mehr
Unterrichtswesen. - Der Kassationshof entscheidet niemals über die streitige Sache, sondern nur über die richtige Anwendung des Gesetzes und des Verfahrens. Derselbe zählt 49 Mitglieder, die drei Kammern bilden: Civil-, Kriminal- und Requetenkammer. In gewissen Fällen urteilen die vereinigten Kammern (toutes chambres réunies). Die Richter der Arrondissementsgerichte, der Appellhöfe und des Kassationshofs sind unabsetzbar, müssen aber (seit 1852) in einem gewissen Alter in den Ruhestand versetzt werden; auch ist die Versetzbarkeit und Absetzbarkeit der Richter wegen dauernder Schwäche durch Gesetz vom erleichtert worden. Es giebt im franz. Gerichtswesen in Wirklichkeit nur zwei Instanzen, da der Kassationshof nicht über die streitige Sache urteilt.
Außer den Friedens- und Handelsgerichten, den Präfekturräten, den Prud'hommes ist bei allen Gerichten eine Staatsanwaltschaft (ministère public) thätig, die bei den Kreis- und höhern Gerichten von Staatsprokuratoren (procureurs de la république) versehen wird. Bei den höhern Gerichten heißt er procureur général. Der Staatsprokurator hat in Kriminalsachen die Anklage zu führen und muß in gewissen Civilsachen (den sog. kommunikablen Sachen) gehört werden, während er in andern Civilsachen das Wort ergreifen kann (partie jointe), in andern (z. B. Nichtigkeit gewisser Ehen) als Hauptpartei (partie principale) auftritt. Außer in den Verwaltungstribunalen herrscht in ganz Frankreich Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens.
Finanzwesen. Die Einnahmen setzen sich zusammen aus direkten und indirekten Abgaben. Zu den direkten Abgaben gehören: die Grund- und Gebäudesteuer von 1791 (1894: 196723060 Frs.), die Personal- und Mobiliarsteuer von 1791 (88173135 Frs.), die Thür- und Fenstersteuer von 1795 (57205001), die 1791 eingeführte Gewerbesteuer (122645558) und die Steuerrollentaxe (1052650), die Taxen auf die Güter der Toten Hand (6,6 Mill.), die Abgaben von Bergwerken (4,1 Mill.), die Pferd- und Wagensteuer (12444000), die Visitation der Apotheken (392000), die Aichgebühren (4800000), die seit 1871 eingeführten Steuern auf Billards und geschlossene Gesellschaften (6800000). Die Erträgnisse der Domänen betrugen 19401900, die der Forsten 28050120 Frs.
Viel wichtiger sind in Frankreich die indirekten Abgaben mit insgesamt 2050 Mill. Frs.: die Einregistrierungs- (548499600), die Stempelabgaben (161785000), die 4prozentige Einkommensteuer von beweglichem Vermögen (69249000), die Monopole und staatlichen Industrien (629044880) und die Zölle (465726130), die verschiedenen Einnahmen (58550892) und die eigentlichen indirekten Steuern (601865350). Die letztern bestehen aus Getränkesteuer (Wein, Cider, Bier, Alkohol) im Betrage von 469 Mill. Frs., Salzsteuer (seit 1806 eingeführt) mit 10,94, 3prozentige Expeditionssteuer mit 5,45 Mill. Frs. Mineralöl, andere Öle, [* 2] Stearin und Kerzen, Essig u. s. w. bringen 10700, 2254800, 8424600 und 3041500 Frs. ein. Zuckerzoll und -Steuer sind auf 203 Mill. veranschlagt. Unter den Monopolen sind Zündhölzer-, Tabaks- und Pulvermonopol (411057000), Posten (164860300) und Telegraphen [* 3] (42761480) die wichtigsten. - Insgesamt erreichen die Einnahmen einschließlich durchlaufender Einnahmen (74,44 Mill. Frs.) 1894 eine Höhe von 3390739882 Frs. Dazu kommt noch für Algerien [* 4] ein Betrag von 48,29 Mill. Frs.
Die Ausgaben setzen sich folgendermaßen zusammen: die öffentliche Schuld erfordert 1284,56, Gehalt und Repräsentation des Präsidenten 1,2, die Gesetzgebenden Körper 11,97 Mill. Frs. Die Finanzverwaltung kostet 19,47, die Justiz 35,01 der Kultus 242,8 Mill. Frs. Im Ministerium des Äußern betragen die gewöhnlichen Ausgaben 15,42 Mill., die für Protektorate 922600 Frs. Die Kosten des Ministeriums des Innern betragen für Verwaltung 17,09, öffentliche Sicherheit 16,47, Gefängnisse 17,66, Subventionen 11,58, Wohlthätigkeit 7,3 und verschiedene Ausgaben 1,18 Mill. Frs. Der Kriegsminister gebrauchte 633,65, die Marine 266,86 Mill. Frs. Handel und Industrie erforderten 23,46, Post und Telegraph [* 5] 2,26, die Kolonien 73,84 Mill. Frs. Für das Ministerium des Ackerbaues sind 28,96, für das der öffentlichen Arbeiten 81,99 ordentliche, 174,63 Mill. Frs. außerordentliche Ausgaben angesetzt. Regie-, Erhebungs- und Betriebskosten belaufen sich auf 358, Ausfälle und Rückzahlungen auf 42,13 Mill. Frs. - Insgesamt betragen die Ausgaben 3368902094 Frs. und mit denen für Algerien (70,11 Mill.) 3439,02 Mill. Frs.
Die Geschichte der franz. Staatsschuld (Dette publique) reicht bis auf Philipp den Guten zurück und unter Franz I. wurden die ersten Renten gezahlt. 1760 mußte schon mehr als ein Drittel der Staatseinkünfte (100 Mill. Livres) als Zinsen und zur Tilgung der öffentlichen Schulden verwendet werden. Zu Ludwigs XVI. Zeit wurde es gebräuchlich, auf Staatsgüter Assignaten (s. d.) auszugeben, wovon 1792 für 1564 Mill. und 1796 sogar für 45 Milliarden Livres im Umlaufe waren.
Durch ein Gesetz vom wurde bestimmt, daß von der öffentlichen Schuld nur ein Drittel und zwar unter dem Namen «Tiers consolidé» in das von Cambon geschaffene «Große Buch der öffentlichen Schulden» eingetragen werden sollte. Dieser Betrag belief sich auf 40216000 Frs. (mit den Schulden der damals mit Frankreich vereinigten Länder 46 Mill.) und bildet die Grundlage der heutigen Staatsschuld. Dieselbe stieg unter Napoleon I. um 558, unter der Restauration um 3154, unter der Juliregierung um 1516, verminderte sich 1851 um 425, vermehrte sich aber unter Napoleon III. wieder um 6938 und endlich seit 1870 um 12703 Mill. und wird heute auf 30 Milliarden, und wenn man als öffentliche Schuld noch die Anleihen und Schulden der Departements und Gemeinden, welche dieselben seit 8-10 Jahren besonders zur Ausführung von Schulbauten und Straßen aufgenommen haben, im Betrage von 3½ Milliarden dazurechnet, auf 35-36 Milliarden oder 1000 Frs. auf den Kopf der Bevölkerung [* 6] geschätzt, zu deren Verzinsung und Tilgung im Budget (1894) die Summe von 1284568168 Frs. eingestellt ist. (S. Französische Rente.) Die wichtigsten Posten sind für die 4½prozentige Rente 305,54, die 3prozentige Rente 456,12 Mill. Frs., für die 3prozentigen Annuitäten 144,13 Mill., für Annuitäten an Eisenbahngesellschaften 49,42, Zinsen der schwebenden Schuld 21 Mill., für andere kündbare Kapitalien 86,71 Mill., für die Leibrenten 871385 Frs., für Militärpensionen 124,7, Civilpensionen 66 Mill. Frs. In das Budget für 1895 sind 1235,34 Mill. Frs. für Zinsen und Annuitäten eingestellt.
Am betrug die Gesamtschuld 30611685122 Frs. Seit 1862 ist die Schuld der ¶
mehr
Gemeinden in schnellem Wachsen. 1890 betrug sie für Paris [* 8] 1872 und für 36140 Gemeinden (d. i. 73 Proz. der Gemeinden überhaupt) 1351 Mill. Frs.
Der Octroi wurde (1891) in 1519 Gemeinden mit 12866258 E. auf Getränke und Flüssigkeiten, Eßwaren, Heizmaterial, Viehfutter u. s. w. erhoben und ergab in den Departements 153,83, in Paris 149,19, im Pariser Weichbild 2,72 Mill. Frs.
Vgl. Vührer, Histoire de la dette publique en France (2 Bde., 1886);
de Bray, Dictionnaire des finances; Comptes généraux de l'administration des finances (Par. 1888);
Bulletin de statistique du Ministère des finances (ebd. 1877 fg.);
Kaufmann, Die Finanzen F.s (Lpz. 1882);
Clamageran, Histoire de l'impôt en France (3 Bde., Par. 1867-76);
Léon Say, Les solutions démocratiques de la questions des impôts (2 Bde., ebd. 1886);
Ch. Nicolas, Les budgets de la France depuis le commencement du dix-neuvième siècle (ebd. 1883);
Félix Faure, Budgets de la France depuis 20 ans (ebd. 1887).
Bank- und Geldwesen. Von den 101 Bank- und Kreditinstituten ist das wichtigste die Banque de France (s. d.). Andere bedeutende Geldinstitute sind:
Bankinstitute | Eingezahltes Kapital Mill. Frs. |
---|---|
Crédit foncier | 155 |
Crédit Lyonnais (Lyon) | 100 |
Banque de Paris et des Pays-Bas | 62,5 |
Société générale | 60 |
Société financière Lyonnaise | 50 |
Société financière de Paris | 45 |
Comptoir d'escompte | 40 |
Banque d'escompte | 32,5 |
Crédit mobilier | 30 |
Außerdem seien noch erwähnt Banque Parisienne, Compagnie Franco-Algérienne, Banque hypothécaire de France, Banque commerciale et industrielle, Société des immeubles, Rente foncière, Französisch-Italienische Bank, Crédit industriel et commercial, Banque maritime, La nouvelle Union.
Die bedeutendsten Aktienunternehmungen sind: die Sues-Kanalgesellschaft (200 Mill. Frs.), Compagnie générale des voitures de Paris (42,5 Mill.), Parisien gaz (42,5 Mill.), Compagnie générale transatlantique (40 Mill.), Docks de Marseille [* 9] (39 Mill.), Hüttenwerk Creusot (27 Mill.), Union de gaz (25 Mill.). Durch die Chambre de Compensation (s. Clearing-House) wurden 1891/92 Effekten im Werte von 4,869 Milliarden Frs. verrechnet. Hochentwickelt ist das Versicherungswesen in allen seinen Zweigen. Allein in der Lebensversicherung belief sich das versicherte Kapital 1860 auf 230, 1890 auf 4015 Mill. Frs.
Die älteste der Sparkassen ist die 1818 gegründete zu Paris. Seit dieser Zeit hat sich ihre Zahl schnell gehoben. 1840 gab es schon 430 mit 192,4 Mill. Frs. Einlagen. 1892 bestanden 6113382 Privatsparkassenbücher mit 3218,92 Mill. Frs. Einlagen (d. i. eine Zunahme von 2,76 Proz. gegen 1891). Die meisten Kassen besitzen die Depart. Nord, Seine-Inférieure und Rhône, in Haute-Savoie sind sie noch beinahe unbekannt. Seit 1881 sind neben diesen noch nationale oder Postsparkassen eingerichtet worden, die 1892: 1974604 Bücher und 599,38 Mill. Frs. Einlagen aufwiesen. Es kommt auf 5-6 Einwohner ein Sparkassenbuch. Der größte Teil der Sparkassengelder ist durch die Caisse des dépôts et consignations in franz. Rente angelegt.
Die franz. Münzen, [* 10] Maße und Gewichte beruhen auf dem Decimalsystem. Münzeinheit bildet der Frank (s. d.). Die Grundlage aller Maße bildet das Meter; 1,85 km = 1 neue Seemeile (Mille marine). Gewichtseinheit bildet das Gramm. Die Schiffstonne (Tonneau de mer, auch Millier genannt) hat 10 Quintaux métriques oder 1000 kg.
Wohlthätigkeitsanstalten. 1888 gab es 110 Heilanstalten für Geisteskranke, darunter 50 Departementsasyle und 45 Privatanstalten. Die Zahl der Pfleglinge betrug 1889: 55587 (26006 Männer und 29581 Frauen). Außerdem wurden 1889: 1631 Krankenhäuser mit 178637 Betten unterhalten, deren Unterhaltungskosten sich auf 110 Mill. Frs. beliefen. Dazu kommen noch 75215 unterstützte Kinder (gefundene, verlassene, Waisen), von denen 2172 in Hospitälern und 71901 auf dem Lande mit einem Kostenaufwand von 17,2 Mill. Frs. verpflegt wurden.
Die Zahl der Bureaux de bienfaisance belief sich 1888 auf 15138, durch welche 1647720 Personen unterstützt wurden. Leihhäuser (Monts-de-piété) bestanden 42, Unterstützungskassen auf Gegenseitigkeit (Sociétés de secours mutuel) 8689 mit 1127900 Mitgliedern und 80,34 Mill. Frs. Reservefonds. Die erstern gewährten auf 11,57 Mill. verpfändete Gegenstände Darlehen von 60,13 Mill. Frs. Die Einnahmen der Altersversorgungskasse (Caisse Nationale de retraite pour la veillesse) beliefen sich 1891 auf 117,20 Mill., darunter 34,22 Mill. Frs. neue Einzahlungen. Der Gesamtbetrag aller (1888) öffentlichen Anstalten, Gemeinden oder Departements zugewendeten Schenkungen betrug 31478791 Frs.; es fielen zu der Kirche 6645896, Krankenhäusern und Hospizen 16645260, Versorgungsanstalten 543698, öffentlichem Unterricht sowie Akademien und gelehrten Gesellschaften 718826, Gemeinden und Departements 6924811 Frs.
Über das Heer und die Marine s. Französisches Heerwesen und Französisches Festungssystem.
Das Wappen bestand unter der ältern Bourbonenlinie aus zwei zusammengeschobenen Schilden; der rechte hatte in blauem Felde drei goldene Lilien [* 11] (Frankreich), der linke in rotem Felde goldene in Kreuzform zusammengelegte Kettenglieder mit einem viereckigen Saphir in der Mitte (Navarra). Das Schild [* 12] wurde von Engeln getragen; das Wappenzelt hatte goldene Lilien auf blauem Grunde, darüber die Königskrone und hinter derselben die Oriflamme mit der Inschrift «Montjoye St. Denis».
Die Revolution von 1789 beseitigte die Lilien und stellte den gallischen Hahn [* 13] ins Wappen. [* 14] Unter dem ersten Kaiserreich war das Wappen ein auf einem Blitzstrahl ruhender goldener Adler. [* 15] Nach der Restauration kehrten die Lilien zurück, fielen aber 1830 wieder mit den Bourbonen. Unter der Julidynastie enthielt das Wappen in blauem Felde ein geöffnetes, senkrecht gestelltes Buch, auf dessen Blättern die Charte von 1830 stand. Napoleon III. brachte den Adler aufs neue ins Wappen. Die Republik von 1870 hat kein eigentliches Wappen, sondern an dessen Stelle die verschlungenen Buchstaben R. Frankreich (République française); allegorisch wird dieselbe durch eine [* 7] Figur dargestellt. Die franz. Nationalfarben sind, wie bereits unter der ersten Republik, dann unter dem Kaiserreich und der Julimonarchie blau, weiß und rot (tricolore). Die Flaggen [* 16] und Fahnen ¶