ab (Geistlichkeit, Städte u. s. w.); für alles übrige Land ernannte der Intendant ortseingesessene Sammler (collecteurs), die Umlegung und Eintreibung verantwortlich besorgen mußten.
Eingeliefert wurden die Summen an Einnehmer (receveurs) und Generaleinnehmer. Fast jedem Parlament war eine Oberrechenkammer (chambre des comptes) zugeteilt. Unter den direkten Steuern stand die Taille voran: ursprünglich das Entgelt der Nichtadligen zur Heereserhaltung, während die Adligen ohne Entschädigung dienten. Seit dem 15. Jahrh. hatte die Taille ihre thatsächliche Grundlage, ihr sichtbares Recht verloren und war zum Ausdruck einer großen, nicht mehr begründeten Scheidung des franz. Volks geworden: sie traf noch immer nur die Nichtprivilegierten, nach ihr trennten sich die beiden Gruppen der non taillables und der taillables (roturiers). Für letztere war sie die ausnahmslose Steuer; andere Steuern schlossen sich, als rechtliche Zugabe, ihr an. - Neue Steuerarten waren seit Colberts Tode neben die Taille getreten, mehrfach Anläufe zu allgemein gleichen Auflagen, wie Zehnte im Kriege, gemacht worden; stets widerstrebten aber unter Ludwig XV. die Bevorrechteten leidenschaftlich solchen auch sie treffenden Abgaben.
Alle trafen die indirekten Steuern, wenngleich auch diese mit härterer Wucht die Ärmern. Diese Steuern, die auf alle möglichen Verbrauchsgegenstände (auf Salz [* 8] in erster Reihe [gabelle], und auf Getränke) gelegt und im 18. Jahrh. erheblich erweitert wurden, trieb der noch nicht voll durchgebildete Staat nicht direkt ein, sondern er zog es vor, die Verwaltungskosten und Mühen sparend, feststehend sichere Beträge durch Verpachtung an Steuerpächter (meist Gesellschaften) zu beziehen.
Die Pächter (fermiers) trieben die Abgaben durch ein Heer von Beamten auf eine für die Bevölkerung und insbesondere den kleinen Mann überaus lästige Weise ein. Dazu kam das Zollsystem, das unter Ludwig XIV. und XV. mit Entschiedenheit durchgeführt wurde und der Weiterbildung des Staatsgedankens und der polit. und wirtschaftlichen Einheit, der die Außenzölle Vorschub leisten mußten, durch die Unzahl der Binnenzölle schroff entgegenwirkte: 50000 Zollbeamte wurden als Wächter dieser regellosen, den verschiedensten Besitzern gehörigen, den Staatskörper zerreißenden Binnenzölle gerechnet;
der innere Schleichhandel wucherte und erzog zu gefährlicher Gewaltthätigkeit.
Der Wein wurde, abgesehen von Abgaben vor und bei der Fertigstellung und beim Verkauf, auf seiner Reise aus dem Südosten bis zur Hauptstadt etwa 40mal verzollt.
Finanzpolitisch kam im 18. Jahrh. Frankreich auf keinen grünen Zweig: das von Ludwig XIV. ererbte Deficit führte, trotz neuen Steuern, Anleihen, Versuchen nach fünf Bankrotten, unter steigender Beunruhigung der öffentlichen Meinung, die Krone bis an die Schwelle der allgemeinen Revolution.
B. Die Gesellschaft wird ganz beherrscht von dem Vorrechte, dem Privileg: nach ihm scheiden sich die zwei großen Klassen, Taillefreie und Taillepflichtige;
es war der einstmals durch politische und wirtschaftliche Leistungen begründete Lohn, der Entgelt für aufgegebene Souveränität;
doch waren die Leistungen zum großen Teil verschwunden, das Vorrecht geblieben.
Die Gesamtentwicklung F.s hatte die thatsächlichen Zustände mit diesen Scheidungen des Rechts in Widerspruch gesetzt; diesen Widerspruch faßt die geistige Bewegung auf, sucht ihn zu versöhnen durch Reformen oder aufzuheben durch Revolution. Die Kluft zwischen bestehendem Zustande und ererbter Form klafft am sichtbarsten beim Bauernstande. Abgesehen von einzelnen spät annektierten Strichen im Osten war der Landmann in Frankreich persönlich frei. Nach einer Berechnung besaßen von dem gesamten Grund und Boden 1/5 Krone und Kommunen, 1/5 die Geistlichkeit, 1/5 der Adel, 1/5 Bürgerliche, 1/5 Bauern.
Bewirtschaftet aber wurde durch Bauern der bei weitem größte Teil. Sie selber zerfielen in Besitzer und Pächter. Kleine und kleinste Besitzer gab es bereits in großer Zahl, daneben die Pächter der königlichen, adligen und geistlichen Güter, die von der Menge der Verpflichtungen gegen den Pachtherrn überlastet waren. Den Rest bildeten die ganz freistehenden Landarbeiter, deren Zahl nicht groß gewesen zu sein scheint. Der franz. Landwirtschaft haftete viel Hemmendes an: die Kulturmethoden ¶