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bis zum ägypt. Konflikt, gingen nun Deutschland [* 2] und Österreich [* 3] Hand [* 4] in Hand, und ihre feste Haltung verfehlte ihren Eindruck auch auf Rußland nicht. Nach der Ermordung des russ. Kaisers Alexander II. bestieg in der Person seines Sohnes Alexander III. ein Feind deutschen Wesens den Thron; [* 5] aber die Friedensbedürftigkeit des im Innern schwer erschütterten Staates trieb auch ihn dazu, die Freundschaft des alten Bundesgenossen aufzusuchen; kam er mit Kaiser Wilhelm in Danzig [* 6] zusammen.
Nicht unfreundlich waren während der letzten Jahre die Beziehungen Deutschlands [* 7] zu Frankreich gewesen, dessen Vorgehen in Tunis [* 8] 1881 von Deutschland, das Frankreichs Thatendrang gern anderwärts beschäftigt sah, unterstützt wurde. Aber ein dunkler Punkt für die Zukunft waren die Bestrebungen des franz. Kammerpräsidenten Gambetta, des leidenschaftlichen Vertreters der Revancheidee. Die Besorgnis der Kriegsgefahr wurde zwar gemindert, als das von ihm gebildete Ministerium schon im Jan. 1882 gestürzt wurde.
Nun hetzte aber, als Österreich Anfang 1882 den Aufstand in der Herzegowina niederschlug, wiederum die russ. Presse [* 9] zum Kriege mit Österreich. An der Westgrenze wurde wieder stark gerüstet, Reitermassen wurden angesammelt, der Bau militär. Eisenbahnen betrieben. Auch die deutsche Heeresleitung traf Gegenvorkehrungen. Unruhige Persönlichkeiten, wie der Minister des Innern Ignatiew und der General Skobelew, förderten in den leitenden Kreisen die Idee des russ.-franz. Bündnisses.
Der Zar, durch die Zustände im Innern und durch den eigenen schwankenden Charakter doch immer wieder zu friedlicher Politik zurückgedrängt, lenkte indes bald ein. Der Nachfolger des Fürsten Gortschakow wurde nicht Ignatiew, sondern der weit gemäßigtere Staatssekretär Giers; Ignatiew wurde entlassen. Bald darauf, 7. Juli, starb Skobelew in Moskau [* 10] und auch Gambetta. Die Besuche des Ministers Giers bei Bismarck in Varzin (Nov. 1882) und in Wien [* 11] (Jan. 1883) zeigten, daß die russ. Politik wieder die Hand zum Einvernehmen bot. Der wichtigste diplomat. Erfolg des kritischen Jahres 1882 aber war für Deutschland der Eintritt Italiens, [* 12] das sich durch Frankreich in der tunes. Frage schwer getäuscht und übervorteilt fühlte, in das deutsch-österr. Bündnis. (S. Dreibund.)
Frankreich zeigte sich unter dem Ministerium Ferry (seit Febr. 1883) durchaus friedliebend und fand dafür 1884 in der ägypt. Frage wieder, wie 1881 in der tunesischen, Deutschlands Unterstützung, und die Kongokonferenz, zu der Deutschland und Frankreich gemeinsam die Einladungen ergehen ließen, brachte letzterm erhebliche Vorteile ein. Um nicht isoliert zu bleiben, kam auch Rußland der deutschen Politik entgegen, und es konnte in Skierniewice noch einmal eine Zusammenkunft der drei Kaiser von Deutschland, Rußland und Österreich und ihrer leitenden Minister erfolgen.
Aber führte das Mißgeschick der franz. Unternehmung in Tongking [* 13] zum Sturze des Ministeriums Ferry, und 18. Sept. desselben Jahres erfolgte durch einen Staatsstreich die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien [* 14] unter dem Fürsten Alexander. Indem die Bulgaren sich gleichzeitig dabei von dem russ. Einflusse zu befreien suchten, war mit einem Male der gefährlichste Punkt der Orientalischen Frage wieder bloßgelegt. Das brutale Vorgeben Rußlands gegen den heldenmütigen Fürsten Alexander, den es durch gedungene Verschwörer gefangen nehmen ließ, erregte einen Sturm der Entrüstung in Deutschland, und es wurde der Ruf nach Intervention des Reichs zu Gunsten Bulgariens laut. Aber in schneidendem Widerspruche dazu ließ Bismarck erklären, daß Deutschland um Bulgariens willen die Freundschaft Rußlands nicht aufs Spiel setzen werde. Ohnmächtig war er freilich gegenüber den russ. Verdächtigungen, daß Österreich in seiner Haltung von Deutschland heimlich bestärkt werde.
Die Antwort auf das Treiben des franz. Kriegsministers Boulanger (seit der mit aller Hast sich an das Werk machte, die Reorganisation des franz. Heers in kürzester Zeit zu vollenden und die Friedensstärke von 471000 Mann um 44000 Mann zu vermehren, war der dem Reichstage vorgelegte Entwurf eines neuen Septennatgesetzes. Ohne den Ablauf [* 15] des letzten vom an laufenden Septennats abzuwarten, sollte die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heers vom bis auf 468409 Mann festgestellt, d. h. um 41135 Mann erhöht werden.
Die Kommission, an welche die Vorlage 4. Dez. gewiesen wurde, beschloß dann, statt 41135 Mann auf 7 Jahre, nur 13000 für die nächsten 3 Jahre und 9000 auf die Dauer eines einzigen Jahres zu bewilligen. Die zweite Lesung der Vorlage begann Moltke und Bismarck traten dringend für die Vorlage ein. Die oppositionellen Parteien vereinigten sich zuletzt dahin, die geforderte Friedenspräsenzstärke von 468409 Mann zu bewilligen, jedoch nur auf 3 Jahre, und dieser Antrag von Stauffenbergs wurde 14. Jan. mit 186 gegen 154 Stimmen angenommen.
Unmittelbar auf diese Ablehnung der Regierungsvorlage verlas Bismarck die kaiserl. Botschaft, welche die Auflösung des Reichstags verfügte. Die Neuwahlen wurden auf 21. Febr. festgesetzt. Während der Wahlkampf in der heftigsten Weise geführt wurde, liefen von Tag zu Tag Alarmnachrichten über Rüstungen [* 16] und Truppenansammlungen an der franz. und russ. Grenze ein, die das Gefühl steigerten, daß vom Ausfalle dieser Wahl Krieg oder Frieden abhingen. Ein überwältigender Sieg der dem Septennat freundlichen, unter einem Wahlkartell (s. Kartell) vereinigten Parteien waren die Wahlen des Das Centrum ging zwar in alter Stärke [* 17] aus den Wahlen hervor; aber seine Bundesgenossen: die Deutschfreisinnigen, die Welfen, die Socialdemokraten, erlitten große Verluste, und die Volkspartei (Demokraten) verschwand ganz von der polit.
Bildfläche. Die Stärke der einzelnen Fraktionen war im neuen Reichstag folgende: Deutschkonservative 80, Reichspartei 41, Nationalliberale 101, zusammen 222;
Centrum 99, Deutschfreisinnige 32, Elsaß-Lothringer 15, Polen 13, Socialdemokraten 11, Welfen 4, Dänen 1, zusammen 175. Die Militärvorlage, sofort wieder in dem 3. März eröffneten Reichstage eingebracht, wurde 7. März in erster Lesung beraten, einer Kommissionsberatung nicht unterzogen und 11. März in dritter Lesung mit 227 gegen 31 Stimmen angenommen;
84 Mitglieder, das unversöhnliche Centrum, enthielten sich der Abstimmung;
nur 7 Centrumsmitglieder stimmten für die Vorlage;
am selben Tage noch vollzog der Kaiser das Gesetz.
Während dieser Tage kam noch eine neue ¶
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Friedensbürgschaft hinzu: die Erneuerung des deutsch-österr.-ital. Bündnisses, das dem Reiche im Fall eines franz. Angriffes die Hilfe Italiens zusicherte.
Im Auslande trat infolge der einmütigen Annahme der Militärvorlage bald eine allmähliche Abnahme der Kriegsgefahr ein. In den Sturz des Ministeriums Goblet in Paris [* 19] (17. Mai) wurde auch der revanchedürstende Boulanger verwickelt. Jetzt konnte die Reichsregierung auch gegen Rußland, wo eben dem Grundbesitze von Ausländern in den westl. Provinzen eine an Vernichtung grenzende Schädigung zugefügt war, einen Streich führen. Warnungen der offiziösen Presse vor russ. Staatspapieren, von denen sich ein überaus großer Teil in deutschen Händen befand, führten zu massenhaftem Verkaufe und schnellem Kursfalle derselben. Das Erscheinen Crispis, des neuen Leiters der ital. Politik, in Friedrichsruh beim Reichskanzler (Anfang Oktober), kurz nach dem Besuch Kalnokys, bezeugte demonstrativ, daß der Ministerwechsel in Italien [* 20] kurz nach Abschluß des Bündnisses keinerlei Wechsel der Politik herbeigeführt hatte.
So stand Deutschland militärisch und politisch gerüstet da, als 18. Nov. der Zar, auf der Rückreise von
Kopenhagen
[* 21] zum Landwege gezwungen, in Berlin
[* 22] eintraf. Acht Tage zuvor hatten die Reichsbank und die preuß. Seehandlung
bekannt
gemacht, daß sie fernerhin keine russ. Papiere mehr beleihen würden. Bei einer Unterredung
Bismarcks mit dem Kaiser Alexander kam nun eine höchst gefährliche Intrigue einer zum Kriege gegen Deutschland
schürenden Partei zu Tage. Der Zar wies dem Reichskanzler Schriftstücke vor, welche die Ehrlichkeit der deutschen Politik
in der bulgar. Frage auf das schwerste kompromittierten. Bismarck konnte sie mit Leichtigkeit als Fälschung nachweisen. Seine
offene und entschiedene Rechtfertigung blieb nicht ohne Eindruck auf den Zaren, aber die ruß. Truppenverstärkungen
an der Westgrenze dauerten fort.
Ein großer Zug
ging durch alle Hand
lungen der Regierung und riß schließlich auch die Parteien mit sich, die vorher um das
Septennat so bitter gehadert hatten. Als eine Summe von 176 Mill. M. gefordert wurde für Erweiterung der strategischen Eisenbahnen,
Festungsbauten und andere, zum Teil geheim gehaltene militär. Zwecke, bewilligte sie der Reichstag nur gegen die
Stimmen der Socialdemokraten. Noch bedeutender und mit noch größern Opfern verbunden war die dem Reichstage zugehende
Wehrgesetzvorlage, deren Ziel es war, daß Deutschland auch ohne Bundesgenossen nach Osten und Westen
zugleich dem Gegner gewachsen dastehe. Die Centrumspartei beantragte die En bloc-Annahme des Gesetzes, welches die Landwehr 2. Aufgebotes
vom 32. bis 39. Lebensjahr erneuerte und damit 7 Jahrgänge gedienter Mannschaften unmittelbar kriegsbereit stellte, außerdem
auch noch den Landsturm bis zum 45. Jahre ausdehnte.
Mit dem neuen Reichstage gelang es nun auch endlich, dem Reiche neue Einnahmequellen, die schon durch die vermehrten Heereslasten dringend erfordert wurden, zu erschließen. Mit großer Mehrheit (233 gegen 80 Stimmen) kam ein Branntweinsteuergesetz zu stande, von dem man sich eine, später allerdings hinter der Erwartung zurückbleibende Einnahme von 100 Mill. M. versprach. (S. Branntweinsteuer, Bd. 3, S. 429.) Auch die Erträge der Zuckersteuer wurden durch Einführung einer Konsumsteuer auf etwa 40 Mill. M. gesteigert (16. Juni). Die Zusammensetzung des Reichstags (Kartellreichstag, wie ihn die Gegner spottend nannten) brachte es mit sich, daß die Wünsche der Landwirtschaft jetzt stärker berücksichtigt wurden. Ein Kunstbuttergesetz wurde 20. Mai angenommen, das die Fälschungen der Naturbutter mit den aus tierischem Fett hergestellten Produkten und die Mischungen beider mit Strafe belegte. Mit Hilfe des dadurch wieder zum Einfluß gelangenden Centrums wurde eine durch das fortdauernde Sinken der Preise begründete Erhöhung der Getreidezölle durchgesetzt.
Bei den Verhand
lungen über die Verlängerung
[* 23] des Socialistengesetzes im Jan. 1888 forderte die Regierung
erhebliche Verschärfungen, die bis zu dem Rechte der Entziehung der Staatsangehörigkeit gingen. Darauf ging der Reichstag
nicht ein; er gewährte auch nur auf 2 Jahre die Verlängerung des im übrigen unveränderten Gesetzes (bis
Die socialpolit. Gesetzgebung wurde 1887 noch durch die Ausdehnung
[* 24] der Unfallversicherung auf die Seeleute
und das Baugewerbe gefördert. Große Freude bereitete dem Kaiser noch zuletzt die einmütige Annahme des neuen Wehrgesetzes
Seit begann er zu kränkeln und starb am Morgen des 9. März, während der Kronprinz,
der seit 1887 an unheilbarem Kehlkopfkrebs erkrankt war, in San Remo weilte.
10) Von der Thronbesteigung Kaiser Friedrichs (1888) bis zur Gegenwart. In der Trauer über den Hingang Kaiser Wilhelms schienen die Schranken der Nationalität zu fallen. Niemals hat ein ähnliches Ereignis eine gleich tiefe Bewegung in der ganzen Welt hervorgerufen. Den Tod vor Augen, eilte Kaiser Friedrich III. über die Alpen [* 25] nach der Heimat. Erfüllt von seiner hohen Aufgabe, drängte es ihn, seinem Volke wenigstens das Ziel hinzustellen, das er sich für seine Regierungsthätigkeit gestellt hatte.
Eine Ansprache «An mein Volk» und ein Erlaß an den Reichskanzler vom zeigten, mit welcher sittlichen Wärme [* 26] und Humanität er seine Thätigkeit erfüllt wissen wollte. Auf seine liberalen und toleranten Grundanschauungen setzte namentlich die freisinnige Partei große Hoffnungen. Er selbst zeigte in diesem durch die Krankheit gebeugten Zustande sehr bald, daß er dem Staatswohle auch persönliche Wünsche opfern könnte. Die geplante Verlobung seiner Tochter, der Prinzessin Victoria, [* 27] mit dem Prinzen Alexander von Battenberg, der vor dem Hasse Rußlands den bulgar. Thron hatte räumen müssen, gab er auf, als ihm Bismarck mit Rücksicht auf das polit.
Verhältnis zu Rußland eindringlich davon abriet. Ein Anfang Februar von den Kartellparteien im Reichstage eingebrachter und daselbst angenommener Antrag, die Legislaturperioden aus 5 Jahre zu verlängern, erhielt 19. März die Genehmigung des Kaisers. Das bedeutsamste Ereignis seiner Regierung, die Entlassung des Ministers von Puttkamer (8. Juni), fällt in das Gebiet der preuß. Geschichte. Am 15. Juni - also nach einer Regierung von 99 Tagen - erlöste der Tod Kaiser Friedrich von seinem qualvollen, heldenmütig getragenen Leiden. [* 28]
Ein jugendkräftiger, energischer, voll festen Mutes an seine Aufgabe herantretender Herrscher bestieg nun in seinem Sohne Wilhelm II. den Thron. Die Meinung, daß ihn kriegerischer Ehrgeiz und Ruhmsucht erfülle, hatte er schon zu Lebzeiten des ¶