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Schmalkalden [* 2] sowie Sitz der Kommandos der 8. Division, 15. Infanterie- und 8. Kavalleriebrigade, eines Artilleriedepots, Proviantamtes, einer Gewehrfabrik und Intendantur.
Unterrichts- und Bildungswesen. Erfurt [* 3] hat ein königl. Gymnasium, hervorgegangen aus dem evang. Ratsgymnasium (1561), reorganisiert 1820 (Direktor Thiele, 23 Lehrer, 11 Klassen, 344 Schüler), königl. Realgymnasium, 1844 eröffnet (Direktor Dr. Zange, [* 4] 20 Lehrer, 13 Klassen, 345 Schüler), städtische Realschule (Direktor Dr. Venediger, 15 Lehrer, 10 Klassen, 298 Schüler), private höhere Handelsfachschule, königlich evang. Lehrerseminar (1820), simultane Provinzial- und landständische Taubstummenanstalt, 1822 durch die Loge gegründet und mit einer Fortbildungsschule für erwachsene Taubstumme beiderlei Geschlechts verbunden, städtische und private höhere Mädchenschulen, städtische Mädchenschule, Landwirtschafts-, Hebammen-, Mittel-, 5 Bürgerschulen, 3 evang. und 1 kath. Volksschule, Institut für weibliche Handarbeiten, Seminar für Lehrerinnen und eine Musikschule.
Mit der königl. Bibliothek (65000 Bände) ist zugleich verbunden die Amplonianische Handschriftensammlung (Schriften bis zum 9. Jahrh. zurück); im Martinsstift die sog. Ministerialbibliothek, meist theol. Inhalts, mit vielen auf Erfurt bezüglichen Handschriften; im Rathaus die Bibliothek des Stadtarchivs mit Handschriften und alten Drucken, im Dom das Domarchiv. Ferner bestehen Museen für Kunst und Kunstgewerbe und für städtische Altertümer, eine ethnogr. Sammlung; Akademie der Wissenschaften, Vereine für Geschichte und Altertumskunde, Kunst und Kunstgewerbe (mit Gemäldeausstellungen), Konzert- und Theaterverein, Gewerbe- sowie zahlreiche andere Vereine, eine Freimaurerloge, ein städtisches Theater. [* 5]
Wohlthätigkeitsanstalten. Neues evang. und kath. Krankenhaus, [* 6] Anstalt für Behandlung chronischer Krankheiten, Institut für Heilgymnastik und Massage, Kliniken für Augen-, Ohren- und Frauenkrankheiten, Provinzialentbindungsanstalt, Pflegeanstalt für kath. Frauen, evang. und kath. Waisenhaus (53 Zöglinge, 17189 M. Kosten der Anstalt, davon 2327 M. Beitrag der Stadt). Die Stadt hatte (Ende 1893) 8 Ortskrankenkassen (6570 Mitglieder, 111076 M. Einnahmen, 108375 M. Ausgaben, 34970 M. Gesamtvermögen), 15 Betriebs-(Fabrik-)krankenkassen (1927, 39772 M., 37973 M., 43000 M.), 6 Innungskrankenkassen (947, 14570 M., 12220 M., 8788 M.). In der offenen Armenpflege wurden (1892/93) 1742 Personen unterstützt; die Gesamtkosten betrugen 176851 M., wozu die Stadt 114373 M. zuschoß. In der Altersversorgungsanstalt waren 196 Personen untergebracht; die Kosten betrugen 76164 M. Die beiden Siechenhäuser beherbergten 100 Personen und erforderten 20000 M. Die beiden Heilanstalten haben zusammen 398 Betten, 3 Ärzte und 5 Assistenzärzte.
Industrie, Gewerbe und Handel. Bedeutend ist die Herstellung von Damenmänteln (27 Firmen) und die Schuhfabrikation (16 Fabriken mit etwa 1500 Arbeitern); ferner bestehen 3 Eisengießereien, 12 Webereien für Woll-, Baumwoll und Leinenwaren, 21 Buch- und Steindruckereien, 12 Brauereien (Jahresproduktion etwa 130000 hl), Mahl-, Öl-, Graupen- und Schneidemühlen, 28 Kalk- und Ziegelbrennereien, 4 Gerbereien sowie endlich Fabriken für Maschinen (8), Lampen [* 7] (4), Malz (4), Gummiwaren (4), Tabak [* 8] und Cigarren (6), Musikinstrumente (9), chem. Präparate, künstlichen Dünger, Leder, Seife (5), Stiefelwichse (5) und Möbel [* 9] (29). Die königl. Gewehrfabrik beschäftigt etwa 2600, die Betriebswerkstätte der königl. Eisenbahndirektion etwa 500 Arbeiter.
Berühmt ist Erfurt durch seinen Gartenbau, seine Kunst- und Handelsgärtnerei, Gemüse- und Sämereihandel. Von den 20 im größern Umfange betriebenen Kunst- und Handelsgärtnereien beschäftigen mehrere, z. B. J. C. Schmidt, gegen 1000 Personen; 45 Gemüsegärtnereien (Blumenkohl, Weiß- und Rotkohl, Brunnenkresse) versenden ihre Erzeugnisse nach allen Weltteilen, in den Sommermonaten werden wöchentlich 40-60 t Blumenkohl, jährlich etwa 50000 Schock Brunnenkressenbündel ausgeführt. 1865 und 1877 fanden große Gartenbauausstellungen in Erfurt statt.
Neben der Reichsbankstelle, einer Handels- und einer Gewerbekammer bestehen eine Feuer-, Hagel- und Lebensversicherung «Thuringia» (1800000 M. Aktienkapital), Gasanstalt (Sitz der Direktion in Dessau), [* 10] Straßenbahn-Aktiengesellschaft, Aktienbad-Gesellschaft, Erfurter Bank (Pinckert, Blanchard & Co.), Neue Erfurter Vorschußbank, kath. Spar- und Darlehnskasse St. Joseph, Erfurter Spar- und Leihbank, 8 Generalagenturen auswärtiger Versicherungsgesellschaften und 14 Zweigniederlassungen auswärtiger Handelsgeschäfte.
Bei der städtischen Sparkasse (1823 gegründet) waren (Ende 1892) auf 27964 Bücher 11408448 M. eingezahlt, bei der Kreissparkasse (1883 gegründet) auf (Ende 1889) 2812 Bücher 1506091 M. Im städtischen Leihhaus waren 14886 Pfänder mit 95409 M. beliehen. Erfurt ist Sitz der Thüringischen Baugewerks-Berufsgenossenschaft und ihrer 4. Sektion, sowie der 4. Sektion der Norddeutschen Edel- und Unedelmetallindustrie- und der 13. Sektion der Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft.
Verkehrswesen. Erfurt liegt an den Linien Halle-Bebra (Thüringer Eisenbahn), Erfurt-Sangerhausen (69,9 km), Erfurt-Ritschenhausen (87,4 km) und Nordhausen-Erfurt (79,6 km) der Preuß. Staatsbahnen [* 11] und hat einen Centralbahnhof. Seit ist auf allen 3 Linien der frühern Pferdebahn der elektrische Betrieb eingeführt worden. Die Gesamtlänge der Gleise dieser 3 Linien beträgt 10428 m. Der Wagenpark besteht aus 45 Wagen (29 Motor- und 16 Anhäugewagen). Vom bis wurden 1748203 Personen befördert.
Erfurt hat ein Postamt erster Klasse mit drei Zweigstellen, ein Telegraphenamt erster Klasse und Fernsprecheinrichtung. 1893 kamen an (gingen ab) 6192320 (14131156) Briefe, Postkarten, Drucksachen und Warenproben, 381736 (680774) Pakete ohne, 29959 (24644) Briefe und 5115 (5273) Pakete mit Wertangabe, 46571 Postnachnahmesendungen und Postauftragsbriefe. 24,747 Mill. M. wurden auf Postanweisungen aus-, 13,552 Mill. M. eingezahlt; 2424199 Zeitungsnummern wurden ausgegeben. Der Telegraphenverkehr umfaßte 172149 Telegramme, darunter 87798 abgegangene.
Vergnügungsorte, Umgebung. Von den zahlreichen öffentlichen Gärten der Stadt sind die besuchtesten der Vogels- und der Karthäusergarten. Die Umgebung ist besonders nach Süden sehr anmutig durch den Steigerwald, dessen Restaurants und schöne Promenadenwege viel besucht werden.
Geschichte. Erfurt ist eine uralte german. oder slaw. Gründung und wurde bald ein bedeutender ¶
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Austauschplatz zwischen fränk. und slaw. Waren. Das 741 von Bonifatius gegründete Bistum ging jedoch bald wieder ein. Es scheint mit dem zu Mainz [* 13] vereinigt worden zu sein, denn die Mainzer Erzbischöfe treten bald nachher als Herren in Erfurt auf. Karl d. Gr. erhob Erfurt 805 zu einem der Stapelplätze für die Slawen. Genauere Nachrichten beginnen erst mit dem 13. Jahrh., als ein fast selbständiger Rat entstand, der die frühern mainzischen Beamten ganz aus der Verwaltung verdrängte.
Seitdem nahm die Stadt einen großen Aufschwung und wurde Mittelpunkt des Handels von ganz Thüringen. Mit den benachbarten Fürsten, namentlich mit den Landgrafen und spätern Herzögen von Sachsen [* 14] kam es zu heftigen und lange dauernden Fehden, während deren Erfurt dreimal belagert wurde. Allein der Rat ging siegreich aus allen Kämpfen hervor. Die höchste Blüte [* 15] fällt in das Ende des 14. und den Anfang des 15. Jahrh. Die Erstarkung der landesherrlichen Macht der Herzöge von Sachsen führte zunächst einen Stillstand in der Ausdehnung [* 16] des Gebietes herbei, und die Übergriffe der sächs. Beamten veranlaßten zahllose Klagen und Gegenklagen, in deren Folge der Stadt oft genug die Straßen seitens Sachsens gesperrt wurden.
Als 1480 der Wettiner Albrecht erzbischöfl. Statthalter in Erfurt werden sollte, ließ der Rat ihn nicht ein, worauf der Kurfürst von Sachsen die Stadt so bedrängte, daß sie sich 1483 zu einem Schutzvertrage entschließen mußte und zur jährlichen Bezahlung von 1500 Gülden. 1509 und 1510 fanden infolge der Verschwendung des Rats durch kostspielige Bauten Aufstände des Volks statt. Erst nach der Mitte des 17. Jahrh. gelang es Kurmainz, seine Ansprüche auf Erfurt vollkommen geltend zu machen; mit Hilfe von franz. und Reichsexekutionstruppen wurde die Stadt durch Kurfürst Johann Philipp von Mainz 1664 genommen, Sachsen aber verzichtete auf seine Schutzgerechtigkeit.
Seitdem blieb Erfurt ein unbestrittenes Besitztum der Kurfürsten von Mainz, die es zugleich mit dem Eichsfeld (s. d.) durch Statthalter regieren ließen, bis es 1802 nebst jenem an Preußen [* 17] kam. Nach der Schlacht bei Jena [* 18] ging Erfurt durch Kapitulation an die Franzosen über und blieb unmittelbar unter franz. Herrschaft, während das Eichsfeld nachher zu Westfalen [* 19] geschlagen wurde. Vom 27. Sept. bis fand in Erfurt eine Zusammenkunft Napoleons mit dem Kaiser Alexander I. von Rußland statt, der sog. Erfurter Kongreß, bei welchem auch die Könige von Sachsen, Bayern, [* 20] Württemberg [* 21] und Westfalen, Vertreter Österreichs und Preußens, [* 22] der Fürst-Primas und viele andere Große erschienen und zahlreiche Festlichkeiten veranstaltet wurden.
In dem Vertrage vom 12. Okt. wurde das Tilsiter Bündnis zwischen Frankreich und Rußland erneuert. Im Jan. 1814 ergab sich die Stadt an die Preußen; die Citadelle erst im Mai dieses Jahres. Infolge des Wiener Kongresses kam Erfurt nebst seinem Gebiete (770 qkm mit etwa 45000 Erfurt), von dem jedoch etwa die Hälfte an Weimar [* 23] abgetreten ward, und dem Eichsfelde wieder unter preuß. Hoheit. Im Frühjahr 1850 tagte in der Kirche des Augustinerklosters das Erfurter Parlament (s. d.). Seit der Aufhebung der Festung [* 24] (1873) geht die Stadt einer bedeutenden Zukunft entgegen. 1894 fand eine thüring. Gewerdeausstellung in Erfurt statt.
Vgl. Falkenstein, Thüring. und erfurtische Chronika (5 Tle., Gotha [* 25] 1749);
Dominikus, Erfurt und das Erfurter Gebiet (2 Tle., ebd. 1793);
Beyer, Neue Chronik von Erfurt (Erf. 1822-23);
ders., Geschichte der Stadt Erfurt bis 1664 (Halle [* 26] 1893);
Schorn, Über altdeutsche Skulptur, mit besonderer Rücksicht auf Erfurt (Erf. 1839);
Puttrich, Denkmale der Baukunst [* 27] des Mittelalters in Sachsen, Abteil. 2, Heft 14-16 (Lpz. 1846);
Konrad Stolles thüringisch-erfurtische Chronik, hg. von Hesse (in der «Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart», [* 28] Bd. 32, Stuttg. 1854);
C. Herrmann, Bibliotheca Erfurtina (Erf. 1863);
von Tettau, Erfurt in seiner Vergangenheit und Gegenwart (ebd. 1868; 2. Aufl. 1880);
ders., Die Stadt Erfurt und der Erfurter Landkreis (in der «Beschreibenden Darstellung der ältern Bau-und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen», Heft 13, Halle 1890);
Lambert, Die ältere Geschichte und Verfassung der Stadt Erfurt (ebd. 1868);
Kirchhoff, Die Weistümer der Stadt Erfurt (ebd. 1870);
ders., Erfurt im 13. Jahrh. (Berl. 1870);
Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete (Bd. 1: «Erfurter Denkmäler», Halle 1870; Bd. 8: «Akten der Erfurter Umversität», 2 Tle., ebd. 1881-84; Bd. 23: Beyer, «Urkundenbuch der Stadt Erfurt», Tl. 1 u. 2, ebd. 1890-94);
Kruspe, Die Sagen der Stadt Erfurt (2 Bdchn., Erf. 1878);
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt (Heft 1 - 15, ebd. 1865-92);
Röll, Erfurt (in den «Europäischen Wanderbildern», Zür. 1888).