mehr
von ihnen hatte den Angelsachsen, als diese noch in Schleswig-Holstein [* 2] saßen, zugehört, und noch heute stehen die Niedersachsen, zumal die Küstenbewohner, den Engländern in gewisser Beziehung näher als den Hochdeutschen. Nach der Auswanderung der Angelsachsen bildeten die festländischen Sachsen [* 3] mit den ihnen unterworfenen fränk. und thüring. Grenzstämmen ein besonderes Volk für sich, mit eigenen staatlichen Einrichtungen. Erst ihre polit. und religiöse Unterjochung durch Karl d. Gr. führte sie seit 797 dem deutschen (damals fränk.) Staatsverbande zu. Die andern deutschen Stämme, Franken und Hessen [* 4] einerseits, Thüringer, Alemannen, Bayern [* 5] und Langobarden andererseits, hatten sich von Hause aus näher gestanden, aber doch auch besondere staatliche Verbände für sich gebildet und fühlten sich als selbständige Völker.
Auf der fränk. Eroberungslust und der organisatorischen Fähigkeit Karls d. Gr. beruht die polit. Einigung Deutschlands. [* 6] Die Hessen hatten sich schon seit alters den Franken politisch angeschlossen. Die Alamannen wurden zum Teil 496, endgültig 536 unterworfen, die Thüringer 531, die Bayern 788, die Langobarden 774 und 787. Die Friesen mußten sich zwar auch unterwerfen, bewahrten aber eine unabhängigere Stellung als die deutschen Stämme. Auch die gar nicht zu den Westgermanen gehörenden Burgunden an der Rhône, die 534 unterworfen wurden, würden voraussichtlich im Laufe der Zeit zu Deutschen geworden sein, wenn sie nicht, wie die Langobarden in Italien, [* 7] bald romanisiert worden wären.
Karl d. Gr. schmiedete das Frankenreich durch die Verfassung fest zusammen, indem er die fränk. Verwaltung über sein ganzes Reich ausdehnte. Wenn auch die einzelnen deutschen Stämme ihre Eigenart bewahrten, so einte sie doch alle ein polit. Band, [* 8] und erst jetzt, zumal nach der polit. Abtrennung des roman. Frankreich (843 und 870), konnte sich ein deutsch-nationales Bewußtsein herausbilden (das Wort «deutsch» kommt zum erstenmal Ende des 8. Jahrh. vor, der Volksname «Deutsche» [* 9] im 9. Jahrh., wird jedoch noch bis ins 13. Jahrh. selten gebraucht). In diesem Sinne darf man sagen, daß ein erst seit Karl d. Gr. besteht, also seit ungefähr 1100 Jahren. Nur mittels der Sprachgeschichte kann man für die vorhergehenden Jahrhunderte in den nachmals deutschen Stämmen der Germanen schon Deutsche erkennen.
Die alten deutschen Stämme nebst ihren Unterstämmen bestehen innerhalb der Grenzen, [* 10] die etwa seit dem Ende des 6. Jahrh. ihre Gebiete abschlossen, bis auf den heutigen Tag fort (s. die Karte der Deutschen Mundarten). [* 11] Noch heute ist das schwäb., bayr., niedersächs. Stammesbewußtsein lebendig. Wesentlich ist für die Überbrückung der Stammesgegensätze die kolonisatorische Fähigkeit der Franken gewesen. Die Alamannen hatten bis 496 das ganze westl. Maingebiet und den mittlern Rhein nördlich bis etwa zur Mosel besessen. In diesem Gebiet nördlich des Neckar siedelten sich seit 496 Franken an, die dem Lande den Namen gaben. Es entstand so durch Mischung der sitzen gebliebenen Alamannen mit den fränk. Kolonisten der neue deutsche Stamm der Rheinfranken.
Ebenso erwuchs aus den im obern Maingebiet neben den einheimischen Thüringern ansässigen Franken der neue Stamm der Ostfranken. Fränk. Dörfer wurden im alamann. Elsaß gegründet. Karl d. Gr. legte im Sachsenlande fränk. Kolonien an und siedelte große Scharen von Sachsen innerhalb des fränk. Gebietes an. Sachsen hatten sich schon 531 in den thüring. Landesteilen zwischen Elbe und Unstrut niedergelassen. Nachmals, im 13. Jahrh., mischten sich östlich der Saale bis zur Oder Ostfranken und Thüringer, in der Mark Brandenburg, in Hinterpommern, in West- und Ostpreußen [* 12] Niederfranken und Niedersachsen. Franken haben am Rhein und am Main, an der Elbe und östlich der Saale und Elbe die Deutschen zusammengekittet.
Die Stammesunterschiede bestanden indes seit Karl d. Gr. nicht nur fort, sondern verschärften sich in den folgenden Jahrhunderten. Jeder Stamm bildete noch bis ins 13. Jahrh. ein besonderes Herzogtum, und die Kreiseinteilung Maximilians (1495) trug wenigstens zum Teil noch den Stammesgrenzen Rechnung. Aber die Stämme fühlten sich jetzt nicht nur als Franken, Bayern u. s. w., sondern auch als Deutsche. Das Bewußtsein der nationalen Einheit ist wohl später durch die polit.
Ereignisse gehemmt und gestört worden, aber nicht wieder verloren gegangen, wenn es auch erst durch die Gründung des neuen Deutschen Reichs seine wirkliche Vollendung erfahren hat. Die religiöse Einigung des wurde ebenfalls durch Karl d. Gr. vollzogen, der die Sachsen zwangsweise zum Christentum bekehrte. Aufgehoben wurde sie erst wieder durch die Folgen der Reformation. In anderer Hinsicht hat die geistige Einheit des in Frage gestanden, als es galt, eine einheitliche, über den Mundarten stehende deutsche Gemeinsprache zu erringen. (S. Deutsche Sprache, I, 2.) Damals haben sich die Niederfranken Belgiens und der Niederlande [* 13] und die Niedersachsen östlich von dem Zuidersee von dem dadurch getrennt, daß sie, gestützt auf eine eigene bedeutende litterar. Vergangenheit, nicht die deutsche Schriftsprache angenommen haben: sie fühlten sich fortan nur als Niederländer, nicht mehr als Deutsche. Für die andern deutschen Stämme aber bedeutet die zum Teil unter schweren geistigen Kämpfen errungene Spracheinigung in hervorragendem Sinne eine nationale Einigung.
Das alte Deutsche Reich hatte seit dem 9. Jahrh. im Westen die Romanen an der obern Maas und Mosel mit umfaßt, Slawen im Südosten, in Böhmen [* 14] und Mähren und nachmals östlich von der Saale und Elbe und an der Oder; dazu zeitweise die savoyischen und nordital. Romanen. Die polit. Lostrennung der roman. Landesteile kann nur als ein nationaler Gewinn angesehen werden. Aber eine Einbuße erlitt das durch den Verlust der Niederlande (1581) und der deutschen Schweiz [* 15] (1495), den der Westfälische Friede 1648 bestätigt hat, durch den Verlust des in seiner nördl. Hälfte deutschen Belgiens 1797 (bestätigt 1815) und das Ausscheiden (1866) des in seinen Hauptteilen deutsch redenden Österreichs aus dem polit. Verbande des Elsaß und Deutsch-Lothringen wurden 1871 wieder gewonnen.
Vgl. Wachsmuth, Geschichte deutscher Nationalität (2 Bde., Braunschw. 1860);
J. ^[Julius] Tietz, Die geschichtliche Entwicklung des Deutschen Nationalbewußtseins (Hannov. 1880);
K. Lamprecht, Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins (in seiner «Deutschen Geschichte», Bd. 1, Berl. 1891);
Schultheiß, Geschichte des deutschen Nationalgefühls (Bd. 1, Münch. und Lpz. 1893).
2) Merkmale des deutschen Volks und der deutschen Stämme. Durchgehende körperliche Merkmale des giebt es nicht, sondern nur solche der Germanen (s. d.) überhaupt. Der ¶
mehr
Norddeutsche ist im allgemeinen größer und kräftiger gebaut als der Mittel- und Süddeutsche. Der blonde Typus überwiegt in Norddeutschland, der Kurzschädel (brachykephaler Typus) in Süddeutschland. Diese und andere Unterschiede beruhen in erster Reihe auf der Mischung der eingewanderten Deutschen mit der eingesessenen vordeutschen Bevölkerung. [* 17]
Eine Charakteristik der deutschen Stämme giebt E. M. Arndt, «Versuch in vergleichenden Völkergeschichten» (Lpz. 1843). Reichhaltig ist auch Wachsmuths «Geschichte deutscher Nationalität» (2 Bde., Braunschw. 1860) und L. Diefenbachs «Vorschule der Völkerkunde und der Bildungsgeschichte» (Frankf. 1864).
3) Mischung der Deutschen mit andern Völkern. Das Deutsche Reich ist ein Nationalstaat, wenn auch unter seinen Staatsangehörigen über 7 Proz. Nichtdeutsche sind, nämlich Polen, Sorben (Wenden), Czechen, Litauer, Franzosen, Dänen. Auch Friesen und Nordfriesen sprechen nicht die deutsche Sprache als Muttersprache. Die Friesen und Nordfriesen, die Sorben und die Litauer sind meist zweisprachig und fühlen sich bereits oder sind im Begriff sich als Deutsche zu fühlen.
Auch unter den Polen und Czechen ist ein großer Teil der deutschen Sprache [* 18] mächtig. Im Deutschtum ist bereits ein großer Teil der über 600000 Juden aufgegangen. Die Juden sind am stärksten in Posen, [* 19] in Hessen, Baden [* 20] und im Elsaß verbreitet. Die Nordfriesen bewohnen das Marschland der schlesw. Westküste, die Halligen und die Inseln Sylt, Föhr, Amrum und Helgoland. [* 21] Die Nordfriesen von Eiderstedt, Nordstrand und Pelworm haben seit dem 17. Jahrh. die deutsche Sprache angenommen.
Das gleiche gilt von den Ostfriesen; nur noch 2500 Saterländer bewahren ihre alte Sprache; auf Wangeroog ist dieselbe im Aussterben begriffen. Erst im 19. Jahrh. lernten die Friesen sich als Deutsche fühlen. Noch 1828 konnte ein Emdener Dichter in plattdeutscher Sprache singen: «De dütsche Taal is wall wat finer, Dach [* 22] Düütschers sünd wi naet». Das dän. Sprachgebiet reichte früher südwärts bis Schleswig. [* 23] Im 19. Jahrh. ist die Landschaft Angeln (zwischen Schleswig und Flensburg) [* 24] deutsch geworden und die Sprachgrenze beginnt jetzt westlich und nördlich von Flensburg.
Das Deutschtum macht in Nordschleswig neuerdings rasche Fortschritte. Französisch wird in 265 Gemeinden an der Südwestgrenze Deutsch-Lothringens gesprochen, nordwestlich von Metz [* 25] bis gegen Saarburg hin, desgleichen in über 150 Gemeinden in den Vogesen nördlich und südlich von Markirch. [* 26] Wallonische Mundart sprechen an der Westgrenze der Rheinprovinz [* 27] Einwohner von Malmedy und Umgegend. Von den Sorben der Lausitz, deren Sprachgebiet im 16. Jahrh. noch westlich bis Ortrand, Luckau und Buchholz, nördlich bis Storkow, Beeskow und Fürstenberg, östlich bis Guben, [* 28] Triebel und Priebus reichte, ist ein großer Teil deutsch geworben.
Gute Preußen [* 29] sind auch die wenigen Litauer an der Memel, [* 30] die wie ihre südl. Stammesgenossen (in den Kreisen Stallupönen, Goldapp, Gumbinnen, [* 31] Darkehmen und Insterburg) [* 32] es gethan haben, die deutsche Sprache immer mehr annehmen. Dagegen beherbergt das Deutsche Reich in den Polen noch immer ein Element, das sich seines Volkstums kräftig bewußt ist. Das poln. Nationalbewußtsein ist eher in der Zunahme als in der Abnahme begriffen. Zwar die prot. Masuren am Südrande Ostpreußens sind im Begriff Deutsche zu werden, und auch die kath. Kassuben Westpreußens können sich diesem Prozeß schließlich nicht entziehen. Aber in der Provinz Posen ist das Polentum noch sehr kräftig. Seine Kraft [* 33] wird verstärkt durch den religiösen Gegensatz: die Polen sind katholisch und in Posen und Westpreußen deckt sich nahezu katholisch mit polnischer, protestantisch mit deutscher Sprache und Gesinnung. Hier die Polen zu germanisieren ist zur Zeit keine Aussicht vorhanden.
Seit der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. beginnenden deutschen Kolonisation östlich der Elbe und Saale haben die dort einheimischen Slawen (Wenden) allmählich die deutsche Kultur und Sprache, Sitte und Anschauung, Denkweise und Empfindung angenommen, das dortige Deutschtum ist also nicht frei von slaw. Beimischung. Weniger bekannt aber dürfte es sein, daß auch die Deutschen der Stammlande keine reine german. Rasse sind; verhältnismäßig am unvermischtesten sind die Deutschen in der Provinz Hannover. [* 34]
Ganz Süd- und Westdeutschland bewohnten in vorchristl. Zeit kelt. Stämme und ihre romanisierten Reste lassen sich noch das ganze erste Jahrtausend n. Chr. in den Rheinlanden und nördlich der Alpen [* 35] verfolgen. Diese Kelten und Keltoromanen sind zwar den Deutschen gegenüber in der Minderzahl gewesen (sonst wären sie nicht germanisiert worden), haben aber doch den deutschen Typus stärker beeinflußt als im Osten die den Deutschen anthropologisch näher stehenden Slawen.
Die alamann. und frank. Gräber aus der Zeit der Völkerwanderung zeigen alle den langköpfigen (dolichokephalen) Schädel der german. Rasse. Später aber hat die Mischung mit den kurzschädeligen (brachykephalen) Kelten bewirkt, daß in Süddeutschland, zumal im südl. Bayern und Tirol, [* 36] die Bevölkerung zum weitaus größten Teile kurzköpfig ist. Die Kurzköpfe überwiegen jetzt in ganz Deutschland. [* 37] Selbst in Norddeutschland ist ein mittelköpfiger, freilich zur Langköpfigkeit neigender Typus der vorherrschende. In Tirol kommen auf 90 Kurzköpfe 10 Mittelköpfe und kein Langkopf, in Mitteldeutschland auf 66 Kurzköpfe und 22 Mittelköpfe nur 12 Langköpfe.
Vergleicht man die anthropologisch reinern Dänen, so weisen diese neben 57 Langköpfen und 37 Mittelköpfen nur 6 Kurzköpfe unter 100 Schädeln auf. Nicht ganz in demselben Maße zeigt sich der anthropol. Schlag der germanisierten südländischen Rasse bei der Haarfarbe. Der Urgermane war blond. Heute zählt man in Norddeutschland 33-43 Proz. Blonde und 7-12 Proz. Brünette, in Mitteldeutschland 25-32 Proz. Blonde und 13-18 Proz. Brünette, in Süddeutschland 18½-24½ Proz. Blonde und 19-25 Proz. Brünette, in der Schweiz gar nur 11 Proz. Blonde und 25¾ Proz. Brünette. Zu blondem Haar [* 38] gehören blaue Augen, zu braunem Haar dunkle Augen. Ob alle diese Veränderungen auf Mischung zweier Rassen zurückzuführen sind, ist fraglich, um so mehr, als die Urgermanen selbst aller Wahrscheinlichkeit nach keine völlig reine Rasse gewesen sind. Aber unter Umständen vermag der Ethnologe neben den Mischtypen noch jetzt den kelt. Typus herauszuerkennen. Es ist schwerlich ein Zufall, daß gerade in den Gegenden, in denen man eine stärkere kelt. (oder roman.) Urbevölkerung nachweisen kann, der dunkle und kurzköpfige Typus entschieden vorherrscht. Wie man in Mecklenburg [* 39] noch den blonden Deutschen von dem dunkeln, deutsch gewordenen Slawen scheiden kann, so findet man auch z. B. ¶