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mittelhochdeutsche Schriftsprache? (Halle [* 2] 1873);
O. Behaghel, Zur Frage nach einer mittelhochdeutschen Schriftsprache (Basel [* 3] 1886);
Fr. Kauffmann, Behaghels Argumente für eine mittelhochdeutsche Schriftsprache (in Paul und Braunes «Beiträge zur Geschichte der [* 4] und Deutsche Spracheund Litteratur», Bd. 13, S. 464‒503);
F. Jostes, Schriftsprache und Volksdialekte (in «Niederdeutsches Jahrbuch», Bd. 11, S. 85‒98);
H. Rückert, Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache (2 Bde., Lpz. 1875);
E. Wülcker, Die Entstehung der kursächs.
Kanzleisprache (in «Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde», Bd. 9, S. 349 fg.);
Fr. Kluge, Von Luther bis Lessing (2. Aufl., Straßb. 1888; vgl. dazu E. Schröder, Göttinger Gelehrte Anzeigen, 1888, S. 249 fg., und J. Luther, Anzeiger für das deutsche Altertum, Bd. 15, S. 324 fg.);
v. Bahder, Grundlagen des neuhochdeutschen Lautsystems (Straßb. 1890, Einleitung);
K. Burdach, Die Einigung der neuhochdeutschen Schriftsprache.
Einleitung: Das 16. Jahrh. (Halle 1884); E. Wülcker, Luthers Stellung zur kursächs. Kanzleisprache (in «Germania», [* 5] Bd. 28,S. 191 fg.);
P. Pietsch, Martin Luther und die hochdeutsche Schriftsprache (Bresl. 1883);
Franke, Grundzüge der Schriftsprache Lachers (Görlitz [* 6] 1888);
R. Brandstetter, Die Reception der Neuhochdeutschen Schriftsprache in Stadt und Landschaft Luzern [* 7] 1600‒1830 (Einsiedeln 1891);
H. Schultz, Die Bestrebungen der Sprachgesellschaften des 17. Jahrh. für Reinigung der Deutsche Sprache (Gött. 1888).
S. auch die zum vorigen Abschnitt angegebene Litteratur.
Ⅱ. Ausbreitung der Deutschen Sprache. Diese fällt mit der Ausbreitung des deutschen Volksstammes nicht ganz zusammen. Einerseits ist eine große Zahl von Deutschen durch Annahme einer andern Sprache [* 8] dem Deutschtum verloren gegangen: so ist in den ersten nachchristl. Jahrhunderten eine Reihe von deutschen Stämmen am Rhein romanisiert worden; später sind die in Nordfrankreich angesessenen Franken Franzosen geworden, die Langobarden Italiener; die in neuerer Zeit auswandernden Deutschen nehmen, zumal in Nordamerika, [* 9] sehr bald die Sprache des Landes an. Andererseits sprechen heute die Deutsche Sprache Millionen von Menschen, deren Vorfahren keine Deutschen gewesen sind. Es ist für die neuere Zeit nur der Juden und der franz. Hugenotten zu gedenken.
Dieser Vorgang kehrt aber in viel größerm Maßstabe wieder, wenn man die räumliche Ausdehnung [* 10] der Deutsche Sprache ins Auge [* 11] faßt. Die zur Zeit der Völkerwanderung westwärts drängenden Franken und Alamannen fanden in dem Rheingebiete eine romanisch sprechende Bevölkerung [* 12] vor, die sie unterwarfen, aber nicht vertrieben. Diese hat im Laufe der Zeit die Sprache des herrschenden Volks angenommen, wie schon in vorchristl. Zeit die Reste der in Westdeutschland sitzen gebliebenen Kelten einstmals germanisiert worden waren.
Man darf für das erste Jahrtausend n. Chr. an keine so feste deutsch-franz. Sprachgrenze denken, wie sie sich in der Gegenwart gebildet hat. Es gab vielmehr in den Rheinlanden ein weites Gebiet, wo Deutsche und Romanen friedlich nebeneinander saßen, erstere diesseits, letztere jenseits der heutigen Sprachgrenze an Kopfzahl die stärkern. Ebenso sah es südlich von der Donau aus. Es giebt Zeugnisse bis in das 13. Jahrh. hinein, daß mitten im deutschen Sprachgebiete noch vereinzelt romanisch gesprochen wurde, am längsten, wie es scheint, im Schwarzwald und in Salzburg. [* 13]
Schließlich sind, wenn man von den romanisierten Langobarden Italiens [* 14] absieht, mehr Romanen Deutsche geworden als umgekehrt. Diesem großen Gewinn gegenüber will es wenig besagen, wenn z. B. in Lothringen die Sprachgrenze in den letzten drei Jahrhunderten sich um kaum 10 km zu unsern Ungunsten verschoben hat, oder wenn in unserm Jahrhundert einige deutsche Sprachinseln (freilich weit über eine 1 Viertel Million Seelen) in Südtirol italienisiert, in den Ostalpen und Ungarn [* 15] slawisiert oder magyarisiert worden sind. Am deutlichsten lassen sich die Fortschritte der deutschen Kultursprache gegenüber der minder mächtigen rhäto-romanischen in der östl. Schweiz [* 16] geschichtlich verfolgen.
Erst um 1300 ist das Rheinthal gänzlich deutsch geworden. Zu Anfang des 15. Jahrh. sprach noch der nördl. Teil von Graubünden rhäto-romanisch. 1616 sagt Guler von Weineck, Landammann auf Davos: «Ich habe noch alte Leuthe im Walgöuw i. in der Landschaft von Bludenz bis hinab zur Götznerklause, unterhalb Feldkirch) gekannt, die grob rhätisch i. romanisch) reden konnten; sonsten ist an jetzo allem die Deutsche Sprach bei ihnen breuchlich.» 1850 sprach noch die größere Hälfte der Bevölkerung Graubündens ladinisch, 1881 kaum noch zwei Fünftel.
Die völlige Verdeutschung von ganz Graubünden ist nur eine Frage der Zeit. Die Ortsnamen sind redende Zeugen für die ehemalige Nationalität ihrer Begründer. Der Walensee (älter Walchensee) in der Schweiz, der Walchensee in Oberbayern sprechen eine beredte Sprache.
Noch mehr in die Augen fallend sind die Fortschritte des Deutschtums im Osten. Die seit der Mitte des 12. Jahrh. beginnende deutsche Kolonisation der Slawenländer östlich von Saale und Elbe führte zwar gewaltige Scharen von Deutschen ins Land; aber ausgerottet worden sind die Slawen höchstens in den durch die Kriege verheerten Grenzstrichen. Im übrigen blieben sie sogar in manchen Landschaften, so im Königreich Sachsen, [* 17] im hannöv. Wendlande, auf Rügen, in Hinterpommern, in der Majorität.
Diese Slawen nördlich vom Erz- und Riesengebirge bis zur Ostsee haben verhältnismäßig schnell die Sprache ihrer Besieger angenommen. Die Slawen am obern Main und an der Rednitz wurden bereits seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. germanisiert. Um 1300 hörte in Anhalt [* 18] das Slawische als Gerichtssprache auf, im 14. Jahrh. im Osterlande (Leipziger Gegend), 1424 in Meißen. [* 19] Um die Mitte des 15. Jahrh. war das Wendische in der Wittenberger Gegend ausgestorben. Die Verdeutschung ging hier von den Städten aus.
Die Lausitz war noch im 16. Jahrh. größtenteils sorbisch. In Schlesien [* 20] wurden in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. die ganzen Sudeten von Deutschen besiedelt; sonst saßen sie in kompakten Massen damals nur zwischen Görlitz und Liegnitz. [* 21] Schon um 1300 war Niederschlesien links von der Oder ein deutsches Land. In der Lausitz ist bis heute eine ungefähr 50 qkm große sorb. Sprachinsel inmitten deutsch gewordenen Landes geblieben (s. die Karte der deutschen [* 22] Mundarten, S. 28). Die Grenze läuft heute von der obern Spree über Bischofswerda, Camenz, Senftenberg, Calau, Lübbenau, Peitz, Forst, [* 23] Muskau, Weißenburg [* 24] und Löbau; [* 25] doch bilden innerhalb dieses Gebietes die Städte deutsche Sprachinseln und die Landbevölkerung ist zweisprachig. Im 16. Jahrh. reichte das sorb. Sprachgebiet von ¶
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Bischofswerda bis Ortrand, Finsterwalde, Luckau, Buchholz, Storkow, Fürstenberg, Guben, [* 27] Triebel, Priebus und Löbau. In der Altmark werden noch 1452 Wenden erwähnt; ihre Sprache ist hier erst im 15. Jahrh. ausgestorben. In der Jabelheide werden Wenden noch 1521 genannt. Im Lüneburger [* 28] Wendlande konnte sogar noch 1786 ein kleines Wörterverzeichnis der aussterbenden wend. Sprache zusammengebracht werden. Auf Rügen soll 1404 die letzte alte Frau gestorben sein, die noch wendisch sprach.
Hinterpommern war noch Ende des 13. Jahrh. slawisch. Man kann sagen, daß um 1400 alle Slawen westlich von der Oder, außer den Lausitzer Sorben, germanisiert gewesen sind, größtenteils auch damals schon die Slawen in Hinterpommern und Pomerellen, deren Reste, die Kassuben, heute im Schwinden sind. Nach Preußen [* 29] wurde die Deutsche Sprache durch die Einwanderung in der Mitte des 13. Jahrh. übertragen, nach dem Netzedistrikt und Westpreußen [* 30] durch die von Friedrich d. Gr. angesiedelten deutschen Kolonisten.
Fortschritte hat die Deutsche Sprache gegenüber der polnischen nur in Schlesien und Ostpreußen gemacht. Die Umgegend von Brieg, [* 31] Ohlau und Breslau [* 32] war noch im 17. Jahrh. überwiegend polnisch. Heute reicht das Deutsche östlich von Breslau bis Wartenberg. Deutsch ist auch in den poln. Landesteilen in den Städten die herrschende Sprache. In Ostpreußen dringt das Deutsche jetzt nach Süden vor; die poln. Masuren werden von den kleinen deutschen Sprachinseln aus immer mehr verdeutscht.
Desgleichen ist es nur eine Frage der Zeit, wie lange sich noch die innerhalb der deutschen Reichsgrenze lebenden Litauer an dem untern Niemen, deren Kirchensprache litauisch und deutsch, deren Schulsprache seit 1873 ausschließlich die deutsche ist, ihre Sprache bewahren werden; 1848 gab es über 150000 Litauer; 1890 betrug die Zahl der litauisch Sprechenden 121265. Aber innerhalb der Provinz Posen [* 33] nehmen die Polen nicht leicht die an, Deutsche Sprachean, haben sogar deutsche Bauern slawisiert.
Nur mit deutschen Bewohnern selbst kann die Deutsche Sprache hier vordringen. Die deutschen Ansiedelungen in Krain, [* 34] Ungarn, Siebenbürgen, Galizien, Südrußland und den russ. Ostseeprovinzen haben nicht zu germanisieren vermocht. Der großartige Aufschwung des Verkehrs in der Neuzeit bewirkt immer mehr eine geogr. Abrundung der verschiedenen Sprachgebiete. Nur an den Orten, wo größere Massen von Deutschen beisammen sitzen, haben sie Aussicht, ihre Nationalität zu erhalten.
Nicht nur Romanen, Slawen und Litauer haben die Deutsche Sprache angenommen, sondern auch nichtdeutsche Germanen: Friesen und Dänen; zumal die erstern. In: Mittelalter war die ganze Nordseeküste nördlich von Amsterdam [* 35] bis zur Wesermündung friesisch. Aber im Bereich der deutschen Kultur stehend, haben die Friesen im 15. Jahrh. die plattdeutsche Schriftsprache angenommen, auch die Westfriesen, die sich neben der jetzt herrschenden niederländ. Schriftsprache wieder eine eigene fries. Schriftsprache geschaffen haben (s. Friesische Sprache und Litteratur).
Als gesprochene Sprache ist das Friesische in Ostfriesland und an der Wesermündung in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. ausgestorben, nachdem schon mehr als 100 Jahre vorher Plattdeutsch die herrschende Sprache gewesen. Nur auf Wangeroog und in Neuwangeroog bei Varel sowie im Saterlande lebt das Friesische noch fort. Das Wangeroogische, nach der Volkszählung von 1890 nur noch von 32 Menschen gesprochen, ist im Aussterben begriffen, das Satersche aber noch voll lebenskräftig.
In den zu den Niederlanden gehörigen Teilen des alten Friesland herrscht jetzt die niederländ. Schriftsprache. Die fries. Volkssprache hat sich nur in der Provinz Friesland gehalten und auf den Inseln Schiermonnikoog und Terschelling. Im Groningschen spricht man seit dem 17. Jahrh. plattdeutsch, in Nordholland holländisch. Noch 1600 wird erwähnt, daß das Friesische im nordholländ. Waterland gesprochen wurde. Auch gegenüber dem sog. Nordfriesischen an der schlesw.
Westküste hat die plattdeutsche Sprache Fortschritte gemacht. In Eiderstedt hat sie im Laufe des 17. Jahrh. die einheimische Sprache verdrängt. Auf Nordstrand und Pelworm ist das Nordfriesische gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ausgestorben. Nördlich von Husum [* 36] macht seit dem 19. Jahrh. das Plattdeutsche immer größere Fortschritte, wiewohl die Sprachgrenze sich nur langsam verschiebt. Auch auf der Insel Föhr dringt das Plattdeutsche vor. Die Schrift-, Schul- und Kirchensprache ist hier wie auch auf Helgoland [* 37] seit alters die deutsche.
Alle Friesen und Nordfriesen, die noch an ihrer eigenen Sprache festhalten, können auch deutsch (oder holländisch) sprechen. Endlich ist die Deutsche Sprache auch dem Dänischen gegenüber in jüngster Zeit siegreich. Im 19. Jahrh. ist die Landschaft Angeln (zwischen Schleswig [* 38] und Flensburg) [* 39] plattdeutsch geworden, und auch nördlich von Flensburg wird in den östl. Küstenstädten viel deutsch gesprochen. Die größten Fortschritte hat die deutsche Kirchensprache zu verzeichnen. In 57 Kirchengemeinden, in denen bis 1864 der Gottesdienst abwechselnd in deutscher und dän. Sprache stattfand, ist jetzt mit Zustimmung der Mehrheit der Bewohner die Kirchensprache ausschließlich deutsch. Von 114 Kirchspielen, in denen bis 1864 kein deutsches Wort in der Kirche gehört wurde, wurde in 45 Kirchen der Gottesdienst in deutscher und dän. Sprache gehalten. 1885‒91 ist in nicht weniger als 28 neuen Kirchspielen die Kirchensprache teilweise deutsch geworden.
Sprachgrenzen und Sprachinseln. (S. die Karte der deutschen [* 22] Mundarten, S. 28.) Die Grenze des deutschen Sprachgebiets beginnt in Frankreich an der Nordsee zwischen Gravelingen und Dünkirchen [* 40] und läuft östlich von St. Omer, nördlich von Hazebrouk und Bailleul genau in östlicher Richtung über Werwick, Menin, Rousse, Enghien, Hal, südlich von Brüssel, [* 41] Tienen und Tongern, zwischen Lüttich [* 42] und Maastricht [* 43] die Maas erreichend. Von hier aus folgt sie ungefähr der belg. Grenze; doch gehört ein schmaler belg. Grenzstrich nördlich und östlich von Verviers noch zum deutschen, Malmedy in der Rheinprovinz [* 44] noch zum franz. Sprachgebiete.
Luxemburg [* 45] ist deutsch, desgleichen das benachbarte belg. Arlon nebst Umgegend. Von Deutsch-Lothringen ist der westl. Grenzstrich, besonders die Umgegend von Metz, [* 46] französisch. Die Grenze läuft südlich und westlich von Diedenhofen, [* 47] Bolchen, Falkenberg, Mörchingen und Saarburg. Die Vogesen bilden nur in ihrem südlichern Teile die Grenze. Das obere Breuschthal (Schirmeck), desgleichen einige Gebirgsdörfer nordöstlich und südlich von Markirch [* 48] sprechen jetzt französisch. Vom Belchen ab südöstlich ist ungefähr die polit. Grenze des Elsaß zugleich Sprachgrenze. Die Gebirgsgegend um Delémont ist sprachlich gemischt; das Deutsche dringt hier neuerdings vor. Weiter südlich ist das Birsthal noch französisch, Biel deutsch. ¶