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Waffenerfolge im
Verein mit der Haltung
Rußlands erstickten auch alle kriegerischen
Gedanken in
Österreich
[* 2] und
Italien.
[* 3] Nachdem
das
deutsche Volk gesehen hatte, welch große Erfolge durch die militär. Einheit
Deutschlands
[* 4] unter
Preußens
[* 5]
Führung errungen
wurden, sträubte es sich auch im
Süden nicht länger mehr, der polit. Einigung beizustimmen, und forderte
den Anschluß an den Norddeutschen
Bund. Die feindlichen Parteien in
Bayern
[* 6] und
Württemberg
[* 7] wagten keinen
Widerstand.
Die bad. Regierung stellte jetzt den formellen
Antrag auf
Aufnahme in den Nordbund; gleichzeitig fanden im September Besprechungen
Delbrücks mit den bayr. und württemb. Ministern in
München
[* 8] statt, bei denen die erstern freilich nicht
geringe Forderungen stellten. Aber der
Abschluß der Verfassungsverträge mit
Baden
[* 9] und Hessen
[* 10] in Versailles
[* 11] 15. Nov. drängte
auch
Bayern und
Württemberg zur
Nachfolge am 23. und 25. Nov. Die
Reservatrechte, die
Bayern sich ausbedungen hatte, waren erheblich:
es behielt seine eigene
Diplomatie, die
Verwaltung des
Heerwesens, der Post, der
Telegraphen
[* 12] und Eisenbahnen,
besondere
Besteuerung des
Biers und
Branntweins und wollte, um seine eigene kurz zuvor erst durchgeführte Gesetzgebung nicht
umzustoßen, von den Bundesgesetzen über
Heimats- und Niederlassungsverhältnisse nicht berührt werden. Minder wichtig waren
die Bestimmungen über den diplomat.
Ausschuß und das Verfassungsveto. Das bayr.
Heerwesen hatte sich übrigens den Bestimmungen
der Bundeskriegsverfassung gemäß einzurichten, und der
Bundesfeldherr hatte das
Recht der
Anordnung der Mobilisierung und
der
Inspektion. Die
Reservatrechte der drei andern süddeutschen
Staaten waren bescheidener ausgefallen. (S. oben Staatsrechtliches,
S. 146 fg.)
So bedauernswert auch einzelne dieser Sonderbestimmungen den Nationalgesinnten erschienen, so glaubten sie doch die Einheit
Deutschlands durch solche
Konzessionen nicht zu teuer zu erkaufen, hofften auch, durch die gemeinsame parlamentarische
Arbeit in der Zukunft manches verbessert oder gemildert zu sehen. So genehmigten der Norddeutsche
Reichstag und die Landtage
in Hessen,
Baden und
Württemberg die Versailler
Verträge. In
Bayern wurden sie von der Reichsratskammer mit überwiegender
Mehrheit 30. Dez., von der Abgeordnetenkammer aber erst nach elftägiger
Debatte mit 102 gegen 48
Stimmen
genehmigt.
9) Von der Errichtung des
Deutschen
Reichs bis zum
Tode
Kaiser Wilhelms I., 1871-88. Nachdem König
Ludwig von
Bayern unter Zustimmung
sämtlicher deutschen
Regierungen dem König von
Preußen
[* 13] den
Titel eines
Deutschen
Kaisers angetragen hatte,
erfolgte 18. Jan. im Versailler Schloß die feierliche Proklamierung der Kaiserwürde. Es folgten 28. Jan. die Kapitulation von
Paris,
[* 14] 26. Febr. die Friedenspräliminarien von Versailles, 10. Mai der definitive Friedensschluß zu
Frankfurt
[* 15] a. M. Die Wiedergewinnung
von Elsaß und
Deutsch-Lothringen mit
Straßburg
[* 16] und Metz
[* 17] entsprach nicht nur den nationalen Wünschen
des deutschen
Volks, sondern war auch eine militär.
Notwendigkeit. Nachdem von der
Kriegskontribution von 5 Milliarden
Frs.
die letzte
Rate 1873 abgezahlt worden war, begann die Räumung der noch occupierten Gebiete
Frankreichs, und überschritt
der letzte deutsche
Soldat die franz. Grenze.
In der auswärtigen Politik des Deutschen Reichs nach den Siegen [* 18] von 1870 und 1871 zeigte sich sogleich, von welchem Gewicht die neue Macht den übrigen Staaten erschien. In Ischl [* 19] und Salzburg [* 20] fand 1871 eine Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm mit Kaiser Franz Joseph statt. Die Entlassung des wenig preußenfreundlichen Grafen Beust und die Ernennung des Grafen Andrássy zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten Österreichs erleichterte die vollständige Versöhnung der Regierungen beider Reiche.
Andererseits ließ Kaiser Alexander II. von Rußland keine Gelegenheit vorübergehen, ohne seine Sympathie für Kaiser Wilhelm zu bezeugen. Die Drei-Kaiser-Zusammenkunft in Berlin, [* 21] 5. bis war ein glänzender Ausdruck der Anerkennung des Deutschen Reichs und bekundete, auch ohne daß schriftliche Abmachungen zu stande kamen, das Bestreben der drei Kaiser, in allen großen Fragen der Politik im Einvernehmen miteinander handeln zu wollen. König Victor Emanuel von Italien, der 1870 um den Preis der Überlassung Roms bereit gewesen war, den Kaiser Napoleon im Kriege gegen Deutschland [* 22] zu unterstützen, machte 1873, als er sich durch die klerikal-bourbonische Agitation in Frankreich bedroht sah, einen Besuch in Wien [* 23] und Berlin, den Kaiser Wilhelm in Mailand [* 24] erwiderte.
Mit Frankreich wurde 1871 der diplomat. Verkehr wiederhergestellt. Deutschland suchte jeden Konflikt zu vermeiden, gab aber bei etwaiger Gelegenheit zu verstehen, daß es einem neuen Kampfe nicht ausweichen werde. Die Ermordung zweier deutschen Soldaten durch franz. Bürger und die Freisprechung der Mörder durch die franz. Geschwornen, die Angriffe auf die kaiserl. Person und Regierung in den Hirtenbriefen franz. Bischöfe (1873) wurden gebührend beantwortet, und in einem Rundschreiben (Jan. 1874) ließ die Reichsregierung keinen Zweifel daran übrig, daß sie, wenn der Zusammenstoß unvermeidlich sei, den für Frankreich passendsten Augenblick nicht erst abwarten werde. Im Frühjahr 1875 ließ sie eine ähnliche Warnung an Frankreich ergehen. Die mit verdächtigem Eifer daselbst betriebenen Heeresorganisationen legten den Gedanken nahe, daß hier zu einem Rachekriege gerüstet würde; dazu traten Gerüchte über ultramontane Bestrebungen in Österreich und Italien, um einen klerikalen Dreibund gegen Deutschland zu schaffen; aber das Einverständnis an den leitenden Stellen der drei Kaisermächte ließ eine Kriegsgefahr nicht aufkommen.
Der erste Deutsche [* 25] Reichstag wurde vom Kaiser in Berlin, der neuen Reichshauptstadt, eröffnet. Das neue Deutsche Reich, sagte die Thronrede, sollte ein Reich des Friedens sein, das ausschließlich seinen eigenen Angelegenheiten lebe. Als aber die nationalen Parteien eine Adresse beantragten, die eben diesen Gedanken betonte und jede Einmischung in das innere Leben anderer Völker von sich wies, widersprach die neugebildete kath. Centrumspartei, die die mittelalterlichen Römerzüge erneuern und die Macht des Reichs zur Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes benutzen wollte.
Die Centrumspartei, im Einklang mit den deutschen Bischöfen, die auf dem Vatikanischen Konzil von 1870 großenteils das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes bekämpft, bald darauf aber sämtlich dasselbe anerkannt und dessen Annahme allen Katholiken zur Glaubenspflicht gemacht hatten, drängte durch ihre maßlosen Forderungen und ihre Begünstigung poln. und welfischer Bestrebungen der Reichsregierung die Eröffnung des sog. Kulturkampfes auf. Ursprünglich war es ¶
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jedenfalls nicht allein das Dogma der Unfehlbarkeit, sondern ebenso sehr die polit. Haltung der Centrumspartei, die den Konflikt veranlaßte. Es war verhängnisvoll, daß gerade die mächtigste Bundesregierung, Preußen, in frühern Jahrzehnten durch eine unglaubliche Kurzsichtigkeit den Übermut der Klerikalen großgezogen hatte. Nun sah sie sich gezwungen, durch eine Reihe von Kirchengesetzen, die teils mit dem preuß. Landtag, teils mit dem Reichstag vereinbart wurden, das verlorene Terrain wieder zurückzuerobern und mit aller Macht einzutreten für den Grundsatz, daß die Katholiken so gut wie die Protestanten, die Bischöfe und ihr Klerus so gut wie die Laien den Staatsgesetzen Gehorsam schuldig seien. (S. Preußen, Geschichte.) Der Reichstag genehmigte 1871 den von der bayr. Regierung besonders begehrten sog. Kanzelparagraphen (s. d.), 1872 die Ausweisung der Jesuiten und der diesen verwandten Orden, [* 27] 1874 das besonders die preuß. Geistlichen, die sich den Maigesetzen nicht unterwerfen wollten, bedrohende Gesetz über Verhinderung unbefugter Ausübung von Kirchenämtern, 1875 die Einführung der obligatorischen Civilehe, 1876 eine Verschärfung des Kanzelparagraphen. In diesem Kampfe stand der 1872 ernannte preuß. Kultusminister Falk dem Reichskanzler Fürsten Bismarck mit Energie zur Seite.
Der Haß der Klerikalen gegen letztern als den «Todfeind der kath. Kirche» steigerte sich noch durch die Verhaftung renitenter Bischöfe. Eine Folge ihrer maßlosen Agitation war das in Kissingen [* 28] verübte Attentat des Böttchergesellen Kullmann auf den Fürsten Bismarck. Im Schoße des Katholicismus selbst entstand eine Spaltung. Döllinger in München trat mit wuchtigen Schlägen gegen das Unfehlbarkeitsdogma auf. In Bayern, Baden, Preußen fanden Versammlungen solcher statt, die sich Altkatholiken nannten, Vereine und Gemeinden gründeten und einen besondern Bischof, Prof. Reinkens, wählten, der in Preußen, Baden, Hessen die staatliche Anerkennung erhielt.
Papst Pius sprach sich bei verschiedenen Allokutionen aufs schärfste und beleidigendste über die Reichsregierung aus, nahm den Kardinal Hohenlohe nicht als deutschen Botschafter beim päpstl. Stuhle an, wagte in seinem Schreiben an den Kaiser vom die Behauptung, daß jeder, der die Taufe empfangen, dem Papste angehöre, und erließ zuletzt die Encyklika vom die die neuen Kirchengesetze schlankweg für ungültig erklärte und über sämtliche altkath. Geistliche die Exkommunikation aussprach.
Der Umstand, daß die Reichsregierung in ihrem Kampfe gegen das Centrum ihre Hauptstütze an der nationalliberalen Partei fand, war von Bedeutung auch für die übrige innere Politik. Die Neuwahlen für den zweiten Deutschen Reichstag von 1874 bis 1876, die zwar auch die Zahl der klerikalen Abgeordneten erheblich verstärkten (von 67 auf 92), führten die Nationalliberalen auf die Zahl von 155 Mitgliedern. Fast wäre es 1874 bei der Beratung des Reichsmilitärgesetzes wieder zu einem Konflikt zwischen Regierung und Volksvertretung gekommen, aber diesmal stellte sich die öffentliche Meinung aus die Seite der Regierung, und durch ein Kompromiß kam das Septennat (s. d.) zu stande, das die Friedenspräsenzstärke für 7 Jahre auf 401000 Mann festsetzte.
Die Gesetze über Reichsmünzen, Reichspapiergeld und Bankwesen, die in den J. 1872-75 vorgelegt wurden, brachten eine wohlthätige Einheit in die bisherige Zersplitterung. Diese Einheit sollte auch auf das Gebiet des Rechts übertragen werden. Die Mittelstaaten widerstrebten anfangs den Anregungen des Reichstags, aber auch hier siegte schließlich der Reichsgedanke. Die vorgelegten Justizgesetze wurden infolge eines Kompromisses zwischen den Nationalen und der Reichsregierung, trotz des Widerspruchs der Klerikalen und der Fortschrittspartei vom Reichstag angenommen.
Diese Gesetze (Gerichtsverfassungsgesetz, Strafprozeßordnung, Civilprozeßordnung, Konkursordnung nebst den Einführungsgesetzen) traten in ganz Deutschland in Kraft, [* 29] und am gleichen Tage wurde das Reichsgericht, das nach einem Beschlusse des Bundesrats und Reichstags in Leipzig [* 30] seinen Sitz haben sollte, daselbst eröffnet. Die 1875 vorgelegte Strafgesetznovelle zeigte, welchen Wert die Reichsregierung schon damals auf wirksame Handhaben zur Unterdrückung staatsgefährlicher polit.
Gegnerschaft legte; manches daraus fand noch nicht die Billigung des Reichstags, so z. B. der sog. Socialistenparagraph. Aber der Arnim-Paragraph, der gegen die Vergehen ungetreuer Diplomaten gerichtet war, wurde 1876 angenommen. (S. Arnim, Harry, Graf von.) Der für die Fortentwicklung der Reichsverfassung wichtige Grundsatz, daß zu Kompetenzerweiterungen und zum Verzicht auf Reservatrechte die Genehmigung der Einzellandtage nicht einzuholen sei, fand Geltung.
Auf dem Gebiete der Eisenbahnen und anderer Verkehrsanstalten wurden von Jahr zu Jahr Schranken beseitigt und einheitliche Einrichtungen getroffen; von einschneidender Wichtigkeit war der von Bismarck gefaßte Plan, die Leitung des gesamten deutschen Eisenbahnwesens in die Hand [* 31] der deutschen Reichsgewalt zu bringen. Aber weder zum Verkauf ihrer Eisenbahnen an das Deutsche Reich, noch zum Ankauf der preuß. Bahnen für das Reich, noch zur unbedingten Unterwerfung unter die Anordnungen des 1873 gegründeten Reichseisenbahnamtes konnten sich die Einzelstaaten entschließen, weshalb der Reichskanzler sich begnügen mußte, seine reformierende Thätigkeit auf Preußen zu beschränken.
Das plötzliche Einströmen der gewaltigen Geldmassen der franz. Kriegskontributionen hatte eine gewaltige wirtschaftliche Bewegung zur Folge. Die Arbeitsaufträge der Regierung zur Neubeschaffung des Kriegsmaterials, zu Festungsbauten, Eisenbahnen führten zu einer überschnellen, keine Dauer versprechenden Entwicklung der Industrie. Der Wert des Geldes sank, Preise und Arbeitslöhne stiegen, die Überfülle von Kapitalien wandte sich den Industrie- und Bankpapieren zu, die bald weit über ihren Wert hinaufgetrieben waren. Ein Rückschlag konnte nicht ausbleiben, der Wiener Börsenkrach (Mai 1873) pflanzte sich fort nach Deutschland.
Waren vorher großartige Arbeitseinstellungen an der Tagesordnung gewesen, um höhere Löhne zu erzielen, so brachte die jetzt sich ergebende plötzliche Verminderung der Arbeitsgelegenheit vollends Unzufriedenheit und Not in die Reihen der Arbeiterschaft und ließ die Socialdemokratie üppig gedeihen. Im Reichstage von 1871 saßen nur 2 Socialdemokraten, in dem von 1874 9, hinter denen etwa 380000 Wähler standen. In den Wahlen von 1877 erhielten die Socialdemokraten über eine halbe Million Stimmen und setzten 13 Abgeordnete durch. Die Hauptbollwerke der Partei waren Berlin und Sachsen, [* 32] später auch Hamburg [* 33] und Altona. [* 34] ¶