die
Fettleibigkeit u. s. w. brechen bei den
Kindern gewöhnlich erst zu der Zeit aus, wo diese
Krankheiten überhaupt am häufigsten
sind. Die
Kinder schwindsüchtiger Eltern z. B. sind oft
bis in das 20. und 25. Jahr ganz gesund und erkranken dann auf einmal
und gewöhnlich viel schwerer als bei erworbener
Tuberkulose; freilich sterben viele auch schon in den
ersten Lebensjahren. Es kommt nicht selten vor, daß beide Eltern zur Zeit, wo sie die
Kinder zeugten, noch ganz gesund zu
sein schienen, daß aber der eine Erzeuger, aus einer schwindsüchtigen Familie stammend, den
Keim der
Krankheit schon in sich
trug: die
Kinder werden doch tuberkulös.
Nicht immer sind es die gleichen Gebrechen und die gleichen
Krankheitsanlagen, die in der Familie sich wiederholen, sondern
häufig nur ähnliche Formen, die sogar, während sie dem einen
Gliede zum Verderben dienen, dem andern zum größten
Vorteil
gereichen können. So ist es
Thatsache, daß in Familien, in denen
Geisteskrankheiten einheimisch sind,
zugleich die intelligentesten und genialsten
Köpfe vorkommen. Noch merkwürdiger ist, wie oft zwei ganz gesunde Eltern fast
lauter
Kinder mit
Mißbildungen oder Gebrechen hervorbringen; gewöhnlich handelt es sich hier um Rückschläge auf die Großeltern
oder noch entferntere
Ahnen. (S.
Erblichkeit.)
Die physiol. Gesetze, nach denen die erbliche Übertragung von
Krankheitsanlagen vor sich geht, sind noch
völlig unbekannt. Der Einfluß des
Vaters hinsichtlich der
Vererbung von
Krankheitsanlagen kann natürlich nur während der
Zeugung stattfinden; die
Mutter wirkt dagegen auch während der
Schwangerschaft und während des
Stillens noch auf das
Kind,
und es ist die Möglichkeit zuzugestehen, daß auch hierdurch noch die Gelegenheit zu Erbliche Krankheiten, namentlich
der
Tuberkulose, gegeben wird.
Für die Behandlung der erblichen Familienübel ist es von der größten Wichtigkeit, daß man ihre Entstehung und Ausbildung
durch zweckmäßige Verhaltungsmaßregeln schon beizeiten zu hindern sucht. Wer eine erbliche
Anlage besitzt, der heirate
keine
Person, welche dieselbeAnlage ererbt hat, sondern eine solche, welche von entgegengesetzter Konstitution
ist. Da bei der
Bildung des
Embryo (s. d.) männliche und weibliche Zeugungsstoffe zusammenwirken, so
kann durch Übergewicht von einer Seite her der Einfluß von der andern eliminiert und aufgehoben werden.
Aus diesem
Grunde ist eine vernünftige geschlechtliche
Auslese und die durch sie bedingte Kreuzung (s. d.)
der
Stämme das beste
Mittel, um der
Ausartung der Geschlechter vorzubeugen, während bekanntlich durch fortgesetzte
Inzucht
oder Heiraten unter nahen Verwandten sich gewisse Familienzüge und Familienübel bis zum
Extrem ausbilden und fortpflanzen.
Namentlich ist vom
Kretinismus und von der
Idiotie bekannt, wie sie durch Heiraten unter nahen Verwandten
befördert, durch
Ehen mit
Stammes- und Landesfremden aber beschränkt werden.
Man richte weiterhin bei dem
Verdachte einer erblichen Krankheitsübertragung von der
Geburt an alle Umstände, unter denen
das
Kind lebt, so ein, daß die ererbte
Anlage nicht nur nicht befördert, sondern im Gegenteil möglichst wirksam bekämpft
wird. Man sorge zu diesem Behufe für eine verständige Kräftigung und
Abhärtung (s. d.) des Körpers,
wobei namentlich der möglichst ungeschmälerte Aufenthalt in guter reiner Luft von Bedeutung ist, und suche namentlich in
dem
Lebensalter, in welchem die
Krankheit bei den Eltern entstanden war, alle jene zufälligen Gelegenheitsursachen möglichst
fern zu halten, die erfahrungsgemäß die Entstehung der betreffenden erblichen
Krankheit begünstigen.
-
im biologischen
Sinne die Fähigkeit des belebten
Stoffs, seine Eigentümlichkeiten, die körperlichen
sowohl wie die geistigen, in verschiedenem
Umfange auf seine Nachkommenschaft durch den Weg der Fortpflanzung zu übertragen.
Diese Übertragung selbst bezeichnet man als
Vererbung (hereditas). So allgemein bekannt jene Fähigkeit
und die daraus hervorgegangenen Erscheinungen sind, so schwer sind dieselben zu erklären. Eine
Thatsache ist es, daß Erblichkeit um
so kräftiger wirkt und die Folgen der
Vererbung um so deutlicher auftreten, je größer der bei der Fortpflanzung (s. d.)
sich vom elterlichen Körper loslösende
Teil ist. Am ähnlichsten untereinander sind zwei durch ganz
gleichmäßig sich vollziehende
Teilung eines Organismus hervorgegangene neue Organismen, sehr ähnlich noch solche (Hohltiere,
Pflanzen), welche durch Knospung auf ungeschlechtlichem Wege hervorgebracht wurden.
Manche Kulturgewächse (Rotbuchen, Trauereichen u. s. w.) vererben ihre Eigentümlichkeiten
bloß dann, wenn ihre Nachkommen aus Senkern oder
Stecklingen erzogen werden, während die aus den Geschlechtsprodukten
hervorgegangene Nachkommenschaft in die Stammform zurückschlägt. Allerdings machen
Arbeitsteilung (s. d.) und besondere
Arten der Fortpflanzung (s. Generationswechsel und Fortpflanzung) verschiedene
Knospen
[* 2] dem elterlichen Körper durch Sonderanpassungen
oft sehr unähnlich.
Man unterscheidet mit Haeckel zwei
Arten und zwar: die erhaltende oder konservative Erblichkeit und die fortschreitende
oder progressive Erblichkeit Kraft
[* 3] jener vererbt ein Organismus auf seine Nachkommen die selbst ererbten, kraft dieser
die selbständig erworbenen Eigenschaften; gälte bloß die erstere und hätte immer ausschließlich gegolten, so würde
ein Organismus wie der andere beschaffen sein; dadurch aber, daß die zweite Art ihre Wirkung mit geltend
macht, entsteht die Mannigfaltigkeit, zu welcher sich die Lebewesen im Laufe der
Zeiten entwickelt haben.
Durch die erhaltende Erblichkeit übertragen Organismen ihre Eigenschaften entweder sämtlich auf ihre Nachkommenschaft
schon in der ersten Generation, also auf ihre
Kinder, dann ist die
Vererbung eine ununterbrochene, oder aber ein größerer
oder kleinerer
Teil ihrer Charaktere verschwindet in dieser nächsten Generation oder während einer verschieden
großen, oft sehr langen Reihe von Generationen, um dann in gesetzmäßigem Wechsel als normale Erscheinungen (im Generationswechsel
und in der
Heterogenie, s. d. und Fortpflanzung), oder um nur gelegentlich einmal und
scheinbar in ganz willkürlicher
Weise bei einem oder dem andern Nachkommen auf einer oder der andern
Generationsstufe wieder aufzutreten. In diesem Falle war die
Vererbung eine unterbrochene oder latente und das Individuum,
bei welchem sich ihre Kraft wieder geltend macht, zeigte einen
Rückschlag auf seine
Vorfahren, es befindet sich im
Atavismus.
Am häufigsten treten Rückschläge und oft nach sehr langer Zeit bei domestizierten
Pflanzen und
Tieren
dann auf, wenn sich dieselben von der Zucht des
Menschen emancipiert haben und in den Zustand
¶
mehr
der Verwilderung übergetreten sind. So schlagen alle Rassen unserer Haustauben, Kröpfer, Pfauchen, Mövchen u. s. w., sie
mögen so verschieden sein, wie sie wollen, nach verhältnismäßig wenig Generationen der Verwilderung in eine und dieselbe
wilde Stammform, die Felstaube (ColumbaliviaL.) zurück. Die verschiedenen ererbten Eigenschaften zweier zur Fortpflanzung
sich vereinigenden Individuen können sich in zweierlei Art vererben. Entweder die Eigenschaften des
Mannes pflanzen sich auf die männlichen, die des Weibes auf die weiblichen fort, und das ist normalerweise immer der
Fall mit jenen Eigenschaften, welche mit dem Geschlechtsleben der geschlechtlich verschiedenen Individuen unmittelbar als
primäre Geschlechtscharaktere oder mittelbar als sekundäre im Zusammenhange stehen.
Unter diesen Umständen ist die geschlechtliche Vererbung eine einseitige. Es können sich aber auch Eigenschaften beider
Eltern sowohl auf männliche als auf weibliche Nachkommen übertragen, dann ist die Vererbung eine gemischte oder amphigone
(nach Haeckel). Hierauf beruht die Bastardierung. Endlich können Charaktere sich über das Kreuz
[* 5] vererben, d. h.
also solche des Vaters auf die Tochter, solche der Mutter auf die Söhne; unter diesen Umständen könnte man von einer chiasmatischen
Vererbung sprechen. Auf einer Art der anhaltenden Vererbung und zwar auf der vereinfachten und abgekürzten beruht auch das
Biogenetische Grundgesetz (s. d.).
Die erworbene oder angepaßte Vererbung überträgt die erworbenen Eigentümlichkeiten eines Organismus
gleichfalls auf seine Nachkommen und meist treten dieselben bei diesen zu der Zeit auf, in welcher und an der Stelle, wo der
Vorfahre sie erwarb; die angepaßte Vererbung wirkt gleichzeitig und gleich örtlich, sie ist homochron und homotop. Erworbene
Charaktere treten aber, dank der befestigten oder konstituierten Vererbung, mit um so größerer Sicherheit
bei den Nachkommen auf, je länger die Zeitdauer war, während welcher sie derVorfahre erwarb und sich an ihren Einfluß anpassen
mußte. Sämtliche Eigenschaften eines Organismus können sich vererben, auch die geistigen, da diese ja doch an den Stoff
gebunden sind.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Fähigkeit der Erblichkeit und die Erscheinungen der Vererbung zu erklären,
aber freilich verläßt uns hier die wissenschaftliche Erfahrung, und wir gelangen zu transcendentaler Anschauung, deren Grad
der Wahrscheinlichkeit auf subjektiven Urteilen beruht, sich aber nicht erweisen läßt.
SchonDarwin stellte die, wie er sie selbst nennt, vorläufige Hypothese (hypothetisch in der zweiten Potenz)
der Pangenesis auf. Nach dieser Hypothese pflanzen sich die Zellen, aus welchen der Körper eines Lebewesens besteht, nicht
bloß auf dem Wege einfacher Teilung fort und entwickeln sich infolge der Arbeitsteilung in verschiedener Richtung und Art weiter,
sondern sie geben auch kleinste molekülartige Körnchen (Keimchen oder Gemmulae) ab, welche sich, nachdem
sie den ganzen Organismus in allen seinen Teilen gewissermaßen durchwandert haben, in den Geschlechtsstoffen sammeln und
auf die Zellen, aus denen die unmittelbaren nächsten Nachkommen entstehen, derart einwirken, daß diese sich ähnlich wie
im elterlichen Organismus entwickeln.
Die Kraft der Gemmulae kann auch während einer oder mehrerer Generationen
von Nachkommen schlummern,
in irgend einer aber wieder ihre Thätigkeit aufnehmen und beim Enkel, Urenkel u. s. w.
einen Rückschlag in die Beschaffenheit des Ahnen veranlassen. Eine jede Zelle
[* 6] vermag während ihres ganzen Entwicklungsganges
Gemmulae abzugeben, welche in schlummerndem Zustande eine gegenseitige Verwandtschaft haben und durch
ihr Zusammentreten zur Bildung von Knospen und Geschlechtsstoffen führen. In neuester Zeit hat der Holländ.
Botaniker de Vries diese Hypothese in beschränkter Form wieder aufgenommen. Nach ihm durchwandern die Gemmulae, welche er
mit dem Namen Pangene bezeichnet, nicht den ganzen Organismus, sondern finden sich in jeder einzelnen Zelle desselben, welche
überhaupt aus nichts als Pangene besteht, und jede einzelne Anlage der Erblichkeit und jede Tendenz zur Vererbung ist an eine derartige
Pangene als an ihr materielles Substrat gebunden. Das ist die Hypothese der intracellulären Pangenesis.
Haeckel, welcher als monistischer Philosoph alle Erscheinungen der Veränderung des Stoffs auf mechan. Ursachen, oder
richtiger auf eine einzig existierende mechan. Ursache, auf die Bewegung zurückzuführen versucht, stellt zur Erklärung der
in Frage stehenden Erscheinungen eine Hypothese der Wellenzeugung der Lebensteilchen, oder der Perigenesis der Plastidule
auf. Plastidulen oder Plasma-Moleküle setzen in ungeheuer großer Zahl das Plasma oder Plaston einer jeden Zelle zusammen.
Durch die Fortpflanzung werden nun nicht bloß die chem. Eigentümlichkeiten
des Plastons vom Zeugenden auf den Erzeugten übertragen, sondern auch die besondere Art der Molekularbewegung, welche in
demselben stattfindet. Übertragene Bewegungen wirken in den Teilungsprodukten des elterlichen Körpers oder den gemischten
Teilungsprodukten der elterlichen Körper fort und werden Ursache der Erblichkeit und der Vererbung.
Nägeli (" Mechan.-physiol. Theorie der Abstammung», Münch. und Lpz. 1884) unterscheidet im Plasma der Zellen ein Idioplasma,
das aus feinsten Teilen, sog. Micellen, zusammengesetzt ist, das übrige Plasma der Zellen oder das Ernährungsplasma in Gestalt
parallel nebeneinander angeordneter Fäden durchziehe und, ohne durch die Zellenwände gehindert zu werden,
von Zelle zu Zelle tritt und so den ganzen Organismus mit einem äußerst komplizierten, für menschliche Hilfsmittel nicht
wahrnehmbaren Netzwerke durchspinnt.
Diese Micellstränge des Idioplasmas finden sich auch in den Zeugungsstoffen, und wenn diese infolge des Wachstums des Ernährungsplasmas
unter Teilungserscheinungen wachsen, so wachsen auch jene und durchziehen auch die neuen Teilungsprodukte.
Aber ihre Lage ändert sich aus innern Ursachen, denen ein Vervollkommnungsprincip zu Grunde liegt, von Generation zu Generation
und gestaltet die Nachkommen mit (meist) fortschreitender Tendenz langsam um.
Nach der Ansicht von Weismann besitzt ein jeder Organismus zweierlei verschiedene Arten von Plasma. Das eine, wesentlichere,
ist das Keimplasma oder der Zeugungsstoff, welcher nach der Zeugung durch Ernährung zwar wächst, aber
zum Teil nicht zur Bildung der Gewebe
[* 7] des Nachkommens verwendet wird, sondern in diesem als Keimplasma sich erhält, während
aus den andern Teilen der Träger
[* 8] des Keimplasmas, das somatische Plasma oder der Körperstoff hervorgeht, welcher
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