Die wissenschaftlich geschulten
Archivare der neuesten Zeit beschränken jedoch den
Begriff der
Urkunde (wofür nur noch selten
das Wort Diplom gebraucht wird) auf diejenigen im Wege der Geschäftsführung entstandenen
Schriften, die zur
Erinnerung oder
Beglaubigung
irgend eines Beschlusses oder Vorgangs von seiten der dabei Beteiligten mit
Absicht und in einer Form
aufgesetzt sind, welche ihnen
Beweis- und Rechtskraft oder Gesetzesgeltung verleihen.
Breßlau bezeichnet als
Urkunden «schriftliche,
unter
Beobachtung bestimmter, wenn auch nach Verschiedenheit von
Person, Ort, Zeit und Sache wechselnder Formen aufgezeichnete
Erklärungen, welche bestimmt sind, als Zeugnisse über Vorgänge rechtlicher Natur zu dienen».
Alle übrigen, in den
Archiven niedergelegten Schriftstücke werden unter dem
NamenAkten (s. d.) zusammengefaßt.
Das Wort Diplom selbst hat sich gegenwärtig nur in beschränkterer Bedeutung für Dokumente erhalten, durch welche
der
Staat oder eine
Behörde an Private eine Auszeichnung verleiht (Adelsdiplom, Doktordiplom);
Urkunde bezeichnet im öffentlichen
Leben heute staats- und privatrechtliche Dokumente
(Verfassungs-,
Vertrags-, Schuldurkunde); wo es sich
dagegen um Verleihung eines
Rechts oder einer
Stellung durch den
Staat oder eine
Behörde an Private handelt, spricht man von
Patent (Offizierspatent, Erfindungspatent).
Über die einschlägige Litteratur s.
Diplomatik.
(grch.), der
Inbegriff der bei dem völkerrechtlichen Verkehr zwischen civilisierten
Staaten geltenden Regeln
und Grundsätze, Staatsunterhandlungskunst, auch Wesen, Handlungsweise eines
Diplomaten, ferner zusammenfassender
Begriff für die dieser Staatsaufgabe dienenden
Beamten des auswärtigen Dienstes. Der
Name ist modern, die Sache ist alt; die
diplomat. Formen und die Unverletzlichkeit der diplomat.
Personen sind die ältesten und allgemeinsten
Spuren desVölkerrechts.
Schon die altorient. Kulturvölker, dann die Griechen und
Römer
[* 2] haben in der fortgeschrittenen
Periode ihrer
polit.
Entwicklung die
Mittel des gegenseitigen Verkehrs zwischen
Staaten und Völkern ausgebildet und zu einem gewissen
Grade
der
Vollkommenheit geführt. Auch das Mittelalter hatte seine Diplomatenschule, auf die ein
Teil des altröm.
Geistes übergegangen
schien, in der röm.
Kirche, und selbst der Feudalstaat entlehnte seine
Meister auf diesem Gebiete dem
Kreise
[* 3] des Klerus.
Als aus dem Mittelalter mit der Ausbildung der nationalen Staatsidee die staatliche Vielheit und Mannigfaltigkeit hervorwuchs,
welche die Grundlage der modernen polit. Ordnung bildet, wurde es auch wichtiger, sowohl über die Zustände und
Bewegungen
im Innern der verschiedenen
Staaten als auch über ihre gegenseitigen
Beziehungen in genauer und ununterbrochener
Kenntnis zu bleiben. Von
Italien
[* 4] breitete sich der
Geist der neuen staatsmännischen Kunst der Unterhandlung und Vertretung
(Venedig)
[* 5] aus und gründete seine Schule auf dem ganzen Festlande.
Giebt es einerseits eine Wissenschaft der Diplomatie, die das
Studium des
Staats- und
Völkerrechts, der Politik,
Statistik und Geschichte
umfaßt, so liegt doch
auf der andern Seite die wesentliche
Bedingung diplomat. Erfolgs in jener Kunst,
seinen Zweck zu erreichen, die man aus bloß wissenschaftlichen
Studien sich nie zu erwerben vermag. Die feine psychol.
Taktik,
die es versteht,
Menschen zu gewinnen und zu leiten, Raschheit und Ausdauer,
Geschmeidigkeit und Zähigkeit werden nicht
erlernt, sondern angeboren und im Leben selbst ansgebildet.
Jene steifen Formen, die prätentiöse
Etikette und alle die Kleinlichkeiten des Vorrangs, die so viel Mühe und Kunst der
Diplomaten des 17. Jahrh. in
Anspruch nahmen, waren für die großen
Diplomaten jener Zeit sehr wohlerwogene und sehr geschickt
gebrauchte
Mittel zum Zwecke. Dieselben wurden nicht erst durch den
Wiener Kongreß beseitigt, auch nicht
durch die neuen Bestimmungen des
AachenerKongresses über die Gesandtenklassen. Ein freierer
Geist des socialen Lebens und
das
Aufkommen anderer
Mittel für dieselben Zwecke hatten sie schon früher entfernt oder doch beschränkt, und namentlich
hatte die Zeit
Friedrichs Ⅱ. hierbei das meiste gethan.
Die
Aufgabe des
Diplomaten der Gegenwart ist in mancher Hinsicht vereinfacht, insofern die Politik nicht mehr so ausschließlich
wie früher persönliche und höfische Angelegenheiten betrifft, insofern die Öffentlichkeit, die parlamentarischen Institutionen
auf die Bedeutung des diplomat. Verkehrs mächtig eingewirkt haben. Allein auf der andern Seite ist die
Aufgabe der Diplomatie schwieriger und ernster geworden.
Außer der Kenntnis des
Staatsrechts, der polit.
Lage und Parteien im Innern der
Staaten ist eine genaue Einsicht in die wirtschaftlichen und nationalen Interessen unentbehrlich.
Der höhere
Diplomat muß gegenwärtig mitten im
Strome der geistigen
Bewegung stehen; er muß die großen Fragen
der innern Politik, der Nationalökonomie, des socialen Lebens in ihrer ganzen Bedeutung zu würdigen wissen und beherrschen.
Solche Wissenschaft wird aber wieder nicht in der Schule, sondern hauptsächlich in der großen
Bewegung des Lebens erworben
und geübt.
Einen
Teil der völkerrechtlichen Bestimmungen, speciell das Gesandtschaftsrecht mit einigen
Notizen über Herkömmliches
und einigen Klugheitsregeln hat man in besondern Werken zusammengestellt. Dahin gehören: Wicquefort, L’ambassadeur et
ses fonctions (2 Bde., La
Haye 1746);
(Graf Garden)
Traité complet de diplomatie, par un ancien ministre (3 Bde.,
Par. 1833);
Martens, Le
[* 6]
Guide diplomatique (5. Aufl., hg. von
Geffcken, 2 Bde., Lpz. 1866).
Sammlungen diplomat. Aktenstücke veröffentlichten unter andern die beiden Martens (s. d.).
Die Zeitgeschichte behandeln Amyots
Archives diplomatiques (Par. seit 1861) und das Staatsarchiv, begr. von
Aegidi und Klauhold
(Hamb. und Lpz. seit 1861).
Nach deutschem
Rechte erfolgt die Leitung der Diplomatie verfassungsmäßig durch den
Kaiser (Reichsverfassung
Art. 11), welcher das
Reich völkerrechtlich zu vertreten hat. Für diese Leitung lassen sich der Natur der Sache nach sehr
viel weniger als für andere Verwaltungszweige feste Rechtsregeln aufstellen. Im wesentlichen gilt auch heute noch hierfür
die preuß. Verordnung vom wonach die Erteilung von Instruktionen an die
Diplomatie dem Monarchen selbst vorbehalten ist. Im übrigen untersteht die deutsche Diplomatie dem
AuswärtigenAmt (s. d.). Die Diplomatie zerfällt
nach den völkerrechtlichen Bestimmungen des
Wiener und
AachenerKongresses in vier Rangklassen: Botschafter, Gesandte oder
¶
mehr
bevollmächtigte Minister, Ministerresidenten, Geschäftsträger; dazu kommen die päpstl. Nuntien als besondere und bei
den kath. Höfen vor allen übrigen Diplomaten bevorrechtete Rangklasse. Über dieVorrechte der Diplomatie s. Exterritorialität.