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Versammlung für das ganze Reich ist wahrscheinlich nie zusammengetreten. In den Rat, der den Reichs- angelegenheiten vorstand (V/it6na-F6inot), wurden nur die Großen des Landes berufen: die Prälaten, die I^läorinon und die 11i6^n3 (d. i. Nini8ti'i, Leute im unmittelbaren Dienste [* 2] des Königs), doch erscheinen die vereinigten Folkmots bei besonders feierlichen Gelegenheiten, wie bei Königswahlen, nicht mitratend, aber Beifall oder Mißfallen äußernd.
Der König steht über dem Volke als oberster Heer- führer, er greift durch seine Sheriffs in die Ge- richtsbarkeit der Graffchaftsgerichte und der klei- nern Gerichte ein. Als Hüter des Königsfriedens erwirbt er die oberste Polizeigewalt im Lande, als Haupt der Kirche steht er über der geistlichen Hier- archie. Seine Würde ist nicht erblich; er wird vom Vit6na-F6in0t erwählt (doch sind nur die Glieder [* 3] der herrschenden Familie wählbar) und kann von derselben Körperschaft abgefetzt werden. Er erläßt Gefetze, aber nur unter Beirat des «WitLna-^inot. Daß diefe Beratung als wefentlich angefehen wurde, geht aus der Form der Gefetze hervor (vgl. die Bei- spiele in ^tubbs OonLtitntional IIi8t0i)', Bd. 1, 5. Aufl., Lond. 1891). Wilhelm von derNormandie hat, nachdem er (1066) in der Schlacht bei Hastings das engl. Königreich erobert hatte, in den staatsrecht- lichen Einrichtungen des Landes wenig geändert, sondern nur einer natürlichen Entwicklung durch die Macht seiner Persönlichkeit und seine klare Einsicht in die Bedürfnisse des Landes einen frischen Anstoß ge- geben. Die Zunahme der Königsmacht war eine natürliche Folge der Vereinigung des engl. Reichs; mit der Zunahme dieser Macht geht parallel die Umwandlung des Volksstaatcs in den lehnsrecht- lichen Staat. Bereits unter den angelsächs. Königen hatte die Entwicklung begonnen, die die staatsrecht- lichen Befugnisse und Pflichten des Einzelnen mit seinem Verhältnis zu Grund und Boden in Be- ziehung brachte, und dem König, der früher nur Herrfcher über fein Volk war, die Stellung eines obersten Territorial- und Lehnsherrn gab. Die umfangreichen Konfiskationen Wilhelms und die Zuweifungen von Grund und Boden an feine nor- mann. Gefolgsleute beschleunigten diese Entwick- lung; aber Wilhelm und seine Nachfolger verstan- den es andererseits dadurch, daß sie die Wirkung der Afterbelehnung einschränkten und das Verhältnis dcr Afterbelehnten zum obersten Lehnsherrn in den Vordergrund brachten, der wcitern Überwucherung lehnsrechtlicher Grundsätze Einhalt zu gebieten. Die Entstehung kleinerer Territorialherrschaften mit polit. Befugnissen wurde dadurch verhindert und der unmittelbare Einfluß des Landesherrn im gan- zen Reiche gesichert. Ein Gesetz Eduards I. hat die Afterbelehnung überhaupt verboten. Die Centrali- sierung der Staatsgewalt besteht von nun an dauernd, die persönliche Macht des Königs nimmt bereits unter den normann. Königen wieder ab. Dann traten die folgenden Elemente in den Vordergrund. I. Aus dem Weifen-Männer-Rat, der zunächst in einen königl. Rat ((^iria. I^e^is) verwandelt wurde, scheiden sich aus a. der Rat der Großgrundbesitzer und Großwürdenträger (^la^nuin (^onciliuin), d. der engere Staatsrat (?6i'p6tunm Concilium, später ?riv^ (^ouncii genannt), c. gewisse Behörden und Gerichtshöfe. Die tönigl. Gewalt wird nur unter Zuziehung einer dieser beratenden Körperschaften oder durch diese nach fester Geschäftspraris handeln- ^^ Behörden und Gerichtshöfe ausgeübt. Brockhaus' Konversations-Lexikon.. 14. Aufl. VI. II. Der königl. Rat erweitert sich andererseits durch Zuziehung der Vertreter der kleinern Kronvasallen, der Städte und der Geistlichkeit zu einer allgemeinen Landesversammlung ((^oininniie Ooncilium), die später in drei getrennte Versammlungen zerfällt, unter denen zwei mit dem Souverän zufammen das heutige Parlament bilden. III. Die Einnahmen des Königs, die ursprünglich nur aus den Erträgnissen der Kronländer und lehns- rechtlichcn Gefallen bestehen, werden durch Besteue- rung erweitert, ursprünglich nur mit der Einwilligung der besonders Besteuerten; später wird die Ein- willigung dcr Landesversammlung oder der Neichs- ständc nötig. Hieraus entwickelt sich auch eine Kon- trolle über die Ausgaben und schließlich eineTrennung des königl. Haushalts von dem Staatshaushalt. IV. Die Organisation dcr kleinern Landesabtei- lungen, die die Engländer von ihrer german. Heimats- stätte mitgebracht hatten, geht nie verloren. Sie er- hält hauptsächlich durch das Institut der Friedens- richter (unter Eduard III.) neue Bedeutung. Es ist demnach die Entwicklung der folgenden Körperschaften und Einrichtungen zu schildern: I. der Staatsbehörden: a. des großen Staatsrats (derselbe wird später Pairskammer, s. I^oräs, II0N86 ok); I,. des engern Staatsrats (I'riv)/' (^ouncii ^s. S. 146^, aus ihm scheidet sich später wieder das ^adinet s. d.1 aus); c. der ^taatsämtcr und Gerichtshöfe; II. des Parlaments; III. des Finanz- und Steuerwesens; IV. der Graffchaften und Gemeinden. I. Staatsbehörden: a. Großer Staats- rat. Die Onria 1^6^13 ist der Rat, der unter den normann. Königen an die Stelle des 'vViwna-Foinot trat. In dieser Versammlung sollen erscheinen 1)die Vrälaten und hohen Staats- und Hofbeamten, 2) dcr Theorie nach sämtliche unmittelbare Lehnsmannen des Königs (Zar0N8), doch wurden thatsächlich nur die besonders hervorragenden (Barones in^ores) bermen. Dieser Rat beriet den König und war zu- gleicy der oberste Gerichtshof. Die gerichtlichen Funktionen und ebenso die Kontrolle der Staats- finanzen wurde abcr allmählich einzelnen Mitgliedern ständig übergeben und der Name (^ii-ia. lie^is in einem engern ^inne dem Kollegium beigelegt, das mit diesen Geschäften betraut war. Die größere Körperfchaft nimmt dann den Namen Großer Rat s^lHFnum Concilium) an; auch aus diefem fcheidet sich fpäter wieder ein engerer Staatsrat aus (f. Id), und andererseits erweitert er sich auch zu der großen Landesvcrsammlung ((^oininuns Oonoilwm, s. II). Daneben aber bleibt er als NHFnnin Ooncilium be- stehen und dient in dieser Eigenschaft 1) als Ge- richtshof, 2) als Ratsversammlung des Königs. Das ^laFnuin Oncilium als Gerichtshof heißt auch: Parlament, curia in Mi-iiNinsuto. Der Sprachge- brauch, wonach nur die aus den drei Reichsständen zusammengesetzte Versammlung I^i-Iianikutum ge- nannt wurde, entstand erst später. Noch1399, als die Landesversammlung tagten, werden die gerichtlichen Entscheidungen des Parlaments in einer Erklärung der ^ommoiiZ als ausschließlich zur Zuständigkeit dcs Könige und der Lords gehörend bezeichnet, und der Erzbischof von Canterbury antwortet im Namen des Königs, daß der König und die Lords jeder- zeit die Gerichtsbarkeit des Parlaments gehabt haben 10 ¶
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und nach Rechten weiter haben sollen, so wie es die Ooinin0N8 dargelegt haben, doch wünscht der König bei dem Erlaß von Gesetzen oder bei Geldbe- willigungen oder Snbsidien, oder bei allen Ange- legenheiten, die das allgemeine Wohl des Reichs betreffen, ihren (d. i. der ^oinmon8) Rat und Zustim- mung zu baben. (Über die jetzige Gerichtsbarkeit des HouLQ oll^oräZ, s.i^oi'äs, II0U86 ok.) Als Ratsver- sammlung des Königs kommt das Na^nuin (^on- oilinm, nachdem einmal das ?iiv^ (^ouncii (s. Id) sich definitiv gestaltet hatte, nicht mehr zusammen. d. Engerer Staatsrat (1'iiv^ Oonneil). Es ist anzunehmen, daß unter den Mitgliedern der großen Ouria N6Zi8 unter den normann.
Königen die Hauptbeamten sich häusiger als die Gesamt- körperschaft versammelten, um den König in wich- tigen Angelegenheiten zu beraten. Ein regelmäßig zusammengesetzter engerer Rat erscheint jedoch erst seit Heinrich III. (unter der Bezeichnung continuei con3oi1) lAiniiilN'6 ooncilium, LLOlLtuui oonciliuin u. s. w.) und hat unter Eduard I. bereits einen bestimmten Wirtungskreis. Zu ihm gehörte die Beratung des Königs in Bezug auf Bittschriften, die die Milderung der strengen Rechtsprechung der Gerichtshöfe bezweckten.
Diese Bittschriften wurden zunächst dem Kanzler (s. Ic) zur Begutachtung zu- gewiesen, und aus dieser Praris bildete sich im Laufe der Zeit die sog. Villigkeitsgerichtsbarkeit dieses Beamten aus. Ferner hatte dieser engere Rat auch Anteil an der Gesetzgebung. Unter Eduard III. sind die Reichsstände unzufrieden dar- über, daß der Rat auch Besteuerung anordnet (1359). Verschiedene Male verlangen auch die Neichsstände das Recht, bei der Besetzung des Rats mitzuwirken und unter den Königen aus dem Hause Lancaster beschäftigen sie sich öfter mit der Ausarbeitung von Regulativen für diefe Behörde.
Auch über die Ein- griffe des Rats in das Gebiet der Rechtsprechung hat.das Parlament ein wachsames Auge. [* 5] Während so die Macht des Rats dem Parlament gegenüber in Schranken gehalten wird, wächst sie andererseits dem Könige gegenüber. Während der Minderjährig- keit der Könige Heinrich III., Richard II. und Hein- rich VI. und während der Abwesenheit Heinrichs V. werden die tönigl. Befugnisse von dieser Behörde ausgeübt. Aber auch unter gewöhnlichen Verhält- nissen konnte die königl. Machtvollkommenheit wäh- rend dieser Zeit nur unter Mitwirkung des Rats ausgeübt werden.
Unter Heinrich VI. kommt die Bezeichnung ?iiv^ Oouneil zuerst zur Anwendung. Unter den Tudors wächst wieder die persönliche Macht des Königs, namentlich unter Heinrich VIII., und unter diesen Königen, ebenso wie unter den Stuarts, ist der ?riv^ (^ounoil ein williges Werk- zeug für die übergriffe der Krone. Durch den be- rüchtigten Oourt 0k 8tÄi' Odamdki- (s. Sternkammer) werden die gerichtlichen Befugnisse des Rats auch in Strafsachen von neuem zur Anwendung gebracht und erweitert, doch hört diese Gerichtsbarkeit 1641 endgültig auf.
Nach der Wiedereinsetzung der Stuarts (1600) bildet sich allmählich die Praxis aus, daß nur einzelne unter den ?riv^ ^ouneilwi^ den König beraten, und hieraus entsteht das System der beutigen Kabinettsregicrung (s. (^dinet). Einzelne Abteilungen des Rats bestehen weiter oder bilden sich für besondere Zwecke. Auch werden die Funk- tionen des Könifts nock jetzt formell stets «in Ooulici/», In Wirklichkeit aber nur in Gegenwart weniger I'riv^ ^0uiiciI1or8 ausgeübt. Äls Ge- samtkörperschaft tritt diefe Behörde nicht mehr zu- sammen (s. auch I'liv^ (^ouiicii). c. Die Staatsämter und Gerichtshöfe: «. die Staatsämter. Der Hauptstaatsbeamtc unter den normann. Königen war der Oberrichter (.Iu8ticiai-), der während der Abwesenheit des Königs als Regent fungierte und auch während seiner An- wesenheit das Haupt der Finanzverwaltung und der Rechtspflege war. Das Amt nahm nach dem Falle des mächtigen Hubert de Burgh (1232) an Würde ab und wurde noch vor Ende des 13. Jahrh, beseitigt. Als Haupt der Justizverwaltung bethätigt sich in der Folge der Kanzler (^liancsilor). Ein solcher Beamter besteht schon seit Eduard dem Vekenner und fungierte zuerst nur als Hauptschreiber des Königs, wurde aber allmählich sein vertrauter Ratgeber, namentlich in Bezug auf Bittschriften gegen allzu harte Vefchlüsse der gewöhnlichen Gerichtshöfe. Meiftenö dem geist- lichen Stande angehörend (nachdem das Amt an Ansehen stieg, regelmäßig ein angesehener Prälai) suchte er Treu und Glauben im Gegensatz zu der Strenge des Rechts zur Geltung zu bringen. Aus dieser Funktion entwickelte sich eine regelmäßige Ge- richtsbarkeit (s. Id), die den Namen der Billigkeits- gerichtsbarkeit erhielt. In der Regel war und ist noch heute der Kanzler Vewahrer des großen Siegels, das unter allen wichtigen Staatsurkunden abgedruckt werden muß, und ist im ganzen Verlauf der engl. Geschichte einer der wichtigsten Staatsbeamten ge- blieben (s. auch I^orä ^iiHncLlioi-). Ferner sind von hervorragender Bedeutung die Beamten der Finanz- verwaltung. Eine Abteilung der Ouria. Ii6zi8 (im engern Sinne) war das Schatzamt Mxc1i6yu6i', s. d.), dem der ^rO^nrer vorstand, der nach Beseitigung des Amtes des »Iu3tioiar ebenso wie der (^kmcsilor ein Hauptbeamter des Königreichs wurde. Sein Titel ist später I^orä Hi^ii 1r6a8ur6r, und die Macht dieses Beamten war eine so überwiegende, daß man häusig das Amt nicht besetzte und es durch eine aus mehrern Mitgliedern bestehende Kommission ver- walten ließ. Seit Wilhelm III. ist dies regelmäßiger Gebrauch geworden, und das Amt des I^orä IiiZIi ^l6a8ui'6i' wird jetzt durch die ok Her N^'63tx'3 1r6H8ur^ verwaltet (im gewöhn- lichen Sprachgebrauch I^orä3 ol tiis 'Ii-e^ur^ ge- nannt), unter denen der höchstgestellte, ^ii'8t I^orä ok td6 ^roH8ur^, meistens die Funktion eines Pre- mierministers ausübt und die Regierungspartei im Ü0U36 ok (^0INM0N8 leitet, weshalb er auch als Leiter des Hauses bezeichnet wird. Der zweite I^orä ok tiis ^r6H3nr^ ist der ^liLmckiior ok tlie Uxc1i6(iu6i', der jetzt die eigentlichen Funktionen eines Finanzministers ausübt. Der Präsident des Oouncii hatte nie eine hervorragende Stellung als Staatsbeamter. Der Titel findet sich bereits zur Zeit Eduards III. Das Amt wird jetzt gewöhnlich einem bohen Adligen verliehen, defsen Anwesenheit im Kabinett erwünscht ist, der aber sür die regel- mäßige Thätigkeit als Haupt eines Zweigs der Staatsthätigkcit keine besondere Neigung oder Fähigkeit hat. Das heute höchst wichtige Amt eines Staatssekretärs war srüher von untergeordneter Bedeutung. Der Sekretär [* 6] des Königs hatte, nach- dem der OliancLilor allmählich wichtigere Befugnisse übernommen hatte (s. oben), die Korrespondenz des Königs zu führen und war mit dem sinnet (dem Privatsiegel, im Gegensatz zu dem großen Staats- siegel, (Fi-e^t 86^1, und dem Siegel, mit dem die später mit dem Staatssicgel zu versehenden ¶