(Inflammatio, Phlogosis), einer der häufigsten und wichtigsten krankhaften Prozesse
des menschlichen und tierischen Körpers, spielt bei der Entstehung und Heilung der meisten innern und chirurg. Krankheiten
eine hervorragende Rolle, weshalb die Lehre von der Entzündung eins der wichtigsten Kapitel der gesamten Pathologie darstellt und von
alters her das Interesse der Ärzte und Chirurgen in ganz besonderm Grade erregt hat. Man versteht unter
Entzündung im allgemeinen denjenigen krankhaften Zustand eines Körperteils oder Organs, bei welchem dessen Haargefäße erweitert
und mit stockenden Blutkörperchen überfüllt sind und infolgedessen gerinnbare, faserstoffhaltige (sog. plastische)
Bestandteile ausschwitzen, welche, in die Gewebe gelagert, daselbst mannigfachen weitern
mehr
Veränderungen unterliegen können. Das Entzündetsein eines Organs giebt sich vor allem durch gesteigerte Wärme, Rötung,
Schwellung und Schmerzen in demselben zu erkennen, wozu sich sehr bald auch mehr oder minder auffallende Störungen in den
Verrichtungen des entzündeten Organs, unter Umständen auch Fieber und eine allgemeine Zurückhaltung der Absonderungen (Durst,
Trockenheit der Haut, sparsamer dunkler Harn u. dgl.) hinzugesellen. Jede Entzündung geht aus einer Kongestion, d. h.
aus der Überfüllung von gewissen Haargefäßen hervor und besteht ihrem Wesen nach aus einer örtlichen Ernährungsstörung
der Gewebe mit dem Charakter des beschleunigten und gesteigerten Stoffwechsels, durch welche die verschiedenartigen, von außen
auf den Körper einwirkenden Schädlichkeiten möglichst eliminiert und unschädlich gemacht werden.
Wenn man sich einen Splitter tief in das Fleisch einsticht, so entsteht sehr bald, wenn derselbe nicht herausgezogen wird,
in seinem Umkreise eine entzündliche Anschoppung und Ausschwitzung, welche entweder den Splitter mit einer aus neugebildetem
Bindegewebe bestehenden Kapsel umgiebt und so unschädlich macht, oder die benachbarten Gewebe eiterig
erweicht und so dem Splitter mitsamt dem entstandenen Eiter einen Ausweg nach außen bahnt. Auf die gleiche oder ähnliche
Weise werden die meisten krankhaften Veränderungen innerhalb unsers Körpers durch entzündliche Prozesse vollständig oder
doch teilweise wieder aufgehoben und ausgeglichen.
Die feinern Vorgänge bei der Entzündung bestehen nach den Untersuchungen von Cohnheim darin,
daß nach der Einwirkung einer das betreffende Organ berührenden Schädlichkeit, des sog. Entzündungsreizes, zuerst eine
Erweiterung der Arterien, später auch der Venen eintritt, wodurch die Geschwindigkeit des Blutstroms bald beträchtlich herabgesetzt
wird, und daß, begünstigt durch diese Blutstockung, zahllose farblose Blutkörperchen durch die unversehrten
Gefäßwände nach außen in die umliegenden Gewebe auswandern und hier als sog. Eiterkörperchen
das weitere Schicksal der Entzündung bestimmen; verschwinden sie nach einiger Zeit wieder, indem sie aus den Hohlräumen
des Bindegewebes in die Lymphgefäße und so wieder in die Blutmasse zurückgelangen, so wird die Entzündung wieder rückgängig
(zerteilt), während sie bei andauernder Anhäufung in dem umgebenden Gewebe den Übergang der Entzündung in Eiterung bedingen. (S.
Eiter.) Dieser neuern Ansicht über den eigentlichen Entzündungsvorgang (der Einwanderungstheorie) steht eine andere ältere
(die Proliferationstheorie) gegenüber, nach welcher die Eiterkörperchen nicht ausgewanderte farblose Blutkörperchen, sondern
in den Geweben selbst entstanden seien, indem in den epithelialen Geweben die Epithel- oder Drüsenzellen,
in bindegewebigen Organen die Bindegewebszellen unter dem Einfluß des Entzündungsreizes eine lebhafte Wucherung und wiederholte
Teilung erfahren und sich so direkt in Eiterkörperchen verwandeln. Neuere Untersuchungen haben bewiesen, daß in der
That, entsprechend der ältern Anschauung, die Gewebszellen sich ebenfalls durch Teilung an dem Entzündungsprozeß
lebhaft beteiligen und daß auch aus ihnen Eiterkörperchen entstehen. Ferner spielen die Nerven, durch die die Blut- und Lymphgefäße
erweitert und verengt werden, bei der Entzündung eine große Rolle.
Jedes Lebensalter, Geschlecht, Temperament und jedes Klima ist den Entzündung ausgesetzt; besonders begünstigt werden sie
aber von
dem Kindes-, Jugend- und Mannesalter, den kalten Klimaten und Jahreszeiten. Ebenso ist jedes Organ der Entzündung zugänglich,
ausgenommen diejenigen Organe, welche weder Blutgefäße noch Nerven besitzen, wie die Oberhaut, die Haare und Nägel und zum
Teil die Knorpel; besonders häufig werden diejenigen Organe von G. befallen, welche der Einwirkung schädlicher
Einflüsse am meisten ausgesetzt sind, wie die Augen, die Luftröhre und die Lungen.
Wiederholte Entzündung mancher Organe erhöht die Disposition für die gleiche Erkrankung desselben Organs; wer wiederholt von Luftröhrenkatarrhen
befallen wurde, erkrankt bei der geringsten Veranlassung wieder an Luftröhrenkatarrh. Bisweilen entzünden sich einzelne
Teile der Organe leichter als andere, ohne daß die Ursachen hierfür bekannt sind; so betreffen erfahrungsgemäß
Lungenentzündungen häufiger die untern Lappen als die obern. Die nächsten oder Gelegenheitsursachen der Entzündung, die
sog. Entzündungsreize, müssen einen gewissen, je nach der Individualität verschiedenen Grad besitzen;
als solche wirken
mechan. Verletzungen der Organe (Schnitt, Stich, Stoß, Reibung, Quetschung), fremde Körper (Staub, Splitter,
Flintenkugeln, wandernde Parasiten) in oder an denselben, allzuheftige Anstrengung, hohe Hitze- und Kältegrade sowie schneller
Wechsel der Temperatur;
ferner chem. Einwirkungen, wie die der Säuren, Alkalien, scharfer Stoffe und mancher ätherischen Öle;
endlich können den Organen direkt oder vom Blut und von der Lymphe aus gewisse, nach Art eines Giftes wirkende
Ansteckungsstoffe zugeführt werden, welche entweder in demselben Organismus oder in andern Organismen entstanden sind und
als heftige Entzündungsreize wirken können;
hierher gehören die Kontagien der Syphilis, Pyämie, Ruhr, des Milz- und Hospitalbrandes,
des Typhus, der Blattern und übrigen Infektionskrankheiten. (S. Kontagium.) Die wichtigste und häufigste Ursache
der Entzündung sind die in der Außenwelt überall vorkommenden Mikroben (Pilze, Bakterien) und ihre Stoffwechselprodukte.
Die Tendenz einer jeden Entzündung ist die Aussonderung eines gerinnbaren Krankheitsprodukts, welches in vielen Fällen fähig ist,
neue Gewebe zu bilden (sog. plastische Lymphe). Diese Ausschwitzung oder Exsudation ist der wichtigste Vorgang bei der Entzündung und
fehlt nie, wenn das Exsudat häufig auch nur mikroskopisch wahrnehmbar ist. Sie ist nicht selten die erste und bei Entzündung innerer
Organe die einzig nachweisbare Veränderung des Entzündungsprozesses und kommt in gleicher Weise an gefäßhaltigen und an
gefäßlosen, in festen und weichen Teilen, in Häuten und im Innern der Organe vor.
Das Exsudat findet sich entweder auf den freien Oberflächen und in den natürlichen Höhlen des Körpers oder zwischen den
Geweben und Gewebsteilen; seine Menge ist je nach der Intensität der Entzündung, nach seinem Sitze und nach der
Art der betreffenden Gewebe sehr verschieden, von kaum wahrnehmbaren Mengen bis zu vielen Litern wechselnd;
am wichtigsten sind die freien Exsudate seröser Häute und gewisser Schleimhäute. Hinsichtlich ihrer Beschaffenheit zerfallen
die entzündlichen Exsudate in seröse, schleimige, faserstoffige, hämorrhagische, kruppöse und diphtheritische (s.
Ausschwitzung), und diese Unterschiede in der Art und Beschaffenheit der ausgeschwitzten Substanz sind für den weitern Verlauf
und Ausgang der Entzündung von nicht geringer Bedeutung. Durch die Ausschwitzung plastischer
mehr
Lymphe werden bei Entzündung, die durch Verwundung herbeigeführt wurden, die getrennten Teile wieder verlötet und durch neugebildetes
Gewebe miteinander wieder vereinigt (sog. adhäsive Entzündung) und dadurch in vielen
Fällen in kurzer Zeit die Wundheilung vollendet; freilich kann derselbe Vorgang bei der Entzündung innerer Organe
die Ursache von Verwachsungen, Verschließungen von Kanälen, Verhärtungen und zahlreichen andern nachteiligen
Ausgängen werden, sodaß hier schädlich wirkt, was dort heilsam ist.
Der günstigste Ausgang der Entzündung ist die Zerteilung, wobei sich unter allmählichem Nachlassen aller Symptome nach und nach
der vorige Zustand des Organismus wiederherstellt, entweder weil sich die vorhandene Blutstockung zerteilte und der überschüssige
Gewebesaft durch die Lymphgefäße wieder abgeführt wurde (discussio) oder weil die ausgeschwitzten Exsudatmassen wieder
verflüssigt und aufgesaugt wurden (Lösung der Entzündung, resolutio). Bei höhern Graden der Entzündung, bei ungünstiger Beschaffenheit
des ausgeschwitzten Exsudats (wie bei den kruppösen und diphtheritischen Entzündung), ferner bei fehlerhafter Blutmischung,
bei Störungen des entzündlichen Prozesses und vor allem bei Ablagerung des Exsudats in maschige Gewebe
(z. B. in den Zellstoff unter der Haut) kommt es leicht zur Vereiterung (suppuratio) und zur Verschwärung (ulceratio), d. h.
es tritt eine reichliche Schmelzung des Exsudats zu Eiter (s. d.) ein, die eiterig erweichten Massen werden nach außen ausgestoßen,
und es entsteht ein mehr oder minder umfangreicher Substanzverlust, ein Geschwür (s. d.), welches bei
seiner Ausheilung eine bleibende Narbe zurückläßt.
Bei noch ungünstigern Bedingungen, bei vollständiger Unterbrechung der Ernährung kann die Entzündung auch mit dem Tode der erkrankten
Gewebe endigen; die letztern werden brandig und es kommt zur brandigen Abstoßung des ganzen erkrankten Organs.
(S. Brand.) Bei schweren und ausgebreiteten Entzündung, namentlich innerer lebenswichtiger Organe, kann auch der
allgemeine Tod des ganzen Organismus erfolgen. Hinsichtlich ihrer Dauer teilt man die Entzündung in akute, die schnell und meist mit
deutlichem Fieber verlaufen und in Zeit von einigen Tagen, höchstens Wochen beendet sind, und in chronische
ein, die sich länger hinausziehen, oft ohne anfänglichen bedeutenden Anteil des Gesamtorganismus, die aber schließlich
doch durch ihre Dauer und die mit ihnen verbundenen Eiter- und Säfteverluste oft genug verderblich werden. Häufig haben sehr
lange andauernde, mit Eiterung und Verschwärung verbundene Entzündung allgemeine Blutarmut, Abmagerung und Amyloidentartung lebenswichtiger
Organe zur Folge.
Bei der Behandlung von Entzündungskrankheiten, der sog. Antiphlogose, ist zunächst dahin zu streben, den Reiz, der die Entzündung veranlaßt,
zu entfernen oder wenigstens soviel als möglich abzustumpfen. Fremde Körper und Splitter müssen extrahiert, chemisch reizende
Mittel entfernt oder neutralisiert, in die Gewebe, z. B. in Wunden eingedrungene Bakterien desinfiziert, physikalisch
wirkende Schädlichkeiten (extreme Hitze und Kälte u. dgl.) möglichst fern gehalten werden. Um die der Entzündung vorausgehende
Blutanschoppung zu mindern oder ganz zu zerteilen, können Blutentziehungen, und zwar sowohl allgemeine durch den Aderlaß
wie örtliche durch Blutegel, ferner vollkommene Ruhe und zweckmäßige Lagerung des entzündeten Teils, die örtliche Anwendung
der Kälte
in der Form des kalten Umschlags oder des Eisbeutels sowie innerlich kühlende Mittel sich nützlich
erweisen.
Oft genug sind diese entzündungswidrigen Mittel (s. auch Antiphlogistisch) allein vollkommen hinreichend, die Macht einer
Entzündung zu brechen. Übrigens erfordern alle entzündlichen Krankheiten, besonders wenn sie innere Organe betreffen, eine möglichst
reizlose, d. h. nicht zu stark nährende Diät (s. d.),
gehörige Regulierung der Stuhlentleerung und die Fernhaltung jedweder psychischen Aufregung. Nach geschehener Ablagerung des
Exsudats kommen zerteilende, erweichende, auflösende und Aufsaugung befördernde Mittel in Anwendung.
Ist Eiterung eingetreten, so ist der Eiter möglichst frühzeitig zu entfernen, was in den meisten Fällen am besten durch
einen Einstich oder Einschnitt mit dem Messer geschieht; auch vor nachweisbarer Eiterung ist bei äußern akuten Entzündung ein Einschnitt
gewöhnlich zweckmäßig; er wirkt schmerzmildernd und vermindert die Entzündung, sodaß es nicht zu Eiterung kommt. Vorhandenes Fieber
ist durch antipyretische Heilmittel (Chinin, Salicylsäure, Antipyrin, kalte Bäder) zu bekämpfen.
Bei chronischen Entzündung und Eiterungen ist der Kräftezustand des Kranken sorgfältig zu überwachen und durch
roborierende Mittel (Eier, Fleisch, Milch, Schokolade, Wein, malzreiche Biere) soviel als möglich zu unterstützen. Ist es im
Verlaufe einer Entzündung zum Brand gekommen, so muß man abwarten, bis sich der abgestorbene Teil spontan vom Körper abstößt; doch
sorge man für gehörige Desinfektion der brandigen Gewebe durch Chlorkalklösung, Carbolsäure, Creolin
und andere antiseptische Verbandmittel. -
Vgl. Virchow, Cellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1871);
Billroth, Über die Verbreitungswege
der entzündlichen Prozesse (Lpz. 1870);
Cohnheim, Vorlesungen über allgemeine Pathologie (2 Bde., 2. Aufl.,
Berl. 1882);
Ziegler, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen pathol.
Anatomie (7. Aufl., 2 Bde., Jena
1892); Birch-Hirschfeld, Lehrbuch der pathol. Anatomie (4. Aufl., 2 Bde., Lpz.
1889); Tillmanns, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie (2. Aufl., 2 Bde., ebd.
1891).