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Rekrutenaushebungen; auch hat in jedem Kanton [* 2] ein Friedensrichter seinen Sitz. An die Provinzialverwaltung reiht sich die Gemeindeverwaltung. Da die Gemeinde zugleich Verwaltungsbezirk und selbständige Korporation ist, vereinigt auch der Maire (ähnlich dem Präfekten) den doppelten Charakter des Regierungsbeamten und des Repräsentanten der Gemeinde in sich. Der Maire und die Adjunkten werden vom Municipal-(Gemeinde-)rat gewählt (außer in Paris). [* 3] Als Beauftragter der Regierung hat er deren Aufträge zu vollziehen, die Ausführung der Gesetze zu überwachen und sowohl die allgemeine wie die Ortspolizei (vorbehaltlich der besondern für Paris, Lyon [* 4] und die Städte von über 40000 E. bestehenden Bestimmungen) zu handhaben.
Seine Beschlüsse (arrêtés) müssen zum Teil vom Präfekten oder Unterpräfekten bestätigt werden. Auf Strafen kann nicht er, sondern nur das Polizeigericht erkennen. Als Vertreter der Gemeinde verwaltet er die Gemeindegüter, ordnet die Ausgaben und Einnahmen, legt das Budget vor, vertritt die Gemeinde vor Gericht u. s. w. Auch ist er Civilstandsbeamter, hält die Civilregister und vollzieht die Civiltrauungen, doch unter Aufsicht der Justizbehörde (Staatsprokurator).
Der Maire ernennt meistenteils die Gemeindebeamten. Sein Gehilfe und Stellvertreter ist der Adjunkt, deren es in Gemeinden von über 2500 E. mehrere giebt. Sowohl das Amt des Maire wie das des Adjunkten (der überhaupt keine eigentümlichen Funktionen übt) ist unbesoldet. Dem erstern zur Seite steht der Gemeinderat (Conseil municipal), den die Einwohner der Gemeinde wählen. Wähler sind alle Franzosen, die mindestens 21 J. alt sind, seit 6 Monaten in der Gemeinde wohnen und ihre bürgerlichen Rechte besitzen.
Wählbar sind alle Franzosen, die das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben, wenn sie entweder in die Wählerlisten der Gemeinde eingetragen oder zu einer der direkten Steuern veranlagt sind. Der Gemeinderat besteht mindestens aus 10 Mitgliedern, und die Zahl steigt mit der Bevölkerung [* 5] bis zur Höhe von 36 bei 60000 und mehr Einwohnern, abgesehen von den besondern Bestimmungen für die in mehrere Mairien geteilten Städte. Der Gemeinderat faßt Beschlüsse (il règle) über die Verwaltung der Gemeindegüter, welche dem Unterpräfekten mitgeteilt werden müssen und die der Präfekt nicht ändern, aber in manchen Fällen (wegen Gesetzwidrigkeit) aufheben kann; er berät (délibère) das Gemeindebudget, ferner über Kauf, Verkauf u. s. w. von Gemeindegütern, über Bauten und Reparaturen, über Annahme von Schenkungen und über Prozeßangelegenheiten, doch müssen Beschlüsse dieser Art dem Präfekten oder dem Minister des Innern zur Genehmigung vorgelegt werden; er begutachtet (donne son avis) endlich alle Gegenstände, die man ihm vorlegt, wie Kirchensteuersachen, Wohlthätigkeitsangelegenheiten u. s. w. Die Sitzungen des Gemeinderats sind seit 1884, in Paris seit 1886 öffentlich. Die ordentlichen Sitzungen finden jährlich viermal auf die Dauer von je 14 Tagen statt, außerordentliche können vom Präfekten, Unterpräfekten oder Maire berufen werden; letzterer muß sie berufen, wenn die Mehrheit des Gemeinderats es verlangt.
Gerichtswesen. Die Justizpflege steht unter dem Justizminister und zerfällt in die Civil- und Kriminalgerichtsbarkeit. Die Civilgerichtsbarkeit wird geübt durch Friedensgerichte, Kreisgerichte und Appellhöfe. Das Friedensgericht besteht aus einem Richter, der kein Rechtsgelehrter zu sein braucht, und zwei unbesoldeten Stellvertretern. Der Friedensrichter ist sowohl wirklicher Richter als auch Vermittler. Fast kein Prozeß darf beim Kreisgericht anhängig gemacht werden, der nicht vorher zur Vereinbarung der Parteien vor dem Friedensrichter verhandelt worden ist.
Das Kreisgericht (Tribunal d'arrondissement), Tribunal erster Instanz, welches Civil- und Strafkammern (Chambres correctionnelles) bildet, besteht nach der Größe des Kreises aus mehrern besoldeten Richtern und mehrern unbesoldeten Stellvertretern, die aus den Advokaten genommen sind. In erster Instanz gehört zu seinem Ressort alles, was gesetzlich nicht einem andern Gericht zugewiesen, in erster und letzter Instanz die Sachen bis zu 1500 Frs.; in zweiter und letzter Instanz entscheidet das Tribunal über Appellationen gegen friedensrichterliche Urteile. In jedem der 362 Arrondissements befindet sich ein Tribunal erster Instanz, in jedem der 2868 Kantone ein Friedensrichter.
Der Appellhof (26 sind vorhanden, außerdem 1 in Algerien [* 6] und 6 in den Kolonien) ist zusammengesetzt aus 10-23 Präsidenten und Räten (Paris 72), die mehrere Kammern bilden: für Civilprozeß, für korrektionelle Appellationen, für Versetzung in Anklagestand. Die Assisen können nur sprechen, wenn ihnen die Anklagekammer des Appellhofs die Sache zugewiesen hat. Der Appellhof ist gewöhnlich zweite, in wenigen Fällen nur eigene Instanz. Die Handelsgerichtsbarkeit wird versehen:
1) von den 214 Handelsgerichten, deren Mitglieder von den Kaufleuten und Fabrikanten unter sich auf 2 Jahre gewählt und von der Regierung bestätigt werden;
2) von den Gewerbegerichten (Conseils de prud'hommes), welche hauptsächlich über Streitigkeiten zwischen Fabrikanten oder Meistern und Gesellen oder Arbeitern und über Streitigkeiten aus Lehrverträgen entscheiden. Die Handelsgerichtsbarkeit bedarf weder der Anwälte noch Advokaten. - Die franz. Strafrechtspflege unterscheidet drei Grade von Vergehungen (infractions) gegen das Gesetz: Polizeiübertretungen (contraventions), Vergehen (délits) und Verbrechen (crimes).
Die erstern urteilt das Polizeigericht (Friedensrichter) ab, das jedoch nur auf 15 Frs. Geldstrafe oder 5 Tage Gefängnis erkennt. Appellation ist nur gestattet, wenn die Strafe mehr als 5 Frs. beträgt, und zwar an die Korrektionellkammer (das Zuchtpolizeigericht) des Tribunals; dieselbe ist aus drei Richtern zusammengesetzt und richtet in erster Instanz über alle Vergehen, welche keine Verbrechen sind, aber einer höhern Strafe als der Polizeistrafe unterliegen.
Die Appellation gegen die Urteile der Kammer geht an den Appellhof. Die Verbrechen gehören vor das Forum [* 7] der Assisenhöfe, die alle Quartale in jeder Departementshauptstadt abgehalten werden und aus Richtern und Geschworenen bestehen. Außer den Verbrechen sind auch noch Preßvergehen jeder Art sowie polit. Vergehen und Verbrechen den Assisenhöfen zugewiesen. Die Richter sprechen nur die gesetzliche Strafe aus über das von 12 Geschworenen mit absoluter Mehrheit anerkannte Verbrechen. Ausnahmegerichte sind verfassungswidrig, aber es bestehen verschiedene von dem Gesetze vorgesehene Specialtribunale: die Administrativgerichte, Kriegs- und Seegerichte, Disciplinarkammern der Notare und Anwälte und Disciplinarbehörden für das ¶
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Unterrichtswesen. - Der Kassationshof entscheidet niemals über die streitige Sache, sondern nur über die richtige Anwendung des Gesetzes und des Verfahrens. Derselbe zählt 49 Mitglieder, die drei Kammern bilden: Civil-, Kriminal- und Requetenkammer. In gewissen Fällen urteilen die vereinigten Kammern (toutes chambres réunies). Die Richter der Arrondissementsgerichte, der Appellhöfe und des Kassationshofs sind unabsetzbar, müssen aber (seit 1852) in einem gewissen Alter in den Ruhestand versetzt werden; auch ist die Versetzbarkeit und Absetzbarkeit der Richter wegen dauernder Schwäche durch Gesetz vom erleichtert worden. Es giebt im franz. Gerichtswesen in Wirklichkeit nur zwei Instanzen, da der Kassationshof nicht über die streitige Sache urteilt.
Außer den Friedens- und Handelsgerichten, den Präfekturräten, den Prud'hommes ist bei allen Gerichten eine Staatsanwaltschaft (ministère public) thätig, die bei den Kreis- und höhern Gerichten von Staatsprokuratoren (procureurs de la république) versehen wird. Bei den höhern Gerichten heißt er procureur général. Der Staatsprokurator hat in Kriminalsachen die Anklage zu führen und muß in gewissen Civilsachen (den sog. kommunikablen Sachen) gehört werden, während er in andern Civilsachen das Wort ergreifen kann (partie jointe), in andern (z. B. Nichtigkeit gewisser Ehen) als Hauptpartei (partie principale) auftritt. Außer in den Verwaltungstribunalen herrscht in ganz Frankreich Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens.
Finanzwesen. Die Einnahmen setzen sich zusammen aus direkten und indirekten Abgaben. Zu den direkten Abgaben gehören: die Grund- und Gebäudesteuer von 1791 (1894: 196723060 Frs.), die Personal- und Mobiliarsteuer von 1791 (88173135 Frs.), die Thür- und Fenstersteuer von 1795 (57205001), die 1791 eingeführte Gewerbesteuer (122645558) und die Steuerrollentaxe (1052650), die Taxen auf die Güter der Toten Hand (6,6 Mill.), die Abgaben von Bergwerken (4,1 Mill.), die Pferd- und Wagensteuer (12444000), die Visitation der Apotheken (392000), die Aichgebühren (4800000), die seit 1871 eingeführten Steuern auf Billards und geschlossene Gesellschaften (6800000). Die Erträgnisse der Domänen betrugen 19401900, die der Forsten 28050120 Frs.
Viel wichtiger sind in Frankreich die indirekten Abgaben mit insgesamt 2050 Mill. Frs.: die Einregistrierungs- (548499600), die Stempelabgaben (161785000), die 4prozentige Einkommensteuer von beweglichem Vermögen (69249000), die Monopole und staatlichen Industrien (629044880) und die Zölle (465726130), die verschiedenen Einnahmen (58550892) und die eigentlichen indirekten Steuern (601865350). Die letztern bestehen aus Getränkesteuer (Wein, Cider, Bier, Alkohol) im Betrage von 469 Mill. Frs., Salzsteuer (seit 1806 eingeführt) mit 10,94, 3prozentige Expeditionssteuer mit 5,45 Mill. Frs. Mineralöl, andere Öle, [* 9] Stearin und Kerzen, Essig u. s. w. bringen 10700, 2254800, 8424600 und 3041500 Frs. ein. Zuckerzoll und -Steuer sind auf 203 Mill. veranschlagt. Unter den Monopolen sind Zündhölzer-, Tabaks- und Pulvermonopol (411057000), Posten (164860300) und Telegraphen [* 10] (42761480) die wichtigsten. - Insgesamt erreichen die Einnahmen einschließlich durchlaufender Einnahmen (74,44 Mill. Frs.) 1894 eine Höhe von 3390739882 Frs. Dazu kommt noch für Algerien ein Betrag von 48,29 Mill. Frs.
Die Ausgaben setzen sich folgendermaßen zusammen: die öffentliche Schuld erfordert 1284,56, Gehalt und Repräsentation des Präsidenten 1,2, die Gesetzgebenden Körper 11,97 Mill. Frs. Die Finanzverwaltung kostet 19,47, die Justiz 35,01 der Kultus 242,8 Mill. Frs. Im Ministerium des Äußern betragen die gewöhnlichen Ausgaben 15,42 Mill., die für Protektorate 922600 Frs. Die Kosten des Ministeriums des Innern betragen für Verwaltung 17,09, öffentliche Sicherheit 16,47, Gefängnisse 17,66, Subventionen 11,58, Wohlthätigkeit 7,3 und verschiedene Ausgaben 1,18 Mill. Frs. Der Kriegsminister gebrauchte 633,65, die Marine 266,86 Mill. Frs. Handel und Industrie erforderten 23,46, Post und Telegraph [* 11] 2,26, die Kolonien 73,84 Mill. Frs. Für das Ministerium des Ackerbaues sind 28,96, für das der öffentlichen Arbeiten 81,99 ordentliche, 174,63 Mill. Frs. außerordentliche Ausgaben angesetzt. Regie-, Erhebungs- und Betriebskosten belaufen sich auf 358, Ausfälle und Rückzahlungen auf 42,13 Mill. Frs. - Insgesamt betragen die Ausgaben 3368902094 Frs. und mit denen für Algerien (70,11 Mill.) 3439,02 Mill. Frs.
Die Geschichte der franz. Staatsschuld (Dette publique) reicht bis auf Philipp den Guten zurück und unter Franz I. wurden die ersten Renten gezahlt. 1760 mußte schon mehr als ein Drittel der Staatseinkünfte (100 Mill. Livres) als Zinsen und zur Tilgung der öffentlichen Schulden verwendet werden. Zu Ludwigs XVI. Zeit wurde es gebräuchlich, auf Staatsgüter Assignaten (s. d.) auszugeben, wovon 1792 für 1564 Mill. und 1796 sogar für 45 Milliarden Livres im Umlaufe waren.
Durch ein Gesetz vom wurde bestimmt, daß von der öffentlichen Schuld nur ein Drittel und zwar unter dem Namen «Tiers consolidé» in das von Cambon geschaffene «Große Buch der öffentlichen Schulden» eingetragen werden sollte. Dieser Betrag belief sich auf 40216000 Frs. (mit den Schulden der damals mit Frankreich vereinigten Länder 46 Mill.) und bildet die Grundlage der heutigen Staatsschuld. Dieselbe stieg unter Napoleon I. um 558, unter der Restauration um 3154, unter der Juliregierung um 1516, verminderte sich 1851 um 425, vermehrte sich aber unter Napoleon III. wieder um 6938 und endlich seit 1870 um 12703 Mill. und wird heute auf 30 Milliarden, und wenn man als öffentliche Schuld noch die Anleihen und Schulden der Departements und Gemeinden, welche dieselben seit 8-10 Jahren besonders zur Ausführung von Schulbauten und Straßen aufgenommen haben, im Betrage von 3½ Milliarden dazurechnet, auf 35-36 Milliarden oder 1000 Frs. auf den Kopf der Bevölkerung geschätzt, zu deren Verzinsung und Tilgung im Budget (1894) die Summe von 1284568168 Frs. eingestellt ist. (S. Französische Rente.) Die wichtigsten Posten sind für die 4½prozentige Rente 305,54, die 3prozentige Rente 456,12 Mill. Frs., für die 3prozentigen Annuitäten 144,13 Mill., für Annuitäten an Eisenbahngesellschaften 49,42, Zinsen der schwebenden Schuld 21 Mill., für andere kündbare Kapitalien 86,71 Mill., für die Leibrenten 871385 Frs., für Militärpensionen 124,7, Civilpensionen 66 Mill. Frs. In das Budget für 1895 sind 1235,34 Mill. Frs. für Zinsen und Annuitäten eingestellt.
Am betrug die Gesamtschuld 30611685122 Frs. Seit 1862 ist die Schuld der ¶