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Bauten aus der Renaissancezeit. Von den zahlreichen Brücken [* 2] ist nur die Krämerbrücke bemerkenswert, 1266 in Holz, [* 3] später in Stein erbaut; sie trägt zwei Reihen zwei- bis dreistöckiger Häuser mit Kramläden und an den Enden je eine jetzt weltlichen Zwecken dienende Kirche, unter denen der Fahrweg hindurchführt. Mittelpunkt des Verkehrs ist der Anger, eine schöne Straße mit Baumreihen, ferner die Johannes-, Bahnhofs-und Löberstraße;
schöne neue Straßen sind die Wilhelms- und Steigerstraße sowie der Dalbergsweg. Am Nordende des Angers, gegenüber der Post, das Lutherdenkmal von F. Schaper, 1890 enthüllt;
auf dem großen Friedrich-Wilhelmsplatz ein Obelisk, 1770 zum Andenken an den Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl errichtet;
auf dem Hirschgarten genannten schönen Platze ein Denkmal für 1866 und 1870/71.
Gebäude. Erfurt [* 4] hat 9 evang. und 9 kath. Kirchen. Von den erstern sind bemerkenswert die got. Predigerkirche (1228) mit einem schönen Schnitzaltar von Wohlgemuth (1460-70), Kunstwerken und Denkmälern;
die got. Barfüßerkirche, nach dem Einsturz 1838 auf Staatskosten wiederhergestellt;
die Reglerkirche, ehemals dem um 1135 gegründeten Kloster der Regulierten Chorherren gehörig, seit 1850 wiederhergestellt und in Benutzung, mit einem Altar [* 5] von Wohlgemuth;
von den katholischen: der Dom St. Marien, auf einer Anhöhe südwestlich am Friedrich-Wilhelmsplatz, mit breiter Freitreppe (die Graden), an Stelle eines 1153 gegründeten Baues in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. errichtet, der Chor, 1349-72 im edelsten got. Stil vollendet, ruht auf einem gewaltigen Unterbau (den sog. Kavaten, cavatae), das Langhaus wurde 1456-72 als spätgot. dreischiffige Hallenkirche umgebaut;
am Nordportal eine reichgeschmückte Vorhalle (1358);
im Innern ein Relief von P. Vischer, Krönung der heiligen Jungfrau, ein Ölbild (1499), den großen Christoph darstellend, darunter der Grabstein (13. Jahrh.) eines Grafen von Gleichen mit seinen beiden Frauen, Kanzel und Orgelbühne nach Schinkels Entwurf, geschnitzte Chorstühle (15. Jahrh.), ein metallener Leuchter (11. bis 12. Jahrh.), die [* 1] Figur eines Betenden darstellend, Glasmalereien (14. Jahrh.) und schöner got. Kreuzgang.
Die Domtürme, im Übergangsstil des 13. Jahrh., enthalten 10 Glocken, darunter die große Maria gloriosa, das Wahrzeichen der Stadt, 275 Ctr. schwer. Der Dom wurde 1845 - 70 durchweg restauriert und durch ein großes Madonnenbild in Mosaik auf Goldgrund am östl. Giebel geziert. Im NW., dicht neben dem Dom, gleichfalls auf der Höhe, steht die kath. Severikirche (14. Jahrh.) mit drei spitzen Türmen, 1878 restauriert, mit Altarreliefs (14. Jahrh.), einer heil. Michael- (1472) und einer Madonnastatue über dem Taufstein (15. Jahrh.). Die älteste Kirche ist die Schottenkirche, eine Pfeilerbasilila (12. Jahrh.) mit got. Veränderungen.
Von den zahlreichen Klöstern besteht nur noch das Ursulinerkloster, jetzt Erziehungsanstalt für Mädchen. Das Augustinerkloster, in welches Luther als Mönch eintrat, dient jetzt teils als Waisenhaus, teils als Rettungshaus zur Erziehung verwahrloster Kinder (Martinsstift); Erinnerungen an Luther wurden größtenteils durch Feuer (1872) zerstört. Die Kirche, 1273 begonnen, mit Schiff [* 6] (1432) ist in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt und war 1850 Sitz des Unionsparlaments.
Von weltlichen Gebäuden sind zu nennen das Rathaus am Fischmarkt, an Stelle eines ältern Baues nach dem Entwurf von Baurat Tiede 1869-75 von Sommer erbaut, mit Wandgemälden aus der Erfurter Geschichte von Janssen-Düsseldorf im Festsaal, auf dem untern Flur die Gleichensage in Wandgemälden von Kämpfer-Düsseldorf, auf dem obern Gemälde betreffend Luthers Aufenthalt in Erfurt von demselben;
gegenüber das Walthersche Privathaus «Zum breiten Heerd» (16. Jahrh.) und die «Hohe Lilie» am Friedrich-Wilhemsplatz;
das Regierungsgebäude am Hirschgarten, früher Palast des Mainzer Statthalters, zuletzt Karl von Dalbergs (s. d.) und 1808 Napoleons Wohnung, als er hier die Fürsten um sich versammelte, und der 1894 eröffnete Centralbahnhof;
an die Universität (1392 gegründet, 1816 aufgelöst) erinnert das Große Kolleg in der Michaelisstraße, mit prächtigem spätgot.
Portal, jetzt Realschule.
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet von einem Oberbürgermeister (Schneider, seit 1890, 11000 M.), Bürgermeister (Lange, seit 1892, 7000 M.), 17 Magistratsmitgliedern (8 besoldet), 48 Stadtverordneten und hat Freiwillige Feuerwehr (80 Mann) und Pflichtfeuerwehr (200 Mann) mit 18 Spritzen, 484 Hydranten und 38 Feuermeldern, ein bedeutendes städtisches Wasserwerk (87065 m Rohrnetz), welches das Wasser der Apfelstädt vom Dorfe Wechmar (21 km) und vom Gerathal bei Möbisburg nach dem Reservoir an der Cyriaksburg leitet. Die Ausdehnung [* 7] der Kanäle beträgt 58738 m. Die 2 Gasanstalten gaben (1893) 3,015 Mill. cbm Gas ab, davon 493700 cbm zur öffentlichen Beleuchtung [* 8] (1255 Flammen) und 564200 cbm zu technischen Zwecken (105 Gasmotoren). Auf dem städtischen Schlachthofe wurden (1893) geschlachtet: 8334 Rinder, [* 9] 2226 Schweine, [* 10] 10845 Kälber und 14420 Hammel.
Finanzen. Am betrug das Vermögen der Stadt 13,5 Mill. M., die Schulden 6760000 M. Nach dem Etat (1894/95) betrugen die Einnahmen 2456400 M., darunter 1010000 M. direkte, 106300 M. indirekte Abgaben; die Ausgaben 2456400 M. Für Unterrichtszwecke wurden aufgewendet 404960 M., für öffentliche Beleuchtung 62000 M., für Straßenreinigung [* 11] 34100 M., für Armenwesen 134450 M., für Krankenanstalten 21600 M.
Behörden. Erfurt ist Sitz der königl. Bezirksregierung, des Landratsamtes für den Landkreis Erfurt, eines Landgerichts (Oberlandesgericht Naumburg) [* 12] mit 7 preuß. Amtsgerichten (Erfurt, Langensalza, [* 13] Mühlhausen, [* 14] Sömmerda, Tennstedt, Treffurt, Weißensee) und 5 Schwarzburg-Sondershausener Amtsgerichten (Arnstadt, [* 15] Ebeleben, Gehren, Greußen, Sondershausen), [* 16] eines Schwurgerichts, Amtsgerichts, einer Oberpostdirektion für den Reg.-Bez. den Kreis [* 17] Schmalkalden, [* 18] das Großherzogtum Sachsen, [* 19] die Herzogtümer Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha und die Fürstentümer Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß [* 20] älterer und jüngerer Linie, mit 451 Verkehrsanstalten, 3242,87 km oberirdischen Telegraphenlinien (11909 km Leitungen, einschließlich 1201,4 km Stadtfernsprechanlagen), einer königlich preuß. Eisenbahndirektion (1952,27 km Bahnlinien) mit 6 Vetriebsämtern (Berlin, [* 21] Cassel, Dessau, [* 22] Erfurt, Halle, [* 23] Weißenfels), [* 24] eines Eisenbahnbetriebsamtes (329,06 km Bahnlinien), einer Generalsteuer-, Forst- und Berginspektion, eines Hauptsteueramtes, einer Reichsbankstelle, einer Handelskammer für die Städte Erfurt und Sömmerda und den Kreis ¶
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Schmalkalden sowie Sitz der Kommandos der 8. Division, 15. Infanterie- und 8. Kavalleriebrigade, eines Artilleriedepots, Proviantamtes, einer Gewehrfabrik und Intendantur.
Unterrichts- und Bildungswesen. Erfurt hat ein königl. Gymnasium, hervorgegangen aus dem evang. Ratsgymnasium (1561), reorganisiert 1820 (Direktor Thiele, 23 Lehrer, 11 Klassen, 344 Schüler), königl. Realgymnasium, 1844 eröffnet (Direktor Dr. Zange, [* 26] 20 Lehrer, 13 Klassen, 345 Schüler), städtische Realschule (Direktor Dr. Venediger, 15 Lehrer, 10 Klassen, 298 Schüler), private höhere Handelsfachschule, königlich evang. Lehrerseminar (1820), simultane Provinzial- und landständische Taubstummenanstalt, 1822 durch die Loge gegründet und mit einer Fortbildungsschule für erwachsene Taubstumme beiderlei Geschlechts verbunden, städtische und private höhere Mädchenschulen, städtische Mädchenschule, Landwirtschafts-, Hebammen-, Mittel-, 5 Bürgerschulen, 3 evang. und 1 kath. Volksschule, Institut für weibliche Handarbeiten, Seminar für Lehrerinnen und eine Musikschule.
Mit der königl. Bibliothek (65000 Bände) ist zugleich verbunden die Amplonianische Handschriftensammlung (Schriften bis zum 9. Jahrh. zurück); im Martinsstift die sog. Ministerialbibliothek, meist theol. Inhalts, mit vielen auf Erfurt bezüglichen Handschriften; im Rathaus die Bibliothek des Stadtarchivs mit Handschriften und alten Drucken, im Dom das Domarchiv. Ferner bestehen Museen für Kunst und Kunstgewerbe und für städtische Altertümer, eine ethnogr. Sammlung; Akademie der Wissenschaften, Vereine für Geschichte und Altertumskunde, Kunst und Kunstgewerbe (mit Gemäldeausstellungen), Konzert- und Theaterverein, Gewerbe- sowie zahlreiche andere Vereine, eine Freimaurerloge, ein städtisches Theater. [* 27]
Wohlthätigkeitsanstalten. Neues evang. und kath. Krankenhaus, [* 28] Anstalt für Behandlung chronischer Krankheiten, Institut für Heilgymnastik und Massage, Kliniken für Augen-, Ohren- und Frauenkrankheiten, Provinzialentbindungsanstalt, Pflegeanstalt für kath. Frauen, evang. und kath. Waisenhaus (53 Zöglinge, 17189 M. Kosten der Anstalt, davon 2327 M. Beitrag der Stadt). Die Stadt hatte (Ende 1893) 8 Ortskrankenkassen (6570 Mitglieder, 111076 M. Einnahmen, 108375 M. Ausgaben, 34970 M. Gesamtvermögen), 15 Betriebs-(Fabrik-)krankenkassen (1927, 39772 M., 37973 M., 43000 M.), 6 Innungskrankenkassen (947, 14570 M., 12220 M., 8788 M.). In der offenen Armenpflege wurden (1892/93) 1742 Personen unterstützt; die Gesamtkosten betrugen 176851 M., wozu die Stadt 114373 M. zuschoß. In der Altersversorgungsanstalt waren 196 Personen untergebracht; die Kosten betrugen 76164 M. Die beiden Siechenhäuser beherbergten 100 Personen und erforderten 20000 M. Die beiden Heilanstalten haben zusammen 398 Betten, 3 Ärzte und 5 Assistenzärzte.
Industrie, Gewerbe und Handel. Bedeutend ist die Herstellung von Damenmänteln (27 Firmen) und die Schuhfabrikation (16 Fabriken mit etwa 1500 Arbeitern); ferner bestehen 3 Eisengießereien, 12 Webereien für Woll-, Baumwoll und Leinenwaren, 21 Buch- und Steindruckereien, 12 Brauereien (Jahresproduktion etwa 130000 hl), Mahl-, Öl-, Graupen- und Schneidemühlen, 28 Kalk- und Ziegelbrennereien, 4 Gerbereien sowie endlich Fabriken für Maschinen (8), Lampen [* 29] (4), Malz (4), Gummiwaren (4), Tabak [* 30] und Cigarren (6), Musikinstrumente (9), chem. Präparate, künstlichen Dünger, Leder, Seife (5), Stiefelwichse (5) und Möbel [* 31] (29). Die königl. Gewehrfabrik beschäftigt etwa 2600, die Betriebswerkstätte der königl. Eisenbahndirektion etwa 500 Arbeiter.
Berühmt ist Erfurt durch seinen Gartenbau, seine Kunst- und Handelsgärtnerei, Gemüse- und Sämereihandel. Von den 20 im größern Umfange betriebenen Kunst- und Handelsgärtnereien beschäftigen mehrere, z. B. J. C. Schmidt, gegen 1000 Personen; 45 Gemüsegärtnereien (Blumenkohl, Weiß- und Rotkohl, Brunnenkresse) versenden ihre Erzeugnisse nach allen Weltteilen, in den Sommermonaten werden wöchentlich 40-60 t Blumenkohl, jährlich etwa 50000 Schock Brunnenkressenbündel ausgeführt. 1865 und 1877 fanden große Gartenbauausstellungen in Erfurt statt.
Neben der Reichsbankstelle, einer Handels- und einer Gewerbekammer bestehen eine Feuer-, Hagel- und Lebensversicherung «Thuringia» (1800000 M. Aktienkapital), Gasanstalt (Sitz der Direktion in Dessau), Straßenbahn-Aktiengesellschaft, Aktienbad-Gesellschaft, Erfurter Bank (Pinckert, Blanchard & Co.), Neue Erfurter Vorschußbank, kath. Spar- und Darlehnskasse St. Joseph, Erfurter Spar- und Leihbank, 8 Generalagenturen auswärtiger Versicherungsgesellschaften und 14 Zweigniederlassungen auswärtiger Handelsgeschäfte.
Bei der städtischen Sparkasse (1823 gegründet) waren (Ende 1892) auf 27964 Bücher 11408448 M. eingezahlt, bei der Kreissparkasse (1883 gegründet) auf (Ende 1889) 2812 Bücher 1506091 M. Im städtischen Leihhaus waren 14886 Pfänder mit 95409 M. beliehen. Erfurt ist Sitz der Thüringischen Baugewerks-Berufsgenossenschaft und ihrer 4. Sektion, sowie der 4. Sektion der Norddeutschen Edel- und Unedelmetallindustrie- und der 13. Sektion der Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft.
Verkehrswesen. Erfurt liegt an den Linien Halle-Bebra (Thüringer Eisenbahn), Erfurt-Sangerhausen (69,9 km), Erfurt-Ritschenhausen (87,4 km) und Nordhausen-Erfurt (79,6 km) der Preuß. Staatsbahnen [* 32] und hat einen Centralbahnhof. Seit ist auf allen 3 Linien der frühern Pferdebahn der elektrische Betrieb eingeführt worden. Die Gesamtlänge der Gleise dieser 3 Linien beträgt 10428 m. Der Wagenpark besteht aus 45 Wagen (29 Motor- und 16 Anhäugewagen). Vom bis wurden 1748203 Personen befördert.
Erfurt hat ein Postamt erster Klasse mit drei Zweigstellen, ein Telegraphenamt erster Klasse und Fernsprecheinrichtung. 1893 kamen an (gingen ab) 6192320 (14131156) Briefe, Postkarten, Drucksachen und Warenproben, 381736 (680774) Pakete ohne, 29959 (24644) Briefe und 5115 (5273) Pakete mit Wertangabe, 46571 Postnachnahmesendungen und Postauftragsbriefe. 24,747 Mill. M. wurden auf Postanweisungen aus-, 13,552 Mill. M. eingezahlt; 2424199 Zeitungsnummern wurden ausgegeben. Der Telegraphenverkehr umfaßte 172149 Telegramme, darunter 87798 abgegangene.
Vergnügungsorte, Umgebung. Von den zahlreichen öffentlichen Gärten der Stadt sind die besuchtesten der Vogels- und der Karthäusergarten. Die Umgebung ist besonders nach Süden sehr anmutig durch den Steigerwald, dessen Restaurants und schöne Promenadenwege viel besucht werden.
Geschichte. Erfurt ist eine uralte german. oder slaw. Gründung und wurde bald ein bedeutender ¶