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abgeschlossenen Gegenden noch heute nicht ganz ausgestorben sind. Andererseits lebte das lat. kirchliche Drama in den Händen der Jesuiten; in den Sälen und Höfen der Jesuitenstifte, selbst wieder auf offener Straße (wie 1597 in München zur Weihung der Michaelskirche) errichteten die frommen Väter ihre Bühnen, die sie mit allen blendenden Mitteln des Dekorations- und Maschinenwesens ausstatteten.
Es war natürlich, daß sich bei der ungemeinen Beliebtheit der Schauspiele im 16. Jahrh. aus dem ursprünglich allein herrschenden Dilettantentum Anfänge von Berufsschauspielerei entwickelten; wir wissen von einheimischen Wandertruppen, wie denn z. B. 1585 in Frankfurt a. M. Nürnberger Bürger Hans Sachssche Stücke agierten. Aber das war doch meist Nebenbeschäftigung. Es bedeutete eine starke Umwandlung des deutschen Schauspiels, als berufsmäßige Englische Komödianten (s. d.) nach Deutschland herüberkamen.
Sie treten teils in Dienste eines Hofs (zuerst 1586 beim Kurfürsten von Sachsen, seit 1594 namentlich bei Moritz von Hessen und Heinrich Julius von Braunschweig), teils gehen sie auf eigene Rechnung wandernd von Stadt zu Stadt (zuerst 1591). Ihre Truppen umfassen 10‒25 Personen, keine Frauen. Die Hauptrolle spielt der Clown; der Schauspieler Sackville nannte sich John Bouset i. Posset = Milchrahm mit Wein), Spencer Hans von Stockfisch, Reynolds Pickelhäring u. s. w. Sie agierten anfangs in engl. Sprache, nur der Clown sprach früh deutsch; als sich bald deutsche Schauspieler unter sie mischten und sie durch längern Aufenthalt selbst des Deutschen mächtig wurden, gaben sie ihre Vorstellungen «in guter teutscher Sprache».
Die Darstellungsweise muß zwischen höfischer, graziöser Zierlichkeit und jener wilden, haarsträubenden engl. Manier, die Shakespeare im «Hamlet» geißelt, geschwankt haben. Die Bühne zerfiel in einen größern äußern und kleinern innern Schauplatz. Das Repertoire umfaßte histor. Dramen, Blut- und Schauerstücke, phantastische Lustspiele, Ballette, derbe Possen und Singspiele; sie gaben auch Shakespearesche Dramen, freilich sehr verderbt. Ihre Wirkung beruhte auf dem in Deutschland unerhörten dramat. Leben, auf den starken Situationseffekten ihrer Stücke und ihres Spiels. Bald fanden sie Nachahmung, so an Jak. Ayrer und vor allein an ihrem Gönner Heinrich Julius von Braunschweig. Welcher Art ihre Spiele waren, ist aus den 1620 erschienenen «Engl. Komödien und Tragödien» und dem 1630 veröffentlichten «Liebeskampf» zu ersehen: stilistisch untergeordnet, im theatralischen Aufbau roh, in den Possen derb, selbst gemein, aber durchweg höchst geschickt.
Die engl. Komödianten überdauerten noch den Dreißigjährigen Krieg. Inzwischen aber hatten deutsche Wandertruppen ihnen ihre Künste abgelernt und verdrängten sie. Auffallend ist die starke Beteiligung von «Studiosi», meist Theologen, die in den Kriegsunruhen das Vagabundenelend dem kaum gesichertern bürgerlichen Beruf vorzogen. Ein Magister Lassenius, der zuerst 1622 in Berlin als Mitglied der Treuschen Truppe erschien, wurde sogar später wieder Geistlicher.
Doch hoben diese Elemente den Ton der Wandergesellschaften nicht, die lediglich brutal entstellte, in Blut und Greueln schwelgende Bearbeitungen ausländischer, namentlich span. und ital. Stücke und rohe Possen brachten. Die steif pomphaften Alexandrinerdramen von Gryphius, Lohenstein u. a. wurden höchstens auf Schulen und Universitäten aufgeführt und wollten in erster Reihe Lesedramen sein; das eigentliche Schuldrama fand durch den Zittauer Schulmann Christ. Weise (s. d.) noch nachträglich eine reichere Pflege in Prosadramen, in denen er sich den dramat. Anforderungen, die durch die Engländer im Publikum rege geworden waren, nicht entzog und auch der lustigen Person Platz gewährte.
Die Höfe und großen Städte hielten sich ital. und franz. Komödianten, bevorzugten aber namentlich die von Italien eingeführte antikisierende Oper, das idyllische Schäferspiel, das allegorische Ballett und Festspiel; diese Dinge bildeten bald einen unentbehrlichen Bestandteil der Hoffestlichkeiten. Schon Opitz verfaßte eine Oper, die Dramen des Nürnbergers Klaj sind ganz opernhaft angelegt, und Rist hat in trefflichen allegorisch-patriotischen Festspielen (1647 und 1648 durch die Gärtnersche Truppe in Hamburg aufgeführt) «das friedewünschende» und «das friedejauchzende Deutschland» dargestellt. So wenig diese auf musikalische und scenische Wirkungen ausgehende Richtung dem deutschen Schauspiel unmittelbar nutzte, so war sie ihm doch mittelbar förderlich dadurch, daß auf dekorative und Kostüm-Ausstattung mehr geachtet wurde (die Hamburger Oper zumal trieb unerhörten Luxus), daß eigene Theater erbaut (1641 in Ulm, 1667 in Dresden, 1678 ein berühmtes Opernhaus in Hamburg), endlich daß die Frauenrollen jetzt wirklich von Frauen dargestellt wurden. ^[]
Das deutsche Volksschauspiel, das dank der Ungunst der Gebildeten bis in die Hände der «Springer», Seiltänzer und Feuerfresser herabsank, wie denn der «starke Mann» Karl von Eckenberg (s. d.) noch bis 1741 die Berliner deutsche Bühne beherrschte, fand eine erste bleibende Stätte, als der Magister Velten (1640‒92),
seit 1678 Chef der «berühmten Bande», 1684 in Dresden als Leiter der «kursächs. Komödiengesellschaft» bei Hofe angestellt wurde. Er hat das Verdienst, das franz. Drama, namentlich Molière, stärker als vorher in das Repertoire aufgenommen zu haben. Die Trennung der früher eng verschlungenen ernsten «Hauptaktion» und komischen Nebenhandlung bahnte sich seit etwa 1690 dadurch an, daß die extemporierten Clownspäße immer mehr Selbständigkeit bekamen. Diese wurde am größten in Wien, wo man längst an den Arlecchinaden ital. Banden (seit 1670) sich erbaut hatte und wo der Schlesier Ant. Jos. Stranitzky (gest. 1727), der 1708 im Kärntnerthortheater das erste stehende Volkstheater gründete, die typische [* ] Figur des Salzburger Bauern «Hanswurst» für sich zurecht und in seinen Stegreifkomödien höchst populär machte. In seine Fußstapfen trat Prehauser (gest. 1769). Jos. Kurz (gest. 1784) schuf die Gestalt des Tölpels Bernardon, und so dauerte der Wiener Hanswurst unverwüstlich, wenn auch in wechselnden Masken, als Jackerl, Leopoldl, Lipperl, Thaddädl u. s. w. fort bis zum Kasperle des Schauspielers Laroche (gest. 1807) und zu dem von Bäuerle erfundenen Staberl des genialen Wiener Komikers Ignaz Schuster. Lebt er doch im Kasper unsers Marionettentheaters noch heutigentags allenthalben.
Als Gottsched dem Deutsches Theater seine Aufmerksamkeit zuwandte, fand er einerseits die schwülstigen, pomphaft überladenen Haupt- und Staatsaktionen, die Lohenstein an Ungeschmack und Formlosigkeit weit überboten, andererseits die «unregelmäßigen» extemporierten Hanswurststücke vor. Beides war ihm ein Greuel. Er wollte regelmäßige
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Dramen im franz. und antikisierenden Geschmack einführen. Eine wertvolle Verbündete fand er dabei an der tüchtigen Karoline Neuberin (1697‒1760), deren Truppe ihren Stammbaum über die Banden Hoffmanns, Haakes und Elensohns bis auf Velten zurückführte und in Kohlhardt, Suppig u. a. treffliche Acteure besaß.
Wenngleich die Neuberin der improvisierten Stücke noch nicht ganz entbehren konnte, so verbannte sie doch, auf Gottscheds Anraten, die typische Maske des Possenreißers und seine privilegierte Entartung 1737 auf ^[korrekt: aus] ihrem Leipziger Theater in einem von ihr gedichteten Gelegenheitsspiel öffentlich von der Bühne. Ihr Beispiel bewirkte, wenigstens für Norddeutschland, daß hinfort fast nur aufgeschriebene Stücke aufgeführt wurden und daß der Harlekin, dessen sich Lessing und Just.
Möser annahmen, wenigstens dem Namen nach verschwand, nicht in seinem Wesen, das auf die ständigen komischen Bedienten- und Soubrettenrollen (Johann, Lisette) überging. Viel zäher schützte Wien seinen Liebling, der ebenso in der Zauber- und Maschinenkomödie wie in der Liederposse unentbehrlich war. Der erste Versuch, der 1747 mit einem regelmäßigen Stück gemacht wurde, entzündete einen heftigen Widerstreit der Stegreifspieler gegen diese Neuerung, der 23 Jahre lang, an ein und derselben Bühne, mit allen Waffen der Erfindungskraft und der Intrigue geführt wurde, bis Maria Theresia sich des regelmäßigen Geschmacks mit Entschiedenheit annahm, Jos. von Sonnenfels leitenden Einfluß gewann und die Improvisation durch die von ihm gehandhabte Censur auch vom Wiener Theater verbannt wurde.
In Norddeutschland hatte indes die einseitige Nachahmung der franz. Kunst bei der Schönemannschen und Kochschen Truppe fortgewirkt, während Schuch den ältern Geschmack noch nicht aufgab und in Leipzig selbst Weißes komische Opern stärker waren als Gottscheds Einfluß. Die Schwäche der Gottschedschen Reform lag in dem Mangel deutscher Originalstücke. Das besserte sich etwa seit Lessings «Miß Sara Sampson» (1756); wie hier durch ein praktisches Beispiel, führte der große Kritiker auch theoretisch von dem konventionellen Pathos der franz. Alexandrinerstücke ab und lenkte die Aufmerksamkeit auf die rührende Komödie der Franzosen, namentlich aber auf das Drama der Engländer.
Auch auf die gesunde natürliche Entwicklung der Schauspielkunst wirkte er nach Kräften hin; mit dem Theater stand er sein Leben lang in nächster Fühlung. Dieses hob sich sichtlich. Die Gesellschaften Kochs, Ackermanns, Seylers, Döbbelins, Schröders wechselten zwar noch oft den Spielort, doch blieb z.B. Döbbelin von 1775 bis 1787 fest in Berlin. Große schauspielerische Talente, wie die Heroinen Frau Hensel-Seyler, die Liebhaberinnen Frau Starke und Frau Brandes, der Komiker Brückner tauchten auf und wurden gesucht. 1767 versuchte ein Konsortium, in Hamburg ein Deutsches Nationaltheater (s. d.) zu gründen, und gewann Lessing zum Dramaturgen; an dieser Bühne trat der große Schauspieler Konr. Ekhof (1720‒78) auf, «der Vater der deutschen Schauspielkunst», der den Kothurn des alten franz. Stils ganz in Lessings Sinne zu Gunsten echter und doch künstlerischer Natürlichkeit abstreifte und dadurch epochemachend wirkte.
Das «Nationaltheater» ging ein, in Lessings «Hamburger Dramaturgie» eine wertvolle Frucht hinterlassend; aber auch noch unter, Friedr. Ludw. Schröder (1744‒1816), dem trefflichen Mimen und Bühnendichter, der die Hamburger Bühne 1771‒80 leitete, besaß diese an den Helden Brockmann und Reinecke, an Borchers und Christ, an den Schwestern Ackermann Kräfte hohen Ranges. Schröder erwarb sich das bleibende Verdienst, Shakespeare auf der deutschen Bühne heimisch gemacht zu haben; aber auch Goethes «Götz» führte er auf, und ein von ihm ausgeschriebener Preis wurde Klingers «Zwillingen» zu teil. Sein Auftreten auf dem Wiener Burgtheater (1781‒85) half auch dort die ältere, unwahr gespreizte und übertriebene Art des Spiels beseitigen. In gleichem Sinne war Ekhof, der inzwischen Mitglied der Seylerschen Truppe gewesen war, an dem 1775 gegründeten Hoftheater zu Gotha thätig, dessen Direktion er bis zu seinem Tode führte. ^[]
Um diese Zeit vollzog sich eine große Veränderung der Theaterverhältnisse. Bis dahin waren es Schauspielerprinzipale, die alten Komödiantenmeister, selten andere Privatunternehmer, unter ihnen auch Kavaliere, wie in Wien und München, die an der Spitze der Theaterunternehmungen standen; von jetzt an begannen die Fürsten ital. Oper und franz. Komödie abzuschaffen und deutsche Theater in ihrem unmittelbaren Schutze zu unterhalten. Diese Veränderung wirkte um so vorteilhafter, als die Kunst dadurch vom Erwerb unabhängig gemacht wurde, ohne doch der kunstverständigen Leitung entzogen zu sein.
Kaiser Joseph Ⅱ., der 1776 das Wiener Schauspiel übernahm und ihm den Titel eines Nationaltheaters mit der musterhaften Bestimmung gab, es solle nur zur Verbreitung des guten Geschmacks und zur Veredelung der Sitten wirken, machte die Einsetzung der künstlerischen Vorstände von der Wahl der Theatermitglieder abhängig, sodaß bald ein Ausschuß von Schauspielern, bald einzelne, wie Stephanie, dann Brockmann, die Direktion führten. Dalberg, der 1779 in Mannheim ein kurfürstl. Nationaltheater gründete, adoptierte die Josephinische Organisation, und diese junge Bühne, der die besten Talente des bald nach Ekhofs Tode wieder aufgelösten Gothaer Hoftheaters, unter ihnen Beil, Iffland, Beck, beitraten, wurde zur Stätte einer neuen schauspielerischen Schule, als deren Haupt Iffland zu betrachten ist.
Dieser Aufschwung der Bühne geht mit dem Aufschwung der dramat. Dichtung Hand in Hand. Goethes «Götz von Berlichingen» gab der durch Shakespeare genährten Richtung auf Natürlichkeit einen solchen Nachdruck, daß dadurch bei den Aufführungen in Hamburg und Berlin 1773 eine Reform des Theaterapparats, besonders des Kostüms, zu Gunsten der histor. Treue herbeigeführt wurde. Die Mannheimer Bühne bahnte dem jungen Schiller durch die Aufführung seiner Jugenddramen 1781‒84 den Weg in die Öffentlichkeit.
Während Goethes «Götz» und Schillers «Räuber» ein langes Gefolge von Ritter- und Räuberstücken nach sich zogen, als deren Verfasser u.a. Törring, Babo und Maier hervortreten, wurde das bürgerliche Drama, nach Lessings Vorbild, besonders von den Schauspielern Iffland, Schröder, Großmann, Brandes, in zweiter Linie von Gotter, Gemmingen und Bretzner kultiviert; ergiebiger als je war die dichterische Produktion. Blieben diese meist platt alltäglichen bürgerlichen Schau- und Lustspiele an poet. Wert weit hinter Lessings «Minna» zurück, so fehlte es ihnen selten an Bühnenwirksamkeit und Routine. Alle frühern Poeten dieser Art überbot in der Gunst
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des Publikums der talentvolle und witzige Aug. von Kotzebue durch seine mit falscher Empfindsamkeit, mit rührseliger Charakterlosigkeit gefährlich versetzte Schriftstellerei, die wohl ein Vierteljahrhundert lang das Repertoire beherrschte.
Gegen diese ganze Gattung wandte sich die idealistische Reform, durch die Weimars große Dichter dem Theater eine völlig veränderte Richtung zu geben suchten. Goethe hatte die Direktion des 1791 errichteten weimarischen Hoftheaters übernommen. Bald wandte auch Schiller demselben seine belebende produktive Teilnahme zu, und von Weimar ging nunmehr eine neue Schule der Dicht- und Schauspielkunst aus, die ein entscheidendes Ansehen mit der Aufführung von Schillers Wallenstein-Trilogie (Okt. 1798, Jan. und April 1799) gewann.
Erst durch sie lernten die deutschen Schauspieler Dramen vornehmen Stils in ruhig schöner Würde darstellen, durch sie lernte das Publikum, im Theater nicht nur Vergnügen oder Aufregung, sondern auch tiefen künstlerischen Genuß suchen, durch sie endlich lernten die Theaterleiter, das Publikum nicht nur unterhalten, sondern auch zu edlerer Kost erziehen. Von Weimar aus eroberten sich Schillers hinreißende Dramen ganz Deutschland. Es ist wohl richtig, daß der Weimarer Kunststil, der mehr auf Schönheit als auf Naturwahrheit ausging, für minder begabte Schauspieler die Gefahr der Manieriertheit und Hohlheit mit sich brachte, eine Gefahr, vergleichbar jener, die Schillers Nachahmer im Drama liefen. Es ist ferner unleugbar, daß sich die Weimarer Dichter zu allerlei technischen und litterar.
Experimenten verleiten ließen (man denke an die Chöre in der «Braut von Messina», die Dramen «Jon» und «Alarkos» der Brüder Schlegel), die der Bühne wenig praktischen Nutzen brachten. Ebenso sicher aber ist es, daß sie mit geringen Mitteln und mäßigen Kräften, unter denen Vohs, Graff, die Jagemann, die Schröter, das Ehepaar Wolff hervorragten, Wunderbares erreichten, daß sie durch ihr Beispiel großen Einfluß übten, daß sie das Deutsches Theater und Drama erst auf die Höhe des künstlerischen Ernstes und der künstlerischen Leistungsfähigkeit erhoben.
Ähnliches ist nirgends wieder geglückt; der verwandte Versuch einer idealen Musterbühne, den Karl Immermann 1834‒37 in Düsseldorf mit Hingabe und Geschick wagte, mußte bald aufgegeben werden. Ein Hauptgrund war freilich, daß die Folgezeit keinen zweiten Schiller hervorbrachte, der edelste Kunst mit unmittelbarer populärer Bühnenwirkung verband; die großen Dramatiker des 19. Jahrh., Heinr. von Kleist, Grillparzer, Hebbel haben sämtlich erst späte Erfolge gehabt und nie eigentliche Zugstücke geschrieben, und die Mehrzahl der nachschillerschen Jambendramatiker verdiente kein besseres Schicksal, als ihnen wurde.
Wächst die Zahl der stehenden Bühnen seit Anfang des Jahrhunderts ins Große, so spielt sich die Entwicklung des Theaters doch mehr und mehr in den beiden Hauptstädten Berlin und Wien ab; nur die Dresdener Bühne hat unter Ludw. Tiecks und Gutzkows Einfluß, durch die Schauspieler Eduard und Emil Devrient, Dawison, wie durch Wilhelmine Schröder-Devrient, die Münchener durch den idealistischen Heldenspieler Eßlair zeitweilig eine Rolle gespielt. In Berlin wurde 1786 das Komödienhaus auf dem Gendarmenmarkt zum «Nationaltheater» erhoben und von J. J. Engels, später sehr glücklich von Iffland geleitet, der mit den Weimarer Dichtern enge Fühlung hatte und klassische Aufführungen sehr begünstigte; für Schiller zumal hatte er an Fleck, Mattausch und Frau Unzelmann-Bethmann vorzügliche Kräfte.
Auch sein Nachfolger Graf Brühl, der 1815‒37 Generalintendant der königl. Schauspiele wurde und besonders eine reiche äußere Ausstattung begünstigte, behielt die Beziehungen zu Goethe und zog in dem Ehepaar Pius Alexander und Amalie Wolff treffliche Vertreter des Weimarer Stils nach Berlin. Unter ihm erlebte das Berliner Schauspiel äußerlich wohl seine höchste Blüte; an Raupach gewann es einen erfolgreichen Dichter, den später weder Frau Birch-Pfeiffer noch neuerdings Wildenbruch ersetzen konnte; die Namen Beschort, Lemm, Rebenstein, Gern, die Stich-Crelinger, vor allem Ludw. Devrient widerlegen den Satz, daß dem Mimen die Nachwelt keine Kränze flechte.
Aber mit dem Grafen Brühl wurde die Theaterleitung ein Hofamt, dessen Träger höchstens ein gebildeter Dilettant war, mit ihm drängte sich bureaukratische Verwaltung ein und erzeugte Übelstände, die sich unter den folgenden Intendanzen Rederns, Küstners, Hülsens, Hochbergs nur gesteigert und das Berliner Schauspielhaus um seinen alten Ruhm gebracht haben, trotzdem es ihm an glänzenden Kräften (früher der geistvolle Seydelmann, später Dessoir, Hendrichs, Döring, die Frieb-Blumauer) nie gefehlt hat.
Leider ist dieselbe wenig bewährte Einrichtung, die einen Kavalier als wirklichen Leiter an die Spitze stellt, einen sachverständigen Schauspieler oder Dichter höchstens an zweiter Stelle duldet und damit den innern Zusammenhang, die künstlerische Einheit löst, auch bei andern Hoftheatern Regel geworden, doch war die Wahl der vornehmen Intendanten nicht selten glücklich; auch hat es immer zahlreiche Ausnahmen gegeben, so früher Klingemann in Braunschweig, Franz von Holbein in Hannover, später Dingelstedt in München, Weimar und Wien, Ed. Devrient in Karlsruhe, Wehl in Stuttgart u. a.
Die guten Erfolge wirklich künstlerischer Leitung, die das Ganze mit ihrem einheitlichen Geiste durchdringt, belegt glänzend das Burgtheater in Wien, unstreitig die erste deutsche Bühne. Hier haben seit dem trefflichen Dramaturgen Schreyvogel (1768‒1832), wenn nicht formell, so thatsächlich, mit geringen Unterbrechungen ausgezeichnete Männer die Direktion in Händen gehabt, so Deinhardstein, Holbein, vor allen Laube (1849‒67), dann Halm, Dingelstedt, Wilbrandt, und sie haben der Bühne ein treffliches Ensemble zu erhalten gewußt, von Sophie Schröder, Anschütz, La Roche, Amalie Haizinger, Julie Rettich, Marie Seebach, Fichtner, Löwe bis auf Charlotte Wolter, Friederike Goßmann, Sonnenthal, Baumeister, Mitterwurzer u. a. War Wien früher eine Hochschule der Weimarer Richtung, so ist jetzt längst eine recht realistische Darstellung dort Tradition. Das Wiener Burgtheater war in der Auswahl seines Repertoires lange durch Censur und Rücksicht behindert; dafür erfreute es sich von je einer warmen Teilnahme des Publikums wie keine andere Bühne und hatte an Grillparzer, Halm, Hebbel einheimische starke Dramatiker, an Ziegler, Frau von Weißenthurn, Bauernfeld, Mosenthal wenigstens höchst zugkräftige Autoren.
Im Wiener Theaterleben spielten immer die Vorstadtbühnen eine große Rolle. Auf ihnen pflanzte sich neben allerlei Lokalpossen und den sehr beliebten Parodien das alte Zauberstück fort, das in
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Schikaneders auf dem Theater an der Wien aufgeführter «Zauberflöte» (1791) dank Mozarts Musik ihr berühmtestes Werk erlebt hatte, das dann aber in den Dichtungen Hafners, Perinets, Henslers, Gleichs, Bäuerles, Carls, Meisls u. a. noch lange fortdauerte und schließlich in Ferd. Raimund seine herzerfreuende, hochbedeutende Höhe erreichte. Raimund errang seine Erfolge zumeist auf dem Leopoldstädter und Josephstädter Theater, während der zersetzende, nergelnde Humor seines spätern Konkurrenten Nestroy besonders im Theater an der Wien und im Carl-Theater zu Worte kam. Einen vergleichbaren Reichtum hatte Berlin in seinem Theaterleben nicht aufzuweisen auf dem 1822 gegründeten Königstädtischen Theater blühten die harmlosen Holteischen Liederspiele; die bessere Berliner Lokalposse hatte später am Wallner-Theater eine Stätte.
Gegenwärtig übertrifft Berlin an Zahl seiner Theater Wien beträchtlich; doch dient die Mehrzahl dieser Nebenbühnen einem niedern Genre, der Operette, der Gesangsposse, dem Ausstattungsstück, wohl gar Specialitäten. Stätten einer ernsten Kunst sind von den neuen Gründungen in Wien das Deutsche Volkstheater und das Raimund-Theater, in Berlin das Deutsche Theater und das Lessing-Theater; an ihnen allen hat die Schauspielkunst mehr und mehr der naturalistischen Seite sich zugeneigt.
Die Schwäche unserer Bühnen ist das Ensemble, das eine konsequente überlegene Leitung voraussetzt. Musteraufführungen, wie man sie z. B. in München aus hervorragenden Kräften verschiedener Bühnen zusammengebracht hat, werden in dieser Hinsicht sogar besonders mangelhaft sein. Die Neigung zum Virtuosentum beherrscht unsere Schauspieler so, daß viele hervorragende Männer, wie der elegante Virtuos der Detailmalerei, Fr. Haase, der glänzende Bonvivant Mitterwurzer, der feurige Naturalist Kainz u. a. lange Zeit überhaupt keiner Bühne fest angehörten, sondern herumgastierten.
Das lehrreiche und fördernde Muster eines vortrefflichen Ensembles, sorgfältiger und liebevoller Einstudierung und Ausstattung gewährten lange die (1890 ausgegebenen) Gesamtgastspiele des herzoglichen meining. Hoftheaters; auch das Ensemble des Münchener königl. Theaters am Gärtnerplatz, dessen Specialität dialektische Volksstücke sind, ist in Berlin, Leipzig und andern Städten erfolgreich aufgetreten. Die sociale Wertschätzung des Schauspielerstandes läßt nichts mehr zu wünschen übrig; für seine materiellen und Standesinteressen wirkt die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. Ob eine Hebung der künstlerischen Leistungen durch Theaterschulen, wie sie z. B. in Wien existieren, zu erreichen ist, macht die Erfahrung mindestes zweifelhaft.
Mit der schnellen Zunahme der Bühnen, mit ihrer wachsenden Freiheit, hat die dramatische Produktion in unserm Jahrhundert nicht gleichen Schritt gehalten (s. Deutsche Litteratur). Der größere Bedarf hat in erster Linie die Massenfabrikation minderwertiger, aber gewinnbringender Eintagsfliegen veranlaßt. Seitdem den dramat. Dichtern durch die Tantième auch ein materieller Lohn gesichert ist (seit 1845), über den seit 1871 die Deutsche Genossenschaft dramat. Autoren und Komponisten im Interesse der Autoren genaue Kontrolle übt, ist ein theatralischer Erfolg kein nur ideeller Gewinn mehr.
Trotzdem ist die Zahl der bessern bühnenfähigen Dramen schon seit Jahrzehnten erschreckend gering. Die übliche Klage über die Gleichgültigkeit des Publikums erklärt nichts, da dasselbe Publikum noch heute seinen Schiller und Goethe, seinen Lessing und Shakespeare dankbar hört, da es sich für Experimente wie die Aufführung des zweiten Teils des «Faust» lebhaft interessiert und sich z. B. für Kleist und Grillparzer immer mehr erwärmt. Auch die vielen Preisausschreiben für Schau- und Lustspiele, der Schillerpreis, der ernsten Dramen zu teil wird u. s. w., haben nicht viel geholfen. So wird ein großer Teil des Repertoires unserer Bühnen aus fremden Litteraturen bestritten, von jeher vorzugsweise aus der französischen: es werden Scribe und Dumas, Augier, Sardou, Pailleron u. a. aufgeführt, eine nicht immer den deutschen Sitten und Anschauungen entsprechende und zuträgliche Kost;
dazu treten etwa die Norweger Ibsen, Björnson, der Schwede Strindberg, der Spanier Echegaray, der Russe Tolstoi u. s. w., von geringern ganz abgesehen.
Stücken, die auf den stehenden Bühnen nicht unterkommen, bieten neuerdings in Berlin die Freien Bühnen (s. d.) eine Zuflucht, zumal denen der modernsten Naturalisten. Luthers 400jähriger Geburtstag hat verschiedene Festspiele gezeitigt (von Devrient, Herrig, Trümpelmann u. a.), die unter Beteiligung zahlreicher Dilettanten an verschiedenen Orten aufgeführt worden sind; derartige histor. oder religiöse Festspiele wurden auch an andern Orten, besonders in Jena und Worms durch Dilettanten zur Aufführung gebracht. Reste aus vergangener Zeit sind die religiösen Spiele in Oberammergau, Brixlegg u. s. w., die Volksschauspiele der Schweiz; auch die Schulkomödie ist mit Recht als Mittel geistiger Übung und Anregung vielfach beibehalten worden. Über das Statistische des gegenwärtigen s. Deutsches Theater Deutschland und Deutsches Reich (Theaterwesen, S. 158).
Vgl. Das Drama des Mittelalters, hg. von Froning, und Das Drama der klassischen Periode, hg. von Hauffen (beide in Kürschners «Deutscher Nationallitteratur»);
Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des Deutsches Theater (Berl. 1847);
Ed. Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst (5 Bde., Lpz. 1848-74);
Genée, Lehr- und Wanderjahre des deutschen Schauspiels (Berl. 1882);
Prölß, Geschichte des neueren Dramas, Bd. 3 (Lpz. 1883).
(S. Oper.)