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besten Zeitungen werden am Ende des 17. Jahrh. die aus Regensburg [* 2] stammenden gerechnet. In diesen Jahren hatten auch Jena [* 3] und Gotha [* 4] Zeitungen; seit 1655 soll Berlin [* 5] eine privilegierte Zeitung besessen haben. Auch Hamburg [* 6] wird das ganze 17. Jahrh. hindurch im Besitz mehrerer polit. Blätter gewesen sein. Seit 1731 erschien hier der durch ganz Europa [* 7] verbreitete «Unpartheyische Correspondent». Schon 1680 wurde hier ein Anzeigeblatt gegründet, welches den Titel «Relations-Courier» und später «Wieringsche Zeitung» führte.
Nur einige Jahrzehnte nach der Gründung der Universität wurde in Halle [* 8] a. S. eine Zeitung herausgegeben; die «Magdeburgische Zeitung» (s. d.) dagegen scheint weit in das 17. Jahrh. hinaufzureichen. In Erfurt [* 9] erschien seit 1697 der «Hinkende Staatsbote», dessen Titel im Anfang des 18. Jahrh. lautete: «Der hinten und forne wolgepuckelte Hinckende Staatsbote; ein Frantzmann hält ein Gespräch mit seinem Cousin Mons. [* 10] de la Kohlenbrenner».
Schon aus diesem Titel geht hervor, daß das Blatt [* 11] eine humoristische Färbung hatte. Neben den größern Zeitungen erschienen bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. kleine Blätter, die sich auch auf dem Lande einbürgerten.
Räsonnierende Blätter im Charakter der engl. und franz. Zeitungen gab es jedoch bis zur Französischen Revolution gar nicht, man müßte denn die in Augsburg [* 12] und später in Ulm [* 13] 1774-77 von Schubert herausgegebene «Deutsche [* 14] Chronik» dazu zählen, die durch ihren Humor und durch ihre schonungslose Freimütigkeit einen wesentlichen Einfluß auf die polit. Bildung des Volks ausübte. Der «Hamburgische Correspondent» (s. d.) war fast die einzige Zeitung, die ihre Nachrichten aus entfernten Ländern durch eigene Korrespondenten einzog. Neben ihr erschien in Hamburg noch eine «Neue Zeitung». Die beiden Berliner [* 15] Zeitungen, die «Vossische» (1722) und die «Spenersche» (1740), von denen die erstere noch jetzt besteht, zeichneten sich damals durch litterar. Nachrichten aus. Aus diesen und einigen andern Blättern wurden zahlreiche kleinere deutsche Zeitungen zusammengestellt.
Im allgemeinen erfreute sich Deutschland [* 16] am Ende des 18. Jahrh. einer ziemlich weitgehenden Preßfreiheit, und wenn auch die Französische Revolution den deutschen Regierungen Anlaß gab, der Tagespresse eine schärfere Aufmerksamkeit zuzuwenden, so vermochte die schwache Reichsgewalt doch nicht, durchgreifende Maßregeln zur Unterdrückung des erwachenden öffentlichen Geistes zu treffen. Namentlich in Mecklenburg [* 17] und in Hessen-Darmstadt herrschte thatsächlich völlige Censurfreiheit; Bayern [* 18] hatte zwar eine Censurkommission, die jedoch angewiesen war, ihr Amt «bescheiden und liberal» zu handhaben, und die 1803 einer gesetzlich geregelten bloßen Polizeiaufsicht weichen mußte. In Österreich [* 19] war wenigstens unter Joseph II. den sprichwörtlich gewordenen Censurquälereien ein Ziel gesetzt, und in Preußen [* 20] hatte das Wort des großen Friedrich: «Gazetten dürfen nicht geniert werden», das alte bureaukratische System der Bevormundung zwar nicht gänzlich beseitigt, aber doch den Forderungen der neuern Zeit mehr anzupassen vermocht.
Großer Beliebtheit erfreuten sich die insgeheim verbreiteten «Geschriebenen Zeitungen» oder «Bulletins». Trotzdem vermochte die Tageslitteratur keinen Aufschwung zu nehmen, weil die mächtige Hand [* 21] Napoleons I. sehr bald auch auf deutschem Gebiet jede freie Bewegung der Presse [* 22] erstickte. Eins der wenigen Blätter, die, aus den letzten Jahren des 18. Jahrh. stammend, sich später zu einer dauernden Blüte [* 23] entwickelten, war die 1798 in Tübingen [* 24] gegründete «Allgemeine Zeitung» (s. d.).
Erst bei der nationalen Erhebung Deutschlands [* 25] dachten die Regierungen daran, sich die «sechste Großmacht», wie Napoleon I. im Hinblick auf den einflußreichen «Rheinischen Merkur» [* 26] die Tagespresse bezeichnete, als Verbündeten zu gewinnen. Auf die Einladung des russ. Generals von Wittgenstein kam Kotzebue, der bereits 10 Jahre vorher in Berlin ein litterar. Blatt, «Der Freimütige», zur Bekämpfung der Führer der Romantischen Schule begründet und dann nach der Schlacht bei Jena in seinen Zeitschriften «Die Biene» [* 27] und «Die Grille» von Rußland aus Napoleon auf das heftigste angegriffen hatte, nach Berlin zurück und gab hier sein «Russisch-Deutsches Volksblatt» heraus. Gleichzeitig begann Niebuhr, unterstützt durch Scharnhorst und Schleiermacher, die Herausgabe des «Preußischen Korrespondenten». Nassau hob 1814 alle frühern Beschränkungen des Buchhandels und der Preßfreiheit auf, und auch Sachsen, [* 28] das sein Censuredikt vom nur unter Napoleonischem Druck erlassen hatte, kehrte nach dem Sturze des franz. Herrschers zu der frühern milden Praxis zurück.
Freilich fehlte es schon damals in den Kreisen der alten Bureaukratie nicht an Stimmen, die mit Entschiedenheit jeder Nachgiebigkeit, die man der liberalen Strömung zeigte, Widerstand entgegensetzten. Als Friedrich Arnold Brockhaus, der 1813-16 in Altenburg [* 29] eine mit großem Beifall gelesene polit. Zeitschrift «Deutsche Blätter» herausgab, 1814 die für den Buchhändler Palm verderblich gewordene Schrift «Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung» wieder abdrucken wollte, wurde seine Eingabe von der sächs. Polizeidirektion wegen der «staatsgefährlichen Tendenz» jener Schrift mit Entschiedenheit zurückgewiesen, und der preuß. Polizeiminister von Wittgenstein sprach Hardenberg gegenüber offen seinen Unwillen aus, daß das Berliner Militärgouvernement «die sog. Volksblätter als vermeintliche Mittel, den Nationalgeist zu erkräften, in Schutz zu nehmen geneigt sei, ohne die nachteiligen und gefährlichen Kräfte solcher Roborantien hinlänglich zu prüfen und gehörig zu berücksichtigen».
Die Deutsche Bundesakte vom versprach noch im Art. 18, daß der Bundestag sich bei seiner ersten Zusammenkunst mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit und die Sicherheit der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen werde. Herr von Berg, der Bundestagsgesandte für Oldenburg, [* 30] Anhalt [* 31] und Schwarzburg, [* 32] erstattete auch nach kurzer Zeit einen vortrefflichen Bericht über diesen Gegenstand, hiermit aber war die Angelegenheit erledigt. Es folgten die unheilvollen Karlsbader Beschlüsse (s. d.) von 1819, die zunächst für die Dauer von fünf Jahren geltend, später auf unbestimmte Zeit verlängert, nicht allein die gesamte Tagespresse sowie alle Druckschriften bis zu 20 Bogen [* 33] der Censur unterwarfen, sondern auch dem Bunde das Recht vorbehielten, Schriften nach Gutdünken zu unterdrücken, und dem Redacteur einer so unterdrückten Zeitung fünf Jahre lang verboten, im Gebiet des Deutschen Bundes ein anderes polit. Blatt zu leiten. Der schon erwähnte einflußreiche «Rheinische Merkur» von Görres, der seit dem Jan. 1814 erschien, war bereits 1816 durch einen preuß. Kabinettsbefehl unterdrückt worden. Das gleiche ¶
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Schicksal ereilte nunmehr viele andere Blätter. 1819 gründete die preuß. Regierung die «Preußische Staatszeitung», seit 1843 «Allgemeine Preußische Zeitung», später «Königl. Preußischer Staats-Anzeiger» und seit 1871 «Deutscher Reichs-Anzeiger und Königl. Preußischer Staats-Anzeiger» (s. d.). Eine polit. Bedeutung hat das Blatt niemals gehabt. Am verbot die preuß. Regierung alle in Frankreich, England und den Niederlanden in deutscher Sprache [* 35] erscheinenden Zeitungen für das Gebiet des preuß. Staates. Für die inländische Presse wurde als oberste Censurbehörde ein Obercensurkolleginm eingesetzt und gleichzeitig alle bisher noch bestehenden Censurfreiheiten aufgehoben.
Die franz. Julirevolution von 1830 übte auch auf Deutschland ihre Wirkung und rief in schneller Folge eine ganze Reihe freisinniger Blätter, namentlich in Süddeutschland ins Leben, welche aber durch erneute Censurmaßregeln bald unterdrückt wurden. Preußen vermochte noch immer nicht, sich von dem Metternichschen System loszusagen, und folgte daher bereitwillig feinen Bundesgenossen auf dem betretenen Wege weiter, obwohl sich bereite stimmen erhoben, die der preuß. Regierung den Rat gaben, sich von dem österr.
Einfluß freizumachen und ohne Scheu vor einer offenen Kritik der Tagespresse die Bahnen einzuschlagen, die ihm durch seine nationale Aufgabe in Deutschland vorgeschrieben. In diesem Sinne gründete Friedr. Perthes 1832 die von Leopold Ranke redigierte «historisch-politische Zeitschrift», die eine Reihe trefflich er Arbeiten lieferte, jedoch nach, kurzem Bestehen wieder einging. Als Gegenschrift wurde von den Vertretern der konservativen Richtung, Gerlach, Radowitz und Lancizolle, das von ^[ab hier Scan nicht lesbar] Jarcke ^[Carl Ernst Jarcke] herausgegebene «Berliner polit. Wochenblatt» ins Leben gerufen, das durch Wittgenstein ^[Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein] und Kamptz ^[Karl Albert von Kamptz] unterstützt, sich 10 Jahre lang eines bedeutenden Einflusses erfreute.
Trotz aller Beschränkungen aber hob sich in den vierziger Jahren das deutsche Zeitungswesen mit ^[bis hier Scan nicht lesbar] dem zunehmenden Sinne für öffentliches Leben. Es entstand eine Menge von Blättern, die den Liberalismus in allen Abstufungen vertraten. Der äußersten Richtung gehörte die von dem Advokaten Struve geleitete «Mannheimer Abendzeitung» an, die 1846 unterdrückt und durch den «Deutschen Zuschauer», der später dasselbe Schicksal teilte, ersetzt wurde. In demselben Sinne wirkten die 1841 gegründete «Rheinische Zeitung» in Köln, [* 36] die socialistischen Tendenzen huldigende «Trierer Zeitung» und die 1841 begonnenen und 1845 unterdrückten «Sächsischen Vaterlandsblätter».
Einen bedeutenden Einfluß namentlich auf die gebildeten Volksmassen übten die 1838 von Arnold Ruge und Echtermeier gegründeten «Hallischen Jahrbücher» aus, die später u. d. T. «Deutsche Jahrbücher» nach Dresden [* 37] übersiedeln mußten. Ein Hauptorgan des ultramontanen Katholicismus war die in Koblenz [* 38] erscheinende «Rhein- und Moselzeitung», während als Vertreter des gemäßigten Liberalismus die «Weser-Zeitung» in Bremen, [* 39] die «Kölnische Zeitung» und die «Leipziger AllgemeineZeitung» sich auszeichneten.
In Preußen hatte der Liberalismus an den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. sehr weitgehende Hoffnungen geknüpft, die namentlich durch den Ministerialerlaß vom in welchem die Censoren angewiesen wurden, bei derHandhabung der Censur nicht allzu ängstlich zu verfahren, und durch die Kabinettsorder vom welche Druckschriften über 20 Bogen von der Censur gänzlich befreite, neue Nahrung erhielten. Diese Erwartungen wurden jedoch bald enttäuscht.
Das Erwachen der polit. Tagespresse und die Gründung neuer Blätter, die, wie die von Held 1842 gegründete «Lokomotive», [* 40] in die Massen eindrangen und eine Kritik an der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu üben begannen, erregten das Mißtrauen des Königs. Die «Leipziger Allgemeine Zeitung» wurde wegen ihres täglich steigenden Einflusses der Gegenstand zahlreicher Anfeindungen, die endlich im Anfange 1843 zu einem Verbot dieses Blattes in Preußen führten und dasselbe veranlaßten, seinen Titel in «Deutsche Allgemeine Zeitung» umzuändern.
Das gleiche Schicksal erlitten die «Deutschen Jahrbücher» und die «Rheinische Zeitung». Um in beständiger Kenntnis der inländischen periodischen Litteratur zu bleiben, ordnete der Minister von Nochow mittels Cirkularverfügung an, daß sämtliche Oberpräsidenten regelmäßige Berichte über die Tagespresse in den Provinzen einreichen sollten. Gleichzeitig suchte die Regierung nach Mitteln, um die Preße gegen administrative Willkür zu schützen. Diese glaubte sie in der Organisation eines unabhängigen Obercensurgerichts zu finden, das sie durch Verordnung vom ins Leben rief, ohne damit jedoch zu befriedigen.
Es bedurfte erst des Sturmes von 1848, um alle diese künstlichen Dämme wegzuschwemmen und der Tagespresse, die durch die gewaltige polit. Bewegung einen ungeahnten Aufschwung nahm, freies Licht [* 41] und freie Luft zu gewähren. Die Deutschen Grundrechte vom verkündeten im ^[ab hier Scan nicht lesbar]Artikel 4 die Preßfreiheit. Dieselbe Bestimmung wurde in die preuß. oktroyierte Verfassung vom aufgenommen und noch in demselben Jahre durch besondere Verordnungen die Konzessions-, Kautions- und Stempelpflicht der Zeitungen beseitigt. Dasselbe geschah in fast allen übrigen deutschen ^[bis hier Scan nicht lesbar] Staaten. Von der so gewährten Freiheit wurde der umfassendste Gebrauch gemacht. Überall tauchten polit. Blätter und Blättchen in großer Menge auf, die freilich zum Teil ebenso schnell wieder verschwanden.
Während die Zahl der polit. Blätter 1824: 96 und 1847: 118 betragen hatte, vermehrte sich dieselbe allein in den J. 1847-50 auf 184, mithin in 3 Jahren um 66 Stück, gegen 22 Stück in den voraufgehenden 23 Jahren. 1871 war die Zahl der polit. Zeitungen auf 948 gestiegen, seitdem hat die amtliche Preisliste eine Trennung zwischen polit. und nichtpolit. Zeitungen fallen lassen, sodaß die Zunahme der letztern in den verflossenen 20 Jahren daraus nicht ersichtlich ist.
Unter denjenigen Blättern, die dem J. 1848 ihren Ursprung verdanken und noch heute in voller Blüte stehen, sind zu erwähnen: der «Kladderadatsch» (s. d.),
der den Berliner Witz in die deutsche Litteratur einführte, zeitweilig regierungsfreundlich und lahm wurde, neuerdings aber wieder durch die Schärfe seines Witzes hervorleuchtet: ferner die «NationalZeitung» (s. d.),
die demokratische, von Aaron Bernstein [* 42] gegründete «Urwähler-Zeitung», die sich später in die «Volks-Zeitung» (s. d.) umwandelte, und die «Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung» (s. d.). Nach Berlin waren es namentlich Breslau, [* 43] Köln, Erfurt, Halle und Königsberg, [* 44] wo die radikale Presse in vollster Blüte stand. Dieselbe wurde durch die in den folgenden Jahren erlassenen Preßverordnungen ¶